Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Debut

»Ich steck die Sonne auf den Hut
Und würfle mit den Sternen;
Doch vor des Beifalls Harmonie
Verbeugt sich tief: die Phantasie.«

Raimund.

 

Der alte Strauß hatte einen Vertrauten: den Lamperlhirsch. Dieser Mann hieß eigentlich Carl Friedrich Hirsch, studierte in seiner Jugend bei Beethoven ein Jahr Harmonielehre, wurde dann Kameralbeamter und – mit seinem Rechentalent – der Straußische Finanzminister. Außerdem segnete die Natur ihn mit einer Sonderbegabung für Beleuchtungseffekte: sein Werk waren die Illuminationen beim Isisfest, beim Markusfest im Augarten, und da er eben mit Lampen umging, nannte ihn der Volksmund den Lamperlhirsch.

Der Lamperlhirsch ward nun der heimliche Gesandte des alten Strauß, als Johann zum erstenmal beim Dommayer in Hietzing auftrat. Er nahm seinen Platz im Saal, zu sehen und zu berichten. Der alte Strauß hätte nicht den Fuß in die Nähe des »Mistbuben« gesetzt.

*

Wenn man heute mit dem Rücken gegen die uralte Hietzinger Pfarrkirche steht, zur Rechten hinter hohen grünen Gittern die Wipfel des französisch gestutzten Schönbrunner Parks, kann man die Szenerie von 1844 ungefähr nachbilden. Wo das moderne Parkhotel mit seinem Konzertgarten liegt, erhob sich der biedermeierische Dommayerbau. Mit schönem, antikem Fries aus der Schinkelzeit, mit Halbsäulen zwischen den Fenstern und mit ehrwürdiger kaisergelber Fassade die Tumulte deckend, die seine Innenwelt durchbebten.

Am 15. Oktober schien der Dommayer das einzige Lokal in Wien zu sein. Auf dem Platze schütteten Fiaker und Stellwagen bunte Menschenklumpen aus, Reiter und Fußgänger stockten und unter wienerischem Krawall bemühte sich die polizeiliche Gewalt, Ordnung in den Aufruhr zu bringen, der den Dommayer bedrohte.

Seit zwei Tagen kündigten die Zeitungen die Soirée dansante des jungen Strauß an:

 

Ankündigung

Einladung zur Soirée dansante,

welche Dienstag, 15. October 1844 selbst bey ungünstiger Witterung in Dommayer's Casino in Hietzing Statt finden wird. Johann Strauss (Sohn) wird die Ehre haben, zum ersten Male sein eigenes Orchesterpersonale zu dirigiren und nebst verschiedenen Ouvertüren und Opernpiécen, auch mehrere seiner eigenen Compositionen vorzutragen. Der Gunst und Huld des hochverehrten Publikums empfiehlt sich ergebenst Johann Strauss jun. –

Eintrittskarten zu 30 kr. C-M. sind in der k. k. Hof-Musikalienhandlung des Pietro Mechetti u. Co und in Stierböck's Kaffeehaus in der Jägerzeil, in Gabesam's und Puth's Kaffeehäusern in Mariahilf zu bekommen.

– Eintrittspreis an der Cassa 50 kr. C-M. –

Anfang um 6 Uhr.

 

Es gab viele Kapellen in Wien, gab Fahrbach, Morelly, Bendel, Ballin, jede mit ihrem Kreis von Liebhabern, Schwärmern, Anhängern und Trabanten, die auf sie schwuren wie auf ihr Stammwirtshaus. Und tauchte eine neue auf, so erregte es die »Leut vom Grund«, nicht die Stadt. Aber eine zweite Straußkapelle, die der ersten Konkurrenz schuf, Sohn und Vater, einander niedergeigend – das erregte wie ein Stuwersches Feuerwerk, eine neue Rolle des Herrn Anschütz, die Entbindung einer Erzherzogin ganz Wien.

