Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Fünfzehntes Kapitel

Es war nun heller Morgen. Prachtvoll strahlte die Sonne auf Gebirge und See. Schmale Wolkenstreifen, die bisher wie ein Schleier und ein langgezogener Speer das Haupt und die Mitte des Säntis umgeben hatten, sanken rasch ins Thal. Es hatte in der Nacht einen ganz leichten Schnee auf Säntis und Tödi und die andern höchsten Berghäupter gelegt: der glänzte wie glitzernder Krystall.

Friedlich war's hier. Der Krieg hatte – dank Bissula! – seine Zerstörung hierher nicht getragen.

Funkelnder, starker Reiftau lag reichlich auf allen Halmen. Das Waldkind, solang abgesperrt von See und Hag und Feld, empfand die junge Freiheit in der wiedergegebenen Natur wonnig: tief holte sie Atem: ja sie wandte sich einmal, trotz aller Ungeduld ihres eiligen Laufes, stehen bleibend, gegen den hellblau leuchtenden See und die weiß und goldig strahlenden Häupter der Berge.

»Ich weiß euch nicht alle mit Namen zu nennen, ihr guten, ihr holden, ihr lieben Götter, die ihr das alles so wacker geleitet habt und mir geholfen auf dem Land und im Wasser: – und die ihr daher leuchtet aus Sonne und Bergglanz! – Und Adalo lebt, das ist das Beste, das Allerbeste, was ihr gethan habt! – Ihr Götter – ich kenn' euch nicht alle: aber ich dank' euch allen miteinander!«

Und sie streckte beide Arme weit geöffnet der Sonne entgegen.

Doch hastig, damit die Seefrau und der Bergkönig Donar, der auf dem Säntis thronte, es nicht übelnähmen, – grüßte sie mit beiden Händen, rasch nacheinander sie hebend und senkend, wie man etwa einen guten Freund auf dem See, ihn von weitem erkennend, begrüßt, nach dem Wasser zu und nach den Bergen hinüber.

Nun sprang sie wieder ungeduldig den Hügel aufwärts. Wohl hatten die meisten Singvögel längst den See verlassen. Aber ein Rotkehlchen, das hier immer überwinterte, erkannte die Freundliche, die ihm gar oft in den Schnee Futter gestreut: – zutraulich flog es stets ein paar Schritte vor ihr her und begrüßte sie mit kurzem, leisem Zwitscherton: – erst vor der Hallthüre huschte es zur Seite.


In der großen Halle des Edelhofes lag Adalo auf flacher Erde ausgestreckt, aber auf gar weichen Fellen, das Haupt gegen die Stufen des Hochsitzes gelehnt, die Füße gegen den Eingang. Seine Locken ruhten im Schose Waldruns, der Greisin: er hatte die Augen geschlossen. Zu seiner Linken lag, in umgekehrter Richtung, Zercho, das Haupt gegen die Thüre gewendet, einen mächtigen Metbecher neben sich. – Zu seiner Rechten stand Sippilo, ängstlich die Augen auf des Bruders Antlitz gerichtet. Neben dem Wunden aber lag Bruna, die Bärin: sie leckte ihm, leise brummend, die schlaff herabhängende Hand. Sie zuerst rührte sich, den Kopf hebend, als auf dem glattgestampften Sand vor der Thüre leichte Tritte hörbar wurden. Da sprach die Blinde leise, daß der Wunde es nicht höre, zu den beiden andern: »Das ist Bissulas Schwebeschritt.« Bissula erschien in der Thüre. Sippilo sprang auf, Zercho hob den Kopf: aber das Mädchen winkte allen, zu schweigen: unhörbar schwebte sie, barfuß, zu Adalos Lager heran und legte ihm die kleine Hand auf das Haupt.

»Bissula?« sprach dieser, die Augen aufschlagend.

Sie beugte sich über ihn: – ihre roten Locken fluteten auf sein bleiches Gesicht. »Bist du's, Kleine? – Nein, nein! Die schönste der Walküren kommt und trägt mich hinauf – seht ihr die Schwanenflügel?« – Ihr weißes Gewand rauschte um seine Schultern. – Auf, nach Walhalls leuchtenden Höhen.«

Einen Blick qualvoller Angst warf das Mädchen auf Waldrun. »Getrost,« – sagte diese fest, – »er bleibt leben. Und alles wird, wie ich gesagt.« – »Du mußt jetzt immer bei uns bleiben!« rief Sippilo und ergriff ihr Gewand, als wollte er sie gleich festhalten. – Bruna hatte sich freudig brummend erhoben und legte eine Pranke gegen ihr Knie, mit klugen Augen zu ihr emporschauend: dankbar streichelte sie dem Tier das breite Haupt und reichte Zercho die Hand, der sie demütig küßte: – lachend, mit weinenden Augen, schluchzte er: »Oh Geistchen, rotes Geistchen!«

Nun aber machte sie sich los, beugte sich nieder und rief: »Nein, Adalo, keine Walküre, Bissula ist es, die kleine, die rote, ach, die so arg, so bitter böse! Adalo, – schweig – rede nicht, – ich weiß alles – ich weiß auch, was du für Bissula thun wolltest, – was du geboten hast! Das war auch einmal böse von dir! Still – still! – Es war ja – so – so wie du nur bist – von allen Menschen auf der Erde – nur du allein! – Schweige jetzt, Lieber, – rühre dich nicht. – Ja, ja, hier bleib' ich, deine Pflegerin, – deine Magd, so lange du mich brauchst. – Ach, ich bitte dich so sehr, – ich bitte dich: – nimm mich! Nein, nein! Laß deinen Arm ruhen! Noch nicht an deine Brust! Aber ich will alles thun mein Leben lang – so blind gehorsam! – wie du es willst: nur laß mich bei dir sein, – dein Eigentum!«

Und sie senkte das Köpfchen auf seine Brust.

Da richtete er sich auf, küßte das rote, das flutende Haar, küßte den roten, den schon wieder lächelnden Mund und die noch thränenden Augen und sprach selig: »Oh Bissula, – du Liebe! – Du Böse! – Du meine Braut!«

 


 


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