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Siebzehntes Kapitel.

»– Ich sah ihn unter sich die Wellen schlagen,
Auf ihrem Rücken reitend, er beschritt
Das Wasser, dessen Anfall von sich schleudernd,
Und bot die Brust der hochgeschwollenen Woge,
Die ihm entgegen kam.«
Der Sturm.

An dem Morgen, als das Obige vorfiel, stand im Garten des Aldermans ein neugieriger, obgleich nicht sehr klarer Beobachter alles dessen, was sich in der Runden Bucht und ihrer Umgebung ereignete. Es war dies keine andere Person als der Sklave Namens Bonnie, welchem die Aufsicht über das Gut ›Lust in Ruhe‹ übertragen war, während der Zeit, wo sein Herr, der Alderman, sich in der Stadt aufhielt, also wenigstens mehr, als neun Monate im Jahre. Verantwortlichkeit und Vertrauen hatten bei diesem Neger dieselbe Wirkung, die sie bei gebildeteren Menschen hervorbringen. Durch lange Gewohnheit mit Lagen vertraut geworden, welche Sorgfalt erfordern, hatte er eine Wachsamkeit und Beobachtungsgabe erlangt, wie man sie selten bei Leuten von dieser unglücklichen Klasse antraf. Es ist eine der größten moralischen Wahrheiten, daß wenn Menschen einmal an sklavische Unterwerfung gewöhnt sind, sie eben so bereitwillig ihren Geist, als ihren Körper von Anderen beherrschen lassen. Daher kommt es, daß ganze Nationen mit so vielen Irrthümern behaftet sind. Diese fehlerhaften Maximen taugten in den Kram Derjenigen, die für das Volk dachten, daher wurden sie diesem für Wahrheiten ausgegeben. Zum Glück für die Aufklärung des Menschengeschlechts und die Förderung der Wahrheit braucht der Mensch weiter nichts als Gelegenheit zur Uebung seiner natürlichen Fähigkeiten, um ein selbstdenkendes und in gewissem Grade unabhängiges Wesen zu werden. Dies nun war auch bei dem eben erwähnten Sklaven, obgleich in sehr beschränktem Maaße, der Fall.

Welchen Antheil Bonnie an dem zwischen seinem Herrn und der Mannschaft der Brigantine bestehenden Handelsverkehr genommen habe, gehört nicht hierher. Es reicht hin zu wissen, daß in der Villa fast nichts vorging, um das er nicht gewußt hätte, und da die einmal rege gemachte Neugierde immer mehr wissen will, je mehr sie erfährt, so war er unzufrieden, wenn sich in der Umgegend überhaupt etwas zutrug, wovon er nicht die näheren Umstände kannte. Scheinbar mit seiner Hacke im Garten der Villa beschäftigt, hatte er recht gut gesehen, wie Erasmus das Trio den Kanal hinüberruderte, wie dann die Drei dem Ufer folgend, sich in den Schatten der Eiche stahlen und nachher die Brigantine bestiegen. Dieser außerordentliche Besuch am Bord eines von so dunkelm Geheimniß erfüllten Schiffes gab dem Schwarzen viel Stoff zum Nachdenken. Oft hielt er mitten im Arbeiten inne und lehnte sich sinnend auf sein Gartenwerkzeug. Es war ihm noch nicht vorgekommen, seinen Herrn die gewöhnliche Vorsicht so wenig berücksichtigen zu sehen, daß er, so lange der Freihändler im Kanal lag, auch nur sein Wohnhaus verlassen hätte; und doch ging er jetzt dem Löwen geradezu in den Rachen, und zwar in Begleitung des Befehlshabers eines königlichen Kreuzers! Kein Wunder also, daß die Wachsamkeit des Negers sich verdoppelte, und seinem erstaunten Auge auch nicht der geringste Umstand unbemerkt entging. Während der ganzen Dauer des im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Besuchs, blickte er jede Minute forschend entweder nach der Brigantine oder nach dem zunächst gelegenen Theil des Ufers.

Am gespanntesten ward aber die Aufmerksamkeit des Sklaven, als er seinen Herrn und dessen Begleiter wieder aus dem Schiffe an's Land kommen sah. Sie stiegen ungesäumt vom Ufer bis zum Fuß der Eiche hinan, wo sie sich eine geraume Zeit und wie es schien, höchst angelegentlich mit einander besprachen. So lange diese Berathung dauerte, stützte der Neger sein müßiges Werkzeug auf die Erde, schaute in einem fort nach derselben Richtung hin, und erlaubte sich kaum Athem zu holen, bis die Gruppe den Fleck verließ und sich in dem, das Cap verbergenden Dickicht verlor, da sie sich dem schmalen Kanal nicht längs des Ufers der Runden Bucht, sondern in der Richtung der äußern oder nördlichen Spitze des Caps näherten. Jetzt holte Bonnie tief Athem, und benützte die Zwischenzeit, um rund umher die anderen Gegenstände, welche Theile des Schauplatzes ausmachten, in's Gesicht zu fassen.

