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Siebentes Kapitel.

Um zehn Uhr an demselben Abend begann Clay, sich zum Balle im Regierungspalast anzukleiden, wobei ihm Mc Williams, der nicht eingeladen war, mit kritischer Billigung und ohne Neid zusah.

Um den Präsidenten zu ehren, hatte Clay mehrere fremde Orden hervorgesucht, und Mc Williams half ihm, das Band und das Großkreuz des Sterns von Olancho auf der Brust und das Kreuz der Ehrenlegion auf dem Aufschlag seines Fracks zu befestigen. Seinen Kopf zur Seite neigend, überschaute Mc Williams die Wirkung der kleinen emaillierten Kreuze mit derselben Miene liebevollen Stolzes, den eine Mutter empfindet, wenn sie ihrer Tochter das erste Ballkleid anlegen hilft.

»Haben Sie nicht noch ein paar?« fragte er eifrig.

»Noch einige Kriegsdenkmünzen,« antwortete Clay mit einem zweifelhaften Lächeln, »aber ich bin ja nicht in Uniform.«

»Ach, das schad't nichts,« erklärte Mc Williams. »Stecken Sie sie an, stecken Sie sie alle an. Das macht den Mädchen Spaß. Die Leute werden vielleicht glauben, sie seien Ihnen für hervorragende Leistungen im Schwimmen verliehen worden, aber sie werden sich ganz gut ausnehmen. – So, nun sehen Sie aus wie ein Tambourmajor oder wie ein Taschenspieler.«

»Das ist nicht wahr,« entgegnete Clay, »ich sehe aus wie ein französischer Gesandter, und ich weiß nicht, wo Sie den Mut hernehmen, überhaupt mit mir zu sprechen.«

In bester Laune den Berg hinansteigend, fand er vor der Thür den Wagen, worin King, Mr. und Miß Langham bereits saßen und auf ihn warteten. Schon waren sie zur Abfahrt bereit, und Miß Langham hatte sich eben zurechtgesetzt, als sie das Rascheln von Seide und leichte Schritte hörten, die eilig über den mit Fliesen belegten Fußboden trippelten. Als sie sich umwandten, erblickten sie Hope, die strahlend und lächelnd in der Thür stand. Sie trug ein weißseidenes Kleid, das bis auf den Boden reichte und ihre Arme und Schultern frei ließ. Ihr Haar war hoch auf dem Kopfe aufgebaut, und sie zerrte eifrig an einem Paare langer brauner Handschuhe. Die Verwandlung war so vollständig, und das junge Mädchen sah so viel älter und so stattlich und schön aus, daß die beiden jungen Herren sie in schweigender Bewunderung erstaunt anstarrten.

»Aber Hope,« rief ihre Schwester. »Was soll denn das heißen?«

Hope blieb etwas erschrocken stehen und griff mit beiden Händen nach ihrem Haare.

»Was meinst du denn?« fragte sie. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Aber, liebes Kind,« sagte ihre Schwester, »du denkst doch nicht daran, mit uns zu gehen?«

»Nicht mit euch zu gehen?« wiederholte die jüngere Schwester ganz verblüfft. »Aber warum denn nicht? Ich bin ja mit eingeladen, Alice.«

»Aber Hope – Vater,« sagte Alice, indem sie aus dem Wagen stieg und sich Mr. Langham zuwandte. »Du wolltest doch nicht, daß Hope mitgehen sollte. Sie ist ja noch nicht eingeführt.«

»Ach was,« erwiderte Hope trotzig: aber sie holte etwas rascher Atem und errötete, als sie bemerkte, wie sich die beiden jungen Herren so weit zurückzogen, daß sie die Fortsetzung dieses kleinen Familienzwistes nicht hören konnten. Sie fühlte, daß man sie behandelte, wie ein verzogenes Kind.

»Hier unten kommt's doch gar nicht darauf an,« sagte sie, »und ich möchte so gern dabei sein. Ich dachte, ihr hättet die ganze Zeit gewußt, daß ich mitgehen wollte. Marie hat mir das Kleid besonders zu diesem Balle gemacht.«

»Ich bin der Ansicht, daß Hope noch zu jung ist,« erklärte die ältere Schwester bestimmt, indem sie sich an den Vater wandte, »und wenn sie hier in Tanzgesellschaften geht, so ist gar kein Grund vorhanden, weshalb sie das zu Hause nicht auch thun sollte.«

»Aber zu Hause will ich gar nicht in Tanzgesellschaften gehen,« unterbrach Hope ihre Schwester.