»Strauß gegen Strauß!«

Schon war es durchgesickert: im Hirschenhaus fanden Sklavenaufstände statt. Schon hatte die erste Zeitung den kühnen jungen Mann mit unfreundlichen Notizen angeknurrt. Kurz, das Ereignis der Ereignisse warf seine Schatten, wob seine Maschen, weihte die neue Saison ein, ein Signal für alle Dabeiseinmüsser.

Bei Dommayer war am 15. Oktober 1844 ein Tisch schwieriger zu erkämpfen als ein Sitz im englischen Oberhaus. Man warf das Geld über die Köpfe in die Kasse. Im Saal quetschten die Leiber einander. Ein Zauberkrampf zog die Hirne, um mit Raimund zu sprechen, in einen Knäuel zusammen.

Der junge Strauß erscheint, schwarz und elegant flimmernd wie sein Vater. Beifall reißt sich los, donnert gegen die Bühne, prallt an die Schlankheit des Geigers. Unten steht der alte Tobias Haslinger, Verleger und Freund des Alten, Anführer einer starken Gegenpartei – er hat seine Leute mitgebracht und »hußt« sie zu einem Zischen auf. Aber Strauß lächelt, hebt den Bogen: die Ouvertüre zur »Stummen von Portici« beginnt, schlägt mit ihren gewitterigen ff-Akkorden in die Schwüle, verbraust sich in einen Beifallssturm.

Als zweite Nummer eine Walzerpartie mit dem anzüglichen Titel: »Die Gunstwerber«. Und wie das wirbt! Wie wenn aus allen drei Stockwerken eines Hauses Gesang erschallte. Und wie er das spielt! Der gleiche Scharm und Schick, das geduckte Piano, das losgehende Forte wie der Vater. Die »Herzenslust-Polka« kommt dran, die »Debut-Quadrille«, die »Sinngedichte«, alle vier ersten Werke, der ganze Notenkasten leert sich. Verführungsluft weht. Ein Stück macht auf das andere gespannt, die Streitlust erwacht, Kritik balgt sich mit Gegenkritik: »Das ist der zweite Strauß! Oder gar der erste!?«

Der Dichter Joh. Nep. Vogl notiert für die »Österreichische Morgenzeitung« einen Bericht:

 

»Das Talent ist nicht das Monopol eines einzigen ... es kann sich vererben ... der Junge ist ein ganz tüchtiges Direktionstalent ... derselbe Melodienfluß, dieselbe pikante, effektvolle Instrumentation wie beim Vater ... und trotzdem kein sklavischer Nachahmer der väterlichen Kompositionsweise.«

 

Und solches Lob von einem, der nur zwei Nummern hörte, da er es in der Hitze und im Gedränge nicht länger aushielt.

Als die »Sinngedichte« zum neunzehnten Male wiederholt wurden, verließ Herr Wiest, Feuilletonist des »Wanderers«, den Saal.

»Ja, ja, die Wiener«, dachte er im heimrollenden Wagen, »genau die gleichen wie vor zehn Jahren. Ein neuer Walzerspieler – ein Stück Weltgeschichte!«

»Gute Nacht, Lanner! Guten Abend, Strauß-Vater! Guten Morgen Strauß-Sohn!«

*

In einem bescheidenen Winkel des Festsaales saß unbeachtet eine Frau. Über den Harm ihrer Züge ging manchmal ein Leuchten. Die Schwere der Enttäuschung, die Last der Fraueneinsamkeit – alles war getilgt. Jeder Beifallssturm widerhallte als Glückssturm in ihrer Brust. Gefühl drängte über den Rand des Herzens, überfloß die Augen. Niemand erlebte den Abend, den Triumph des neuen Mannes so tief wie sie, die Mutter.

Und am nächsten Morgen trat der Lamperlhirsch zum Herrn Vater in die Tür und rückte an der breiten Biedermeier-Krawatte: »Ja, also ... es is sehr gut 'gangen. Der Mistbua hat großartig g'fallen!«


 << zurück weiter >>