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Eilftes Kapitel.

Beatrice.
Die Schuld wird an der Musik liegen, Muhme, wenn er nicht zur rechten Zeit um Dich anhält. Wenn der Prinz zu ungestüm wird, so sag' ihm: man müsse in jedem Dinge Maß halten; und so verlange die Antwort.

Viel Lärmen um Nichts.

 

»Dus!« wiederholte ich vor mich hin. – »Also das ist Dus, und kein Indianermädchen; des Kettenträgers Dus; der Priscilla Bayard Dus; und Sureflint's Zaunkönig!«

Andries mußte theilweise diese Worte gehört haben; denn er blieb gerade im Hofe stehen, in welchen hinein das Thor führte, und sagte:

»Ja, das ist Dus, meine Nichte. Das Mädchen ist wie ein Spottvogel, und faßt die Gesänge aller Sprachen und Völker rasch auf. Sie ist gut bewandert im Holländischen und schmilzt mir ganz das Herz. Mordaunt, wenn sie ihre Kehle aufthut, um eines unserer schwermüthigen holländischen Lieder zu singen; und die englischen trägt sie auch so vor, wie wenn sie keine andere Sprache verstünde.«

»Aber dies Land war indianisch – die Worte wenigstens waren in der Mohawk- oder Oneida-Sprache.«

»In der Onondago-Sprache – es ist wenig oder kein Unterschied zwischen diesen. Ja, Ihr habt ganz Recht; die Worte sind indianisch, und sie sagen mir, die Musik sey schottisch. Woher sie aber kommen mag, sie geht Einem recht zu Herzen, Knabe.«

»Wie kam Dus – wie kam Miß Ursula – das heißt, Eure Nichte, dazu, einen indianischen Dialekt verstehen zu lernen?«

»Habe ich Euch nicht schon gesagt, sie sey ein vollkommner Spottvogel und ahme Alles nach, was sie hört? Ja, Dus würde einen so guten Vermesser abgeben, als ihr Bruder ist, wenn sie es nur acht Tage probirte. Ihr habt schon von mir gehört, wie viel ich vor dem Kriege unter den Stämmen gelebt habe, und da war Dus bei mir. Auf diese Art hat sie die Sprache aufgeschnappt, und was sie einmal gelernt hat, vergißt sie nie wieder. Dus ist eine halbe Wilde, weil sie so viel in den Wäldern gelebt hat, und Ihr müßt deshalb nachsichtig gegen sie seyn; aber sie ist ein kapitales Mädchen und der höchste Stolz meines Herzens.«

»Sagt mir noch Eines, ehe wir in das Haus treten; – singt sooft noch Jemand hier herum Indianisch? – hat Sureflint Frauen bei sich?«

»Nein! – der Mann hat nichts zu schaffen mit Squaw's. Was Eure Frage betrifft, ob hier Jemand Indianisch singe, kann ich nur sagen, ich habe nie von Jemand gehört.«

»Aber Ihr habt mir gesagt, Ihr seyet diesen Morgen die Straße hinabgegangen mir entgegen; waret Ihr da allein?«

»Keineswegs: – wir gingen Alle; Sureflint, Frank, Dus und ich. Ich dachte, es sey schicklich gegen einen Grundherrn, Mordaunt, daß man ihm einen herzlichen Willkomm bereite; obgleich Dus ein wenig rebellirte und sagte, Grundherr oder nicht, es sey nicht schicklich, daß ein junges Mädchen einem jungen Manne entgegen gehe. Ich wäre wohl auch selbst dieser Meinung gewesen, wenn nicht Ihr es gewesen wäret, mein Junge; aber Euch gegenüber konnte ich nicht so fremd thun, wie man es wohl gegen einen herumstreichenden Yankee thäte. Ich wünschte Euch mit der ganzen Familie zu bewillkommen; aber ich will Euch nicht verhehlen, wie abgeneigt Dus war, von der Gesellschaft zu seyn.«

»Aber Dus war also doch dabei! Es ist sehr sonderbar, daß wir uns nicht begegneten!«

»Weil Ihr nun einmal davon sprecht, ich glaube, es kam Alles von einem Anschlag dieses schlauen Mädels her! Ihr müßt wissen, Mordaunt, nachdem wir eine Strecke weit die Straße hinab gewandert waren, beredete sie uns, in ein Dickicht von Fichten zu treten, um einen Mund voll Speise zu uns zu nehmen; und ich glaube, die listige Hexe that dieß, damit Ihr unbemerkt vorbeipassiren möchtet und sie ihre weibliche Würde wahrte.«

»Und aus diesem Dickicht von Fichten hervor kam Sureflint, gerade nachdem Dus, wie Ihr sie nennt, oder vielmehr Miß Ursula Malbone, wie ich sie betiteln muß, eben dieß Lied gesungen hatte?«

»Waret Ihr so nahe bei uns, Knabe, daß Ihr das gehört habt, und wir mußten Euch verfehlen! Das Mädel sang eben dasselbe Lied; ja, ich erinnere mich, und ein süßer, guter Gesang ist es. Ihr sie Miß Ursula Malbone nennen? Warum solltet Ihr sie nicht Dus nennen, so gut wie Frank und ich?«

»Aus dem einfachen Grunde, weil Ihr ihr Oheim seyd, und Frank ihr Bruder ist, ich aber ihr völlig fremd bin.«