Mr. Langham, dem man ansah, daß ihm der ganze Auftritt ungemein peinlich war, wandte sich mit bittendem Ausdruck seiner ältesten Tochter zu.

»Was meinst du, Alice?« fragte er zweifelhaft.

»Es thut mir furchtbar leid,« antwortete Miß Langham, »aber ich muß sagen, daß es durchaus nicht passend wäre. Daß ich so unfreundlich erscheinen muß, ist mir außerordentlich schmerzlich, Hope, aber du bist wirklich noch zu jung, und die Herren hier sind so, daß ein junges Mädchen gar nicht mit ihnen verkehren dürfte.«

»Du verkehrst aber doch auch mit ihnen, Alice,« entgegnete Hope, aber sie zog dabei doch die Handschuhe aus, ein Zeichen, daß sie sich besiegt gab.

»Aber liebes Kind, ich bin ja fünfzig Jahre älter als du,« erwiderte Miß Langham.

»Alice wird es wohl am besten wissen,« warf Mr. Langham dazwischen, »doch es thut mir leid, liebe Hope, daß du das Nachsehen hast.«

Hope warf den Kopf etwas in den Nacken und wandte sich der Thür zu.

»Wenn du's nicht gern siehst, Vater, will ich mich gern fügen,« sagte sie. »Gute Nacht.« Bei diesen Worten schickte sie sich an, sich zu entfernen, allein sie schien sich die Sache anders überlegt zu haben. Sie kam zurück und blieb lächelnd und nickend in der Thür stehen, während sich die Gesellschaft wieder im Wagen zurechtsetzte.

»Wir werden dir morgen alles erzählen,« sagte Mr. Langham, sich vorbeugend, in betrübtem Tone. »Es thut mir wirklich zu leid, mein Kind. Du wirst dich doch nicht einsam fühlen? Soll ich nicht lieber bei dir bleiben?«

»Was fällt dir ein!« rief Hope lachend. »Dir zu Ehren wird ja der Ball gegeben, also mache dir weiter keine Gedanken um mich. Ich werde etwas lesen und dann zu Bett gehen.«

»Gute Nacht, Aschenbrödel!« rief ihr King zu.

»Gute Nacht, Prinz Wunderhold!« antwortete Hope.

Clay und King fühlten beide, daß es das junge Mädchen weniger verdroß, den Ball zu versäumen, als daß sie in ihrer Gegenwart wie ein Kind behandelt worden war, und deshalb hüteten sie sich, Teilnahme oder Bedauern auszudrücken, sondern nahmen, als sich der Wagen in Bewegung setzte, einfach ihre Hüte ab und verbeugten sich etwas respektvoller, als gewöhnlich.

Das Jammerbild, das Hope bot, als sie in ihrem neuen Putz verlassen und verloren auf der Schwelle des leeren Hauses stand, erschien Clay doch etwas theatralisch, aber er verdachte es doch ihrem Vater und ihrer Schwester, sie so abgekanzelt zu haben, und dankte dem Himmel von ganzer Seele, daß er nicht zu ihren Kreisen gehörte, und als Miß Langham von neuem ihr Bedauern darüber aussprach, daß sie nicht anders habe handeln können, verhielt er sich schweigend. Kindern ein Vergnügen zu machen und im Auge zu behalten, daß ihr Kummer stets größer ist, als die Veranlassung rechtfertigt, schien Clay etwas sehr Einfaches zu sein, denn Kinder, Tiere und Blinde bildeten in seinen Vorstellungen immer eine zusammengehörige Gruppe von Wesen, die Anspruch auf die zarteste und unermüdlichste Fürsorge hatten. Deshalb war ihm jetzt die Freude des Abends vergällt, da er fortwährend an den schmerzlichen und enttäuschten Ausdruck in Hopes Antlitz denken mußte, und als ihn Miß Langham fragte, weshalb er so nachdenklich sei, sagte er ihr gerade heraus, er sei der Ansicht, sie sei sehr unfreundlich gegen Hope gewesen, und er halte ihre Einwendungen für thöricht.

