Karel Capek
Das Jahr des Gärtners
Karel Capek

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Der Gärtner im August

Der August ist gewöhnlich die Zeit, wo der Hausgärtner seinen Wundergarten verläßt und auf Urlaub fährt. Zwar hat er das ganze Jahr nachdrücklichst verkündet, daß er heuer nirgends hinfahren werde, weil ja so ein Garten besser als jede Sommerfrische sei und er, der Gärtner, nicht so ein Narr und Dummkopf sein wolle, um sich irgendwo im Zug und bei allen Teufeln herumzudrücken. Nichtsdestoweniger entflieht auch er, sobald es Sommer wird, der Stadt. Entweder machte sich bei ihm der Wandertrieb geltend, oder geschieht es der Nachbarn wegen, damit man nicht sage – Natürlich fährt er nur schweren Herzens und voller Befürchtungen und Sorgen um seinen Garten weg, das heißt er fährt nicht eher weg, bevor er nicht irgendeinen Freund oder Verwandten findet, dem er für diese Zeit den Garten anvertrauen kann.

»Schauen Sie«, sagt er, »es ist jetzt ohnehin im Garten keine Arbeit. Es genügt, wenn Sie einmal in drei Tagen nachsehen kommen, und falls etwas nicht in Ordnung sein sollte, schreiben Sie mir eine Karte, und ich kehre gleich zurück. Also ich verlasse mich auf Sie. Wie gesagt, fünf Minuten genügen; nur ein bißchen nachschauen.«

Worauf er, seinen Garten so dem gefälligen Mitmenschen ans Herz legend, wegfährt. Dieser Mitmensch bekommt am nächsten Tag einen Brief: »Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß der Garten täglich begossen werden muß, am besten um fünf Uhr früh oder gegen sieben Uhr abends. Das ist keine Arbeit, nur den Schlauch an den Hydranten festschrauben und eine Stunde spritzen. Bitte, die Koniferen ganz und recht ausgiebig zu bespritzen, und den Rasen auch. Wenn Sie irgendwo ein Unkraut sehen, reißen Sie es aus. Das wäre alles.«

Tags darauf: »Es ist schrecklich trocken, ich bitte Sie, geben Sie jedem Rhododendron ungefähr zwei Kannen abgestandenes Wasser und jedem Nadelbaum fünf Kannen und den übrigen Bäumen ungefähr je vier Kannen. Die Stauden, die jetzt blühen, brauchen viel Wasser – schreiben Sie mir postwendend, was alles blüht. Die abgeblühten Stengel muß man abschneiden! Es wäre gut, wenn Sie mit der Hacke alle Beete auflockern würden, der Boden atmet dann besser. Sollten auf den Rosen Blattläuse sein, kaufen Sie Tabakextrakt und bespritzen Sie damit die Rosen, sobald Tau fällt oder nach dem Regen. Mehr braucht man inzwischen nicht zu tun.«

Am dritten Tag: »Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß der Rasen gestutzt werden muß; mit der Maschine machen Sie es spielend, und was die Maschine nicht wegnimmt, schneiden Sie mit der Schere ab. Aber Achtung! Nach dem Stutzen muß man das Gras gut ausharken und dann mit dem Besen abkehren! Sonst wird der Rasen kahl! Und begießen, viel begießen!«

Am vierten Tag: »Wenn ein Gewitter käme, laufen Sie, bitte, rasch in meinen Garten nachsehen. Ein heftiger Platzregen verursacht manchmal Schäden; es ist daher gut, gleich zur Stelle zu sein. Sollte sich an den Rosen Meltau zeigen, bestreuen Sie sie zeitig früh noch beim Morgentau mit Schwefelblüte. Die hohen Perennen binden Sie an die Stöcke fest, damit sie der Wind nicht knickt. Hier ist es herrlich, eine Menge Pilze und schöne Badegelegenheit. Vergessen Sie nicht, täglich den Weinstock beim Haus zu begießen, der hat es dort trocken. Heben Sie mir in einer Tüte die Samen vom Isländischen Moos auf. Ich hoffe, Sie haben den Rasen schon gestutzt. Sonst brauchen Sie nichts tun, als die Ohrwürmer zu vertilgen.«

Am fünften Tag: »Ich sende Ihnen ein Kistchen mit Blumen, die ich hier im Wald ausgegraben habe. Es sind verschiedenerlei Knabenkräuter, wilde Lilien, Kuhschelle, Wintergrün, Lungenkraut, Windrosen und andere. Sobald das Kistchen ankommt, öffnen Sie es gleich, bespritzen Sie die Stecklinge und setzen Sie sie irgendwo an einem schattigen Plätzchen in meinem Garten ein. Geben Sie auch Torf und Lauberde dazu! Sofort einsetzen und dreimal täglich begießen!! Bitte, schneiden Sie die Wasserreiser der Rosenstöcke ab!«

Am sechsten Tag: »Ich sende Ihnen expreß einen Korb mit Blumen aus der Natur . . . Sofort einsetzen . . . In der Nacht sollten Sie mit einer Lampe in den Garten gehen und die Schnecken vertilgen. Es wäre gut, die Wege zu jäten. Ich hoffe, daß die Aufsicht über meinen Garten Sie nicht zu viel Zeit kostet und Sie angenehme Stunden darin verbringen.«

Der gefällige Mitmensch, der sich seiner Verantwortung bewußt ist, begießt inzwischen, stutzt das Gras, lockert auf, jätet, geht mit den angekommenen Setzlingen herum und sucht, wo er sie, zum Teufel, einsetzen könnte; er ist verschwitzt und vom Kopf bis zum Fuß bespritzt. Mit Schrecken bemerkt er, daß hier ein Strauch welkt, dort ein paar Blumenstengel geknickt sind, hier der Rasen gelb zu werden beginnt, und der ganze Garten wie verbrannt aussieht. Er verflucht den Augenblick, in dem er diese Last auf sich genommen hat, und betet, es möge schon Herbst sein.