»Pah, pah, Morty: das heißt gar zu wunderlich und ängstlich seyn. Erstlich bin ich nur ein Halboheim, und Frank ist nur ein Halbbruder; und ich glaube gewiß, Ihr werdet ihr ganzer Freund werden. Sodann seyd Ihr für Keines von der Familie ein Fremder, das kann ich Euch sagen, Junge; denn ich habe so viel von Euch geschwatzt, daß Beide, der Knabe und das Mädel Euch schon fast so sehr lieben wie ich.«

Der gute, ehrliche, aufrichtige alte Andries! Welch ein unangenehmes Gefühl verursachte er mir, als er mich in das Geheimniß einweihte, daß ich Personen entgegentreten sollte, welche seit zwölf Monaten seine parteiischen Erzählungen von mir angehört hatten! Es ist so schwer, Erwartungen zu entsprechen, die auf solche Art rege gemacht worden sind; und ich will gestehen, daß ich angefangen, in Beziehung auf diese Dus einigermaßen meine Unbefangenheit zu verlieren. Der Gesang hatte mir im Ohr geklungen von dem Augenblick an, wo ich ihn zuerst gehört; und jetzt, nachdem er eine Beziehung gewonnen auf die Ursula Malbone der Priscilla Bayard, war Jene in der That für meine Einbildungskraft eine sehr furchtbare Person geworden. Aber ich konnte nicht mehr zurück, wenn ich es auch gewünscht hätte; und ein Zeichen von mir bedeutete dem Kettenträger, mich weiter zu führen. Dem Mädchen mußte ich nun doch einmal Stirn gegen Stirn gegenüber treten, und je eher es geschah, desto besser.

Das Nesthaus, wie meine bescheidene Residenz genannt wurde, war seiner Zeit eine Feste oder »Garnison« gewesen, und hatte drei Seiten eines Parallelogramms gebildet, so, daß alle seine Fenster und Thüren auf den Hof hinaus gingen. Auf der vierten Seite waren die Ueberreste von Pfahlwerk oder Palisaden, aber größtenteils vermodert und zerbrochen, und als Umzäunung ganz nutzlos, weil das Gebäude am Rand eines niederen Felsen stand, welcher für sich schon eine genügende Schutzwache gegen die Einbrüche von Vieh, und eine nicht unbedeutende gegen die von Menschen bildete.

Das Innere des Nesthauses war weit einladender als das Aeußere. Die Fenster gaben dem Hof ein lebendiges und heiteres Ansehen, wodurch auf einmal, was zuvor nur als ein Haufe von Blöcken und Scheitern, in Form eines Gebäudes aufgeschichtet, erschienen, in eine wirthliche und bewohnte Behausung umgewandelt ward. Eine Seite dieses Hofes jedoch war viel sauberer und hatte ein viel behaglicheres Aussehen als die andern; und nach der ersten hin führte mich Andries. Ich wußte, daß mein Großvater Mordaunt einige Gemächer in diesem Bau für seinen Privatgebrauch hatte einrichten lassen, und daß nie Befehl gegeben worden war, die herbeigeschafften Einrichtungsstücke zu entfernen oder zu veräußern. Es überraschte mich daher nicht, als ich mich beim Eintreten in das Haus in Zimmer versetzt sah, die zwar keineswegs reich oder heiter möblirt und eingerichtet, aber doch ganz anständig mit den meisten Artikeln versehen waren, die man bei einem gewissen Grade von verfeinerter Lebensweise für nothwendig hält.

»Wir werden Dus hier finden, glaube ich gewiß,« bemerkte der Kettenträger, indem er eine Thüre aufstieß, und mir bedeutete hineinzutreten. »Geht hinein und schüttelt dem Mädel die Hand, Mordaunt; sie kennt Euch schon ganz gut, Namen und Natur, wie Einer sagen könnte.«

Ich trat hinein und erblickte ein paar Schritte mir gegenüber das schöne Mädchen mit den goldnen Haaren von der Scene des Hausaufschlagens, – sie, die uns Alle gerettet hatte, daß das Zimmerholz uns nicht erschlug, durch eine Entschlossenheit und Raschheit des Handelns, welche ebenso von Muth wie von Gewandtheit zeugte. Sie trug dieselbe Kleidung, in welcher ich sie zuerst gesehen, obgleich die Verschiedenheit der Beschäftigung und Umgebung allerdings ihrem Wesen und Ausdruck einen ganz andern Charakter lieh. Ursula Malbone war jetzt ruhig beschäftigt eines der groben, gewürfelten Taschentücher zu säumen, deren sich zu bedienen ihren Oheim seine Armuth nöthigte, oder doch veranlaßte, und dergleichen ich eines erst noch vor einer Minute in seinen Händen gesehen hatte. Bei meinem Eintreten stand sie auf, und erwiederte ernst aber nicht unhöflich meine Verbeugung mit einem tiefen Knix. Keines von Beiden sprach, obgleich die Grüße getauscht wurden wie zwischen Personen, welche keiner gegenseitigen Vorstellung bedürfen, um einander zu kennen.

»Ei wie!« begann jetzt der alte Andries mit seinem stärksten holländischen Accent, »das ist wahrhaftig nicht die rechte Art zwischen zwei so alten Freunden. Komm her, Dus, Mädel, und gieb Deine Hand Mordaunt Littlepage, welcher gewissermaßen wie ein Sohn von mir ist.«

Dus gehorchte, und ich hatte die Freude, eine weiche sammtene Hand einen Augenblick in der meinigen zu halten. Ich empfand eine nicht zu beschreibende Genugthuung, als ich ihre Hand wirklich so weich fand, weil dieser Umstand mir die Versicherung gab, daß die Noth sie noch nicht zu irgend einer der Arbeiten getrieben hatte, welche für Frauen von besserem Stande nicht passen. Ich wußte, daß Andries Sklaven hatte, sein einziger Besitz in der That außer seinem Kompaß, seinen Meßketten und seinem Schwert, wozu etwa noch einige Waffen und einige grobe Haushaltungsstücke kommen mochten; und diese Sklaven, alt und verwittert, wie sie nunmehr seyn mußten, ersparten vermutlich seiner Nichte die Verrichtung von Arbeiten und Dienstleistungen, welche sich nur für das Gesinde eignen.