Miß Langham wurde merklich förmlicher.

»Vielleicht verstehen Sie nicht, Mr. Clay,« entgegnete sie, »daß wir uns gewissen Regeln zu unterwerfen haben, die die Leute, mit denen wir am liebsten verkehren, für sich aufgestellt haben. Wenn es uns beliebt, uns dem Herkommen zu fügen, so geschieht das wahrscheinlich, weil das Leben für die größere Mehrzahl auf diese Weise erleichtert wird. Sie denken doch nicht etwa, daß es eine angenehme Aufgabe für mich gewesen sei? Ich habe des äußeren Ansehens wegen noch viel wichtigere Dinge aufgegeben, als einen Ball, und Hope wird morgen selbst einsehen, daß ich richtig gehandelt habe.«

Clay sagte, er hoffe das, bezweifle es aber, und um Miß Langham zu versöhnen, bat er sie hierauf um den nächsten Tanz, aber Alice war so leicht nicht zu besänftigen. »Es thut mir sehr leid,« sagte sie, »aber ich glaube, ich bin bis zum Abendessen versagt. Dann mögen Sie kommen und sollen einen Tanz haben. Sie können jedoch etwas anderes für mich thun,« fügte sie hinzu. »Ich habe meinen Fächer im Wagen gelassen – glauben Sie, daß Sie ihn mir ohne zu viel Mühe holen könnten?«

»Der Wagen hat nicht gewartet; er ist, glaube ich, zurückgeschickt worden,« antwortete Clay, »aber ich kann mir ein Pferd von einem von Stuarts Leuten geben lasten, nach Hause reiten und Ihnen einen anderen holen, wenn Sie es wünschen.«

»Das wäre doch zu albern!« rief Miß Langham lachend, aber sie sah trotzdem befriedigt aus.

»O, das ist eine Kleinigkeit,« antwortete Clay, der sie mit einem belustigten Lächeln anschaute und dem der Gedanke augenscheinlich gefiel. »Würden Sie das als einen Beweis meiner Ergebenheit betrachten?« fragte er.

In seinen Augen lag so wenig Ergebenheit und so viel Schelmerei, daß Miß Langham vermutete, er mache sich nur über sie lustig, und sie schüttelte den Kopf.

»Sie gehen ja doch nicht,« sagte sie, sich abwendend, allein sie folgte ihm mit ihren Blicken, als er, die Eingeborenen um Haupteslänge überragend, durchs Zimmer schritt. Niemals hatte sie ihn so glänzend gesehen, und mit einem Auge, das gewohnt war, auf Kleinigkeiten zu achten, bemerkte sie die Orden, seine gutsitzenden weißen Handschuhe und seine europäische Art, sich zu verbeugen, wobei er seinen Klapphut auf die Lende stützte, als ob seine Hand auf dem Griffe eines Degens ruhe. Ebenso bemerkte sie, daß die kleinen Olanchianer stehen blieben und ihm nachsahen, während er sich durch die Menge drängte, und sie konnte sehen, daß die Herren den Damen sagten, wer er war. Sir Julian Pindar, der betagte englische Gesandte, hielt ihn an, und Alice beobachtete, wie sie zusammen über die englischen Kriegsdenkmünzen lachten, die der Amerikaner auf der Brust trug und die Sir Julian mit dem Finger berührte. Auch den französischen Gesandten und seine hübsche Frau rief Sir Julian herbei, und sie alle lachten und plauderten in der besten Laune. Gar zu gerne hätte Miß Langham gewußt, ob Clay französisch mit ihnen sprach.

Alice unterhielt sich nicht besonders auf dem Balle, sie fühlte sich verletzt und gekränkt und sagte sich immer wieder, daß sie schlecht behandelt worden sei. Sie hatte doch nur ihre Pflicht gethan, und trotzdem galt alle Teilnahme ihrer Schwester, durch die sie in eine so peinliche Lage gebracht worden war, und das hielt sie für sehr ungerecht. –

Als die andern weggefahren waren, schritt Hope langsam über die Veranda und schaute dem Wagen nach, so lange er in Sicht blieb. Dann warf sie sich in einen großen Armstuhl und betrachtete ihr hübsches Ballkleid und ihre neuen Tanzschuhe. Auch sie hatte das Gefühl, schlecht behandelt worden zu sein.

