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Sechster Tag.

Der Verfasser weist nach, daß in ihm ein Humorist steckt. Der feuerspeiende Vogelsberg. Die letzten Köhler. Die Teufelsmühle in Ilbeshausen, nebst einer traurigen Selbstmordgeschichte eines verliebten Gespenstes. Vorher noch die Bekehrung des Piratenaugust zum Spiritismus.

 

Eins muß ich den Laubachern, die ich an jenem Abend kennen lernte, nachrühmen, sie hatten einen gewissen Humor, und sie bereiteten mir einen zwar etwas unruhigen aber doch genußreichen Aufenthalt.

»Was ist Humor?« fragte jener Weise des Altertums, worauf bekanntlich Jean Paul geantwortet hat: »Humor ist die Gabe, zu den faulen Witzen anderer Leute ein freundliches Gesicht zu machen.« (Nebenbei bemerkt, hoffe ich grade bei den Lesern dieses Buches diese Sorte Humor in besonders starkem Maße vorzufinden). Überhaupt, wenn ich auch nur irgendwie ein pathetisch veranlagter Mensch wäre, ich würde jetzt ein Loblied auf den Humor singen. Der Humor ist das, was uns über das Tier erhebt, der Humor ist die Überwindung unserer persönlichsten Erbärmlichkeit, die Kunst, in allen Lebenslagen zu schwindeln, eine Selbstapotheose, welche Hühneraugen, krumme Schultern und falsche Zähne in besondere Vorzüge unserer jugendlichen Erscheinung verwandelt. Die Natur kennt ja sonst leider nichts Häßliches, Unvollkommenes, darum haben auch Tiere, Pflanzen und Kinder noch keinen Humor. Aber beim Menschen erwacht schon mit der ersten Gemeinheit, mit dem ersten Laster diese seltene Gabe, und je älter wir werden, je mehr Schmutz und Dummheit wir auf, um und in uns ansammeln, desto humoristischer werden wir. Darum glaube ich auch, daß in mir ein selten großer Humorist steckt und ich lasse mich in meinem Glauben durch die ernsten, kummervollen Gesichter, die jeder Normalmensch beim Lesen dieses Buches macht, durchaus nicht beirren. Mein Humor sitzt eben zu tief, als daß ihn der erste beste erfassen könnte, mein Humor ist dem jener billigen, harmlosen Witzblätter verwandt, mit denen die Barbiere ihre aufgeregten Kunden narkotisieren, so daß sie mit unbewegten Gesichtszügen sich ungefährdet selbst dem jüngsten und unerfahrensten Lehrling anvertrauen können. Ein Blatt, bei dessen Lektüre die Kunden auch nur das Gesicht zu einem Lächeln verziehen, wird kein Barbier halten. Ein solches Blatt würde ja die blutigsten Folgen herbeiführen. Darum habe auch ich mein Reisetagebuch so eingerichtet, daß ich es Leuten, die von Beruf aus ein böses oder betrübtes Gesicht machen müssen, also öffentlichen Beamten, Bettlern und Leichenbittern zur steten Lektüre nur bestens empfehlen kann.

Also in Laubach, wo ich in dem bekannten Gasthof zum schwarzen Mohren logierte, hatten wir einen humoristischen Abend, indem die Stammgäste Herrn Bönneken, dem Wirt, solange zuredeten, er sei krank, bis der arme Mensch sich wirklich mit typhösem Fieber ins Bett legte und nachher noch einen totschlug. Es war natürlich ein Hauptspaß.

Herr Bönneken schien mir, als ich bei ihm einkehrte, ein Bild strahlender Gesundheit zu sein, von einer Frische, die ordentlich ansteckte, und als der erste Gast hereinkam – die Leute hatten sich natürlich verabredet – und erschrocken fragte: »Nanu, Herr Bönneken, sind Sie krank? Sie sehen so merkwürdig aus!« – da lachte dieser nur und sagte: »Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt.« Aber dann kam ein zweiter: herein, der ebenfalls zusammenfuhr. »Mein Gott, was ist denn mit Ihnen los? Sie sind doch nicht krank?« Diesmal versuchte der Wirt aus einem Taschenspiegel etwas über seine Gesichtsfarbe zu ergründen. Ein dritter Gast, der offenbar kurzsichtig war, putzte sich die Brille und schüttelte den Kopf, als er den Wirt sah. »Merkwürdig!« meinte er. »Sie sehn aus wie 'ne Leiche.« Worauf der Wirt zur Stärkung einen Kognak trank, und ein Gespräch über plötzliche schwere Erkrankungen und Todesfälle allgemein wurde. Aber erst, als ein vierter Ankömmling konstatierte, Herr Bönneken sehe genau so aus, wie sein Onkel Peter, bevor ihn der Schlag rührte, wurde der Arzt geholt, der nicht einmal mit im Komplott war, aber eben darum um so naturechter eine Krankheit konstatierte, die zwischen Typhus und Genickstarre grade in der Mitte lag. Vier Mann brachten den Halbbewußtlosen hinauf und ins Bett, während ein fünfter den Schreiner holte zum Maßnehmen für den Sarg.