Obgleich ich so die Hand von Ursula Malbone gewann, konnte ich doch ihr Auge nicht gewinnen. Sie wandte das Gesicht nicht weg, sie heuchelte auch keine Kälte, aber sie war nicht unbefangen und behaglich. Ich konnte leicht wahrnehmen, daß es ihr lieber gewesen wäre, wenn ihr Oheim gestattet hätte, daß die Begrüßung sich auf Verbeugungen und Knixe beschränkt hätte. Da ich das Mädchen nie zuvor gesehen und daher Nichts hatte thun können, sie zu beleidigen, schob ich Alles auf falsche Schaam und auf eine Verlegenheit, natürlich genug bei einem Wesen, das sich in eine Lage versetzt fand, so wesentlich verschieden von derjenigen, in welcher sie vor Kurzem sich befunden. Ich verbeugte mich auf ihre Hand, gab ihr vielleicht einen leisen Druck, um dem Mädchens Sicherheit und Zuversicht einzuflößen und wir ließen einander wieder los.

»Nun, Dus, habt Ihr eine Tasse Thee für den Grundherrn – ihn in seinem eigenen Hause damit zum Willkomm zu bewirthen?« fragte Andries, vollkommen zufrieden mit dem anscheinend so freundschaftlichen Verhältniß, das er zwischen uns begründet zu haben glaubte. »Der Major hat einen für Friedenszeiten langen Marsch gemacht, und würde wohl gern einige Erquickung einnehmen«.

»Ihr nennt mich Major, Kettenträger, während Ihr für Eure Person Euch weigert, denselben Titel anzunehmen.«

»Ja, dazu habe ich auch Grund genug. Ihr könnt es wohl erleben, General zu werden; Ihr werdet wahrscheinlich einer seyn, ehe Ihr dreißig Jahre alt werdet: aber ich bin jetzt ein alter Mann und werde nie eine andere Uniform mehr tragen, als die ich jetzt wieder anhabe. Ich fing in der Welt an unter diesem Corps, Morty, und ich werde meine Laufbahn schließen in demselben Rang, mit welchem ich begann.«

»Ich glaubte, Ihr seyet ursprünglich ein Geometer gewesen, und habet dann zur Meßkette Euch gewendet, weil Ihr keinen Geschmack an den Ziffern fandet. Ich meine, das von Euch selbst gehört zu haben.«

»Ja, das ist die Wahrheit. Ziffern und ich taugten nicht zusammen; auch mag ich sie mit siebzig Jahren so wenig, als ich sie mit siebzehn leiden mochte. Ja, Frank Malbone, der Bruder von Dus hier, das ist ein Junge, der ein natürliches Geschick dafür hat, und er wird mit einer Masse Figuren und Zahlen fertig, wie Euer Vater ein Bataillon durch einen Laufgraben führen würde. Die Meßkette zu tragen, das ist mein Geschmack; das gibt dem Geiste hinlängliche Beschäftigung; aber Ehrlichkeit ist die Haupteigenschaft für den Kettenträger. Man sagt: Figuren und Zahlen können nicht lügen, Mordaunt, aber von den Meßketten ist das nicht wahr; die lügen manchmal verzweifelt.«

»Wo ist Mr. Francis Malbone? Es würde mich freuen, seine Bekanntschaft zu machen.«

»Frank ist drüben geblieben, um ihnen zu helfen beim Aufschlagen des Hauses. Er ist ein tüchtiger, stämmiger Bursch, wie Ihr, und kann hülfreiche Handreichung thun; und dabei hat er, der arme Kerl! nicht seine Würde als Grundherr zu behaupten.«

Ich vernahm einen leisen Seufzer von Dus und drehte unwillkührlich den Kopf um; denn sie war gerade hinter meinem Stuhl mit ihrer Arbeit beschäftigt. Das wackere Mädchen erröthete, als schäme sie sich dieser Schwäche, und zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich ihre Stimme, mit Ausnahme des Gesangs des indianischen Liedes. Ich sage, ich hörte ihre Stimme, denn es war ein Ereigniß, das wohl verdient, berichtet zu werden. Eine angenehme Stimme ist bei beiden Geschlechtern ein höchst schätzbares Geschenk der Natur. Aber die süßen Töne von Ursula Malbone waren Alles, was auch das verwöhnteste Ohr sich nur wünschen mochte, – voll, reich, melodisch, und gerade von der Höhe und Tiefe, welche dem Geschmack am meisten zusagt, weil sie Einem den sichern Eindruck einer echt weiblichen Gemüthsart und wohlgeregelter Lebensgewohnheiten macht. Ich verabscheue eine schrille, hohe weibliche Stimme mehr als eine gellende Männerstimme, während man Verachtung empfindet gegen solche, die die Worte nur so murmeln, um sich den Schein zu geben, als besäßen sie eine feine Bildung, wovon eben dies das Gegentheil beweist. Einfache, deutliche, geregelte Aussprache ist einem Mann oder einer Frau von Welt und Bildung unerläßlich; alles Andere läßt sie gemein oder geziert erscheinen.

