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Siebentes Buch.
Das Gefängnis.

Erstes Kapitel.
Avignon – Die beiden Pagen – Die fremde Schönheit.

Zwischen den Dramen Shakespeares und denen beinahe aller übrigen dramatischen Dichter besteht der Unterschied, daß in den ersteren die Katastrophe selten durch eine einzige Ursache, durch eine einfache und fortlaufende Kette von Ereignissen herbeigeführt wird. Verschiedenartige und verwickelte Kräfte bewirken das Endresultat. Der fesselnden Regeln von Zeit und Ort entledigt, schildert er jede Zeit, jeden Ort, und erfreut uns durch den ihm eigenen geschickten Wechsel zwischen den Handlungen und den Handelnden. Bisweilen scheint das Interesse anzuhalten, sich abzuwenden, und uns unverversehens auf bisher unbeachtete Gegenstände oder auf bisher nur angedeutete, nicht entwickelte Eigenschaften der Charaktere zu bringen. In Wirklichkeit aber dient der Stillstand in der Handlung nur dazu, all die verschiedenen Umstände, die zu dem großen Endergebnis führen, zu sammeln und zusammenzufassen: und die übliche Gewohnheit der Dichtkunst wird nur aus Rücksicht für die edlere Treue der Geschichte verlassen. Wer der Welt die wahre Darstellung von dem Leben und der Zeit eines Mannes vorlegen will, und, während er das Dramatische zum Epischen erweitert, seine Erzählungen über die wechselvollen Ereignisse von Jahren ausdehnt, wird finden, daß er, ohne sich dessen bewußt gewesen zu sein, Shakespeare hierin nachahmte. Neue Charaktere, deren jeder dem Schlusse förderlich ist – neue Szenen, deren jede auf die letzte hinführt, erheben sich vor ihm während seines Weiterschreitens und scheinen dem Leser bisweilen die gefürchtete Katastrophe aufzuhalten, während sie dieselbe gerade beschleunigen. Die Opferprozession zieht dahin; sie wird durch neue Ankömmlinge vermehrt und verliert viele von denjenigen, welche sich zuerst anschlossen, bevor endlich der Zug im ganzen derselbe, aber in den einzelnen Teilen verändert, das verhängnisvolle Ziel des Altars und des Opfers erreicht!

Fünf Jahre sind seit den zuletzt erzählten Ereignissen verflossen, und meine Geschichte führt uns nun an den päpstlichen Hof in Avignon – diesen ruhigen Sitz der Macht, wohin die Nachfolger des heiligen Petrus die Ueppigkeit, die Pracht und die Laster der Kaiserstadt verpflanzt hatten. Sicher vor dem Trug oder der Gewalttätigkeit eines mächtigen und barbarischen Adels, überließen sich die Höflinge des heiligen Stuhles einem Festtage des Vergnügens – ihre Ruhe war dem Genuß geweiht, und Avignon hatte zu jener Zeit vielleicht die heiterste und wollüstigste Gesellschaft in Europa aufzuweisen. Clemens' VI. Prachtliebe hatte einen Schein von gelehrter Verfeinerung über die sinnlichen Genüsse des Orts verbreitet, und der Geist Petrarcas bahnte sich noch immer seinen Weg durch die Intrigen der Parteien und die Orgien der Ausschweifung.

Innocenz VI. war kürzlich auf Clemens gefolgt, und welcher Art auch seine eigenen Ansprüche auf Gelehrsamkeit sein mochten, schätzte er doch wenigstens Kenntnisse und Geist an anderen, so daß die anmutige Pedanterie sich mit dem Streben nach Vergnügen vereinte. Die Verderbnis, die an dem ganzen Orte herrschte, war zu sehr eingewurzelt, um dem Beispiel des Papstes zu weichen, der selbst ein Mann von einfachen Sitten und musterhaftem Lebenswandel war. Obgleich, wie sein Vorgänger, der Politik Frankreichs gehorsam, besaß Innocenz doch einen unbeugsamen, bedeutenden Ehrgeiz. Da ihm die Interessen der Kirche sehr am Herzen lagen, entwarf er den Plan, ihre erschütterte Herrschaft in Italien zu befestigen und wiederherzustellen, und betrachtete die Tyrannen der verschiedenen Staaten als diejenigen, welche seinem kirchlichen Ehrgeiz am meisten im Wege standen. Es war dies aber nicht nur die Politik Innocenz' VI. – Abgesehen von Ausnahmen, wie sie besondere Umstände gelegentlich herbeiführen mußten, war der päpstliche Stuhl der politischen Freiheit Italiens im ganzen gewogen. Die Republiken des Mittelalters wuchsen unter dem Schatten der Kirche auf; und auch hier, wie anderswo, zeigte sich der gewöhnlichen Meinung zuwiderlaufend, daß die Religion, wie sehr auch herabgewürdigt und verdreht, doch im allgemeinen zum Schutze der Freiheit diente, die Niederen erhob und den Unterdrückern sich widersetzte.

Zu dieser Zeit erschien in Avignon eine Dame von außerordentlicher, unvergleichlicher Schönheit. Sie war mit einem kleinen, aber auserlesenen Gefolge von Florenz gekommen, gab sich selbst aber für eine Neapolitanerin, die Witwe eines Edeln von dem glänzenden Hofe der unglücklichen Johanna aus. Ihr Name war Cäsarini. In einer Stadt, wo sogar in der Zitadelle der Christenheit Venus noch ihre alte Herrschaft ausübte, wo die Liebe das Hauptgeschäft des Lebens ausmachte und Schönheit gleichbedeutend war mit Macht, durfte Signora Cäsarini nur einmal öffentlich erscheinen, um die Hälfte von Avignons Adel und Ritterschaft zu ihren Füßen zu sehen. Ihre Dienerinnen wurden mit Geschenken und Billetts überhäuft, und jede Nacht hörte man unter ihrem Fenster klagende Serenaden. Sie stürzte sich eifrig in die heiteren Zerstreuungen der Stadt, und ihre Reize teilten sich mit den Gedichten Petrarcas in die Bewunderung des Tages. Obgleich sie niemand durch finstere Blicke zurückwies, konnte sich doch niemand ausschließlich eines Lächelns rühmen. Ihr guter Ruf war noch unbefleckt; und wenn sie je einen einzelnen unter den vielen bevorzugte, so schien sie mehr der Ehrgeiz als die Liebe in ihrer Wahl geleitet zu haben, und Giles, der an dem heiligen Hofe allmächtige, kriegerische Kardinal von Albornoz, ahnte schon die Stunde seines Triumphes.

Es war hoher Mittag, und in den Vorzimmern der schönen Signora warteten zwei schöne und reich gekleidete Pagen, wie sie damals die Lieblingsdiener der Vornehmen beiderlei Geschlechts waren.

»Bei meiner Treu,« sagte einer von den jungen Dienstleuten, indem er die Würfel von sich stieß, mit denen er und sein Gefährte sich bisher die Zeit zu vertreiben gesucht hatten, »das ist eine geistlose Beschäftigung, und der beste Teil des Tages vorüber. Unsere Gebieterin kommt spät.«

»Und ich habe meinen neuen Sammetmantel angezogen,« versetzte der andere und betrachtete mitleidig seinen Staat.

»Still, Giacomo,« sagte sein Kamerad gähnend; »schweige doch mit deiner Eitelkeit. – Was es draußen Neues gibt, bin ich begierig. Ist Seine Heiligkeit jetzt zu Verstand gekommen?«

»Zu Verstand! wie, ist er denn toll?« fragte Giacomo mit ernstem, erstauntem Flüstern.