Unterdessen sammelte sich so ziemlich die ganze Bevölkerung von Laubach in dem Lokal an. Sie fanden alle, daß die Geschichte dieses Mal fein eingefädelt sei, und waren nur gespannt, ob der alte Bönneken mit dem Leben davonkommen werde oder nicht. Die meisten wetteten auf seinen Tod, da der Arzt hinzugezogen war, und die zukünftige Witwe ging hinauf, um sich mit ihrem Mann über den Umfang der Leichenfeier zu beraten.

Aber das sollte ihr schlecht bekommen, denn als der Sterbende hörte, daß auch sein ärgster Feind, der Wildschweinswirt eingeladen werden sollte, vergaß er ganz seinen Zustand, und die Heftigkeit, mit der er ihr eine Medizinflasche an den Kopf warf, die Wut, mit der er sie die Treppe hinab verfolgte, waren bemerkenswert. In höchst mangelhafter Bekleidung warf er dann seine Freunde hinaus, die ihm hierbei übertriebene Empfindlichkeit vorwarfen, weil er nicht einmal einen Spaß verstehe, und zum Schluß schlug er einen ganz fremden Handwerksburschen, der eigentlich nur aus Versehen in die Geschichte hineingeraten war, und dessen Schädel offenbar nicht mit denen der Laubacher konkurrieren konnte, die Hirnschale ein.

Dieser Todesfall führte sofort eine allgemeine Versöhnung herbei und man beschloß, die Leiche, der man doch nicht mehr helfen konnte, nach einer Nachbargemeinde abzuschieben, um so wenigstens die Beerdigungskosten zu ersparen. Da in dem nahegelegenen Kuchenhausen grade Kirchweih war, sollte der Laubacher Nachtwächter den Toten dorthin vor das Haus des Ortsschulzen fahren, denn am nächsten Morgen würde in ganz Kuchenhausen kein Mensch mehr wissen, ob und wen er während der Nacht totgeschlagen hätte, und sie würden ihn schon in aller Stille beerdigen.

Es wurde später noch sehr fidel, und der Arzt schrieb die schnelle Genesung des Kranken nur seiner umsichtigen Behandlung zu. Die andern aber beschlossen, am nächsten Abend dem Wildschweinswirt, der wütend davongegangen war, einen ähnlichen Streich zu spielen, und luden mich ein, noch da zu bleiben und mir den Spaß anzusehen. Aber ich lehnte das ab, denn ich hörte, daß die Kuchenhausener auch morgen noch Kirchweih feierten, und wenn man nun abends keinen geeigneten Handwerksburschen fand, vielleicht nahm man mich dann, um eine Versöhnung herbeizuführen. Schließlich, sicher war es auch bei mir nicht, daß mein Schädel mit denen von Laubach konkurrieren konnte.

Ganz in der Frühe verließ ich schon das humorbegabte Laubach und als ich durch Kuchenhausen schritt, sah ich den toten Handwerksburschen sehr fidel und mit umwickelten Kopf an dem offenen Fenster einer Schenke sitzen. Er war offenbar kein Geist, sondern nur wieder zu sich gekommen, worauf ihn die Kuchenhausener zusammen mit ihren eigenen Halberschlagenen sorgfältig verbunden hatten und ihn jetzt mit Branntewein und Schinkenbröten beköstigten.

Am liebsten hätte ich mich ja zu ihm gesetzt, um mit ihm eine gebildete Unterhaltung zu pflegen, denn der geistige Zustand, in dem er sich nach dem Schädelbruch befinden mußte, war mir sympathisch. Aber ich hatte keine Zeit, ich wollte heute noch den Vogelsberg besteigen, den einzigen feuerspeienden Berg Deutschlands, und abends bis nach Fulda kommen.

Es ist merkwürdig, daß man bei uns so wenig von diesem großen Vulkan weiß, der in einem Führer als der deutsche Ätna beschrieben ist. Aber so ist es immer in Deutschland, alles Ausländische wird gelobt, und man schwärmt für jeden Vesuvausbruch, den die italienische Regierung veranstaltet, während bei uns ein solches Naturwunder einfach verkommt und kaum noch zu Eruptionen benutzt wird. Dabei bedecken, wie mein Führer mitteilt, die Lavaströme des Vogelsberg eine Fläche von über vierzig Quadratmeilen und stellen so das größte Basaltterritorium Deutschlands dar. Nun, vielleicht tragen diese Zeilen dazu bei, daß sich die Wirtevereinigungen und andere Interessentenkreise in der Gegend des Vogelsberg zusammentun und einen massiven Krater errichten. Hoffentlich hören wir dann auch bald von neuen Lavaausbrüchen mit zugehörigem Erdbeben und verschütteten Dörfern.