Der Mondschein umfloß sie wie vor einem Monat am Abend ihrer Ankunft, aber jetzt erschien er ihr kalt und trübe und vermehrte nur das Gefühl der Vereinsamung in dem schweigenden Hause. Ihr Versprechen, hineinzugehen und zu lesen, hielt sie nicht, sondern sie schaute während der nächsten Stunde über den Hafen hinaus. Ihrer Schwester konnte sie keine Vorwürfe machen. Sie sagte sich, daß deren Handeln durch Gesetz und Herkommen bestimmt werde, wie die Bewegungen der Königin im Schachspiel, und sie fragte sich, warum das so sein müsse. Das machte das Leben so zahm und uninteressant, und doch wurde Alice von allen Leuten bewundert, und jemand hatte sie als das edelste Beispiel einer modernen vornehmen Dame bezeichnet. Daß sie – Hope – nicht so sein werde, wenn sie erst erwachsen war, dessen war sie sicher, ebenso wie sie überzeugt war, daß sie ihren Angehörigen einst manche Enttäuschung bereiten werde. Ob sie den Leuten viel besser gefallen würde, wenn sie so vorsichtig wäre als Alice und ihrem Bruder Ted weniger ähnlich – ob sie dann, zum Beispiel, Mr. Clay ebenso gefallen würde? Sie hätte gern gewußt, ob er es mißbilligte, daß sie auf ihrem Pony durch den Bergwerksbezirk jagte und mit einer Lanze von Zuckerrohr nach den Kötern stach, die ihr Pferd zu beißen versuchten. Daß er sie eines Tages überrascht und belustigt angesehen, als er sie bei dieser sonderbaren Jagd betroffen hatte, entsann sie sich sehr wohl, und sie wurde noch bei der Erinnerung rot. Ganz gewiß hielt er sie für eine wilde Hummel, oder noch wahrscheinlicher war es, daß er gar nicht an sie dachte.

Hope lehnte sich auf ihrem Stuhle zurück, sah zu den Sternen über den Bergen empor und versuchte, sich vorzustellen, ob wohl einer der Prinzen und Helden in ihren Büchern so anziehende Erlebnisse gehabt habe, als Mr. Clay. Einige von ihnen hatten deren wohl gehabt, aber sie waren ja nur Geschöpfe der Einbildungskraft. Dieser Held hingegen war lebendig, und sie kannte ihn und hatte ihn wahrscheinlich dahin gebracht, sie als ein albernes kleines Mädchen zu verachten, das gescholten und zu Bett geschickt worden war, wie ein ungehorsames Kind. Hope fühlte, wie sich ihr der Hals zusammenschnürte und wie ihr etwas, was einer Thräne sehr ähnlich sah, in die Augen stieg, allein zu ihrer Ueberraschung schämte sie sich deren gar nicht. Daß sie verletzt und enttäuscht war, gestand sie sich ein, und um dieses Gefühl noch lebhafter zu machen, konnte sie nicht unterlassen, sich auszumalen, wie Clay und Alice in einer lauschigen Ecke zusammen lachten und plauderten, während sie, die ihn so gut verstand und die keine Worte finden konnte, ihm zu sagen, wie sehr sie zu würdigen wußte, was er war und was er geleistet hatte, wie Aschenbrödel allein vor einem verödeten Kamin saß.

Wie Hope es malte, war das Bild so rührend, daß sie für den Augenblick eine Regung von Mitleid mit sich selbst verspürte, allein im nächsten lachte sie spöttisch über ihre eigene Thorheit, erhob sich mit einem ungeduldigen Achselzucken und schlug den Weg nach ihrem Zimmer ein.