»Ich glaube so; wenn er als Papst nicht begreift, daß er Maske und Hut endlich ablegen kann. Ein enthaltsamer Kardinal – ein ausschweifender Papst, ist, wie du weißt, das alte Sprichwort; etwas muß in dem Gehirn des guten Mannes fehlen, wenn er fortfährt zu leben wie ein Eremit.«

»O, ich verstehe dich! Aber wahrlich, Seine Heiligkeit hat Stellvertreter genug. Die Bischöfe, Gott segne sie! sorgen, daß die Frauen nicht aus der Art schlagen; und Seine Eminenz von Albornoz bewährt dein Sprichwort hinsichtlich der Kardinäle schlecht.«

»Richtig, jedoch Giles ist ein Krieger – ein Kardinal in der Kirche, aber ein Soldat in der Stadt.«

»Glaubst du, er werde die Festung hier einnehmen, Angelo?«

»Nun, die Festung ist ein Weib, aber – –«

»Aber was?«

»Die Stirn der Signora ist bei all ihrer Schönheit mehr für die Herrschaft als die Liebe geschaffen. Sie sieht in Albornoz den Fürsten, nicht den Liebenden. Mit welchem Schritt sie über den Boden hingeht! er verachtet sogar die goldenen Teppiche!«

»Horch!« sagte Giacomo und eilte ans Fenster, »hörst du die Huftritte unten? Ha, ein stattlicher Zug!«

»Der von der Falkenjagd heimkehrt,« antwortete Angelo und betrachtete nachdenklich die Kavalkade, wie sie durch die enge Straße zog. »Schwankende Federn, kurbettierende Rosse – sieh, wie jener hübsche Kavalier sich nahe an jene Dame drängt!«

»Sein Mantel hat dieselbe Farbe wie der meinige,« seufzte Giacomo.

Als der stattliche Zug sich langsam vorwärts bewegte, bis eine Straßenbiegung ihn dem Auge entzog, und der Schall des Gelächters und der Hufschlag der Pferde nur noch undeutlich sich vernehmen ließen, da trat zur Rechten ein dunkler, massiver Turm, von der gewaltigen Bauart des elften Jahrhunderts, vor die angestrengten Blicke der Pagen; die Sonne schien trübe über seine weite, abstoßende Oberfläche, an welcher nur hier und dort Gucklöcher und schmale Ritzen mehr als Fenster bemerkbar waren. Es war ein auffallender Gegensatz zu der Heiterkeit ringsumher, den glänzenden Läden und dem fröhlichen Zuge, der sich eben unten daherbewegt hatte. Diesen Kontrast schienen die jungen Leute unwillkürlich zu fühlen; sie zogen sich zurück und sahen einander an.

»Ich weiß, was du denkst, Giacomo,« sagte Angelo, der hübschere und ältere von beiden. »Du denkst, jener Turm sei eine traurige Wohnung?«

»Und ich danke meinen Sternen, die mich nicht so hoch erhoben, daß ich einen so großen Käfig nötig hätte,« versetzte Giacomo.

»Und doch,« bemerkte Angelo, »ist einer darin, der nicht höher geboren wurde als wir.«

»Erzähle mir etwas von dem sonderbaren Manne,« sagte Giacomo, indem er sich wieder setzte; »du bist ein Römer und mußt es wissen.«

»Ja!« antwortete Angelo, sich stolz aufrichtend. »Ich bin ein Römer! und unwürdig wäre ich meiner Geburt, hätte ich noch nicht gelernt, welche Ehre dem Namen Cola di Rienzis gebührt.«

»Aber deine Landsleute in Rom hätten ihn beinahe gesteinigt, glaube ich,« murmelte Giacomo. »Die Ehre scheint mehr in Fußtritten als in Geld zu bestehen. Kannst du mir sagen,« fuhr der Page in lauterem Tone fort, »kannst du mir sagen, ob es wahr ist, daß Rienzi in Prag vor dem Kaiser erschien und prophezeite, der vorige Papst und alle Kardinäle würden ermordet und ein neuer italienischer Papst gewählt werden, der den Kaiser als Fürsten von Sizilien, Calabrien und Apulien Eine alberne Fabel, die gewisse Geschichtschreiber aufnahmen. mit einer goldenen, und sich selbst als König von Rom und ganz Italien mit einer silbernen Krone krönen würde? Und – –«

»Schweig!« unterbrach ihn Angelo ungeduldig. »Höre mir zu und du sollst den Hergang der Sache genau erfahren. Als der Tribun das letztemal Rom verließ (du weißt, daß er nach seinem Falle verkleidet bei der Feier des Jubeljahres zugegen war),« hier hielt Angelo inne, blickte sich überall um, und sagte dann mit röterer Wange und erhobener Stimme, »ja, der Tribun, das war er, und das wird er wieder sein – reiste er, als Pilger verkleidet, über Berge und Wälder, Tag und Nacht, dem Regen und Sturm ausgesetzt, ohne ein anderes Obdach, als Höhlen, er, der, wie man sagt, das verzärtelte Kind des Luxus selbst war. Endlich in Böhmen angekommen, entdeckte er sich einem Florentiner in Prag und erhielt durch dessen Hilfe eine Audienz bei Kaiser Karl.«

»Ein kluger Mann, der Kaiser!« sagte Giacomo, »filzig wie ein Geizhals. Seine Siege erkaufte er und geht nach Lorbeeren auf den Markt – so hörte ich von meinem Bruder, der unter ihm diente.«

»Richtig; aber ich habe auch gehört, daß er Büchermenschen und Gelehrte liebt – daß er weise und mäßig ist, und viel hofft man noch von ihm in Italien! Vor den Kaiser, sage ich, kam Rienzi. Wisse, großer Fürst, sagte er, daß ich der Rienzi bin, den Gott bevollmächtigte, Rom zu regieren in Frieden, mit Gerechtigkeit und in Freiheit. Ich zügelte die Adeligen, rottete die Verderbnis aus, verbesserte die Gesetze. Die Mächtigen verfolgten mich – Stolz und Neid vertrieben mich aus meinem Staate. So hoch Ihr steht, so tief bin ich gefallen; auch ich habe das Szepter geschwungen und hätte eine Krone tragen können. Erfahrt auch, daß ich ein illegitimer Sprößling Eures Geschlechts bin; mein Vater war der Sohn Heinrichs VII.; Oheim von Kaiser Karl. das Blut der teutonischen Könige rollt in meinen Adern, so niedrig meine früheren Verhältnisse, so bescheiden mein früherer Name war! Von Euch, o König, verlange ich Schutz und Gerechtigkeit.« Man sehe über diese Anrede den »zeitgenössischen Biographen,« Buch II. Kap. 12.

»Eine kühne Sprache, wie etwa zwei Gleichgestellte mit einander reden; sicherlich hast du die Worte noch übertrieben.«

»Nicht im geringsten; der Schreiber des Kaisers hat sie niedergeschrieben und jeder Römer, der sie einmal gehört, weiß sie auswendig; einst war jeder Römer einem Könige ebenbürtig, und Rienzi behauptete unsere Würde, während er die seinige verteidigte.«

Giacomo kannte die schwache Seite seines Freundes und vermied verständig Zwistigkeiten, und obgleich er in seinem Herzen dachte, die Römer seien ein so untaugliches Volk von unruhigen Memmen, als nur eines in Italien existiere, nahm er doch nur einen Strohhalm von seinem Mantel und sagte in etwas ungeduldigem Tone: »Hm! fahre fort! schickte ihn der Kaiser fort?«

»Durchaus nicht; Karl war über sein Benehmen und seinen Geist erstaunt und nahm ihn gnädig, gastfreundlich auf. Er blieb einige Zeit in Prag und setzte alle Gelehrten durch seine Beredsamkeit in Erstaunen.«

»Wenn er aber in Prag so mit Ehren überhäuft wurde, wie kam er dann als Gefangener nach Avignon?«

»Giacomo,« sagte Angelo nachdenkend, »es gibt Männer von anderem Geist und anderem Schlag, die wir selten begreifen, nie ergründen können. Und ich habe bemerkt, daß bei solchen Männern ein ungewöhnliches Vertrauen auf ihr Glück oder ihren Seelenadel ein sehr häufig vorkommender Charakterzug ist. Durch solche Ideen aufrecht erhalten, stürzen sie sich mit anscheinender Tollkühnheit in Gefahr und steigen aus dieser entweder zur Größe oder versinken im Abgrunde. So auch Rienzi, der leeren Höflichkeiten überdrüssig und müde, den Pedanten zu spielen, verließ er, der früher den Fürsten gespielt – einige sagen aus eigenem Antrieb, andere berichten aber, er sei von Karl dem Legaten des Papstes übergeben worden – den kaiserlichen Hof und begab sich ohne Waffen, ohne Geld plötzlich nach Avignon!«