Die Brigantine hatte ihr Boot wieder aufgezogen, und lag da, wie vorher, ein unbewegter, schöner, im höchsten Grade anmuthsvoller Bau, ohne das leiseste Anzeichen von einer Absicht in See zu stechen; ja, wenn ihre bewundernswürdige Ordnung und Symmetrie nicht vom Gegentheil gezeugt hätten, so würde man zu glauben versucht worden seyn, es befände sich kein menschliches Wesen darin. Der königliche Kreuzer, obgleich größer und von weit minder gefälliger Spannung und Gestalt, bot dasselbe Bild der Ruhe dar. Die Entfernung zwischen Beiden mochte ungefähr eine Stunde betragen, und Bonnie, mit der Gestaltung des Gestades und der Lage der Fahrzeuge ziemlich genau bekannt, sah recht gut ein, daß die, deren Amt es war, die Gerechtsame der Königin zu schützen, sich deßhalb so unthätig verhielten, weil sie durchaus keine Ahnung hatten, daß ein anderes, geschweige ein solches Schiff in ihrer Nähe liege. Die Thatsache war übrigens erklärlich genug, da das Dickicht die Runde Bucht ganz umsäumte, und sich außerdem längs der schmalen sandigen Landspitze bis an ihren äußersten Endpunkt eine Reihe Eichen und Fichten hinzog. Als daher der Neger mehrere Minuten lang bald das eine, bald das andere unbeweglich vor ihm liegende Schiff angeschaut hatte, schweifte er mit dem Blicke seitwärts ab nach dem Lande, schüttelte den Kopf, und brach dann in ein so gewaltiges Gelächter aus, daß seine schwarze Lebensgefährtin zum offenen Fenster der Scheuerkammer im Erdgeschoß der Villa ihr nichtssagendes, kreisförmiges Gesicht herausreckte, um sich nach dem Grund einer Fröhlichkeit zu erkundigen, welche nach ihren ehelichen Begriffen ein wenig ungefällig war, da sie nicht Theil daran nehmen konnte.

»He da! Du immer behältst für Dich, wenn's was Komisches gibt, Bonnie, hörst!« schrie die Keifende. »Wenn alte Knochen noch gern führen eine Hacke, das freut mich, und mich wundert, wie noch Zeit ist zum Lachen übrig bei einem Garten voll Unkraut.«

»Schnack!« rief der Eheherr, indem er den schwarzen Arm gleich einem plaidirenden Advokaten ausstreckte; »was weiß ein schwarzes Mensch von Politücke! Wenn sie hat Zeit zum Schwatzen, kann sie lieber kochen das Mittagessen. Sag' eins, Phillis, und das sey dieses, warum's Schiff von Capitän Ludlow nicht Anker lichtet und kommt und nimmt den Schelm in der Runden Bucht? kannst Du das erklären, oder nicht? wo nicht, so laß einen Mann, welcher die Sache versteht besser, lachen so viel er hat Lust. Ein Bischen lustig thut keinen Schaden der Königin Hanne und macht keinen Gubbenör todt.«

»Nichts als arbeiten und nicht schlafen macht alte Knochen müd', Bonnie, hörst!« erwiederte sein anderes Ich. »Zehn Uhr – zwölf Uhr – drei Uhr und kein Bett; na, ich sehe die Sonne, ehe der schwarze Narr seinen Kopf auf's Kissen legt! – Und jetzt er schon wieder rührt die Hacke, als wenn er hätt' geschlafen zehn Stund. Masser Myndert ein Herz hat, und er nicht wünscht seine Leute todt zu machen mit Arbeit, sonst wär' alte Phillis todt fünfzig Jahr nächsten Winter.«

»Ich glaub' ein Weibsperson seine Zunge ist nie zufrieden! Warum der ganzen Welt sagen, wenn Bonnie geht zu Bett? Er schläft für sich, er nicht schläft für die Nachbarsleute! Ja! Ein Mensch kann nicht an Alles denken in einer Minute. Hier ist ein Band lang genug, daß er Die Neger scheinen in ihrem gebrochenen Englisch keinen Unterschied zwischen den männlichen und weiblichen Fürwörtern zu machen. sich kann dran hängen, nimm's, und dann nicht vergiß, Phillis, daß Du bist die Frau eines Mannes, der hat Sorge auf der Schulter.«

Bonnie schlug nun ein zweites Gelächter auf, und seine Ehehälfte, die herbeigelaufen kam, um das geschenkte Band zu empfangen, dessen Farben mit der Haut der buntesten Schlange wetteiferten, stimmte herzlich mit ein, ohne zu wissen worüber. Das Geschenk hatte die gewünschte Wirkung, und unser Beobachter konnte nun, von seiner geschwätzigen Ruhestörerin glücklich befreit, seine Reflexionen fortsetzen.

Bald sah Bonnie aus dem das Ufer bekränzenden Gebüsch ein Boot hervorkommen, in dessen Spiegel er die Personen seines Herrn, Ludlow's und des Patroons deutlich von einander unterscheiden konnte. Ihm war die am Abend vorher geschehene Wegnahme der Barke der Coquette und die Gefangennehmung der darin befindlichen Mannschaft keineswegs unbekannt, daher er sich über ihre Erscheinung an jener Stelle im Kanal nicht wunderte. Dagegen stieg sein Erstaunen immer höher, als er bemerkte, daß die Matrosen auf die Kriegsschaluppe zu ruderten. Er warf nun seine Hacke von sich, und lief nach dem Abhange des Berges, von wo aus er einen Ueberblick über die ganze Bucht hatte. So lange die Geheimnisse von ›Lust in Ruhe‹ sich auf die gewöhnlichen, mit heimlichem Handelsbetrieb verbundenen Manövers beschränkten, war es ihm ein Leichtes, sich alle Bewegungen zu erklären; allein eine so unnatürliche Verbindung wie die zwischen seinem Herrn und dem Kreuzer der Krone, die jetzt eingetreten zu seyn schien, überstieg sein Fassungsvermögen, und er fühlte sich zu doppelter Wachsamkeit und angestrengterem Denken aufgefordert.