Noch ehe sie jedoch die Veranda überschritten hatte, hörte sie den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes auf der harten, von der Sonne ausgedörrten Straße, die von der Stadt nach der Palmenvilla führte, und das veranlaßte sie, stehen zu bleiben. Kaum war sie aus dem Schatten hervorgetreten, als der Reiter sein Pferd vor den Stufen der Veranda scharf zügelte und aus dem Sattel sprang.

Schon hatte Hope Clay erkannt, und seine Eile erweckte die Besorgnis in ihr, es sei jemand von den Ihrigen krank geworden. Deshalb lief sie ihm hastig entgegen und fragte, ob etwas vorgefallen sei.

Clay war über ihr plötzliches Erscheinen etwas überrascht und stieß ein kurzes, knabenhaftes Lachen der Freude aus.

»Ich bin froh, daß ich Sie noch auf finde,« sagte er. »Nein, vorgefallen ist nichts.«

Verlegen hielt er inne. Der Gedanke, daß ein gewisses kleines Mädchen betrübt zu Hause sitze, hatte ihn bewogen, zurückzukehren, aber jetzt, wo er sich plötzlich einer ganz erwachsenen jungen Dame gegenüber sah, kam ihm seine Handlungsweise ganz hervorragend albern vor, und er wußte nicht, wie er sie erklären sollte, ohne Hope zu verletzen.

»Nein, es ist nichts vorgefallen,« wiederholte er, »ich wollte nur etwas holen.«

Von demselben Soldaten, dessen Pferd er genommen, hatte sich Clay auch einen Mantel geben lassen, wie ihn die Reiter bei Nacht trugen, und als er jetzt barhaupt vor ihr stand, während dieser Mantel von seinen Schultern bis auf den Fußboden wallte und das Ordensband und die Kreuze auf seiner Brust im Lichte erglänzten, war Hope ihm sehr dankbar, daß er im stande war, wie ein Prinz oder ein Romanheld in einem Buche auszusehen und dabei doch ihr Mr. Clay zu bleiben.

»Ich bin gekommen, um Ihrer Schwester Fächer zu holen,« erklärte Clay. »Sie hat ihn vergessen.«

Das junge Mädchen sah einen Augenblick überrascht zu ihm auf und nahm sodann eine etwas stolzere Haltung an. Sie wußte nicht, ob sie mehr Entrüstung gegen Alice fühlte, die einen solchen Mann mit einem so albernen Auftrage abgesandt oder gegen Clay, daß er sich zu so etwas hergegeben hatte.

»Ach, das ist es?« sagte sie endlich. »Dann will ich hineingehen und einen suchen.«

Dabei machte sie ihm eine würdevolle kleine Verbeugung und schritt mit allen Zeichen der Mißbilligung auf die Thür zu.

»Hm, ich weiß doch nicht,« sagte Clay in zweifelhaftem Tone, »ich brauche doch nicht gleich wieder fortzureiten, nicht wahr? Darf ich Ihnen nicht ein Weilchen Gesellschaft leisten?«

Hope blieb stehen und sah ihn etwas betroffen an.

»O gewiß,« antwortete sie verwundert, »aber möchten Sie nicht lieber gleich zurückkehren? Sie kamen doch in solcher Eile. Und wartet Alice nicht auf ihren Fächer?«

»O, der wird jetzt wohl in ihren Händen sein! Ich habe Stuart beauftragt, ihn zu suchen, denn sie hat ihn im Wagen gelassen, der am Ende der Plaza wartet.«

»Weshalb sind Sie denn aber gekommen?« fragte Hope mit wachsendem Argwohn.

»Ja, das weiß ich eigentlich selbst nicht,« entgegnete Clay ratlos. »Ich fühlte das Bedürfnis, einen kleinen Spazierritt im Mondschein zu machen, denn Bälle und Tanzereien sind mir verhaßt, wissen Sie. Ihnen nicht auch? Ich bin der Ansicht, daß Sie sehr verständig waren, nicht mitzugehen.«

Hope stützte ihre Hände auf die Lehne des großen Armstuhles und blickte Clay, der so stand, daß sie sein Gesicht im Mondschein deutlich sehen konnte, fest an.

»Sie sind gekommen, weil Sie dachten, ich säße hier und weinte, oder die anderen haben Sie geschickt, um einmal nach mir zu sehen,« sagte sie. »Ist es nicht so? Hat Alice Sie geschickt?« fragte sie.