»Tollheit, fürwahr!«

»Und doch in seinen Verhältnissen vielleicht das einzige, was ihm übrig blieb,« versetzte der ältere Page. »Einmal vor seinem Fall und einmal während seiner Abwesenheit von Rom war er von dem Legaten des Papstes exkommuniziert worden. Er war der Ketzerei angeklagt – der Bann lag noch immer auf ihm. Es war notwendig, daß er sich reinigte. Wie aber war dies dem armen Verbannten möglich? Kein mächtiger Freund erhob sich für den Freund des Volkes. Kein Höfling beschützte den Mann, der dem Adel auf den Nacken getreten war. Sein eigener Geist war sein einziger Freund; nur auf ihn konnte er sich verlassen. Er reiste nach Avignon, um sich von den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu reinigen, und ohne Zweifel hoffte er, von seiner Freisprechung zu seiner Wiedereinsetzung werde nur ein Schritt sein. Ueberdies weiß man gewiß, daß der Kaiser heftig bestürmt wurde, Rienzi in aller Form auszuliefern. Er hatte die Wahl vor sich, denn früher oder später mußte es dazu kommen – frei oder in Fesseln, als Verbrecher oder als ein Römer hinzugehen. Er wählte das letztere. In jeder Stadt, in jedem Dorfe, durch die er kam, lief das Volk zusammen. Der Name des großen Tribunen war in ganz Italien geehrt. Sie baten ihn, er möchte sich nicht tollkühn in die Gefahr stürzen – sie flehten ihn an, er möchte sich für das Land erhalten, das zu erheben er gestrebt. Ich gehe, mich zu verteidigen und zu triumphieren, war die Antwort des Tribunen. Festliche Ehren wurden ihm in den Städten zuteil, die er durchreiste, und ich ließ mir erzählen, daß nie ein Gesandter, Fürst oder Baron mit einem so langen Zuge nach Avignon gekommen sei, wie derjenige war, der in diesen Mauern den Schritten Cola di Rienzis folgte.«

»Und nach seiner Ankunft?«

»Bat er um eine Audienz, um die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu widerlegen. Er warf den stolzen Kardinälen, die ihn exkommuniziert, den Handschuh hin. Er bat um eine Untersuchung.«

»Und was sagte der Papst?«

»Nichts – mit Worten. Jener Turm war seine Antwort!«

»Eine etwas unhöfliche!«

»Aber es gab längere Wege, als vom Kerker zum Palast, und Gott hat Männer, wie Rienzi, nicht für Kerker und Ketten geschaffen.«

Als Angelo dies mit lauter Stimme und all dem Enthusiasmus sagte, welchen der Ruhm des gefallenen Tribunen der römischen Jugend eingeflößt hatte, hörte er einen Seufzer hinter sich. Er wandte sich etwas bestürzt um, und an der Tür, die zu dem Zimmer der Signora Cäsarini führte, stand eine Frau von edler Erscheinung. Sie war aufs reichste gekleidet, aber Gold und Edelsteine waren nur matt gegen den Glanz ihrer schwarzen Augen, und wie sie so aufrecht und Achtung gebietend dastand, schien nie eine Stirn geeigneter für eine Königskrone – nie vollendetere menschliche Schönheit in höherem Grade das Ideal einer Heldin und einer Königin zu verkörpern.

»Verzeiht mir, Signora,« sagte Angelo stockend, »ich sprach laut, ich störte Euch: aber ich bin ein Römer, und mein Gegenstand war – –«

»Rienzi!« sagte die Dame, näher tretend; »ganz geeignet, ein römisches Herz aufzuregen. Nein – keine Entschuldigungen; sie würden auf deinen edlen Lippen übel klingen. Ach, wenn –« die Signora hielt plötzlich inne und seufzte wieder; dann fuhr sie in verändertem, ernstem Tone fort: »wenn das Schicksal Rienzi in sein früheres Glück wieder einsetzt, so soll er erfahren, wie du von ihm denkst.«

»Wenn Ihr, Gebieterin, die Ihr aus Neapel seid,« sagte Angelo mit bedeutungsvollem Nachdruck, »so von einem gefallenen Verbannten redet, was muß ich gefühlt haben, der ich ihn als Oberhaupt des Staates anerkannte?«

»Nicht Rom allein – Italien – der Welt gehörte Rienzi an,« versetzte die Signora. »Und du, Angelo, der du die Kühnheit hattest, so von einem Gefallenen zu sprechen, hast dadurch einen Beweis gegeben, mit welcher Ergebenheit du denjenigen dienen kannst, welche so glücklich sind, dich zu besitzen.«

Bei diesen Worten sah die Signora lange und aufmerksam auf das niedergeschlagene, errötende Antlitz des Pagen, mit einem Blick, der gewohnt war, die Seele in den Zügen zu lesen.

»Die Männer werden oft betrogen,« sagte sie traurig, aber doch halb lächelnd; »die Frauen selten – außer in der Liebe. Ich wollte, Rom hätte viele deinesgleichen! Genug! Horch! Ist dies der Schall von Huftritten im Hofe unten?«

»Madame,« sagte Giacomo, während er seinen Mantel graziös über die Schulter warf, »ich sehe die Diener Seiner Eminenz, des Kardinals von Albornoz. – Es ist der Kardinal selbst.«

»Es ist gut!« sagte die Signora mit glänzendem Auge. »Ich erwarte ihn!« Mit diesen Worten entfernte sie sich durch die Tür, aus welcher sie kam, als sie den römischen Pagen überraschte.

Zweites Kapitel.
Der Charakter eines kriegerischen Priesters – Eine Unterredung – Die Intrige und Gegenintrige an Höfen.

Giles (oder Egidio Egidio ist der eigentliche italienische Name, gleichbedeutend mit dem französischen Giles – von den Schriftstellern jener Zeit wird aber der Kardinal gewöhnlich Gilio d'Albornoz genannt.), Kardinal von Albornoz, war einer der merkwürdigsten Männer jener an großen Geistern so reichen Zeit. Er rühmte sich der Abstammung von den königlichen Häusern von Aragon und Leon, war früh in die Kirche getreten und hatte beinahe noch als Jüngling das Erzbistum Toledo erhalten. Aber eine friedliche, wenn auch glänzende Laufbahn genügte seinem Ehrgeiz nicht. Mit den Ehren der Kirche, außer wenn es die Ehren einer streitenden Kirche gewesen wären, konnte er sich nicht begnügen. In dem Kriege gegen die Mauren hatte sich kein Spanier mehr ausgezeichnet, und Alphons XI., König von Kastilien, hatte darauf bestanden, von der Hand des kriegerischen Priesters den Ritterschlag zu erhalten. Nach Alphons' Tode, der sehr an ihm gehangen, begab sich Albornoz nach Avignon und erhielt von Clemens VI. den Kardinalshut. Auch bei Innocenz stand er in hoher Gunst, und schon verbreiteten sich, da er immer bei den Beratungen des Papstes zugegen war, am Hofe Gerüchte von Kriegsrüstungen unter den Fahnen von Albornoz, zur Wiedereroberung des päpstlichen Gebietes aus den Händen der verschiedenen Tyrannen, die es an sich gerissen. Eine charakteristische Anekdote von diesem kühnen Geistlichen ist folgende: Urban V. verlangte eines Tages Rechenschaft über die aus seinem Kriegszuge gegen die italienischen Tyrannen verwendeten Summen. Der Kardinal ließ dem Papst einen Wagen mit den Schlüsseln der von ihm eroberten Städte und Festen vorführen. »Hier meine Rechnung,« sagte er, »Ihr begreift jetzt, wie ich Euer Geld verwendet.« Der Papst umarmte ihn und belästigte ihn ferner nicht mehr mit Rechnungslegungen. Kühn, scharfsinnig, unternehmend und kaltherzig – mit der Tapferkeit des Ritters die List des Pfaffen verbindend – das war der Charakter von Giles, Kardinal von Albornoz.

Albornoz ließ seine Begleiter im Vorzimmer und wurde in das Gemach der Signora Cäsarini eingeführt. Er war ein Mann von mittlerer Größe; die dunkle Gesichtsfarbe Spaniens war durch immerwährendes Nachdenken über ehrgeizige Pläne in ein hartes Blaßgelb übergegangen: seine Stirn war tief gefurcht, und obgleich er des Lebens Blüte noch nicht überschritten, hätte es doch den Anschein gewinnen können, als wenn er sich schon sehr dem Alter nähere, hätten nicht die Festigkeit seines Trittes, die Elastizität seines Körpers und ein Auge dagegen gesprochen, das durch Nachdenken Ruhe und Tiefe erhalten hatte, ohne etwas von dem Glanze der Jugend zu verlieren.

