Adelbert von Chamisso
Kurze Prosastücke
Adelbert von Chamisso

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Memoire über die Ereignisse bei der Kapitulation von Hameln

1808

Aufgefordert, von meinem ganzen Dienstbenehmen während des letzten Krieges und von meiner eigenen Gefangennehmung Auskunft zu geben, lege ich dem hochlöblichen Tribunal zu fernerer strenger Prüfung folgenden Bericht darüber ab.

Ich habe während der Berennung und bei der Einnahme Hamelns durch den Feind – einziges Kriegsereignis, wobei ich mich befunden – keine eigene Kommission erhalten, worüber ich besonders Rechenschaft abzulegen hätte, und habe nur beim Regiment, und zwar beim zweiten Bataillon und der Kompanie von Lochau, gleiche Gesinnung und gleiches Schicksal mit meinen wackern Kameraden geteilt. Nichts- destoweniger habe ich Gelegenheit gehabt, an den Tag zu legen, daß ich in ihrem Sinne mit einverstanden war, der sich gegen eine schmachvolle Übergabe der Festung vor dem Angriffe kraftvoll erhob. Ich erinnere, daß ich am Tage, wo bei zu befürchtender Überantwortung der Stadt der Obrist v. X., der sämtliche Forts kommandierte, das zweite Bataillon von Oranien, das eben vom Fort abgelöst worden war, wieder herauf berief, versprechend, daß er nach Soldatenart die ihm anvertrauten Mauern bis auf den letzten Stein verteidigen wolle, daß ich, der ich mir in der letzten Nacht einen Fuß im Dienste beschädigt hatte, so daß ich nur mit Mühe gehen konnte, vom Fort Nr. 2 nach dem Fort Nr. 1 stieg, um dem Herrn Obristen im Namen aller zu danken und ihn von der Treue und Kriegslust der Besatzung zu versichern. Ferner: daß ich mich am Abende der Kapitulation unter dem Haufen der Offiziere befunden habe, die sich beim Kommandanten einstellten, um zu versuchen, was noch übrigbliebe, um Festung und Ehre zu retten, und daß, nachdem uns die Generale mit eitlen Versprechungen entlassen hatten, ich noch mit vielen im Kaffeehause mich befand, über die Gemeinsache verhandelnd, als mit dem Alarm das Zeichen gegeben ward, daß die Zeit, zu unternehmen, unter Beraten und Beschließen abgelaufen sei, indem die verbreitete Nachricht des Abfalls den Mut der Soldaten in unsinnige Wut verkehrt hatte.

Zu einer tapfern Verteidigung der Festung Hameln hat es nur daran gefehlt; daß einer sich der Führung anmaßte und zum Haupt aufwarf; daß keiner sich unterfangen hat, dieses zu tun, ist ein Vorwurf, der zwar alle, aber auch jeden nur in dem Maße trifft, als er im Rang und Ansehen hochstand und Kriegsdienstjahre zählte. Ich war ein obskurer Subaltern und, noch mehr, ein Geächteter aus dem Volke des Feindes.

Ich kehre zu der eigenen Sache zurück. Ich habe die Nacht des Aufruhrs, nachdem das Regiment, das vollzählig auf dem Alarmplatz zusammengekommen, nach und nach auseinan- dergegangen war – keiner erteilte Befehl – bei dem Obristen v. N. allein zugebracht, um ihm zum Adjutanten zu dienen, wenn er es bedurfte. Er ward genötigt, sich in das Lazarett zurückzuziehen. Gegen Morgen geleitete ich ihn noch unter dem letzten Schießen nach seiner Wohnung. Nach dem am Tage erfolgten Einmarsch der Holländer und der gänzlichen Auflösung der Unsrigen habe ich keinen Anstand genommen, das Kartell anzunehmen, habe mich auf Ehrenwort gefangen gegeben und einen Paß nach Frankreich erhalten.