Ein aufgeklärterer Geist als der des Sklaven würde jetzt in die höchste Spannung versetzt worden seyn durch die erwartungsvolle Stille, und durch die sich dem Beschauer darbietenden Gegenstände, zumal wenn ihm der Charakter der beiden im Gesicht liegenden Fahrzeuge bekannt war und er sich daher von dem, was da kommen sollte, einen vorläufigen Begriff bilden konnte. Der Wind schwebte noch im Osten, dessenungeachtet aber hatte die Wolke über der Mündung des Rariton endlich sich zu heben begonnen. Die großen Flocken des weißlichen Dunstes, welche den ganzen Morgen über dem festen Lande zerstreut herunter hingen, flossen schnell in einander, und bildeten schon eine finstere, dichte Masse, welche über das Innere der Bucht dahinzog und bald die ganze Ausdehnung ihrer Gewässer zu umfassen drohte. Leichter und veränderlicher ward die Luft, lauter das Rauschen der Brandung, unregelmäßiger ihr Heranwälzen an den Strand, als in den früheren Stunden des Tages. Dies war der Zustand der beiden Elemente schon, als die Barke noch zeitig genug die Seite ihres Schiffes erreichte; in der nächsten Minute hing sie bereits hoch in der Luft an ihren Taljen, und verschwand dann in die dunkle Masse des Rumpfs.

Es ging weit über den Verstand unseres Beobachters hinaus, nunmehr irgend ein weiteres Zeichen von Vorbereitung an einem oder dem anderen Schiffe zu entdecken, wie gänzlich auch Beide seine Aufmerksamkeit einnahmen. Ihm kamen sie beide gleich regungslos, gleich entvölkert vor. Zwar entgingen ihm einige dunklere Punkte in der Takelage der Coquette nicht, was vielleicht Menschen waren; die Entfernung ließ ihn jedoch darüber nicht zur Gewißheit kommen, und selbst zugegeben, daß Matrosen in den Tauen standen, so hatte ihr Dortseyn doch keine sichtbare Aenderung zur Folge, wenigstens keine, welche Bonnie's unbelehrtes Auge zu erspähen vermocht hätte. Nach einer oder zwei Minuten waren selbst jene dunkleren Punkte nicht mehr zu sehen, dagegen aber glaubte der umsichtige Schwarze zu bemerken, wie die Tops und das Tauwerk unter den Marsen sich verdichteten, als würden sie von mehr als dem gewöhnlichen Gewebe von Linien umzogen. In diesem Augenblick der ängstlichen Spannung zuckte ein Blitz aus der Wolke über dem Rariton und fernher wälzte sich der Donner über das Gewässer. Dies schien dem Kreuzer als Signal zu dienen, denn als Bonnie's Blick, der einen Moment nach den Wolken gerichtet war, wieder auf das Fahrzeug fiel, hatte es Mars-, Bram- und Oberbramsegel aufgehißt, scheinbar mit eben so wenig Anstrengung als ein Adler, wenn er die Fittige ausbreitet. Jetzt fing das Schiff an unruhig zu werden, denn der Wind kam stoßweise, und das Fahrzeug schlingerte, gleichsam als kämpfte es, um sich von den Banden seines Ankers loszureißen. Aber genau in dem Moment, wo der Wind umsetzte und aus der Wolke im Westen wehte, schoß der Kreuzer wirbelnd von der Stelle, an die er bis jetzt gebannt war. Anfangs zitterte das Schiff, wie ein Hengst der sich vom Bindseil losgerissen, aber immer langsamer wurden die Schwingungen, und als es jetzt in die Windlinie kam, hatte es durch die Balancir-Kraft der Segel sein Gleichgewicht schon wieder gewonnen. Noch eine oder zwei Minuten vergingen nun dem Anscheine nach in Unthätigkeit, allein bald zeigte sich eine Veränderung in den Obersegeln: sie waren in parallele Linien gebracht worden. Ein weißes Tuch nach dem andern entfaltete sich über dem Rumpfe, und Bonnie sah nunmehr die Coquette, den schnellsten Kreuzer der Krone in jenen Gewässern, unter einem Gewölk von Leinwand in die See stechen.

Während dieser ganzen Zeit blieb die Brigantine ruhig in der Runden Bucht vor Anker liegen. Als der Wind absprang, schwankte das leichte Schiff in den Luftstrom, und das Bild der meergrünen Dame bot die dunkle Wange dem Fächeln des Windes dar. Sie schien allein über das Schicksal ihrer Anhänger zu wachen; denn kein anderes Auge war zu sehen, das sich von der Gefahr unterrichtet hätte, womit sowohl der Himmel als ein bestimmterer, verständlicherer Feind die Wassernixe bedrohte.

Da der Wind, obgleich unstät, kräftig blies, so bewegte sich die Coquette mit einer Geschwindigkeit durch die Wogen, die ihren Ruf als Schnellsegler keineswegs widerlegte. Zuerst hatte es das Aussehen, als beabsichtige das königliche Schiff, das Vorgebirge zu doubliren und eine Höhe auf offener See zu gewinnen, denn sein Gallion stand nach Norden; doch kaum war die Krümmung der kleinen Bucht erreicht, welche wegen ihrer Gestalt den Namen »der Pferdeschuh« führt, so schoß es gerade in den Wind hinein, und fiel mit der schönen leichten Bewegung eines beigedrehten Schiffes ab, das Vordertheil nach der Fronte der Villa zugewendet. Von nun an war das Vorhaben des königlichen Kapitäns gegen den notorischen Contrebande-Händler zu klar, um noch einen Zweifel zuzulassen.

Doch die Wassernixe verrieth noch immer kein Zeichen der Furcht. Das sinnvolle Auge des Bildes schien die Bewegungen des Gegners zu studiren, mit der ganzen Thätigkeit eines verständigen Wesens, und hin und wieder machte die Brigantine in den abwechselnden Luftströmen eine leise Wendung, als wenn der kleine Bau mit selbstbewegender Willenskraft begabt gewesen wäre. Diese veränderten Stellungen glichen den schnellen, abgebrochenen Geberden eines Jagdhundes, wenn er in seinem Lager den Kopf aufwärts reckt, um einem entfernten Geräusch zu lauschen, oder einem in der Luft vorüberziehenden Geruche nachzuschnuppern.