»Schöne Signora,« sagte der Kardinal, indem er sich über die Hand der Cäsarini mit einer Anmut beugte, welche mehr den Fürsten als den Priester verriet, »die Befehle Seiner Heiligkeit haben mich, wie ich fürchte, länger als bis zu der Zeit aufgehalten, die Ihr zur Entgegennahme meiner Huldigungen zu bestimmen geruhtet; allein mein Herz war, seit wir uns trennten, doch bei Euch.«

»Die Zeit des Kardinals von Albornoz,« erwiderte die Signora, sanft ihre Hand zurückziehend und sich niedersetzend, »ist durch die Pflichten seines Standes und seines Ruhmes so vielfach in Anspruch genommen, daß ich es für eine Art von Verrat an diesem letzteren halte, wenn man nur auf wenige Augenblicke seine Aufmerksamkeit auf minder edle Gegenstände lenkt.«

»Ach, gnädige Frau,« antwortete der Kardinal, »nie hatte mein Ehrgeiz ein so edles Ziel, wie in diesem Augenblick. Es wäre ein stolzeres Glück, zu Euren Füßen zu liegen, als auf dem Throne des heiligen Petrus zu sitzen.«

Eine augenblickliche Röte flog über die Wange der Signora, doch schien es ebenso die Röte des Unwillens wie der Eitelkeit zu sein; ihr folgte eine ausnehmende Blässe. Sie schwieg einige Zeit, ehe sie antwortete, heftete dann ihr großes, stolzes Auge auf den verliebten Spanier und sagte mit lauter Stimme: »Mein Herr Kardinal, ich stelle mich nicht, als verstände ich Eure Worte nicht; auch setze ich sie nicht auf Rechnung einer gewöhnlichen Galanterie. Ich bin eitel genug, zu glauben, Ihr bildet Euch ein, die Wahrheit zu sprechen, wenn Ihr sagt, Ihr liebtet mich.«

»Einbilden!« wiederholte der Spanier.

»Hört mich an,« fuhr die Signora fort. »Diejenige, welche der Kardinal von Albornoz mit seiner Liebe beehrt, hat ein Recht, Beweise derselben von ihm zu verlangen. Wessen Macht ist an dem päpstlichen Hofe der seinigen gleich? – Ich bitte Euch, sie in meinem Interesse zu gebrauchen.«

»Sprecht, teuerste Gebieterin, wurden Eure Besitzungen von den Barbaren dieser gesetzlosen Zeit erobert? Hat es jemand gewagt, Euch zu beleidigen? Sind Länder und Titel Euer Wunsch? – Meine Macht ist Eure Sklavin.«

»Nein, Kardinal! Für ein Weib, eine Italienerin, gibt es noch etwas Teureres als Reichtum oder hohe Stellung – das ist die Rache!«

Unwillkürlich fuhr der Kardinal vor dem auf ihn gerichteten flammenden Auge zurück, aber der Geist ihrer Worte berührte eine verwandte Saite in ihm.

»Hier,« sagte er nach einigem Zögern, »hier sprach hohe Abkunft. Rache ist die Wonne der Hochgeborenen. Sklaven und Bauern mögen eine Beleidigung verzeihen. Sprecht, gnädige Frau.«

»Habt Ihr die neuesten Nachrichten aus Rom gehört?« fragte die Signora.

»Gewiß,« versetzte der Kardinal, etwas überrascht; »wir wären armselige Staatsmänner, wenn wir nicht von dem Zustande der Hauptstadt der päpstlichen Besitzungen unterrichtet wären; mein Herz trauert um diese unglückliche Stadt. Aber weshalb fragt Ihr mich über Rom? – Ihr seid –«

»Eine Römerin! Wißt, mein Herr, daß ich nicht ohne Grund mich für eine Neapolitanerin ausgab. Eurer Verschwiegenheit vertraue ich mein Geheimnis an – ich bin aus Rom! Erzählt mir von seinem Zustande!«

»Meine Schönste,« versetzte der Kardinal, »ich hätte erkennen sollen, daß diese Stirn und diese Haltung nicht aus dem leichten Campanien stammen können. Meine Vernunft hätte mir sagen sollen, daß sie den Stempel der Beherrscherin der Welt tragen. Der Zustand Roms,« fuhr Albornoz in ernsterem Tone fort, »ist bald berichtet. Ihr wißt, daß nach dem Falle des fähigen, aber übermütigen Rienzi, Pepin, Graf von Minorbino (eine Kreatur Montreals), der ihn vertreiben half, Rom an Montreal verraten wollte – aber er war weder stark noch klug genug dazu, und die Barone verjagten ihn, wie er den Tribunen verjagt. Nach einiger Zeit wurde ein neuer Demagoge, Johann Cerroni, auf dem Kapitol eingesetzt. Er vertrieb die Barone noch einmal; neue Umwälzungen folgten – die Barone wurden zurückgerufen. Der schwache Nachfolger Rienzis rief das Volk zu den Waffen – vergebens; in Verzweiflung und Schrecken legte er seine Gewalt nieder und überließ die Stadt den endlosen Fehden der Orsini, der Colonna und der Savelli zum Raube.«

»Das weiß ich längst, mein Herr; als aber Seine Heiligkeit auf den Stuhl Clemens' VI. gelangte – –«

»Dann,« sagte Albornoz, und eine leichte Wolke beschattete seine gelbe Stirn, »dann kam der bedauernswertere Teil der Geschichte. In Uebereinstimmung mit dem Papst wurden zwei Senatoren gewählt.«

»Ihre Namen?«

»Bertoldo Orsini und ein Colonna. Wenige Wochen später reizte der hohe Preis der Lebensmittel die schuftigen Magen des Pöbels auf – sie erhoben sich, sie schrien, sie bewaffneten sich, sie belagerten das Kapitol – –«

»Gut, gut,« rief die Signora mit gefalteten Händen und verriet in jedem Zuge, wie sehr der Bericht sie interessierte.

»Nur unter einer schimpflichen Verkleidung entging Colonna dem Tode; Bertoldo Orsini wurde gesteinigt.«

»Gesteinigt! – da fiel einer!«

»Ja, gnädige Frau, einer aus dem großen Hause, dessen unbedeutendster Blutstropfen einen Ozean von plebejischem Spülicht wert war. Jetzt herrscht in Rom nur Unordnung, Verwirrung und Gesetzlosigkeit. Die Kämpfe des Adels erschüttern die Stadt in ihren Grundfesten; Fürst und Volk ermüdet von so vielen Versuchen, eine Regierung einzusetzen, haben jetzt keinen Regenten, als die Furcht vor dem Schwert. Dies, schöne Frau, ist der Zustand Roms. Seufzt nicht, wir sinnen jetzt auf Abhilfe. Es soll dem Unfug gesteuert werden, und ich, Madame, bin vielleicht das glückliche Werkzeug, das den Frieden in Eurer Vaterstadt wiederherstellt.«

»Es gibt nur ein Mittel, den Frieden in Rom wiederherzustellen,« antwortete die Signora rasch, »und das ist – die Wiedereinsetzung Rienzis!«

Der Kardinal fuhr auf. »Madame,« sagte er, »höre ich recht? – seid Ihr nicht edel geboren? – könnt Ihr die Erhebung eines Plebejers wünschen? Spracht Ihr nicht von Rache, und jetzt bittet Ihr um Gnade?«

»Herr Kardinal,« sagte die schöne Signora ernsthaft, »ich bitte nicht um Gnade; ein solches Wort schickt sich nicht für Lippen, welche Gerechtigkeit verlangen. Edel geboren bin ich – ja, und von einem Geschlecht, gegen dessen alte Abstammung von den Patriziern des alten Roms sogar die erhabene Linie von Aragon von gestern her ist. Nein, ich wollte Eure Eminenz nicht beleidigen; Eure Größe ist nicht von Stammbäumen und Grabsteinen entlehnt – sie ist Euer eigenes Werk; wolltet Ihr aufrichtig sprechen, mein Herr, so würdet Ihr gestehen, daß Ihr nur auf Eure eigenen Lorbeeren stolz seid und in Eurem Herzen die dünkelhaften Toren verlacht, die sich mit dem modernden Schmuck der Toten brüsten!«