»Ich hoffte,« sagte Dus, »das übelangelegte Bauwesen sey fertig und im Reinen, und ich würde Frank in ein paar Minuten hier sehen. Ich war überrascht, Euch so emsig für die Presbyterianer arbeiten zu sehen, Oheim Kettenträger!«

»Ich könnte das Compliment erwiedern, und sagen: ich war überrascht, Euch dasselbe thun zu sehen, Miß Dus! Zudem soll die Kirche nach den Congregationisten benannt werden und nicht nach den Presbyterianern; und die Einen sind so wenig nach Eurem Geschmack, als die Anderen.«

»Das Wenige, was ich that, war für Euch und Frank und – Mr. Littlepage, so wie für die übrigen Alle unter dem Gerüst.«

»Wahrlich, Miß Ursula,« sagte ich jetzt, »wir Alle sind Euch herzlichen Dank schuldig für Eure rechtzeitige Hülfe, und ich hoffe auch, wir zollen ihn Euch Alle aufrichtig. Wäre das Gebälke herabgestürzt, Viele von uns wären getötet und noch Mehrere verstümmelt worden.«

»Es war eine nicht sonderlich weibliche That,« erwiederte das Mädchen, wie mir schien, etwas bitter lächelnd; »aber man gewöhnt sich in den Wäldern daran, sich nützlich zu machen.«

»So seyd Ihr also wohl dem Leben im Walde abhold?« wagte ich zu fragen.

»Gewiß nicht. Ich lebe gern überall, wo ich in der Nähe von Oheim Kettenträger und Frank seyn kann. Sie sind mir Alles, seitdem meine treffliche Beschützerin und Beratherin nicht mehr ist; und ihre Heimath ist meine Heimath, ihre Freude meine Freude, ihr Glück das meinige.«

Dies hätte können in einer Art gesprochen werden, daß es hätte verdächtig und sentimental erscheinen mögen, aber dem war nicht so. Im Gegentheil, es war in der Aufwallung des Gefühls gesprochen und kam vom Herzen. Ich erkannte aus der zufriedenen, vergnügten Miene Andries', daß er seine Nichte verstand, und wohl wußte, wie fest er sich auf den wahrhaftigen Charakter derjenigen verlassen konnte, die so sprach. Das Mädchen selbst aber scheute im Augenblick, wo sie ihren Gefühlen so den Lauf gelassen, gleichsam davor zurück, wie wenn sie sich schämte, Empfindungen offen dargelegt zu haben, welche im Heiligthum ihrer Brust hätten bewahrt bleiben sollen. Da ich sie nicht in Noth bringen wollte, gab ich dem Gespräch eine andere Richtung, um sie sich selbst zu überlassen.

»Mr. Newcome scheint ein geschickter Bearbeiter und Lenker der Menge zu seyn,« bemerkte ich. »Er wußte mit großer Gewandtheit den sechsundzwanzig Congregationisten, die er auf seiner Seite hatte, den Schein zu verschaffen, als bildeten sie die Majorität der ganzen Versammlung, während sie in Wahrheit nur ein Drittheil der Anwesenden ausmachten.«

»Laßt den Jason Newcome deshalb ungeschoren!« rief Andries aus. »Er kennt die Menschen, sagt er, und ganz gewiß hat er eine eigene Kunst, mit diesen Leuten Märsche und Gegenmärsche zu machen, gerade wie und wohin es ihm beliebt, während er sie dabei immer im Glauben erhält, sie thun ganz, was sie selbst wollen. Es ist das eine Kunst, Major – es ist eine Kunst!«

»Ich glaube gern, daß es eine ist, und zwar eine, die zu besitzen wohl der Mühe werth ist, wenn sie anders mit Lob und gutem Gewissen geübt werden kann.«

»Ja, da sitzt der Knoten! Geübt wird sie, aber was das Lob und gute Gewissen betrifft, so will ich dafür nicht stehen. Es macht mich manchmal zornig und manchmal macht es mich lachen, wenn ich zuschaue und sehe, in welcher Art und Weise Jason die Leute sich selbst regieren und führen läßt, und wie er sie sich schwenken und rechtsum kehren, und eine Linie bilden und die Linie auflösen läßt. Alles nach ihrem eigenen Commandowort! Seine Excellenz könnte kaum mehr mit uns anfangen, nachdem uns der Baron Dies ist offenbar eine Anspielung auf einen deutschen Offizier, welcher das preußische Exercitium beim amerikanischen Heer einführte, den Baron Steuben. D. H. als Exerciermeister gedrillt hat.«

»Es ist aber doch gewiß ein besonderes Talent erforderlich, um so viel Einfluß auf seine Mitgeschöpfe sich zu verschaffen.«

»Es ist ein Talent, das zu üben Ihr Euch schämen würdet, Mordaunt Littlepage, wenn Ihr es auch zu ganzen Wagenlasten besäßet. Kein Mensch kann ein solches Talent anwenden, ohne den Anfang zu machen mit Lügen und Betrügen; und Ihr müßtet Euch sehr verändert haben, Major, wenn Ihr in einer Schule solcher Künste der Erste wäret.«

»Es thut mir leid, zu sehen, Kettenträger, daß Ihr keine bessere Meinung von meinem Agenten habt; ich muß mir die Sache genauer ansehen, wenn dies der Fall ist.«

»Ihr werdet ihn ehrlich genug finden nach dem Gesetz; denn er schwört bei dem Gesetz und lebt nach dem Gesetz. Seyd unbesorgt wegen Eurer Dollars, Junge; sie sind gewiß alle unversehrt und geborgen, wenn sie freilich nicht etwa im Gesetz ganz verschwunden sind.«

Da Andries immer mehr in den holländischen Accent hinein kam, erkannte ich, daß er immer wärmer werde, und ich erachtete für passend, die genaueren Erkundigungen bis zu einem kühlern Augenblick zu verschieben. Ich habe diese Eigentümlichkeit oft bei den meisten Personen beobachtet, welche das Englische mangelhaft oder mit dem Accent einer andern Sprache sprechen. Sie verfallen in den Augenblicken, wo das natürliche Gefühl am unzweideutigsten seine Macht über sie behauptet, in der Sprache in den ihnen von Natur geläufigsten und zunächst liegenden Ton.