Von den vielen Wegen, die der Vogelsberger Höhenklub markiert hat, wählte ich einen, der schnurgrade durch einen dichten Wald zu den höchsten Spitzen, dem Hoherodskopf und dem Taufstein hinaufführt. Hätte ich es doch nicht getan! Ware ich doch die breite Landstraße gewandert über Schotten und Breungeshain – ich könnte dann heute eine höchst poetische Beschreibung liefern, wie ich langsam und auf verbrannten Schuhsohlen mich bis an den Kraterrand heranarbeitete, aus dem gelbe Schwefeldampfe emporstiegen. Wie ich einen schaudernden Blick in den schwarzen Abgrund warf, besten Tiefe ein einziger kochender Feuerschlund war. Wie die Erde unter mir schwankte und bebte, und ein unterirdisches Poltern von der Wut des gefesselten Riesen erzählte. Ich bin überzeugt, dies wäre eine Prachtstelle in meinem Buche geworden, begeisterte Eltern hätten sie ihren Kindern vorgelesen, würdevolle Lehrer ihren Schülern, und der Vogelsberger Höhenklub hätte mir einen Denkstein neben dem seines verstorbenen Vorsitzenden gesetzt.

Aber ich habe manchmal direkt Pech. Warum mußte ich einen romantischen Anfall kriegen und den als äußerst poetisch markierten Waldweg einschlagen? Warum bedachte ich nicht, daß ich seit meiner Jugend an hoffnungsloser Farbenblindheit leide? Blind sein ist schon schlimm, aber farbenblind sein ist noch schlimmer, besonders in Deutschland, besten Bewohner von allen Völkern der Welt am meisten Farbensinn haben. Alles was die Deutschen denken oder tun, drücken sie ja in Farben aus. Sie wählen schwarz, rot oder blau, sie ärgern sich gelb und grün und machen, wenn es ihnen paßt blau vom weißen Sonntag bis zum grünen Donnerstag. Früher war es ja noch schlimmer, da hatte jedes Dorf sein eigenes Fürstentum, aber nur, um jeden Zaun und jeden Misthaufen in den möglichst bunten Landesfarben anzustreichen.

Und unter diesen farbenfrohen Menschen muß ich auf die Welt kommen, ich der ich einen Igel für einen dicken Paradiesapfel ansehe und hineinbeiße, nur weil mir seine Farbe so rot vorkommt! Werde ich nicht immer verhauen, wenn ich in einem gelben Arbeiterverein eine rote Fahne schwinge, die mir zu Hause blau und nationalliberal vorgekommen war? Schillert nicht meine Nase in allen Regenbogenfarben, nur weil ich die beliebte blaßrosa Couleur nicht herauskriege? Immer habe ich dieses Malör, und die Leute halten mich für einen Trinker.

Natürlich ging es mir auch heute so. Tapfer folgte ich der gelben Wegbezeichnung, die mir zwar längst schon blau oder rot vorkam, aber doch wohl die richtige sein mußte, denn die Gegend war wirklich poetisch. Die blauen Blätter der Buchen, das tiefe Violett des Himmels und das silbergraue Moos zu meinen Füßen, alles hatte einen seltnen Farbenschmelz. Zaubrig still war es rings umher, nur ein schwarzer Haase huschte scheu durch die Büsche und ein grünes Eichhörnchen turnte an einem Baumstamm empor.

Eins nur gefiel mir nicht, das war der Vogelsberg selber. Dessen Gipfel mußte ich nach meiner Berechnung doch nun längst erreicht haben, aber von irgendwelchen vulkanischen Erscheinungen wie Schwefelgeruch, Erdbeben oder Steinregen war auch nicht eine Spur zu bemerken. Sollte sich der Gipfel durch unterirdische Gewalten verschoben haben? Das war immerhin möglich, und ich marschierte unbekümmert weiter, obgleich auch die letzte Wegbezeichnung spurlos verschwunden war.

Aber dann sah ich endlich eine Rauchwolke aufsteigen, und obgleich das nicht nach 772 Meter über dem Meeresspiegel aussah, denn es kam aus einer Talschlucht, ging ich fröhlich drauf los. Vielleicht war es wenigstens ein Nebenkrater.

Sieben pechschwarze Männer tanzten um einen qualmenden Erdhügel und ich hatte die Wahl zwischen der Annahme, sie seien aus Afrika eingewandert, oder ich habe es hier mit einem Überbleibsel einer sonst ausgestorbenen schwarzen europäischen Urbevölkerung zu tun. Jedenfalls redete ich sie in einem von mir selbst erfundenen ichtiosaurischen Dialekt an, wobei ich entdeckte, daß ihnen jede wissenschaftliche Vorbildung fehlte, denn sie verstanden mich durchaus nicht. Im Gegenteil, es stellte sich heraus, daß sie nur Köhler waren. Harmlose Köhler, die bekanntlich den berühmten, auch jetzt noch verbreiteten Köhlerglauben erfunden haben, vielleicht die letzten in Deutschland, denn nie wieder bin ich solchen Wesen begegnet. Sie beguckten mich von allen Seiten und tasteten an mir herum, weil sie noch nie einen modernen Menschen gesehen hatten. Ihre Sprache war ein altes alemannisch, dasselbe in dem Ulfilas seine Bibelübersetzung niedergeschrieben hat, und sie erkundigten sich bei mir, ob die Schlacht im Teutoburger Walde noch immer tobte. Für Dinge, die nach dieser Zeit passiert waren, hatten sie absolut kein Interesse, und ich konnte nicht umhin, diese Leute wegen ihrer philosophischen Weltanschauung zu bewundern. Sie luden mich zu einem Mittagsmahl ein, das aus gebratenen Krähen bestand, die mit Regenwürmern gespickt waren.