Unterdessen näherte sich das Schiff mit einer solchen Schnelligkeit, daß des Negers stets wichtigthuender Blick doppelt sprechend wurde, und er das weise Haupt bedenklich schüttelte. Alles schien dem Laufe des königlichen Kreuzers günstig, und da Jedermann wußte, daß das Wasser der Runden Bucht während der Periode, wo der Kanal schiffbar blieb, hinlänglich tief war, um Schiffe von bedeutender Wassertracht aufnehmen zu können, so war dem treuen Bonnie um das künftige Schicksal seines Herrn ernstlich bange. Er sah für den Smuggler keine andere Hoffnung zum Entkommen mehr, als die, daß der Wind noch umspringen könne.

Obgleich die drohende Wolke nunmehr die Mündung des Rariton verlassen hatte und sich mit furchtbarer Geschwindigkeit nach Osten wälzte, so war sie doch noch nicht geborsten. Die Luft hatte jenes unnatürliche, schwüle Aussehen, welches einem Fallwind voranzugehen pflegt; inzwischen fielen nur einige große Tropfen, scheinbar aus einem wolkenfreien Himmel, so daß man es für's Erste eine trockne Bö nennen konnte. Dann und wann waren die Wogen der Bai grünlich und finster drohend, und einige Male schien es, daß schwere Windströme sich auf die Wasserfläche senkten, als wollten sie in ihrem Muthwillen vorläufig ihre Gewalt gegen das verschwisterte Element versuchen. Trotz dieser nichts Gutes bedeutenden Vorzeichen setzte die Coquette ihren Lauf fort, ohne die weite Ausdehnung ihrer Tücher auch nur um einen Zoll zu verkürzen. Diejenigen, welche ihre Bewegungen regierten, waren keine Matrosen aus der trägen Levante, noch aus den friedlichen Gewässern des Mittelländischen Meeres, daß sie sich in solcher Lage das Haar zerrauft oder alle Heiligen angerufen hätten, ihre Rathlosigkeit gegen Unglück zu schützen, sondern es waren Seeleute, die ihr Handwerk in stürmischer See erlernt hatten und gewohnt waren, ihr Hauptvertrauen in ihre eigne wackre Männlichkeit zu setzen, geleitet von der Wachsamkeit und Geschicklichkeit einer langen in tausend Gefahren bewährten Erfahrung. Hundert Augen am Bord des Kreuzers waren scharf beobachtend theils auf die schnell vorwärts rückende Wolke, theils auf das, die Farbe des Wassers verändernde Spiel von Licht und Schatten gerichtet; doch geschah es nicht aus Zagen, denn Alle verließen sich unbedingt auf die Kenntnisse des jungen Offiziers, welcher den Oberbefehl im Schiffe führte.

Dieser selbst schritt mit seiner gewöhnlichen Fassung auf dem Verdeck auf und ab; allein diese Ruhe war nur Außenseite, denn in der That durchströmten Gefühle sein Inneres, die mit den Pflichten seines Postens in keiner Verbindung standen. Auch er hatte von Zeit zu Zeit nach der herannahenden Bö hingeschaut; doch weit öfter hing sein Blick an der regungslosen Brigantine, die man jetzt deutlich vom Verdeck der Coquette vor Anker konnte liegen sehen. Der Ruf: »Ein Fremder in der Runden Bucht!« welcher wenig Augenblicke zuvor aus einem der Marse erschollen war, kam dem Commandeur nicht unerwartet; hingegen erkannte die verwunderte, aber an Gehorsam gewöhnte Mannschaft jetzt den Zweck ihrer seltsamen Evolutionen zum ersten Male. Selbst der dem Kapitän zunächst im Kommando stehende Offizier hatte bisher keine Frage gewagt; als aber nunmehr der Gegenstand, den sie suchten, so klar vor Augen lag; gab ihm sein Rang Dreistigkeit, um eine Bemerkung zu äußern.

»Ein liebliches Fahrzeug!« sagte der gesetzte Lieutenant, hingerissen von einer Verwunderung, die bei seinem Gewerbe natürlich genug war; »wahrlich, es wäre nicht zu schlecht zu einem Staatsboot für die Königin! Gewiß ist's Einer, der die Revenüe beeinträchtigt, wo nicht gar ein Boucanier von den Inseln: der Kerl zeigt keine Flagge!«

»Setzen Sie ihn in Kenntniß, Sir, daß er es mit Jemand zu thun habe, der königliche Vollmachten trägt,« gab Ludlow mehr aus Gewohnheit des Commando's, als aus vollem Bewußtseyn, den Befehl. »Wir müssen diese Wanderer lehren, Achtung vor der königlichen Flagge zu haben.«

Der Knall der Kanone rief den Abwesenden zurück zu sich; erst jetzt ward er inne, daß er die Ordre ertheilt hatte.

»War dieser Schuß scharf?« fragte er in einem Tone, der mehr wie ein Verweis, als eine Frage klang.

»Scharf, aber nicht gezielt, Sir; bloß ein deutlicher Wink. Sie wissen, Kapitän Ludlow, in der Coquette versteht man sich nicht auf Pantomime.«

»Ich wünschte nicht, das Fahrzeug zu verletzen, selbst wenn es sich ausweisen sollte, daß es ein Boucanier ist. Sorgen Sie, daß Nichts es berühre, ohne gegebene Ordre.«

»Ganz wohl; 's wird freilich besser seyn, die Schöne lebendig zu fangen, Sir; so ein hübsches Boot zu zersplittern, wie ein altes abgedanktes Schiff, wäre Schade. Aha! da fängt endlich sein Flaggentuch an zu flattern. Er zeigt ein weißes Feld – sollte der Kerl am Ende ein Franzose seyn?«

Der Lieutenant nahm ein Fernglas und hielt es mit der gewohnten Stetigkeit einen Augenblick gegen das Auge; dann senkte er es nachsinnend, als wenn er seinem Gedächtniß die verschiedenen Flaggen zurückrufen wollte, welche ihm in seinem vieljährigen Dienste zu Gesicht gekommen waren.