Ich begann jetzt den Kettenträger auszufragen über den Zustand, in welchem er das Nesthaus und das dazu gehörige Gut gefunden, worüber ich ihm durch einen ausdrücklichen Brief an den Agenten Vollmacht gegeben hatte zu schalten und zu walten, so bald er dort ankäme. Die im Besitze befindlichen Leute machten sehr bescheidne Ansprüche und hatten sich seit meines Großvaters Tode mit der Küche und den Gesindezimmern begnügt, welche sie auch schon lange vor diesem Ereigniß inne gehabt hatten. In Folge dieser Mäßigung und ihrer vollkommnen Ehrlichkeit fand ich nichts veruntreut, und die meisten Artikel in gutem Zustand. Was das Gut betrifft, so war es in Flor gekommen nach dem Grundsatze des Gehenlassens. Die Obstbäume waren natürlich gewachsen; und wenn die Felder nicht durch einsichtsvolle Kultur gewonnen hatten, so waren sie doch auch nicht durch eine gewinnsüchtige Art des Anbaus erschöpft und ausgemergelt worden. In diesen Beziehungen lag mithin kein Grund zu Klagen vor. Die Dinge hätten besser gehen können, meinte Andries; aber er hielt es auch für ein außerordentliches Glück, daß sie nicht schlechter gegangen. Während wir uns über diesen Gegenstand besprachen, bewegte sich Dus schweigend im Zimmer hin und her, aber mit besonnener Thätigkeit, denn sie hatte mittlerweile den Theetisch mit eignen Händen beschickt. Als sie uns einlud, an demselben Platz zu nehmen, – zu jener Zeit rückte Jedermann nahe hin an den Theetisch, außer wenn die Gesellschaft zu zahlreich war, um bequem daran Platz zu finden – war ich überrascht, als ich Alles so vollkommen sauber und zierlich, und manches recht schön und reich fand. Die Teller, Messer u. s. w. waren von guter Beschaffenheit, aber auf dem Theebrett befand sich sogar eine Garnitur altmodischen Silbers, wie man es zu der Zeit hatte, wo der Thee zuerst in Gebrauch kam, nicht sehr schwer, aber höchst zierlich gearbeitet. Die Handhaben der Löffel stellten die Stengel der Theepflanze dar, und auf jedem war ein Helmzeichen; während den verschiedenen Stücken des eigentlichen Service's, vier im Ganzen, ein vollständiges Wappen eingegraben war. Ich betrachtete das Helmzeichen, in der unbestimmten aber überraschten Erwartung, das meinige zu finden. Es war mir ganz neu. Dann nahm ich den Rahmkrug zur Hand, konnte mich aber auf kein Wappen besinnen, welches dem darauf eingravirten glich.

»Es überraschte mich, dies Silber hier zu finden,« bemerkte ich; »denn obgleich mein Großvater viel Silbergeschirr besaß, für einen Mann von seinen Mitteln, hätte ich doch nicht geglaubt, er hätte dessen so viel gehabt, um damit so verschwenderisch umgehen zu können und es hier zu lassen. Dies ist zudem Familiensilber; aber dies Wappen ist weder das der Familie Mordaunt noch der Littlepages. Darf ich fragen, wessen Wappen es ist?«

»Der Malbones,« antwortete der Kettenträger. »Die Sachen sind das Eigenthum von Dus.«

»Und Ihr könnt hinzusetzen, Oheim Kettenträger, sie sind all ihr Eigenthum,« fügte das Mädchen rasch hinzu.

»Ich fühle mich sehr geehrt, daß mir gestattet wird, mich desselben zu bedienen, Miß Ursula,« bemerkte ich; »denn es ist eine sehr hübsche Garnitur.«

»Die Notwendigkeit, nicht Eitelkeit gab die Veranlassung sie heute aufzustellen. Ich habe heute Morgen die einzige Euch gehörige Theekanne zerbrochen, die im Hause war, und hoffte, Frank werde mir aus dem Vorrathshause eine zum Ersatz derselben mitbringen, ehe man eine brauchte; aber er kommt nicht. Was Löffel betrifft, so konnte ich keine in das Haus gehörende finden, und wir bedienen uns dieser gewöhnlich. Da die Theekanne nicht entbehrt werden konnte, dachte ich, ich könne wohl meinen ganzen Reichthum auf einmal zur Schau stellen. Aber dies ist das erste Mal seit vielen, vielen Jahren, daß diese Dinge gebraucht werden.«