Es war ein wunderbares Esten, so ganz anders wie in unsern dekadenten Gasthöfen, und während der ganzen Zeit wurde nicht ein einziges Mal über die Frauenfrage oder einen ähnlichen Unsinn debattiert. O, wie wohl fühlte ich mich in ihrem harmlosen Kreise, und wie gerne wäre ich bei ihnen geblieben. Ich hatte Talent zum Köhler, das stand außer jedem Zweifel, aber es ging doch nicht, es ging nicht wegen der Polizei.

Zuerst hätte mich die Steuerbehörde ausfindig gemacht, die mich schon jahrelang hartnäckig verfolgt, trotzdem bei mir seit Menschengedenken jede Pfändung fruchtlos verläuft. (Von den Kosten allein könnte die Regierung ein Panzerschiff bauen.) Die Steuerbehörde hätte mich gefunden, denn sie findet jeden, und ich wundere mich nur warum die Kriminalpolizei nicht hinter jedem flüchtigen Raubmörder einen Steuerzettel herschickt – in acht Tagen ist auch der gerissenste entdeckt.

Und nach der Steuerbehörde wäre die Meldepolizei zu mir gekommen mit endlosen Fragen und Aufforderungen? »Wollen Sie die Köhlerei dauernd betreiben? Wo ist Ihre Anmeldung bei der Gewerbepolizei? Sie haben keine Invalidenkarte. Wo ist Ihr Militärpaß? Wo sind Sie heimatberechtigt? Sie haben in drei Tagen eine beglaubte Abmeldebescheinigung von Ihrem letzten Aufenthaltsort vorzulegen. Wieso fehlt Ihre Kriegsbeorderung? Sie haben keine Kirchensteuern bezahlt!« und so fort. Ich will nicht behaupten daß man in Deutschland bei jeder Meldung solche Umständlichkeiten hat. Wer von dem dritten Stockwerk eines Hauses in das zweite verzieht, kann, wenn er raffiniert vorgeht und ein Exemplar des amtlichen Kreisblattes aus seiner Rocktasche hervorschaun läßt, schon nach zweitägigem Umherlaufen im vorschriftsmäßigen Besitz sämtlicher Meldepapiere sein. Was aber die Behörde nicht leiden kann, sind ungewöhnliche Meldungen, wenn zum Beispiel jemand zum buddhistischen Glauben übertritt oder gar wie ich Köhler und Waldbruder werden will.

»Was ist ein Buddhist?« fragt der Beamte erstaunt und unwillig. »Nein, Köhler und Waldbrüder, dafür haben wir keine Rubriken. Warum wollen Sie nicht lieber Anstreicher werden?«

Und der Beamte hat Recht. Kein Mensch hat nämlich eine Ahnung, welch eine Arbeit solche Umschreibung verursacht. Dreizehn, nach einer neueren Bestimmung vierzehn Listen werden in Deutschland über jeden Staatsbürger geführt, in jede Liste wird der ganze Lebenslauf vom Stammbaum angefangen bis zum verborgensten Flecken auf der Ehre sorgfältig eingetragen, und wenn einmal der liebe Gott am jüngsten Tage die Ungerechten von den Gerechten scheiden will, dann hat er es wenigstens in Deutschland leicht, er braucht nur die polizeilichen Führungsakten eines jeden vorzunehmen.

Nein, mit dem Köhlerwerden war es nichts, ich hätte auch in diesem weltvergessenen Winkel keine Ruhe gefunden, ja ich hatte nur die Polizei auf die Existenz dieser friedlichen Menschen aufmerksam gemacht, und man hätte sie zu waschen versucht, um ihre Gesichtsfarbe zu eruieren. Aber das wollte ich nicht und nahm Abschied von ihnen, wobei ich mir ein Stück von ihrer selbst gebrannten Holzkohle mitnahm, um sie später jedem als Beweis für die Wahrheit meiner Worte zeigen zu können.

Stundenlang marschierte ich jetzt nach Osten, bis schließlich der wilde Wald verschwand und ein friedliches Tal zu meinen Füßen lag, aber von dem Vogelsberg entdeckte ich keine Spur. Ich traf endlich einen Touristen, der meinte, ich habe mich verlaufen und sei nördlich vorbeigegangen, aber wenn ich ihm folgte, dann wären wir in einer Stunde auf dem Hoherodskopf.

Ich hatte wenig Lust, jetzt noch einmal umzukehren, und fragte ihn, ob er mir für heute eine Eruption garantieren könnte. Worauf er ein ganz merkwürdiges Gesicht schnitt und mit einem scheuen Blick auf meinen eisenbeschlagenen Wanderstab mir stotternd einzureden suchte, der Vogelsberg sei ja wohl früher einmal ein Vulkan gewesen, aber schon seit hunderttausend Jahren erloschen.