»Dieser Spaßvogel,« sagte er, »muß aus irgend einem unbekannten Lande seyn; hier hat er ein Frauenbild in seinem Felde, und noch dazu, so das Glas mich nicht täuscht, mit einer garstigen Physiognomie. – So wahr ich lebe, der Spitzbube führt das Seitenstück als Figur an seinem Gallion! – Wollen Sie die Dame nicht in Augenschein nehmen, Sir?«

Ludlow ergriff das Fernrohr, und richtete es nicht ohne Neugierde auf die Fahne, die der dreiste Smuggler in Gegenwart eines Kreuzers zu entfalten sich erkühnt hatte. Die Fahrzeuge befanden sich jetzt einander nahe genug, um ihn in Stand zu setzen, die schwärzlichen Züge und das boshafte Lächeln der meergrünen Dame zu erkennen, deren Gestalt in das Feld der Flagge mit derselben Kunst eingewirkt war, die in den verschiedenen anderen Abbildungen, welche er am Bord der Brigantine gesehen, schon seine Bewunderung erregt hatte. Erstaunt über die Frechheit des Freihändlers, gab er das Rohr zurück und setzte seinen Spaziergang auf dem Deck schweigend fort.

Ein dritter Offizier, dessen Haupt und Gestalt schon die Kennzeichen des Alters trugen, hatte während der Unterredung den beiden Sprechenden so nahe gestanden, daß er nothwendig jedes Wort, das sie fallen ließen, hören mußte. Obgleich dieser Seemann – er war der Segelmeister der Schaluppe – den Blick abwechselnd bald auf die drohende Wolke am Himmel, bald auf das Gewölk von Leinwand über seinem Fahrzeug richten mußte, so hatte er doch Muße genug gefunden, den Fremden in's Auge zu fassen.

»Eine halb zugetakelte Brigg, mit einer nach hinterwärts geriegelten Vorbramstange, einer doppelten Bugsprietspier und stehender Gaffel;« so zählte der etwas pedantische Seemann die technischen Theile des fremden Schiffes auf, wie ein Anderer bei einer Personenbeschreibung sich bei den Eigenthümlichkeiten der Gesichtszüge aufgehalten hätte. »Der Spitzbub braucht nicht erst sein Mensch mit der eisernen Stirn zu zeigen, um kenntlich zu seyn! Erst letztes Jahr habe ich im Sankt Georg's Canal sechs und dreißig Stunden hinter einander Jagd auf ihn gemacht, und der Kerl lief um uns her wie ein Meerschwein, das um den Kinnback des Kiels spielt. Bald hatten wir ihn auf unserer Luvseite, bald kreuzte er unsern Cours, und einmal folgte er gar unserm Kielwasser, als wenn er, wie das Hühnlein einer Hausfrau, unsere Brosamen aufpicken wollte. Er scheint in der Bucht dort eingepfercht genug, ich gestehe es, aber dennoch wette ich den Gehalt, von welchem Monat im Jahr Ihr wollt, daß er uns durch die Finger davon läuft. Kapitän Ludlow, die Brigantine zur Lee dort ist der wohlbekannte Meerdurchstreicher

»Der Meerdurchstreicher,« tönte es wie ein vielstimmiges Echo aus zwanzig Kehlen wieder, ein Beweis, welches Aufsehen diese unerwartete Kunde verursachte.

»Ich bin bereit, über seinen Charakter einen Eid abzulegen vor jedem Admiralitätsrichter in England, oder auch selbst in Frankreich, sollte es nöthig seyn, vor eine ausländische Behörde zu gehen; aber wozu ein Eid? hier habe ich einen geschriebenen Bericht, den ich eigenhändig aufsetzte, als wir ihn in der Mitte des Tages verfolgten, und das Schiff vollständig im Gesicht hatten.«

Bei diesen Worten zog der Segelmeister eine Tabaksdose aus der Tasche, wand ein Gewinde von einer Seeschlingpflanze von derselben ab und nahm ein Päckchen Notizen heraus, dessen Farben bunter waren, als die Pflanze selbst.

»Jetzt, meine Herren,« fuhr er fort, »sollt Ihr seinen Bau haben, so genau, als wenn der Schiffsbaumeister den Riß mit seinem Zollmaaß gemacht hatte. (Liest) ›Vergessen Sie nicht, einen Marderpelz aus Amerika mitzubringen zum Muff für Frau Spannsegel; kaufen Sie ihn zu London und schwören Sie – ‹ das ist nicht das rechte Papier! Da habe ich Ihren Jungen, Herr Luff, den letzten Posten Tabak für mich stauen lassen, und der kleine Hund hat mir richtig alle meine Papiere in Unordnung gebracht. Ja, ja, da kann man sehen, warum das Parlament zuweilen die Rechnungen der Minister nicht bekommen kann, wenn es sie durchlesen will; sie sind gewiß irgendwo festsitzen geblieben. Na, ich denke immer, das junge Blut muß sich ausbrausen. Ich habe selbst einmal, als ich noch ein Springinsfeld war, einen Affen am Samstag Abend in die Kirche gelassen, und dieser stellte eine solche Verpackung mit den Gesangbüchern an, daß sich die ganze Gemeinde sechs Wochen lang in den Haaren lag, und ganz besonders geriethen zwei alte Damen in einen Streit, der heute noch nicht geschlichtet ist. – Aha, hier ist es. ›Meerdurchstreicher. Volle Takelage nach vorne, hinten ein großes Segel, von vorne nach hinten gebraßt; ein Obergaffelsegel; hohe Spieren und leichter Windfang; so nett in seinen Geräthschaften, wie's nur irgend eine Schöne seyn kann. Ferner: führt einen Brodwinner bei hellem Wetter; der Giesbaum gleich einer Fregatte, Obersegelraa, mit einem großen Stangen-Stagsegel von dem Umfang eines Klüvers. Ferner: tief im Wasser, mit einem Weibsbild zur Gallion-Figur; trägt die Segel mehr wie ein Teufel, als wie ein menschliches Wesen, und liegt innerhalb fünf Punkten, wenn er dicht bei'm Wind eingeklemmt ist.‹ Hier sind Kennzeichen, durch die jede Ehrendame der Königin Anna den Schelm wieder erkennen würde, und dort seht ihr sie Stück für Stück, so deutlich, wie die menschliche Natur sich nur immer an einem Schiffe zu offenbaren vermag.«