Es lag etwas klagend Melodisches in Dus' Stimme, trotz ihres Willens und Bestrebens, unbefangen und heiter zu reden, was ich ausnehmend rührend fand. Während wenige von uns eingehen auf die jubelnde Freude glücklicher emporsteigender Gemeinheit über nur allzu oft ganz zufällige und unverdiente Erfolge, liegt es in der menschlichen Natur, zu sympathisiren mit dem abwärtsgehenden Mißgeschick und mit den Empfindungen, die es zurückläßt, wenn es die Unschuldigen, die Tugendhaften, die Gebildeten trifft und herabzieht. Dies Silberzeug war aller irdische Besitz, welcher Ursula Malbone noch übrig blieb, und der von der früheren Lage und dem Stand ihrer Familie zeugte, und ohne Zweifel hing sie daran nicht mit einem unedlen Gefühle krankhaften Stolzes, sondern als an einem traurigen Andenken an eine Stellung im Leben, der sie eigentlich angehörte, wie alle ihre Ansichten, ihre Gewohnheiten von früher Jugend her und ihre Geschmacksrichtung sie dies beständig fühlen ließen. Von diesem letzteren Gesichtspunkt aus gewürdigt war dies Gefühl ebenso achtbar und hatte gegründeten Anspruch, aufs zarteste geschont und geehrt zu werden, als es im andern Falle unwürdig und der Verachtung werth gewesen wäre.

Es fangen viele gemeine Vorurtheile und irrige Begriffe, so wie auch viel heuchlerisches Geschwätz unter uns an gang und gäbe zu werden hinsichtlich der Eigenschaften, welche den Gentleman oder die Lady bezeichnen. Die Zeit ist vorbei, und ich hoffe für immer, wo der bloße Zufall der Geburt über Ansprüche dieser Art zu entscheiden hatte; obgleich der Zufall der Geburt allerdings sehr leicht und häufig die Eigenschaften bedingt und erzeugt, welche in der That den unterscheidenden Charakter der höher gebildeten Klasse ausmachen. Ich für meinen Theil glaube nicht an die Übertreibungen der beiden Extreme, welche ihre Theorien über diesen Gegenstand so hartnäckig behaupten; ich glaube, daß ein Gentleman nicht ausschließlich durch die Geburt es wird und werden kann, einerseits, und andererseits, daß die strenge Sittlichkeit der Bibel keineswegs eine unerläßliche Eigenschaft dieses Charakters ist. Es kann Einer ein ganz vollkommener Gentleman seyn, und dabei ganz und gar nicht ein vollkommener Mensch oder ein Christ; und er kann ein sehr guter Christ und ganz und gar kein Gentleman seyn. Es ist wahr, es besteht ein inneres Band und ein Zusammenhang im Wesen und Benehmen zwischen dem Christen und dem Gentleman als Resultat; aber nur im Resultat und nicht in den Motiven. Daß das Christenthum wenig notwendigen innern Zusammenhang hat mit dem Charakter eines Gentleman, kann man aus dem Umstand ersehen, daß die Jünger des ersteren uns anweisen, demjenigen, der uns auf den rechten Backen schlägt, den linken auch darzubieten, während der Grundsatz des Gentleman ist – nicht die Schmach im Blute des Beleidigers abzuwaschen, sondern zu zeigen, daß er eher bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, als sich so Etwas ruhig gefallen zu lassen. Mr. Mordaunt Littlepage scheint die einzige scheinbare Entschuldigung ins Auge gefaßt zu haben für einen Brauch, welcher in Zeiten aufkam, wo Mißhandlungen und Beschimpfungen nur durch die Stärke des Armes konnten geahndet werden, und der in unseren Tagen in ein System der ärgsten Chikane und der ärmlichsten Kniffe ausartet. Der Duellant, der bei seinen Uebungen mit Sicherheit einen Thaler trifft, und dann seinen Mann verfehlt, läßt, statt seine Ritterlichkeit zu bewahren, nur die Welt einen Blick in das Geheimnis thun, daß die Stärke und Festigkeit seiner Nerven seiner Uebung auf dem Schießplatze nicht gleich kommt. Es lag etwas so Achtbares, als es nur irgend gedacht werden kann, in Verbindung mit einem so einfältigen Brauche, in dem Benehmen des Engländers, welcher seinem Gegner, einem kurzsichtigen Manne, zurief: wenn er auf ihn schießen wolle, so müsse er seiner Pistole eine andere Richtung geben. D. H.

Aber, ich wiederhole es, es besteht kein nothwendiger Zusammenhang zwischen dem Christen und dem Gentleman, obgleich derjenige, welcher Beides zugleich ist, die höchste Stufe der menschlichen Natur erreicht. Christen, unter dem Einfluß ihrer Erziehung und Lebensgewohnheiten stehend, thun oft Dinge, welche das Gesetzbuch des Gentleman verwirft; während es gewiß ist, daß Gentlemen unaufhörlich unzweifelhafte Sünden begehen. Die Moral des Gentleman verwirft vielmehr Gemeinheiten und niedrige Laster, als daß sie die Gesetze Gottes ernst und streng achtete; während die Moral des Christen unausbleiblich gesteigert und geläutert, oder herabgedrückt und vergröbert wird durch den Einfluß der angenommenen Meinungen seiner Klasse und Stellung in der Gesellschaft. Ich behaupte nicht: die zehn Gebote seyen nicht gegeben, um von Leuten von Stand gehalten und befolgt zu werden, denn ihre Verpflichtungen sind allgemein bindend, sondern einfach nur das: die Eigenschaften eines Gentleman seyen die besten Eigenschaften eines Menschen ohne den Beistand und die Erleuchtung von Gott, während die Gnadengaben des Christen unmittelbar aus Gottes Huld und Barmherzigkeit stammen.