»Sie wissen sehr wohl, daß niemand mich geschickt hat,« antwortete er. »Ich war der Ansicht, daß Sie abscheulich behandelt worden seien, und fühlte das Verlangen, Ihnen das auszusprechen. Das ist alles. Und außerdem wollte ich Ihnen auch noch sagen, daß ich Sie sehr vermißte und daß mir Ihr Nichtkommen den Abend verdorben hat. Ferner bin ich hierher geritten, weil ich lieber mit Ihnen plaudern möchte, als bleiben, wo ich war. Niemand weiß, daß ich mich entfernt habe, um Sie aufzusuchen. Ich habe gesagt, ich wolle den Fächer holen, und habe Stuart beauftragt, ihn zu suchen, wenn ich fort sei. Ich wollte weiter nichts, als Sie sehen; das ist alles, aber ich werde gleich wieder wegreiten.«

Während er sprach, hatte Hope die Augen gesenkt, sich abgewandt und ihre Blicke über den Hafen wandern lassen. Ein seltsamer, seliger Aufruhr tobte in ihrer Brust, und sie atmete so rasch, daß sie fürchtete, er werde es bemerken. Außerdem fühlte sie einen Drang zu weinen, der sie erschreckte. Deshalb lachte sie, drehte sich um und sah ihm wieder ins Gesicht. Clay bemerkte denselben Blick in ihren Augen, der ihm an dem Tage aufgefallen war, als sie ihm beim Bergwerke zu seinem Erfolge beglückwünscht hatte. Schon früher hatte er diesen Blick in den Augen anderer Frauen gesehen und er fühlte sich beunruhigt. Hope setzte sich nun auf den großen Stuhl, und Clay ließ den weiten Mantel ihr zu Füßen auf den Boden fallen. Dann setzte er sich ebenfalls, wobei er sich mit den Schultern gegen einen der Pfeiler lehnte. Erst jetzt sah er wieder zu ihr auf und fand, daß der Blick, der ihn beunruhigt hatte, verschwunden war und daß ihre Augen vor Aufregung und Vergnügen funkelten.

»Und haben Sie mir nicht zum Trost etwas vom Balle mitgebracht?« fragte sie scherzend.

»Natürlich habe ich das,« erwiderte Clay ganz gelassen. »Ich habe Ihnen ein paar Bonbons mitgebracht.«

»O, wirklich?« rief Hope mit einem Ausrufe des Entzückens. »Aber wie albern von Ihnen! Knallbonbons?«

»Ja, Knallbonbons,« entgegnete Clay ernst, »und auch eine Tanzkarte, ein Ueberbleibsel der barbarischen Sitten, die in dieser südlichen Hauptstadt noch herrschen. Das Wappen von Olancho ist in Gold darauf gedruckt, und ich dachte, Sie möchten sie vielleicht gern als Andenken aufbewahren. – Darf ich um den nächsten Tanz bitten?« fragte er, indem er die Karte aus der Tasche zog.

»Gewiß,« antwortete Hope, »aber Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir den Tanz aussitzen, wie?«

»Das würde ich entschieden vorziehen,« versetzte Clay, indem er seinen Namen auf die Karte kritzelte. »Drinnen ist ein solches Gedränge, auch ist die Gesellschaft einigermaßen gemischt.«

Sie lachten beide über ihre Kindereien, und Hope sah ihren Kavalier freundlich und stolz an.

»Wenn Sie rauchen wollen, habe ich nichts dagegen, auch wäre Ihnen vielleicht etwas Kühles zu trinken willkommen,« fragte sie mit gastlichem Eifer. »Nach Ihrem Ritte wäre das gewiß nicht überflüssig.« Clay lehnte dankend ab, zündete sich aber eine Zigarre an und beobachtete Hope heimlich durch den Rauch, wie sie ihm glückstrahlend gegenübersaß, die mondbeschienene Welt, die sie umgab, ganz vergessend. Als sie bemerkte, daß Clays Augen aus sie gerichtet waren, lachte sie fröhlich auf.

»Was haben Sie?« fragte er.