»Der Meerdurchstreicher!« wiederholten die jungen Offiziere, welche um den alten Schwalker einen Kreis gebildet hatten, um diese charakteristische Beschreibung des notorischen Freihändlers mit anzuhören.

»Streicher oder Flieger, jetzt haben wir ihn fest auf unserer Leeseite, auf drei Seiten von einem sandigen Strand eingeschlossen und den Wind gerade in's Auge!« rief der erste Lieutenant. »Ihr sollt Gelegenheit haben, Herr Spannsegel, Eure Notizen durch wirkliche Abmessung zu berichtigen.«

Der Segelmeister schüttelte zweifelhaft den Kopf und richtete das Auge wieder nach der herannahenden Wolke.

Nunmehr war die Coquette so sehr vorwärts, daß sie schon den Eingang der Runden Bucht vor sich hatte, und ihr Gegner nur einige Kabeltaulängen noch entfernt lag. Einer von Ludlow ertheilten Ordre zufolge war alles leichte Segeltuch eingezogen worden, und das Schiff lief nur noch unter den drei Obersegeln und dem Klüver. Er fragte sich indessen, was nunmehr für eine Bahn zu nehmen sey, denn es war etwas Ungewöhnliches, daß ein Schiff von der Wassertracht der Coquette sich so weit landwärts in die Bai hineinwagte, und der drohende Zustand des Wetters machte doppelte Vorsicht nöthig. Der Lootse wollte eine Verantwortlichkeit nicht auf sich nehmen, welcher er sich von Amtswegen nicht zu unterziehen brauchte, da der gewöhnliche Seeweg durchaus nicht nach dieser entlegenen Stelle ging, und Ludlow selbst, wie sehr er sich auch durch so viele starke Beweggründe angespornt fühlte, nahm Anstand, eine Gefahr zu laufen, die weit außerhalb des Bereichs seiner Dienstpflicht lag. Das sichtliche Vertrauen des Smugglers hatte etwas so Auffallendes, daß es ganz natürlich auf den Gedanken brachte, er wisse sich durch irgend ein ihm bekanntes Hinderniß sicher geschützt; man beschloß daher zu lothen, ehe man das Schiff auf's Spiel setzte. Ein Vorschlag, den Freihändler mit den Booten zu nehmen, obgleich vielversprechend an sich, und vielleicht von allen Methoden die weiseste, wurde vom Commandeur verworfen, weil, wie er ausweichend sagte, der Ausgang ungewiß wäre, in Wahrheit aber, weil seine Theilnahme an einem Wesen, welches er am Bord der Brigantine vermuthete, ihn die Idee mit Abscheu zurückweisen ließ, das Fahrzeug zum Schauplatz eines so heftigen Auftrittes zu machen. Es wurde daher eine Jolle in's Wasser hinabgelassen, das große Marssegel an den Mast angeholt, und Ludlow selbst, begleitet vom Lootsen und dem Segelmeister, begab sich hinab, um auszumitteln, wo man sich dem Smuggler am besten nähern könne. Ein zuckender Blitz und schnell darauf einer jener fürchterlichen Donnerschläge, wie man sie nur in Amerika zu hören pflegt, warnten den jungen Seemann, daß Eile dringend Noth thue, wenn er sein Schiff wieder erreichen wolle, ehe die furchtbar drohende Wolke sich bis zu der Stelle, wo es lag, herangewälzt haben würde. Munter ruderte das kleine Boot in die Runde Bucht, während der Lootse und der Segelmeister auf beiden Seiten den Boden untersuchten, so schnell als sie die Lothlinie nur immer zu werfen und wieder heraufzuziehen vermochten.

»Schon genug,« sagte Ludlow, nachdem sie sich von der Möglichkeit einer Einfahrt überzeugt hatten. »Ich wünsche das Schiff so nahe an die Brigantine zu bringen, als nur immer angeht, denn ich traue ihrer Ruhe nicht. Laßt uns näher heran.«

»Eine eherne Hexe! der naseweise Blick und die unverschämte Gestalt reichen hin, einen Matrosen, wie ehrlich er auch immer seyn möge, zum Contrebandiren, wo nicht gar zum Seeraub zu verführen!« bemerkte Spannsegel halbflüsternd, wahrscheinlich aus Furcht, so nahe bei einer fast mit den Regungen des Lebens begabten Creatur seine Stimme laut werden zu lassen. »Ja, ja, das ist die Trolle! Ich kenne sie an dem Buche und dem grünen Spenser! Aber wo sind ihre Leute? Das Fahrzeug ist so still wie die königlichen Grabgewölbe an einem Krönungstage, wo der zuletzt verstorbene König und seine Vorgänger in der Regel den Ort ganz für sich allein besitzen. Hier hätten wir eine hübsche Gelegenheit, die Mannschaft eines Boots auf das Verdeck zu werfen, und das schamlose Zeichen, welches da oben mit dem Porträt dieser gottlosen Dame hier so lustig in der Luft flattert, herunterzuholen, wenn –«

»Wenn was?« fragte Ludlow, dem das Thunliche dieses Vorschlags sehr einleuchtete.