»Muse! Prophetin! Ihr sprecht Wahrheit,« sagte der stolze Kardinal mit ungewöhnlicher Wärme; »und Eure Stimme ist wie die des Ruhmes, von dem ich in meiner Jugend träumte. Sprecht, sprecht weiter!«

»Eurem Stolze gleich,« fuhr die Signora fort, »ist der gerechte Stolz Rienzis. Er ist stolz, daß er der Schöpfer seiner eigenen Berühmtheit ist. In Männern, wie der Tribun von Rom, erkennen wir die Gründer edler Geschlechter an. Die Ahnen machen nicht sie – sie machen die Ahnen. Genug hiervon. Ich stamme allerdings aus einem edlen Hause; aber, wie viele andere, ist auch mein Haus unter dem Joche der Orsini und Colonna zusammengesunken und gebrochen – gegen diese verlange ich Rache. Aber ich bin mehr als eine Italienerin – ich bin eine Römerin – ich weine blutige Tränen über die Zerrüttungen in meiner unglücklichen Vaterstadt. Ich trauere, daß selbst Ihr, mein Herr – ja, daß ein Barbar, wie ausgezeichnet und groß er immer sei, um Rom trauern soll, dessen Glück ich wiederherzustellen wünsche.«

»Rienzi aber würde nur sein eigenes wiederherstellen.«

»Nicht doch, mein Herr Kardinal; nicht doch. Eitel, ehrgeizig, stolz mag er sein – große Seelen sind das – aber nie hat er einen Wunsch gehegt, welcher der Wohlfahrt Roms zuwidergelaufen wäre. Aber setzt jeden Gedanken an sein Interesse beiseite – nicht von diesem spreche ich jetzt. Ihr wünscht die päpstliche Gewalt in Rom wiederherzustellen. Eure Senatoren haben es nicht vermocht. Demagogen haben es vergebens versucht – Rienzi allein kann es; er allein kann die wilden Leidenschaften der Barone zügeln – er allein kann den launenhaften, veränderlichen Pöbel beherrschen. Setzt Rienzi in Freiheit, setzt ihn in seine Macht wieder ein, und durch Rienzi gewinnt der Papst Rom wieder!«

Der Kardinal gab einige Augenblicke keine Antwort. Wie in einen Traum versunken, saß er bewegungslos da, die Hand vor das Gesicht haltend. Vielleicht gab er im stillen zu, daß in den Einflüsterungen der Signora eine klügere Politik liege, als er offen gestehen wollte. Endlich erhob er die Hand von der Brust, heftete seine Augen auf das aufmerksame Antlitz der Signora und sagte mit einem erzwungenen Lächeln: »Verzeiht mir, Madame, aber während wir die Politiker spielen, vergessen wir nicht, daß ich Euer Anbeter bin! Scharfsinnig mögen Eure Ratschläge sein, aber warum legt Ihr solchen Nachdruck darauf? Woher diese ängstliche Teilnahme an Rienzi? Wenn durch seine Freilassung die Kirche auch einen Verbündeten gewinnt, bin ich sicher, daß Giles von Albornoz kein Nebenbuhler in ihm ersteht?«

»Mein Herr,« sagte die Signora, sich halb erhebend, »Ihr seid mein Anbeter; aber Eure Stellung führt mich nicht in Versuchung – Euer Gold kann mich nicht erkaufen. Wenn Ihr mich liebt, so habe ich ein Recht, über Eure Dienste zu gebieten, zu welchem Zwecke ich ihrer bedarf – dies ist das Gesetz des Rittertums. Wenn ich je den Bewerbungen eines sterblichen Liebhabers Gehör gebe, so muß es der Mann sein, der meinem Vaterlande seinen Helden, seinen Retter wiedergibt.«

»Schöne Patriotin,« sagte der Kardinal, »Eure Worte ermutigen meine Hoffnung, aber sie entkräften meinen Ehrgeiz; denn gern möchte ich, daß Liebe, nicht Dienste, mir allein den Schatz verschaffte, nach welchem ich verlange. Aber hört mich, liebliche Dame, Ihr überschätzt meine Macht; ich kann Rienzi nicht befreien – er ist als Aufrührer angeklagt, er ist als Ketzer exkommuniziert. Seine Freisprechung beruht auf ihm.«

»Ihr könnt seine Untersuchung bewirken?«

»Vielleicht, gnädige Frau.«

»Das hieße seine Freisprechung. Und eine Privataudienz bei Seiner Heiligkeit?«

»Ohne Zweifel.«

»Das hieße seine Wiedereinsetzung! Das wäre alles, was ich verlange!«

»Und dann, holde Römerin, ist es an mir zu bitten,« sagte der Kardinal leidenschaftlich, ließ sich auf ein Knie nieder und ergriff die Hand der Signora. Einen Augenblick fühlte die stolze Dame, daß sie ein Weib war – sie errötete, sie zitterte; aber nicht (hätte der Kardinal in ihrem Herzen lesen können) aus Leidenschaft oder Schwäche – sondern aus Schrecken und Scham. Ohne Widerstand überließ sie dem Kardinal ihre Hand, der sie mit Küssen bedeckte.

»Hierdurch begeistert,« sagte Albornoz, indem er aufstand, »will ich nicht am Erfolge zweifeln. Morgen warte ich Euch wieder auf.«

Er drückte ihre Hand an sein Herz – die Dame fühlte es nicht. Er seufzte sein Lebewohl – sie hörte es nicht. Zögernd blickte er sie an und entfernte sich langsam. Aber es dauerte einige Augenblicke, bevor die Signora wieder zu sich kam und bemerkte, daß sie allein war.

»Allein!« sagte sie halblaut und mit heftigem Nachdruck – »allein! Ach, was habe ich unternommen – was habe ich gesagt! Untreu, auch nur in Gedanken ihm! O, niemals! niemals! Ich, die ich den Kuß seiner heiligen Lippen fühlte – die ich an seinem königlichen Herzen schlief – ich! – heilige Mutter schütze und kräftige mich!« fuhr sie bitterlich weinend fort, sank auf die Knie nieder und blieb einige Augenblicke im Gebet vertieft. Dann stand sie beruhigt, aber tödlich blaß auf und trat, während ihr schwere Tränen über die Wangen rollten, langsam zum Fenster, öffnete es und beugte sich hinaus; die Abendluft spielte sanft um ihre Schläfe, sie kühlte und linderte das innen tobende Fieber. Dunkel und gewaltig erhob sich vor ihr der Turm mit seinem düsteren Schatten, in welchem Rienzi als Gefangener und Verbrecher schmachtete; sie blickte ihn lange nachdenklich an, wandte sich dann hinweg und zog aus den Falten ihres Gewandes einen kleinen, scharfen Dolch. »Ihn will ich für den Ruhm retten!« murmelte sie; »und dieser soll mich vor der Entehrung retten!«

Drittes Kapitel.
Heilige Männer – Scharfsinnige Beratungen – Gerechte Beschlüsse – Und zu dem allen schmutzige Beweggründe.