»Sie glauben wohl, ich wäre hier fremd in der Gegend?« fragte ich ihn und rückte ihm etwas auf den Leib, worauf er drei Schritte zurücksprang. »Sie glauben wohl, Sie könnten mir hier einen Bären aufbinden?«

Aber der Ignorant hörte schon nicht mehr, was ich sagte, er lief davon, was seine Beine aushalten konnten, und nur am Waldrand sah er sich noch einmal ängstlich um. Ich lachte, denn wozu soll man sich über solche Menschen ärgern.

Sehen Sie, auf diese Weise bin ich um den Genuß gekommen, den deutschen Ätna zu ersteigen, und ich habe lange geschwankt, ob ich das in diesem Buche zugestehen sollte. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, die ganze Gegend so lebendig zu beschreiben, daß auch kein Mensch etwas von dem Schwindel bemerkt hätte. Ich hätte Feuerschlünde, Abgründe und Zahnradbahnen erfunden und jeden Leser glücklich gemacht. Aber das alles widerstrebt nun einmal meinem strengen Wahrheitsgefühl. Ich habe es mir fest vorgenommen, mich in diesem Buche auch nicht der geringsten Übertreibung viel weniger einer offenbaren Lüge schuldig zu machen.

Außerdem sagt das Sprichwort: »Wer nur einmal lügt, dem glaubt man nicht!« und entweder lügt man immerfort, was dem Charakter der meisten Menschen am sympathischsten ist, oder man muß, wie ich, sich ganz streng an der Wahrheit halten, denn dann wird man zwar allgemein verachtet, und die Leute halten einen für zu dumm, um zu lügen, aber im übrigen haben sie ein unbegrenztes Zutrauen zu einem.

Am Fuße des Nesselberges stieß ich auch auf die große Höhle, in der die Nesselhexe haust. Sie hatte in früheren Zeiten, als es noch Ritter gab, die Gewohnheit, diesen Rittern, wenn sie ahnungslos vorbeitrabten, von hinten aufs Pferd zu springen, sich an sie anzuklammern und dann Roß und Reiter in den tiefen Abgrund zu treiben. Ich sah sie in einer Felsenspalte sitzen, von blauen Dampfwolken eingehüllt, wie sie an einem Gespinst von Menschenhaaren spann. Rings an den Wänden hingen Gerippe in zerschlagenen, verrosteten Panzern. Aber moderne Kostüme bemerkte ich nicht darunter, denn die Nesselhexe darf jetzt nicht mehr ihrem Gewerbe nachgehen, sonst kriegt sie ein Protokoll. Die Polizei hat es ihr streng verboten. Aber es überlief mich doch eiskalt, als ich den giftigen Blick sah, mit dem sie mich anstarrte, und ich pries die moderne Kultur, die solche blutdürstige Wesen auf einfache Art unschädlich gemacht hat.

In Ilbeshausen kehrte ich in dem berühmten Gasthof zur Teufelsmühle ein, wo es bekanntlich furchtbar spukt und zwar mit polizeilicher Erlaubnis, indem der ganze Ort davon lebt und die Fremden in Massen herbeiströmen. Natürlich gruselt man sich dort furchtbar und ißt nachher mit gesteigerten Appetit die teueren Menüs, wobei auch die photographischen Aufnahmen des Mühlengespenstes einen reißenden Absatz finden.

Die Geschichte der Teufelsmühle in Ilbeshausen ist romantisch genug. Es war im Jahre 1013, als Kaiser Heinrich II. regierte (wenn das mit Kaiser Heinrich nicht stimmt, ich kann nicht dafür, ich habe den Namen aus meinem Führer), da wettete ein junger Zimmergesell, der von Fulda herübergekommen war, mit dem Teufel, er wolle grade so schnell und so schön bauen wie dieser. Der Zimmergesell sollte das Dach und den oberen Giebel der Mühle bauen, der Teufel das Fundament und das Unterhaus. Aber der Teufel war faul und gutmütig, er dachte, diesen elenden Zimmergesellen holst du immer noch ein und ließ ihn ruhig ein paar Tage allein arbeiten, bis fast der ganze obere Teil frei und fertig in der Luft schwebte. Dann aber legte der Teufel los, und die schweren Quadersteine flogen nur so herum, so daß dem Zimmergesellen, der ihm von oben herab zusah, angst und bange wurde. Blasser Neid befiel ihn bei dem Gedanken, der Teufel könne die Wette gewinnen, und als dieser grade einen besonders schweren Stein als Fundament einsetzte, da ließ er ihm die ganze obere Mühlenhälfte auf den Kopf fallen, um ihn so ins Jenseits zu befördern. Aber der Teufel pfiff ihm was, wie es in der Chronik heißt. Er entwischte zwar nur mit genauer Not, und das rechte Bein wurde ihm arg gequetscht, weswegen er auch heute noch hinkt, dann aber packte er sich seinen heimtückischen Gegner, entführte ihn in die Lüfte und zerriß ihn unter gräulichem Gelächter, das in der ganzen Gegend gehört wurde. Ein paar Reste von ihm hing er wie zum Hohn an die Dachfirste auf. Seit der Zeit mußte der Zimmergeselle in der Mühle spuken.