»O, ich dachte nur, daß es viel hübscher ist, wenn man den Ball zu sich kommen läßt, als auf einen Ball zu gehen,« erwiderte Hope.

»Demnach sind ein Herr, eine Tanzkarte und drei Bonbons für Sie ein vollständiger Ball?«

»Ist es denn nicht so? Ich bin noch nicht in die Gesellschaft eingeführt, sehen Sie, und deshalb weiß ich es nicht besser.«

»Ich sollte denken, daß sehr viel auf den Herrn ankäme,« meinte Clay.

»Soll das eine Anspielung sein?« entgegnete Hope etwas unsicher. »Was müßte ich denn darauf erwidern, wenn ich schon in die Gesellschaft eingeführt wäre?«

»Das weiß ich nicht, aber lassen Sie es lieber ungesagt,« antwortete Clay. »Wahrscheinlich würde es etwas sehr wenig Schmeichelhaftes und Naseweises sein, und auf jeden Fall würde ich Sie zu Ihrer Anstandsdame zurückführen und Sie dort verlassen müssen.«

Allein Hope hatte ihm nicht zugehört. Ihre Augen ruhten auf seinem Halse, und Clay erhob hastig abwehrend die Hand.

»Mr. Clay,« begann Hope plötzlich, indem sie sich eifrig vorbeugte, »würden Sie mich für sehr ungezogen halten, wenn ich Sie fragte, wofür Sie alle diese Kreuze bekommen haben? Ich weiß, daß sie etwas bedeuten, und ich möchte gar zu gern wissen, was. Bitte, sagen Sie es mir.«

»Ach die!« sagte Clay. »Der Grund, weshalb ich sie heute angelegt habe, ist der, daß man dadurch dem Gastgeber gewissermaßen eine Aufmerksamkeit erweist. Das habe ich mir im Auslande angewöhnt ...«

»Danach habe ich Sie nicht gefragt,« fiel ihm Hope streng ins Wort. »Ich habe Sie gefragt, wofür Sie diese Auszeichnungen erhalten haben. Also fangen Sie mit dem Kreuze der Ehrenlegion da rechts an, und dann gehen Sie weiter, bis Sie ans Ende gelangt sind, und bitte, überhüpfen Sie nichts. Lassen Sie auch die blutdürstigen Teile ja nicht aus und seien Sie vor allem nicht bescheiden.«

»Wie Othello,« meinte Clay.

»Ja,« entgegnete Hope, »und ich will Desdemona sein.«

»Nun also, meine liebe Desdemona, die Sache hat sich folgendermaßen zugetragen,« sagte Clay lachend. »Diese Kriegsdenkmünze und diesen Stern habe ich für den Nilfeldzug unter Wolseley erhalten. Von Aegypten ging ich dann der Küste entlang nach Algier, wo ich in dem übel berüchtigten Corps, das unter dem Namen Fremdenlegion bekannt ist, Dienste nahm ...«

»Sie wollen doch nicht sagen,« unterbrach ihn Hope entzückt, »daß Sie ein Chasseur d'Afrique gewesen sind, wie der Mann in ›Unter zwei Flaggen‹?«

»Keineswegs,« antwortete Clay mit Nachdruck. »Ich war ein ganz einfacher, gemeiner Sappeur und zeigte den anderen Taugenichtsen, wie man einen Schützengraben anlegt. Der Fremdenlegion gereichte ich acht Monate zur Schande, dann ging ich nach Peru, wo ich ...«

»Sie überspringen etwas,« fiel ihm Hope ins Wort. »Wie haben Sie sich die Ehrenlegion verdient?«

»Ach die?« entgegnete Clay. »Die habe ich für ein Husarenstückchen bei der Verfolgung einer Handvoll Araber bekommen. Die Kerle hatten uns eine Fahne abgenommen, und die holte ich wieder und schwenkte sie wie verrückt über dem Kopfe, bis ich ganz sicher war, daß es der Oberst gesehen hatte. Sowie ich das merkte und überzeugt sein konnte, daß ich befördert werden würde, hörte ich auf.«

»Ach, wie können Sie nur so reden!« rief Hope. »Es ist Ihnen ja gar nicht eingefallen, etwas Derartiges zu thun. Wahrscheinlich haben Sie das ganze Regiment gerettet.«