»Je nu, wenn man wüßte, woran man mit dem Mensch ist, Sir; denn die Wahrheit zu gestehen, Sir, so hätte ich es viel lieber mit einem regelmäßig gebauten Franzosen zu thun, der seine Kanonen ehrlich zeigt, und ein solches Geschnatter an seinem Bord hören läßt, daß man im Finstern seine Beschaffenheit errathen könnte. – Die Creatur hat gesprochen!«

Ludlow hatte nicht Zeit, zu antworten, denn unmittelbar auf den pfeilschnellen Blitz, welcher so plötzlich leuchtend über die dunkeln Lineamente der Gestalt gefahren war, daß er Spannsegeln unwillkührlich den seltsamen Ruf, womit er seine Rede schloß, entriß, folgte der Donner mit einem entsetzlichen Krachen. Dieser Wink aus der Wolke durfte nicht vernachläßigt werden. Der so lange hin- und herspringende Wind fing an in der Takelage der Brigantine hörbar zu werden, und die drohende und schnellwechselnde Färbung der Elemente war ein unzweideutiger Beweis von der ungesäumten Nähe des Fallwindes. Der junge Seemann wendete mit ungetheilter, angestrengter Aufmerksamkeit das Auge auf sein eigenes Schiff. Die Raaen lagen auf den Eselshäuptern, Eselshaupt ist ein hartes Stück Holz, welches den Masten und Stangen und den Stangen und Bramstangen zur Befestigung über den Sahlingen (Kreuzgebälke unter dem Topp der Masten, auf welches der Mars gelegt wird) dient. D. U. die bald schwellende, bald zusammensinkende Leinwand flatterte weit leewärts, und zwanzig bis dreißig menschliche Gestalten standen auf jeder Spiere, schnellfingerige Toppgasten, welche damit beschäftigt waren, mit aller Macht einzuholen und die Segel stark einzureefen.

»Gebt Fahrt, Leute, es gilt euer Leben!« schrie Ludlow mit aufgeregter Stimme.

Ein einziger Ruderschlag und die Jolle war schon zwanzig Fuß von dem geheimnißvollen Bilde entfernt. Hierauf folgte ein verzweifelter Kampf zur Wiedererreichung des Kreuzers, ehe der Fallwind sie umschlüge; schon einige Augenblicke ehe sie des Schiffes Seite wieder gewonnen hatten, hörten sie das dumpfe Gebrüll des Windes in den Taugewinden, und das Aufeinanderstoßen der Elemente gegen das Fahrzeug war bisweilen so unverkennbar, daß der junge Commandeur befürchtete, er würde zu spät kommen.

Ludlow's Fuß berührte das Verdeck der Coquette genau in dem Moment, wo die Wucht der ganzen Bö auf die Segel herniederfiel. Jedes andere Interesse war nun aus seiner Seele wie weggetilgt, sein Schiff füllte sie gänzlich aus.

»Laßt Alles nieder!« schrie der Offizier, welcher wußte, was es nunmehr galt, mit so gewaltiger Stimme, daß sie das Windgebrülle übertönte. »Bolzt die Schotthörner ein, beschlagt die Segel! Rasch da oben, ihr Toppgasten! wacker! eingeschnürt was Zeug hält!«

Diese Befehle wurden schnell hintereinander und ohne Sprachrohr gegeben, denn der junge Mann konnte, wenn es Noth that, laut sprechen wie der Sturm. Ihnen folgte eine jener, Seeleuten so wohlbekannten Minuten voll angstvoller Erwartung. Jeder war angestrengt mit seinem Theil des Schiffsdienstes beschäftigt, während um ihn her die Elemente schalteten, so wüthend, als wenn sie sich von der Hand, die sie gewöhnlich regiert, auf immer losgerissen hätten. Die Bai war eine ununterbrochene Schaumfläche, während das Rauschen der Bö dem dumpfen Gerassel von tausend dahineilenden Wagen glich. Das Schiff gab dem ungeheuren Drucke nach, bis das Wasser stromweise aus seinen Lee-Speigaten hervorstürzte, und die Reihe hoher Masten neigte sich zur Wasserebne, als wenn die Raanocken untertauchen wollten. Dies war indeß nur die Beugung vor dem ersten heftigen Anfall. Der richtig gespannte Bau gewann sein Gleichgewicht wieder und kämpfte vorwärts in seinem Elemente, als hätte er das Bewußtseyn, daß jetzt nur in Bewegung Sicherheit zu finden war. Ludlow warf nun einen Blick leewärts. Die Mündung der Runden Bucht lag günstig dazu, und er konnte die Spieren der Brigantine heftig im Sturm hin- und herwanken sehen. Er erkundigte sich, ob die Anker klar wären, worauf er von der Fallreepstreppe an der Luvseite, wo er stand, den Befehl hervordonnerte:

»Luv das Ruder windwärts an Bord!«

Von Segeln ganz entblößt, waren die ersten Anstrengungen des Schiffes, um, dem Steuer gehorchend, vom Winde abzufallen, mühselig und langsam. Als aber erst das Vordertheil aus dem Winde herausgedreht war, so konnte das treibende Gewölk sich kaum schneller bewegen. In diesem Augenblick brachen die Schleusen der Wolke los, und Regenströme mischten sich in das Getöse, und erhöhten die allgemeine Verwirrung. Nichts blieb mehr sichtbar als die gießenden Wasserstrahlen und der weiße Schaum, welchen das Schiff durchschnitt.

»Hier ist das Land, Sir!« brüllte Spannsegel von einem Krahnbalken hervor, worauf er stand, gleich einem ehrwürdigen Seegotte, triefend von seinem angebornen Element. »Wir fahren daran vorbei, wie ein Rennpferd!«

»Seht zu, daß Teu- und tägliches Anker klar sind!« rief der Capitän zurück.