Ich interessiere mich sehr für Geister und Gespenster und bin ein überzeugter Anhänger des Spiritismus. Früher hielt ich zwar alle diese Dinge für Unsinn und Mumpitz, bis mich ein Freund, der, als er noch seinem Beruf oblag, den Namen Piratenaugust führte, zur besseren Einsicht brachte. Er war früher ein geschätzter Taschendieb gewesen, der sich in den Kreisen der Kriminalbeamten einer besonderen Beachtung erfreute. Es gab Beamten, die ihm stundenlang folgten, nur um ihn arbeiten zu sehen. Aber heute ist er Spiritist, Ehrenmitglied der Christian Science Society, Ehrendoktor zweier amerikanischen Universitäten und bei allen spiritistischen Prozessen gerichtlich vereidigter Sachverständiger. Er erzählte mir selbst, wie er dazu kam.

Nur aus Ulk war er eigentlich hingegangen, und während auf einer kleinen holprigen Bühne der Geist des seligen Cicero mit einem Bettlaken umwickelt und in einem naturwüchsigen pommerschen Landdialekt, Dienstmädchen, Flickschustern, Staatsbeamten und Rentnersgattinnen Aufklärungen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gab, dachte mein Freund, wie schön es doch wäre, wenn man überhaupt alle menschlichen Zusammenkünfte und Vereinssitzungen in künstlich verdunkelten Räumen abhielte, und er beschloß, rein der Wissenschaft halber, aus Interesse an seinem Beruf, einmal zu versuchen, wieviel er wohl in diesem kleinen Kreise erbeuten könnte. Während also auf der Bühne ein Geist den andern jagte, während das Gruseln allgemein wurde und sich jedes Haar im Saale einzeln sträubte, während hysterische Frauen in wilde Schreie ausbrachen und ein dicker und sündenschwerer Gastwirt innerlich das Gelübde tat, zur Heilsarmee überzutreten, nahm Piratenaugust sich ruhig und unparteiisch die Zuschauer einen nach dem andern vor und entledigte sie ihrer Uhren, Ketten, Portemonnaies und anderer eitlen, irdischen Schätze. Er verschmähte nichts, weder das Halsband der Witwe noch die Brillantbusennadel des Schlächtermeisters, und sogar den Geist eines blutgierigen Raubmörders bestrafte er noch jetzt, zehn Jahre nach seiner Hinrichtung, indem er ihm eine wohlgespickte Börse aus seiner Unterrocktasche entwendete – der Geist trug nämlich unter seinem Leichenhemd merkwürdigerweise Frauenkleider. Mein Freund August gehörte nicht zu den Menschen, die sich in eitler Weise an dem Eindruck ihrer Tätigkeit ergötzen. Still, ja fast geräuschlos verließ er wie immer bei solchen Gelegenheiten den Schauplatz seiner Tätigkeit, und erst am nächsten Morgen erfuhr er aus dem Intelligenzanzeiger, daß die mediumistischen Fähigkeiten der bekannten Frau Hanna Oter nunmehr über jeden Zweifel erhaben seien. Besonders in verblüffenden Dematerialisationen hätten die Geister gestern großartiges geleistet, und die Begeisterung des Publikums habe keine Grenzen gekannt.

Seit der Zeit war Piratenaugust überzeugter Spiritist, er entwickelte eine fieberhafte Tätigkeit, und jede Séance, die er besuchte, hatte eine verblüffende und für die verbohrten Anhänger der rückständigen Wissenschaft unerklärlichen Erfolg. Während früher die Geister im Jenseits in armseligen Leichentüchern herumliefen, erfreuen sie sich heute, dank der segensreichen Tätigkeit meines Freundes, man darf wohl sagen, in ihrer großen Mehrzahl eines blendenden Goldschmuckes, sie sind mit Geldmitteln reich versehen, und eine Uhr mit goldener Kette trägt wohl jetzt jeder im Jenseits. Das ist ein Trost für uns, wenn wir einmal sterben müssen.

Aber eine spiritistische Autorität wurde August erst, als er sich mit einer Freundin zusammentat, die in Bouillonkellern unter dem Namen der siebenfingrigen Ida bekannt und allgemein beliebt war, und als er sie als Medium entdeckte. Er machte mit ihr eine Tournee durch Nordamerika und mußte, als er zwei Jahre später in das deutsche Vaterland zurückkehrte, allein an Juwelen einen Einfuhrzoll von über hunderttausend Mark bezahlen. Aber er bezahlte diese Summe anstandslos, denn er war viel zu vornehm, um etwa zu schmuggeln und so den Staat zu betrügen.

Seit dieser Zeit lebt er, abgesehen von kurzen Gastreisen, die er auf Einladungen hervorragender psychologischer Vereine unternimmt, in Berlin und genießt eine unbegrenzte Wertschätzung selbst in den höchsten Gesellschaftskreisen. Er hat auch ein Lehrbuch der okkulten Wissenschaft geschrieben, ein standardwork von internationaler Bedeutung, und er wartet nur noch auf den Nobelpreis, der ihm nicht ausbleiben kann.