Indessen denkt der Besitzer des Gartens mit Unruhe an seine Blumen und den Rasen, schläft schlecht, schimpft, daß ihm der gefällige Mitmensch nicht täglich einen Bericht über den Stand des Gartens schreibt, und zählt die Tage bis zu seiner Rückkehr, wobei er täglich eine Kiste mit Blumen aus der Natur und einen Brief mit etwa zwölf dringenden Aufträgen sendet. Endlich kehrt er zurück, stürmt, noch mit den Koffern in der Hand, in den Garten und blickt sich mit feuchten Augen um. –

»Der Taugenichts, der Dummerjan, der Schweinekerl«, denkt er sich erbittert, »der hat mir den Garten zugerichtet!«

»Ich danke Ihnen«, sagt er trocken zum Mitmenschen und packt, wie ein lebendiger Vorwurf, den Schlauch, um den vernachlässigten Garten zu bespritzen. (»Der Blödian«, denkt er in der Tiefe seiner Seele, »dem soll man so etwas anvertrauen! Solang ich lebe, werde ich nicht mehr ein solcher Narr und Dummkopfsein und in die Sommerfrische fahren.«)

Nun, die Blumen aus der Natur gräbt der fanatische Gärtner schon irgendwie aus, um sie seinem Garten einzuverleiben; ärger ist es mit den anderen Naturobjekten. »Verdammt«, denkt sich der Gärtner und blickt aufs Matterhorn oder auf die Gerlachspitze, »wenn ich diesen Berg in meinem Garten hätte, und das Stückchen Urwald dort mit den Waldriesen, und den Holzschlag und hier den Gebirgsbach, oder lieber diesen See; die saftige Wiese da würde auch in meinen Garten passen und ebenso ein Stückchen Meeresufer. Auch so eine Ruine eines gotischen Klosters könnte ich brauchen. Dann möchte ich diese tausendjährige Linde dort haben; diese antike Fontäne würde sich bei mir auch ganz nett ausnehmen. Und wie wäre es mit einem Rudel Hirsche, ein paar Gemsen; oder wenigstens diese Allee uralter Pappeln, der Felsen dort, der Fluß da, dieser Eichenhain oder der weißblaue Wasserfall oder wenigstens dieses stille, grüne Tal –«

Wenn es irgendwie möglich wäre, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, der dem Gärtner jeden Wunsch erfüllte, der Gärtner würde ihm seine Seele verkaufen; aber der arme Teufel, glaube ich, müßte die Seele verdammt teuer bezahlen. »Du elender Kerl«, würde er schließlich sagen, »bevor ich mich so plage, zieh lieber in den Himmel – dort gehörst du ohnedies hin.« Und mit dem Schwanz ärgerlich wedelnd, so daß er damit die Blüten des Mutterkrauts und der Helenien eine nach der andern abrisse, ginge er seines Weges und ließe den Gärtner samt seinen unbescheidenen und unerschöpflichen Wünschen stehen.

Wisset denn, daß ich vom Blumengärtner rede und nicht von den Obst- und Kohlgärtnern. Der Obstgärtner soll sich nur über seine Äpfel und Birnen freuen und der Gemüsegärtner über seine überlebensgroßen Kohlrabis, Kürbisse und Sellerien außer sich geraten. Der echte Gärtner spürt es in allen Knochen, daß der August bereits ein Wendepunkt ist. Was noch blüht, trachtet bereits, rasch zu verblühen; jetzt kommt noch die Zeit der Herbstastern und Chrysanthemen, und dann gute Nacht! Aber, aber, auch du noch, leuchtende Flammenblume, Pfarrblümchen, du, goldener Gelbweiderich und gelbe Goldrute, goldene Kupferblume, goldenes Helianthus, goldene Sonnenblume, ihr noch und ich, wir geben noch nicht nach, nein, noch nicht! Das ganze Jahr ist Frühling und das ganze Jahr ist Jugend; immerfort blüht etwas. Man sagt nur so, es sei Herbst; wir blühen inzwischen mit andern Blüten, wachsen unter der Erde und bilden neue Triebe. Fortwährend gibt es zu tun. Nur jene, welche die Hände in den Taschen haben, sagen, es wende sich zum Schlimmeren. Aber wer blüht und Früchte trägt, und wäre es auch im November, weiß nichts vom Herbst, sondern vom goldenen Sommer, weiß nichts vom Welken, sondern vom Treiben. Herbstaster, teurer Mensch, das Jahr ist so lang, daß es kein Ende nimmt.


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