So verliebt der kriegerische Kardinal von Spanien in die Schönheit und beinahe ebenso in den erhabenen Geist der Signora Cäsarini sein mochte, war doch die Liebe bei ihm nicht so sehr herrschende Leidenschaft, als der nach völligem Gelingen seiner unruhigen Lebenspläne strebende Ehrgeiz, der bisher seinen Charakter beseelt, seine Laufbahn bezeichnet hatte. Er dachte, als er die Signora verlassen, über ihren Wunsch hinsichtlich der Wiedereinsetzung des römischen Tribunen nach, und sein erfahrener, tiefer Verstand durchlief schnell die möglichen Vorteile, welche für seine eigenen politischen Absichten aus dieser Wiedereinsetzung entspringen könnten. Wir haben bereits gesehen, daß der neue Papst einen Versuch zur Wiedererlangung seiner Erbländereien beabsichtigte. Zu diesem Zwecke stand schon eine militärische Macht in Bereitschaft, und der Kardinal war schon insgeheim zum Befehlshaber derselben ernannt. Aber diese Macht stand in durchaus keinem Verhältnisse zu dem Unternehmen, und Albornoz rechnete stark darauf, daß die moralische Kraft der Sache noch viele Rekruten während seines Zuges durch die italienischen Staaten seiner Fahne zuführen werde. Die wunderbare Erhebung Rienzis hatte unter allen freien Volksstämmen Italiens eine außerordentliche Begeisterung zu seinen Gunsten erweckt. Und noch mehr war diese durch die einflußreiche Beredsamkeit Petrarcas entzündet und entflammt worden, der zu jener Zeit eine größere Gewalt ausübte, als dies je, vor oder nach ihm (selbst den Weisen von Ferney nicht ausgenommen) bei einem einzelnen Gelehrten der Fall gewesen war, und der sein ganzes Genie zugunsten des römischen Tribunen ins Feld geführt hatte. Ein Gefährte, wie Rienzi, in dem Lager des Kardinals konnte ein lockender Magnet für Italiens unternehmende Jugend werden. Näherte man sich Rom, so konnte er ja selbst beurteilen, inwieweit es rätlich erscheinen würde, Rienzi als päpstlichen Bevollmächtigten wieder einzusetzen. Und inzwischen konnte der Einfluß des Römers sehr vonnöten sein, um entweder den rebellischen Adel zu schrecken oder das hartnäckige Volk zu versöhnen. Andererseits war der Kardinal schlau genug, um einzusehen, daß aus der gegenwärtigen Einkerkerung Rienzis unmöglich etwas Gutes entstehen könne. Mit jedem Monat erregte er tiefere und allgemeinere Teilnahme. Zu seinem einsamen Kerker wandte sich die Hälfte aller Herzen des republikanischen Italiens. Die Literatur hatte ihre neue und plötzliche, und daher mächtige, ja sogar unverhältnismäßige Gewalt für seine Sache in die Wagschale gelegt, und der Papst, der es nicht wagte, ihn zu richten, lud die Gehässigkeit auf sich, sein Kerkermeister zu sein. »Ein beim Volke beliebter Gefangener,« sagte der scharfsinnige Kardinal zu sich selbst, »ist der gefährlichste Gast. Setzt ihn wieder ein, damit er euch diene, oder vernichtet ihn als euren Feind! Im vorliegenden Falle sehe ich keine andere Wahl als Freilassung oder den Dolch!« In solchen Betrachtungen trennte der tief in den Macchiavellismus seiner Zeit eingeweihte, geschickte Rechner den Geliebten gänzlich von dem Staatsmanne.

Als er sich jetzt aber wieder in die Rolle des ersteren zurückversetzte, fühlte er gewisse, unangenehme, unbehagliche Ahnungen hinsichtlich der regen Anteilnahme seiner Geliebten. Gern hätte er die Besorgnis der Cäsarini phantastischer Vaterlandsliebe oder irgend einem Racheplane zugeschrieben, und es lag vieles in ihrem ernsten, stolzen Charakter, was diesen Glauben begünstigte. Aber er konnte nicht umhin, sich die eifersüchtige Vermutung eines geheimen, unwillkommenen Beweggrundes einzugestehen, die seine Eitelkeit berührte und seine Liebe beunruhigte. »Wie dem auch sei,« dachte er, als er die unangenehme Besorgnis verscheuchte, »ich kann ihre eigenen Waffen gegen sie gebrauchen; ich kann die Freilassung Rienzis bewirken und meine Belohnung fordern. Wird mir diese verweigert, so kann die Hand, welche den Kerker öffnete, auch die Kette wieder schmieden. Ihre ängstlichen Besorgnisse geben sie in meine Macht!«

Solche Gedanken beschäftigten den Kardinal noch in seinem Palast, als er plötzlich zum Papst berufen wurde.

Der päpstliche Palast zeigte nicht mehr die kostbare, obwohl anmutige Pracht Clemens' VI., und der sarkastische Kardinal lächelte bei sich selbst über die trübselige Ruhe in den Vorzimmern. »Er glaubt ein Beispiel aufzustellen – dieser arme Limousiner!« dachte Albornoz, »und hat nur die Kränkung, daß er von dem ärmsten Bischof verdunkelt wird. Er erniedrigt sich selbst und bildet sich ein, diese Selbsterniedrigung werde ansteckend sein.«

Seine Heiligkeit saß vor einem kleinen, rauhen, mit Papieren bedeckten Tisch, das Gesicht in die Hände begraben; das Zimmer war einfach eingerichtet, und in einer kleinen Nische neben dem Fenster stand ein elfenbeinernes Kruzifix, darunter lagen der Schädel und die gekreuzten Knochen, welche damals die meisten Mönche etwa im ähnlichen Sinne aufstellten, den die Alten sich bei diesen Zierarten dachten – als eine Erinnerung an die Kürze des Lebens und deshalb eine Ermahnung, dasselbe auf das beste zu nützen! Auf dem Boden lag eine Karte des päpstlichen Gebietes, worauf besonders die Festungen deutlich und in die Augen fallend bezeichnet waren. Der Papst erhob, als der Kardinal gemeldet wurde, leicht den Kopf und zeigte ein einfaches, aber gefühlvolles und gewissermaßen einnehmendes Antlitz. »Mein Sohn!« sagte er mit freundlicher Artigkeit nach der demütigen Begrüßung des stolzen Spaniers, »kaum wirst du nach unserer langen Unterredung heute morgen gedacht haben, daß neue Sorgen so bald den Beistand deines Rates nötig machen würden. Wahrlich, der Dornenkranz sticht scharf unter der dreifachen Krone, und ich sehne mich bisweilen nach der behaglichen Ruhe meines alten Lehrstuhles zu Toulouse: mein Beruf ist mit Mühen und Arbeiten überladen.«

»Gott sänftigt den Wind für das geschorene Lamm,« versetzte der Kardinal mit frommem, mitleidigem Ernst.

Innocenz konnte sich kaum eines Lächelns erwehren, als er antwortete: »Das Lamm, welches das Kreuz trägt, muß die Stärke eines Löwen haben. Seit wir uns trennten, mein Sohn, habe ich schlimme Botschaft erhalten; unsere Eilboten sind von der Campagna angekommen – die Heiden wüten rasend – die Macht Johann di Vicos hat sich fürchterlich vermehrt, und der gefürchtetste Abenteurer Europas hat sich unter sein Banner gestellt.«

»Sprechen Eure Heiligkeit von Fra Moreale, dem Johanniterritter?« fragte der Kardinal ängstlich.

»Von keinem weniger bedeutenden Krieger,« versetzte der Papst. »Ich fürchte den ungeheuren Ehrgeiz dieses wilden Abenteurers.«

»Eure Heiligkeit haben Ursache dazu,« sagte der Kardinal trocken.

»Einige seiner Briefe sind in die Hände der Diener der Kirche gefallen; hier sind sie – lies sie, mein Sohn!«

Albornoz nahm die Briefe und durchlas sie bedächtig; dann legte er sie wieder auf den Tisch und blieb einige Augenblicke schweigend und in Gedanken vertieft stehen.

»Was denkst du, mein Sohn?« sagte der Papst endlich in ungeduldigem Tone.

»Ich denke, daß bei Montreals hitzigem Geiste und Johann di Vicos kaltblütiger Schändlichkeit Eure Heiligkeit noch erleben können, daß Sie, wenn nicht die Ruhe, so doch wenigstens die Einkünfte des Lehrstuhls beneiden.«

»Wie, Kardinal!« sagte der Papst hitzig und mit einer ärgerlichen Röte auf seiner blassen Stirn. Der Kardinal fuhr ruhig fort:

»Nach diesen Briefen scheint Montreal an alle Anführer von Freilanzen in ganz Italien geschrieben und ihnen den höchsten Sold für jeden Mann, der unter seine Fahne tritt, wie auch die reichste Beute eines Plünderers versprochen zu haben. Er brütet demnach über großen Entwürfen! Ich kenne den Mann!«

»Gut – und unser Verfahren?«

»Ist einfach,« sagte der Kardinal stolz und mit einem Blick, aus dem kriegerisches Feuer blitzte. »Kein Augenblick darf verloren gehen. Dein Sohn muß sofort zu Felde ziehen. Pflanzen wir das Banner der Kirche auf!«

»Aber sind wir stark genug? unsere Zahl ist gering, der Eifer erschlafft! Die Frömmigkeit der Balduine kennt man in unseren Tagen nicht mehr!«