Endlich aufgefordert: »auf mein Ehrenwort zu erklären, ob ich gegen einen Offizier des Regiments etwas Nachteiliges zu sagen hätte«, gebe ich, der Aufforderung Genüge zu leisten, folgendes mein Gutachten über diejenigen von den Herren Offizieren vom Regiment Oranien, mit denen ich dieselben Kriegsereignisse erlebt habe, und ihr Benehmen ab und verbürge mein Ehrenwort, daß ich, was ich weiß und wie ich es meine, rücksichtslos heraussage.

Ich halte dafür, daß das Benehmen nur zweier Männer einer fernern Prüfung unterworfen werden könne, ja müsse. Diese sind der Herr Obrist von N. und der Herr Obrist von X., zwei Männer, von denen ich während meiner Dienstzeit mehr Gutes als Böses empfangen habe. Die übrigen, in ein gemeinsames Schicksal unabwendbar verwickelt, haben nichts vermocht, als ihre Gesinnung auszusprechen, und sie haben es gesamt nach Möglichkeit schön und kräftig getan. Mein eigenes Bewußtsein spricht sie frei.

Der Herr Obrist von N., Kommandeur des Regiments von Oranien, war vor dem Kriege zum Brigadier der in Hameln stehenden Truppen vom Könige bestellt, durfte vor allem auf das brave Regiment, das er kommandierte, bauen, kein Zweifel erhob sich gegen die ehrenfeste Tapferkeit des Herrn Obristen. Darin traute ihm der Soldat und, wie die Stimmung war, er wäre ihm sonder Anstand durch Feuer und Flammen gefolgt. Hätte sich der Herr Obrist von N. nicht der Gewalt in der Festung bemächtigen können und dem, was geschehen ist, vorbeugen? Hätte er es nicht gesollt? Ist er nicht dem Könige Rechenschaft schuldig über die ihm anvertrauten Truppen, welche selbst nur des Kampfes begehrten? Ich erhebe als Zweifel gegen den Herrn Obristen von N. das, was er nicht getan hat. Dagegen ist er nach der Stadt mitgeritten und hat einen Zeugen zu den Verhandlungen der Kapitulation abgegeben.

Der Herr Obrist von X., der sämtliche Forts kommandierte, hatte aus eigenem richtigen Gefühle gelobet, dieselben, auch wenn die Stadt übergehen sollte, zu verteidigen. Die Hoffnungen der Truppen, deren er sicher war, ruhten auf ihm; er hat sie getäuscht, er hat, gewiß vom Machtwort der Generale niedergeschmettert, für diese Forts kapituliert. Was die Offiziere anbetrifft, die späterhin beim Feinde Dienste angenommen, so mag ihre Tat, wenn sie erst erwiesen ist, sie richten.

Schließlich. Ich fürchte nicht, von denen, an die ich das Wort richte, und nicht von denen, die es gleich mir führen, getadelt und widersagt zu werden, wenn ich von dem Grundsatze ausgegangen bin, daß es sonder fernere Rücksicht schmachvoll sei, eine Feste dem Feind zu überantworten und ihm deren Besatzung gefangen zu liefern, wenn noch kein Angriff auf diese Feste geschehen, keine Laufgräben vor derselben eröffnet worden sind, wenn noch zur Stunde keine Hungersnot in ihr herrscht; ja wenn der schwächere Feind die flüchtige Berennung aufgehoben hat, die Bürgerschaft gefaßt und die Besatzung voller Mut ist, und ich brauche nicht auf den Buchstaben des Kriegsreglements Friedrichs mich zu berufen. Mögen denn die Urheber der Kapitulation Hamelns für den neuen Schandfleck, den sie dem deutschen Namen aufgeheftet haben, büßen; wir wälzen die Schuld von uns ab und waschen uns von der Schmach rein.

Ich halte dafür, daß bei gegenwärtigem Ehrengerichte, wie in jeder Ehrensache, der Mann für sein Wort stehen muß; ich begehre also nicht, daß mein Name von meinen Worten getrennt werde.

Dixi
Unterschrift


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