Also ich, der ich mich doch als Spiritist aufs lebhafteste für Gespenster interessiere, erlebte in Ilbeshausen eine große Enttäuschung. Zuerst wollte der Wirt nicht mit der Sprache heraus, aber bei einer Flasche Wein, zu der ich ihn einlud, erzählte er mir die traurige Geschichte von dem armen Mühlengespenst. Es war eine erschütternde Tragödie und man sieht daran wieder, wie doch die Weiber bei allem Unheil auf der Welt die Schuld haben.

»Nie hab ich sonst meiner Frau nachgegeben,« begann der Wirt. »Im Gegenteil. Mit Gutmütigkeit richtet man nichts gegen die Weiber aus, nur durch Schikane kann man sich bei ihnen beliebt machen. Aber als sie mir sagte, ich sollte Sommerfrischler aufnehmen, grade weil es bei uns spukte, denn da könnten wir die höchsten Preise erzielen, nur die Großstädter wüßten so was noch zu schätzen, da leuchtete mir das auch ein. Und es waren ganz nette Leute, die wir bekamen, auf Geld kam es ihnen durchaus nicht an – aber die Tochter! Sie war sehr hübsch, mit schwarzen Augen, und verdrehte allen die Köpfe. Sogar über mich hat sie sich lustig gemacht. Ja, die Weiber –«

Der Wirt seufzte und schien in Erinnerung versunken zu sein. »Und das Gespenst?« fragte ich.

»Ach ja, das arme Gespenst! Seit Jahrhunderten war es nun Nacht für Nacht mit einer alten Laterne herumgewandelt. Kein Mensch wagte sich nach Einbruch der Dunkelheit in den verfallenen Mühlenkasten hinein und nur am Tage betraten die Mutigeren zähneklappernd den Schauplatz seines nächtlichen Wandels. Mein Urgroßvater hat schon hier die Wirtschaft gehabt und davon gelebt, und nie hat das arme Gespenst irgend jemand Übel getan. Wir hatten es alle gern und brauchten nicht einmal etwas für seinen Unterhalt auszugeben. Ich glaube, es stahl wohl nachts Rüben auf den Feldern und beköstigte sich damit.«

»Geister essen niemals!« warf ich hier belehrend ein. »Sie sind Äthermanifestationen und bedürfen keiner irdischen Nahrung.«

»Na,« meinte der Wirt, »da hätten Sie das Gespenst einmal sehen müssen, wie es aß, als es nämlich später von dem jungen Mädchen aufgehetzt wurde und korpulent werden wollte. Ja, die Weiber – Olly hieß sie. Haben Sie schon einmal einen solchen Namen gehört? Kaum war sie drei Tage da, da verschwor sie sich, sie wollte ein Studierzimmer in der Mühle eingerichtet haben – studieren tat sie nämlich auch. Und dann überredete sie einen Vetter, der mit bei ihnen wohnte, und einen windigen Referendar, und sie machten sich dort einen lustigen Abend bei einer Sektbowle, während im ganzen Dorf den Leuten die Haare zu Berge standen und man allgemein ein schweres Unglück erwartete.«

»Aha!« sagte ich, und freute mich schon, wie das Gespenst mit diesen Spöttern herumfahren würde.

»Ach, das arme Gespenst!« murmelte der Wirt traurig. »Es war ja so schüchtern, die Geschichte mit dem Teufel hatte ihm alle Lust zu Gewalttätigkeiten ausgetrieben. Wir sahen es oft stundenlang an einem Mühlenfenster sitzen, in fromme Betrachtungen vertieft. Ich glaube sogar, es machte heimlich Verse. Und nun mußte es machtlos mit anhören, wie in seinem stillen Bereich diese Menschen umhertollten.«

»Ja, aber es wird doch irgend etwas ersonnen haben, um sie zu Tode zu erschrecken!« fiel ich entrüstet ein. »Herrgott, ich müßte das Gespenst gewesen sein!«

»Haben Sie dieses Frauenzimmer gekannt?« fragte mich der Wirt. »Ich weiß nicht, ob das Gespenst anfangs versuchte, etwas anzustellen, aber jedenfalls verging keine halbe Stunde, da saß es mitten in der Gesellschaft und war in kurzer Zeit betrunken wie eine Strandkanone. Achthundert Jahre hatte es keinen Tropfen Alkohol gekostet, kein Wunder, daß es jetzt nichts mehr vertragen konnte. Es sang nachher merkwürdige alte Lieder aus seiner Jugendzeit und mein Großvater bekam Krämpfe, als er die verrostete Stimme hörte. Erst um zwei Uhr wurde das Gelage abgebrochen, meine drei Gäste kehrten ins Hotel zurück, während wir das Gespenst am nächsten Morgen in einer höchst gefährlichen Lage auf dem Dachfirst reitend fanden. Es wußte gar nicht, wie es da hinaufgekommen war und bat kläglich um einen Schluck Wasser.«

»O je,« sagte ich. »Es hat sicher Kater gehabt. Nun war es aber doch wohl gründlich kuriert.«