»Eure Heiligkeit wissen wohl,« sagte der Kardinal, »daß es für den großen Haufen zwei Losungsworte zum Kriege gibt – Freiheit und Religion. Wenn die Religion versagt, müssen wir das unwürdigere Wort gebrauchen: ›Auf mit dem Banner der Kirche – und nieder mit den Tyrannen!‹ Wir proklamieren gleiche Gesetze und freie Regierung, und mit Gottes Willen wird unser Lager unter diesen Verheißungen besser wachsen als Montreals Zelte mit dem gemeinen Geschrei: ›Sold und Beute!‹«

»Giles von Albornoz,« sagte der Papst mit Nachdruck und setzte, erwärmt durch den Geist des Kardinals, die übliche Redeweise hintan, »ich vertraue Euch unbedingt. Jetzt die rechte Hand der Kirche, später – vielleicht ihr Haupt. Zu gut fühle ich, daß das Los auf einen Unwürdigen gefallen ist. Mein Nachfolger muß meine Unvollkommenheit ersetzen.«

Kein Wechsel der Farbe, keine leuchtenden Blicke verrieten dem forschenden Auge des Papstes die Bewegung, welche diese Worte in der Brust des ehrgeizigen Kardinals erweckt hatten. Er neigte sein stolzes Haupt tief, als er antwortete:

»Gebe der Himmel, daß Innocenz VI. lange leben möge, um die Kirche zum Ruhme zu führen. Für Giles von Albornoz, der weniger Priester ist als Soldat, bietet der Lärm des Lagers, das Wiehern des Schlachtrosses die einzigen lockenden Aussichten dar, denen er jemals nachzuhängen wagt. Haben aber Eure Heiligkeit ihrem Diener alles mitgeteilt, was – –«

»Nein,« unterbrach ihn Innocenz, »ich habe noch eine andere, ebenso unheilvolle Nachricht. Dieser Johann di Vico – die Pest über ihn – der sich (der exkommunizierte Schurke!) noch immer Präfekt von Rom nennt, hat diese unglückliche Stadt so mit seinen Emissären angefüllt, daß wir nächstens den Sitz des Apostels verloren haben werden. Rom, lange in Anarchie, scheint jetzt in offenem Aufstande zu sein. Die Adeligen – die Söhne Belials! – sind wieder gedemütigt, das ist wahr; aber wie? – Ein gewisser Baroncelli, ein neuer Demagoge, der trotzigste – der blutdürstigste, dem je der böse Feind beistand – hat sich erhoben – wurde vom Pöbel mit Macht bekleidet, und gebraucht sie, um das Volk zu schlachten und dem Papste Hohn zu sprechen. Der Verbrechen dieses Mannes müde (die nicht einmal durch das Talent geziert sind), ruft das Volk Tag und Nacht durch die Straßen nach Rienzi, dem Tribunen

»Ha!« sagte der Kardinal, »so sind also Rienzis Fehler in Rom vergessen, und man fühlt in dieser Stadt dieselbe Begeisterung für ihn wie in dem übrigen Italien?«

»So ist es leider.«

»Es ist gut, ich habe daran gedacht. Rienzi kann mich auf meinem Zuge begleiten – –«

»Mein Sohn! Der Rebell, der Ketzer – –«

»Wird durch die Absolution Eurer Heiligkeit ein ruhiger Untertan und rechtgläubiger Katholik,« sagte Albornoz. »Die Menschen sind gut oder schlecht, wie sie für unsere Zwecke taugen. Was liegt an einer Tugend, die nutzlos, was an einem Verbrechen, das nützlich ist? Das Heer der Kirche zieht gegen Tyrannen zu Felde – es verheißt den päpstlichen Städten überall Wiederherstellung ihrer volkstümlichen Verfassungen. Sieht Eure Heiligkeit nicht, daß die Freisprechung Rienzis, des Lieblings des Volkes, als ein Beweis Eurer Aufrichtigkeit begrüßt werden wird? – Sieht Eure Heiligkeit nicht, daß der große Demagoge Rienzi gebraucht werden muß, um den kleinen Demagogen Baroncelli zu verdunkeln? Wir müssen die Römer wiedergewinnen, entweder in der Stadt selbst oder in den sieben Städten Johann di Vicos. Wenn sie hören, Rienzi sei in unserem Lager, so werden eine Menge Ueberläufer von den Tyrannen zu uns kommen – glaubt mir, wir werden nichts mehr von Baroncelli hören.«

»Immer scharfsehend,« sagte der Papst nachdenklich; »es ist wahr, wir können diesen Mann gebrauchen – aber mit Vorsicht. Sein Geist ist zu fürchten – –«

»Und muß deshalb versöhnt werden; wenn wir ihn freisprechen, müssen wir ihn zum Unserigen machen. Meine Erfahrung hat mich dies gelehrt: wenn man einen Demagogen nicht durch das Gesetz erwürgen kann, so erstickte man ihn mit Ehrenbezeugungen. Er darf nicht mehr Volkstribun bleiben. Gebt ihm den patrizischen Titel Senator, so ist er dann der Statthalter des Papstes!«

»Ich will dies überlegen, mein Sohn – deine Vorschläge gefallen mir, aber sie erschrecken mich; seine Angelegenheit soll wenigstens untersucht werden; – wird er aber als Ketzer erkannt – –«

»Sollte man, ist mein bescheidener Rat, ihn für einen Heiligen erklären.«

Der Papst runzelte einen Augenblick die Stirn, aber die Anstrengung war zu groß für ihn, und nach einem kurzen Kampfe lachte er laut auf.

»Geh, mein Sohn,« sagte er und tätschelte den Kardinal liebreich auf die gelbe Wange. Geh! – Wenn die Welt dich hörte, was würde sie sagen?«

»Daß Giles von Albornoz Religion genug habe, um sich zu erinnern, daß der Staat eine Kirche ist, aber nicht zu viel, um zu vergessen, daß die Kirche ein Staat ist.«

Mit diesen Worten endete die Besprechung. Noch an diesem Abend befahl der Papst, daß dem Rienzi die verlangte Untersuchung bewilligt werden solle.

Viertes Kapitel.
Die Gebieterin und der Page.

Es fehlten noch drei Stunden zu Mitternacht, als Albornoz, seine Rolle als Liebhaber aufnehmend, an die Signora Cäsarini folgendes Billett absandte:

Eure Befehle sind vollzogen. Rienzi wird über seinen Glauben verhört werden. Es wäre gut, wenn er darauf vorbereitet würde. Vielleicht stimmt es mit Eurer Absicht, über die ich nur so unvollständig berichtet bin, überein, daß Ihr dem Gefangenen als das erscheint, was Ihr wirklich seid – diejenige, welche diese Gnade ausgewirkt? Seht, wie unbedingt ein edles Herz einem anderen vertrauen kann! Durch den Ueberbringer sende ich Euch einen Befehl, der einem Eurer Diener Zutritt zu dem Gewahrsam des Gefangenen verschaffen wird. Laßt es, wenn es Euch gefällt, Eure Aufgabe sein, ihn von dieser neuen Wendung seines Schicksals zu benachrichtigen. Ach, Madame, möge das Glück mir ebenso günstig sein und mir dieselbe Fürsprache gewähren – von Euren Lippen kommt mein Urteilsspruch.

Als Albornoz diesen Brief geschlossen, berief er seinen vertrauten Diener, einen spanischen Edelmann, der in seiner adeligen Geburt nichts sah, was ihn von Vollziehung der verschiedenen Aufträge des Kardinals hätte abhalten sollen.