»Kann sein,« erwidert Clay, »obgleich ich mich dessen nicht entsinne, und damals hat auch kein Mensch davon gesprochen.«

»Nun fahren Sie mit den anderen fort,« sagte Hope, »und bitte, versuchen Sie, bei der Wahrheit zu bleiben.«

»Gut also: dieses Kreuz habe ich von Spanien erhalten, weil ich Vorsitzender des Internationalen Ingenieurkongresses in Madrid war. Das war der scheinbare Grund, aber der wirkliche war, daß ich den spanischen Ingenieuren beigebracht habe, statt Baccarat Poker zu spielen. – Dieses hat mir der Sultan von Sansibar verliehen, aber kein Mensch, außer dem Sultan selbst, weiß, warum, und der will es nicht verraten, wahrscheinlich, weil er sich schämt. Er gibt diese Orden weg wie Zigarren, und als ich ihm meinen Besuch machte, hatte er gerade keine Zigarren im Hause.«

»Wo Sie aber auch überall gewesen sind!« sagte Hope mit einem Seufzer. »Ich bin auch in Kairo und Algier gewesen, aber ich durfte nur mit meiner Erzieherin ausgehen, und die wollte nie eine Moschee betreten, weil man, wie sie behauptete, dort nur Flöhe bekäme. Im Sommer gehen wir immer nach Paris und Homburg, und in ein großes Hotel in London. Ich reise sehr gern, aber nicht auf diese Art. Das würde Ihnen doch auch keinen Spaß machen?«

»Ich reise, weil ich keine Heimat habe,« entgegnete Clay. »Umgekehrt wie der Mensch, der nach Hause kam, weil alle anderen Lokale geschlossen waren, suche ich andere Orte auf, weil mir kein Heim offen steht.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Hope kopfschüttelnd. »Warum haben Sie keine Heimat?«

»Es gab einmal eine Ranch in Colorado, die ich meine Heimat zu nennen pflegte,« antwortete Clay, »aber man hat Bauplätze für eine Stadt daraus gemacht, und jetzt besitze ich nur noch einen kleinen Fleck auf dem Kirchhofe vor der Stadt, wo meine Mutter begraben ist, und den besuche ich stets, wenn ich nach den Vereinigten Staaten komme. Das ist das einzige Stück Erde in der ganzen weiten Welt, wohin ich zurückkehren kann.«

Hope beugte sich mit großen Augen und gefalteten Händen vor.

»Und Ihr Vater?« fragte sie mit weicher Stimme, »ist der – liegt der auch dort?«

Clay betrachtete das brennende Ende der Zigarre, die er zwischen den Fingern hielt.

»Mein Vater, Miß Hope,« antwortete er, »war ein Flibustier und segelte mit der ›Virginia‹ hinaus, um Kuba zu helfen. Die Spanier haben ihn auf einen Sandhaufen gestellt und tot geschossen, und wir haben nie erfahren, wo er begraben ist.«

»O, vergeben Sie mir, ich bitte um Verzeihung,« sagte Hope mit so kläglicher Stimme, daß Clay rasch seinen Blick zu ihr erhob. Eine Thräne glänzte in ihren Augen. Schüchtern streckte sie ihm die Hand entgegen und berührte einen Augenblick seine sonnenverbrannte rauhe Faust, die geballt auf seinem Knie lag. »Es thut mir so leid,« sagte sie, »so furchtbar leid!«

Zum erstenmal seit vielen Jahren traten auch in Clays Augen Thränen, die das vom Mondschein beleuchtete Bild vor ihm verschleierten. Durch die einfache Aeußerung der Teilnahme eines jungen Mädchens erschüttert, saß er schweigend da. –

Als er eine Stunde später nach der Stadt zurücksprengte, daß der Kies unter den Hufen seines Ponys stob, und er sich im Sattel umwandte, um Hope einen letzten Gruß zuzuwinken, stand ihre vom Mondschein umflossene weiße Gestalt im Thorweg, wie ein Geist, der ihm den Weg nach einem neuen Paradiese wies.

 

Ende des ersten Bandes.


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