Dennoch aber bleibt es wahr, daß im ächten Charakter eines Gentleman sehr Vieles Anerkennung und Achtung verdient. Außer den wichtigen Erfordernissen in Bezug auf Geschmack, Benehmen und Meinungen, gegründet auf Verstandes- und Geistesbildung und alle jene Eigenschaften eines wahrhaft liberalen Geistes, welche seine Gattung auszeichnen, kommt das in Betracht, daß er zu Gemeinheiten irgend welcher Art sich nicht erniedrigt, sich nicht erniedrigen kann. Er ist wahrhaft und treu aus Selbstachtung und nicht aus Gehorsam gegen den Willen Gottes; freigebig mit seinem Geld, weil Liberalität ein wesentlicher Zug seiner Lebensgewohnheiten ist, nicht in Nachahmung der Selbstaufopferung Christi; er dünkt sich zu gut für Verleumdung und Lästerung und für die Fehler der kleinlichen, geschäftigen Welt, sofern sie gemein sind und dem Stolze seines Charakters Eintrag thun, mehr, als weil das Gebot geschrieben steht, kein falsch Zeugniß zu reden wider den Nächsten. Es ist ein großer Irrthum, wenn man diese beiden Charaktere vermengt, von welchen der eine nur eine bloße menschliche Verschönerung der Art und des Thuns einer sündhaften Welt ist, während der andere auf den großen Zweck und das Ziel des menschlichen Daseyns hinschaut. Der letztere Charakter ist ein solcher, des ich verehre, während ich gerne gestehen will, daß ich dem ersteren nie begegne, ohne zu fühlen, wie leer und abstoßend die menschliche Gesellschaft ohne ihn werden würde, wenn nicht anders diese Leere ausgefüllt werden könnte durch die große und gediegene Wesenheit des Guten, wovon am Ende doch der Gentleman blos der Schatten ist!

Ursula Malbone verlor in meiner Achtung nichts durch die innere Bewegung, die sie verrieth, als sie so von dieser Reliquie des alten Familiensilbers sprach. Ich freute mich jedoch, zu finden, daß sie es doch behalten konnte; denn obgleich durchaus nicht in einer Art gekleidet, die nicht ihrer bescheidnen Stellung als Haushälterin ihres Oheims entsprochen hätte, zeigte sie doch in ihrem Anzuge eine Sauberkeit und einen Geschmack, wie man in diesen abgelegenen Gegenden dieses Landes wohl selten findet. Der Leser wird mit meiner Schwäche einige Nachsicht haben, wenn ich mich verweile, um über diesen Gegenstand ein Wort zu sagen. Ursula hatte in ihrer Kleidung weder den Styl einer Person ihres Geschlechts und von ihrer Stellung in der Welt beibehalten, noch auch ganz denjenigen angenommen, welchen man gewöhnlich bei Mädchen der Klasse fand, welcher sie jetzt anscheinend angehörte. Es fiel mir auf, daß einige jener erstern Kleidungsstücke, welche dem Schnitt nach die einfachsten und den Stoffen nach die zweckmäßigsten waren, eigens zugerichtet waren zum gegenwärtigen Gebrauche; und reizend standen sie ihr gerade zu ihrer Art Gesicht und zu ihrem vollkommenen Wuchse. Jedermann weiß, daß bei den verschiedenen Klassen der Gesellschaft – und, Königreich oder Republik, verschiedene Klassen existiren nun einmal in diesem Lande, und werden immer existiren, als nothwendiges Moment und Folge der Civilisation; eine Wahrheit, die Jeder leicht erkennt, in Beziehung auf die unter ihm Stehenden, obgleich sein Gesicht minder scharf seyn mag in Bezug auf die über ihm Stehenden, – nun, Jedermann weiß, daß ein großer Unterschied in der Kleidung zwischen den verschiedenen Klassen in der ganzen christlichen Welt gegen das Ende des amerikanischen Krieges bestand, – ein Unterschied, der jetzt rasch verschwindet, oder schon ganz verschwunden ist. Nun hatte Ursula von der eigenthümlichen Tracht ihrer Klasse gerade so viel beibehalten, daß man erkannte, sie gehöre in der That derselben noch an, ohne doch den Unterschied sehr auffallend zu machen. In Wahrheit, der Charakter dessen, was sie noch beibehielt, deutete schon die Geschichte ihrer Herkunft an, denn er bestand in einer eher gedämpften als übertriebenen Nachahmung dessen, an was sie früher gewohnt gewesen, während eine bloße Nachäfferei leicht in letzteren Fehler verfallen seyn würde. Ich kann nur noch beisetzen, daß der Eindruck, den diese eigenthümlich modificirte Tracht machte, ein sehr vorteilhafter und nicht wenig reizender war.

»Kostet einmal diese Kuchen,« sagte der alte Andries, der ohne die mindeste Absichtlichkeit es liebte, auf die verschiedenen Verdienste seiner Nichte aufmerksam zu machen. »Dus hat sie gemacht, und ich will darauf wetten, Madame Washington selbst könnte keine wohlschmeckenderen machen.«

»Wenn Mrs. Washington sich je damit befaßt hat,« versetzte ich, »so müßte sie wohl hier vor Neid blaß werden. Bessere Kuchen dieser Art habe ich nie gegessen.«

»Von dieser Art – das ist ein richtiger Beisatz, Mr. Littlepage,« bemerkte das Mädchen ruhig; »meine Beschützerin und Freundin hat mir eine ziemliche Geschicklichkeit in dieser Hinsicht beigebracht, aber die erforderlichen Ingredienzen sind hier nicht so zu haben, wie man sie in ihrer Familie hatte.«

»Und da dies Haus eine Pension für junge Ladies war, so war es ohne Zweifel ungewöhnlich gut versehen mit den zu guten Kuchen erforderlichen Materialien und Kenntnissen.«

Dus lachte, und ihr Lachen machte mich ganz betroffen, so voll frischer und kühner, aber gedämpfter Melodie schien es mir zu seyn.