»Fertig, Sir, fertig.«

Ludlow winkte den Leuten am Steuer, das Schiff an den Wind zu bringen, und als sein Lauf hinlänglich gedämpft war, fielen auf ein zweites Signal zwei schwere Anker in die Tiefe. Die ungeheure Maschine war nicht ohne eine nochmalige furchtbare Erschütterung zu hemmen. Als sich der Anhalt den Seiten mittheilte, schwang das Gallion sich nach dem Winde, und die Wogen, deren Heftigkeit den Rumpf bis in seinen Mittelpunkt erbeben machten, rissen Klafter nach Klafter von dem gewaltigen Kabel hinab. Doch der erste Lieutenant und Spannsegel waren keine Neulinge im Dienst, so daß es keine ganze Minute währte, bevor das Schiff sicher und stetig vor seinen Ankern lag. Als dieses wichtige Geschäft verrichtet war, standen die Offiziere und die Matrosen da, und schauten einander an, wie Menschen, die so eben ein gefährliches und furchtbares Wagestück bestanden haben. Die Aussicht öffnete sich nun wieder, und durch den noch immer fallenden Regen wurden die Gegenstände am Ufer sichtbar. Es war den Leuten, als wenn nach finstrer Nacht ihnen die heitre Sonne wieder aufginge, und obgleich die Meisten ihr ganzes Leben zur See zugebracht, so holten doch Alle tief und angstlindernden Athem, im Bewußtseyn, daß die Gefahr glücklich vorüber sey. Da ihre eigene Lage nun nicht mehr so dringend all' ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, so erinnerten sie sich Dessen, den sie verfolgten, wieder, und Aller Augen suchten angestrengt den Smuggler – er war unerklärlicherweise verschwunden!

»Der Meerdurchstreicher! und, was ist aus der Brigantine geworden?« ward gerufen und gefragt, was selbst die am Bord eines königlichen Kreuzers herrschende Disciplin nicht zu hindern vermochte. Aus hundert Kehlen tönte diese Frage des Erstaunens wieder, während noch einmal so viele Augen das schöne Schiff zu finden angestrengt bemüht waren. Vergebens! Leer war die Stelle, wo die Wassernixe noch so kürzlich lag, und von einem etwaigen Wrak derselben säumten keine Trümmer die Ufer der Runden Bucht. Während der Augenblicke, wo das Schiff seine Segel beschlug und zur Einfahrt in die Bucht die nöthigen Vorkehrungen traf, war Keinem Muße genug übrig geblieben, um sich nach dem Fremden umzuschauen, und von der Zeit an, wo das Fahrzeug die Anker geworfen hatte, bis jetzt, war die Aussicht auf den Gegner nach allen Seiten abgeschnitten. Eine dichte, seewärts ziehende Masse fallenden Regens war freilich noch immer zu sehen, allein Ludlow's ängstlich forschendes Auge müdete sich umsonst ab, bis zu dem, was sie etwa verberge, hindurchzudringen. Zwar dünkte es ihn einmal, als der Ocean am Horizont klar und ruhig war, und über eine Stunde, nachdem der Windstoß sein eigenes Schiff getroffen hatte, daß er weit in der See die feinen, sich am Horizonte abzeichnenden Spierenlinien eines Fahrzeugs ohne beigesetztes Segeltuch entdecken könne, doch ein zweiter Blick bestätigte die Vermuthung nicht.

In jener Nacht ward gar manche seltsame Geschichte am Bord des königlichen Schiffes Coquette erzählt. Der Bootsmann behauptete, daß während er unten auf der Flöte zum Verfahren des Ankertaues das Commando gab, er ein Kreischen in der Luft vernommen habe, welches sich anhörte, als wenn ein paar Schock Teufel ihn zum Besten hätten. Er habe dem Konstabel gleich gesagt, er halte es für nichts anders als das Commando der Bootsmannspfeife am Bord der Brigantine, welche gerade die Zeit, wo andere Schiffe froh sind, vor Anker zu kommen, dazu benutzte, sich auf ihre eigne Manier flott zu machen. Einer der Vormarsgasten, Robert Garn genannt, ein Kerl, der es im Mährchenerzählen mit Scheherazade selbst aufnehmen konnte, behauptete, und schwor hoch und theuer, daß, während er auf der Lee-Raanocke des Vormarssegels lag und einen Arm ausstreckte, um das stehende Leik zu fassen, ein Weib mit düsterm Blick so dicht über seinem Kopf vorüberschwebte, daß ihr langes Haar ihm in's Gesicht schlug und er die Augen schließen mußte, was ihm vom Reefer einen scharfen Verweis zugezogen habe. Der Mann, welcher Robert zunächst stationirt war, machte zwar einen schwachen Versuch, den Umstand auf eine ganz natürliche Weise zu erklären; es sey, meinte er, weiter nichts gewesen, als das im Winde hin- und herpeitschende Ende einer Beschlagseising, allein sein Schiffsmaat, der in der Jolle einen Riem geführt hatte und dessen Ruf für Wahrheitsliebe längst bei der Mannschaft feststand, wußte diese unwahrscheinliche Erklärung bald niederzuschlagen. Sogar Spannsegel hatte in der Konstabelkammer verschiedene geheimnißvolle Vermuthungen aufzustellen gewagt, war aber nach seiner Rückkehr aus dem schmalen Kanal, wo er auf Befehl des Capitäns lothen geholfen hatte, weniger gesprächig und mehr nachdenkend. Ueberhaupt bewies das Befremden aller Offiziere über den Bericht des Quartiermeisters, dem bei dieser Expedition das Lothwerfen übertragen war, daß außer dem Alderman Van Beverout Niemand am Bord dieser geheimen Durchfahrt mehr als zwei Faden Wassertiefe zugetraut hatte.


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