»Kuriert?« schrie der Wirt wütend. »Die Sache ging jetzt erst los. Denken Sie sich, das Gespenst war wie behext, es lief dem Frauenzimmer auf Schritt und Tritt nach. Sie konnte mit ihm anfangen, was sie wollte, und wenn je ein Weib einem verliebten Narren übel mitgespielt hat, dann tat sie es. Nachts wandelte es stundenlang, oft bei strömenden Regen, vor ihrem Fenster auf und ab und sang schaurige Liebeslieder, daß uns allen die Haare zu Berge standen. Sie aber schlief dabei umso fester. Dann hatte sie ihm gesagt, sie könnte keine mageren Männer leiden, und das Gespenst begann, wie ich Ihnen schon sagte, eine förmliche Mastkur. Es schlang alles hinunter, was es kriegen konnte, aber es blieb so mager wie je. Schließlich beging es eines Nachts Selbstmord, indem es sich vor ihrer Türe an der Klinke erhängte.«

»Oh, oh!« sagte ich kopfschüttelnd, denn ich hatte eine solche Grausamkeit dem Mädchen doch nicht zugetraut.

»Ja, und dann schnitt sie ihn am nächsten Morgen ab und goß ihm einen Eimer Wasser über den Leib, worauf das Gespenst wieder zu sich kam, denn es hatte ein sehr zähes Leben. Aber im übrigen besserte sie ihr Benehmen durchaus nicht, im Gegenteil, bis das Gespenst endlich Lysol trank.«

»Lysol?« fragte ich.

»Lysol! Und dieses moderne Gift konnte es natürlich nicht vertragen. Es starb. Selbst Doktor Manegold konstatierte nur noch den eingetretenen Tod, und wir mußten es begraben.«

Ich war tief erschüttert, ich hatte mich so sehr auf das Gespenst gefreut.

»Wir haben natürlich an Ersatz gedacht,« fuhr der Wirt in seiner Erzählung fort. »Und es gelang uns auch am Rhein, wo noch Überfluß an alten Burggeistern herrscht, ein Gespenst zu erstehen. Die Eisenbahn machte zwar Schwierigkeiten wegen des Transports, sie sagte, sie hätte keinen Tarif für Gespenster, und mußte sich erst in Berlin erkundigen. Aber endlich kam der Geist, Kilian hieß er, wohlbehalten hier an und wurde von der ganzen Bevölkerung mit Jubel empfangen. Er war noch ein junger Geist, seit dreihundert Jahren erst spukte er auf dem Drachenfels, wo er den Grafen Kuno, den Engbrüstigen ermordet hatte. Uns fiel sein sanfter Charakter und eine gewisse melancholische Stimmung auf, die wir anfänglich dem Heimweh zuschrieben. Aber dann stellte sich bald heraus, daß er unser raues Klima nicht vertrug, denn er begann zu kränkeln. Doktor Manegold nahm ihn in Behandlung, und es war rührend zu sehen, wie Kilian allen Anordnungen des Arztes nachkam. Sogar impfen ließ er sich. Nur einmal warf er uns einen vorwurfsvollen Blick zu, als wir ihm ein stark wirkendes Abführmittel gegeben hatten. Doch dann kam der letzte Winter, in dem es ja so furchtbar kalt war.«

»Ja, auf der Mosel schwammen Eisberge, mit Walrossen besetzt,« sagte ich. »Und die Eisenbahnzüge blieben vor jeder Fuhrmannskneipe stehen, weil die Lokomotivführer dort Grog tranken und behaupteten, der Zug sei im Schnee stecken geblieben.«

Der Wirt nickte mit dem Kopf. »Bei uns gab es eine große Treibjagd auf Eisbären, und wir schossen Schneegänse und Polarfüchse. Natürlich hielt das der arme Kilian nicht aus, eines Morgens fanden wir ihn steif und erfroren in der Mühle; er war mausetot.«

»Halt!« rief ich plötzlich, denn mir kam eine Idee. »Warum engagieren Sie nicht die Hexe vom Nesselberg? Das wäre doch was für die Teufelsmühle.«

»Ach,« sagte der Wirt, »das haben wir schon alles probiert. Aber sie will ja nicht, trotzdem wir ihr ein anständiges Gehalt und selbst Gewinnbeteiligung geboten haben. Augenblicklich annoncieren wir in den größeren Zeitungen Deutschlands, wir müssen um jeden Preis einen Ersatz dafür haben, denn was ist Ilbeshausen ohne Mühlengespenst? Und wir werden ja auch schließlich was finden. Aber giften tut es einen doch, wenn man denkt, daß das alte Mühlengespenst ganz umsonst gearbeitet hat. Ja, die gute, alte Zeit, sie ist hin.«

Ich drückte dem Mann die Hand, und als ich aufbrach, versprach ich ihm, wenn ich je einem stellungslosen Gespenst begegnete, ich wollte es ihm zuschicken.

Durch den Gieseler Forst marschierte ich dann nach Fulda, wo ich abends um acht Uhr ankam und im Potsdamer Hof logierte.


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