»Jungen Ladies sagt man gar mancherlei Schwächen nach, in Betreff deren sie ganz unschuldig sind,« war ihre Antwort. »Kuchen waren in der Schule beinahe eine verbotene Frucht, und man lehrte sie uns machen nur aus erbarmungsvoller Rücksicht für den Gaumen der Männer.«

»Eurer künftigen Gatten, Mädel,« rief der Kettenträger, indem er aufstand, das Zimmer zu verlassen.

»Unserer Väter, Brüder und Oheime,« erwiederte seine Nichte, und legte einen besondern Nachdruck auf das letzte Wort.

»Ich glaube, Miß Ursula,« begann ich wieder, sobald Andries uns allein gelassen hatte, »einigermaßen hinter den Vorhang geführt worden zu seyn, was die von Euch besuchte Schule betrifft, da ich eine etwas eigenthümliche Art von Bekanntschaft mit Einer Eurer alten Schulfreundinnen angeknüpft habe.«

Meine Gesellschafterin antwortete nicht, heftete aber ihre bezaubernden blauen Augen auf mich in einer Art, welche in einem Augenblick hundert Fragen an mich that. Ich konnte nicht umhin, zu bemerken, daß sie von Thränen gefeuchtet waren; denn Erinnerungen an ihre Schule hatten bei ihr häufig diese Folge.

»Ich meine Miß Priscilla Bayard, welche eine sehr gute Freundin von Euch zu seyn oder gewesen zu seyn scheint,« fuhr ich fort, als ich sah, daß meine Gesellschafterin keine Lust hatte, etwas zu sagen.

»Pris Bayard!« diese Worte entfuhren jetzt Ursula in ihrer Ueberraschung; »und sie eine Bekanntschaft von etwas eigenthümlicher Art!«

»Meine Ausdrucksweise ist unvorsichtig gewesen, um nicht zu sagen, die eines Gecken. Gewiß, ich bin nicht befugt, mehr zu sagen, als daß unsere Familien sehr vertraut sind, und daß dieses vertraute Verhältniß seine ganz eigenthümlichen Gründe hat. Ich bitte Euch, so zu lesen, wie ich jetzt den Fehler verbessert habe.«

»Ich sehe nicht ein, daß diese Verbesserung viel an der Sache ändert; und Ihr werdet mir erlauben, zu sagen, daß es mich betrübt, sehr betrübt, dies zu erfahren.«

Das war sonderbar! Daß Dus wirklich so dachte und fühlte, wie sie sprach, das bezeugte zur Genüge ihr Angesicht, aus welchem beinahe alle Farbe verschwunden war, und das eine ganz außerordentliche Gemüthsbewegung verrieth. Soll ich gestehen, welch' ein erbärmlich eingebildeter Geck ich einen Augenblick war? Die Wahrheit muß heraus, und ich will es gestehen. Der Gedanke, der mir durch den Kopf fuhr, war dieser: Ursula Malbone ist gekränkt, daß der einzige Mann, den sie seit einem Jahre gesehen, der möglicherweise auf ein weibliches Wesen von ihrer Bildung und ihrem Geschmack einen Eindruck hätte machen können, mit einer Andern verlobt ist! Unter gewöhnlichen Umständen hätte diese voreilige Bevorzugung meiner Person in mir ein Gefühl von Entrüstung erregt über die Kundgebung derselben; aber die Bewegungen und Empfindungen, die Handlungen und die Sprache von Dus – Alles hatte viel zu viel reine Natur an sich, als daß in mir eine andere Empfindung aufgekommen wäre, als die des lebhaften Interesses. Ich habe immer die gewaltige Macht, ja den Bann, welchen dies Mädchen so bald über mein Herz gewann, dem Aufruhr von Gefühlen zugeschrieben, welche dieser eigentümliche Moment in mir erregte. Liebe auf den ersten Blick mag lächerlich erscheinen, aber manchmal ist sie doch wahr. Daß eine Leidenschaft erregt werden kann durch einen Blick, oder durch ein Lächeln, oder durch irgend ein anderes jener geheimen Mittel, womit uns die Natur begabt hat, um Herzen in zusammenstimmenden Gefühlen an einander zu knüpfen, glaube ich ganz gerne, obwohl der Bestand und die Dauer derselben von Eigenschaften abhängen muß, die einen höheren und bleibenderen Einfluß ausüben. Die Einbildungskraft ist es, die zuerst angesprochen wird; das Herz wird erst später und mehr allmählig mit in's Interesse gezogen.

Meine Selbsttäuschung währte jedoch nicht lange. Ob Ursula Malbone sich bewußt war, welche Mißdeutung ihren Worten gegeben werden konnte, weiß ich nicht; aber ich glaube fast nicht, weil sie viel zu unschuldig war, um etwas Arges zu besorgen; auch ist es bis auf die jetzige Stunde noch ein Geheimniß für mich, ob sie eine andere Notwendigkeit trieb, sich zu erklären; aber eine Erklärung gab sie mir. Mit welcher Einsicht und Klugheit sie dies that und mit welchem weiblichen Takt, so daß sie sich wohl hütete, irgend Etwas von den Geheimnissen ihrer Freundin zu verrathen, das wird Jedem klar werden, den diese Erzählung insoweit interessirt, daß er ihrem weiteren Verlaufe folgen mag.

 


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