»Alvarez,« sagte er, »dies der Signora Cäsarini durch eine andere Hand; du bist in ihrem Hause nicht bekannt. Begib dich in das Staatsgefängnis; dies Schreiben an den Befehlshaber verschafft dir Zutritt. Beobachte, wer zu dem Gefangenen Cola di Rienzi zugelassen wird! Suche seinen Namen zu erfahren; frage ihn, woher er kommt. Sei dreist, Alvarez. Suche zu erfahren, aus welchem Grunde die Cäsarini an dem Schicksal des Gefangenen Anteil nimmt. Alles was sie betrifft, Geburt, Vermögen, Abstammung, wäre mir willkommene Botschaft. Du verstehst mich? Es ist gut. Noch eine Vorsicht: du hast keinen Auftrag von mir, stehst nicht mit mir in Verbindung. Du bist ein Beamter des Gefängnisses oder des Papstes, wie du willst. Gib mir den Rosenkranz, zünde die Lampe vor dem Kruzifix an, lege jenes härene Hemd unter jene Waffen. Es soll den Anschein haben, als beabsichtigte ich, es zu verstecken. Sage Gomez, daß der Dominikanerprediger eingelassen werden soll.«

»Diese Mönche haben Eifer,« sprach der Kardinal zu sich selbst, als Alvarez nach Vollziehung seiner Befehle sich entfernte. »Sie würden einen Menschen verbrennen – aber nur gestützt auf die Bibel! Sie sind es wert, daß man sich mit ihnen gut stellt, wenn die dreifache Krone wert ist, daß man nach ihr trachtet; wäre sie mein, ich wollte eine Adlerfeder hinzufügen.«

In die Hoffnungen auf die Zukunft versunken, vergaß der kühne Mann sogar den Gegenstand seiner Leidenschaft. Im wirklichen Leben lieben in einem gewissen Alter ehrgeizige Männer tatsächlich; aber es ist nur wie ein Zwischenspiel. Und in der Tat hat bei den meisten Männern das Leben anziehendere, wenn auch nicht häufigere Interessen als die der Liebe. Liebe ist das Geschäft der Müßigen, aber der Müßiggang der Geschäftigen.

Die Cäsarini war allein, als der Bote des Kardinals erschien, und sobald er mit einigen Zeilen entlassen war, die eine Dankbarkeit ausdrückten, welche alle Rücksichten hintanzusetzen schien, mit denen die Kälte der Dame gewöhnlich ihren Stolz umgab, wurde der Page Angelo zu ihr gerufen.

Das Zimmer war durch die Schatten der einbrechenden Nacht verdunkelt, als der Jüngling eintrat, und er konnte nur undeutlich die Umrisse der majestätischen Gestalt seiner Gebieterin unterscheiden; aber an dem Tone ihrer Stimme merkte er, daß sie sehr aufgeregt war.

»Angelo,« sagte sie, als er näher trat, »Angelo –« und die Stimme versagte ihr. Sie schwieg, um Atem zu holen, und fuhr dann wieder fort: »Du allein hast uns treu gedient; du allein teilst unsere Flucht, unsere Wanderungen, unsere Verbannung – du allein kennst mein Geheimnis – du allein von meinem Gefolge bist ein Römer! – Römer! es war einst ein großer Name. Angelo, der Name ist gesunken; aber nur, weil der Charakter des römischen Volkes zuerst sank. Stolz sind sie, aber unbeständig; hitzig, aber feig; eilig in Versprechungen, aber wortbrüchig. Du bist ein Römer, und obwohl ich deine Treue erprobt habe, flößt mir schon deine Geburt Furcht vor Falschheit ein.«

»Madame,« sagte der Page, »ich war nur ein Kind, als Ihr mich in Eure Dienste nahmt, und jetzt stehe ich erst an der Schwelle des Mannesalters. Aber obgleich ich noch ein Knabe bin, wollte ich doch der tapfersten Lanze eines Ritters oder Freibeuters mutig entgegentreten, wenn es gälte, die Treue Angelo Villanis gegen seine Gebieterin und sein Vaterland zu behaupten.«

»Leider! leider!« sagte die Signora bitter, »waren das die Worte von Tausenden deines Volkes. Was waren ihre Taten? Aber ich will dir vertrauen, wie ich dir stets vertraute. Ich weiß, daß du nach Ehren strebst, daß du den geziemenden, stolzen Ehrgeiz der Jugend besitzest.«

»Ich bin eine Waise und Bastard,« sagte Angelo offen. »Die Verhältnisse treiben mich mächtig zur Tat; ich möchte mir selbst einen Namen erringen.«

»Das sollst du,« sagte die Signora, »es wird noch eine Zeit kommen, wo wir dir lohnen können. Und jetzt sei flink. Bringe einen deiner Pagenanzüge, Mantel und Kopfbedeckung her. Rasch, sage ich, und laß gegen keine Seele verlauten, was ich von dir verlangte.«

Fünftes Kapitel.
Der Bewohner des Turmes.

Die Nacht rückte langsam vor, und in dem obersten Zimmer des finsteren, unfreundlichen Turmes, der den Fenstern des Palastes der Cäsarini gegenüberstand, saß ein einsamer Gefangener. Eine einzige Lampe brannte vor ihm auf einem steinernen Tische und warf ihre Strahlen auf eine aufgeschlagene Bibel – und jene ersten, aber phantastischen Sagen von der Tapferkeit des alten Roms, welche der Genius des Livius in seiner Geschichte der Erwähnung gewürdigt hat. Eine Kette hing vom Gewölbe des Turmes herunter und fesselte den Gefangenen, doch so, daß er den größeren Teil der Zelle nach Belieben durchschreiten konnte. Grün und feucht waren die mächtigen Steine an den Wänden, und durch eine enge Oeffnung, viel zu hoch, um sie zu erreichen, kam das Mondlicht herein und fiel in langen Schatten über den rauhen Boden. Ein Bett in einer Ecke war der übrige Inhalt des Zimmers. Dies war seit Monaten die Wohnung des Mannes, der die stolzesten Barone besiegt, des üppigen Diktators der herrlichsten Stadt der Welt!

Sorgen, Reisen, Zeit und Unglück machten sich an Rienzis Aeußerem bemerkbar. Seine Körperverhältnisse hatten sich über die gedrungene frühere Mannhaftigkeit ausgedehnt, die durchsichtige Blässe der Wange war mit einem hektischen, trügerischen Rot bedeckt. Selbst in seinen jetzigen Studien, so ernstlich sie ihn zu beschäftigen schienen, und so angemessen die Lektüre seinem bis zum Fanatismus enthusiastischen Geiste sein mochte, vermochten doch seine Augen nicht so fest wie sonst, sich auf die Blätter zu heften. Die Buchstaben hatten ihren Reiz verloren. Alle Augenblicke bewegte er sich unruhig, sprang auf, setzte sich wieder und murmelte abgebrochene Ausrufe, wie ein Mensch in einem bangen Traume. Bald richtete er ungeduldig die Blicke aufwärts, hinter sich, in die Runde, und dann glühte in diesen großen, tiefen Augen ein seltsames, unstetes Feuer, welches demjenigen, der es sah, einen unbestimmten, unerklärlichen Schauer einflößen konnte.

In der Hauptsache hatte Angelo die neueren Abenteuer Rienzis nach seinem Falle richtig erzählt. Dieser hatte sich zuerst mit Nina und Angelo nach Neapel begeben und dort eine trügerische und kurze Gunst bei Ludwig, König von Ungarn, gefunden. Dieser barsche, aber ehrenwerte Fürst hatte sich geweigert, seinen berühmten Gast auf das Verlangen von Clemens auszuliefern, aber offen sein Unvermögen erklärt, ihn sicher zu beschirmen. Während er noch immer geheime Verbindungen mit seinen Anhängern in Rom unterhielt, suchte der Flüchtling dann einen Zufluchtsort bei den Eremiten, die sich in die Abgeschiedenheit des Monte Maiella zurückgezogen hatten, wo er, die Zeit ausgenommen, in welcher er nach Florenz und wieder zurückreiste, in Einsamkeit und Nachdenken ein ganzes Jahr zubrachte. Er benutzte das Jubiläum in Rom, hatte, als Pilger verkleidet, die an melancholischen Ruinen der alten Römerzeit noch so reichen Täler und Berge durchwandert, und betrat die Stadt, wo sein ruheloser, ehrgeiziger Geist sich in neue, aber vergebliche Verschwörungen einließ. Zum zweitenmal von dem Kardinal di Ceccano exkommuniziert, und abermals flüchtig, schüttelte er den Staub von seinen Füßen, als er die Stadt verließ, erhob die Hand gegen die Mauern, in welchen noch Spuren von den Tarquiniern zeugen und rief laut: »Geehrt als dein Regent – verfolgt als dein Opfer – Rom, Rom, wirst du mich noch als deinen Eroberer empfangen!«

Immer als Pilger verkleidet, wanderte er unverletzt durch Italien an den Hof des Kaiser Karl von Böhmen, wo er die von dem Pagen, der wahrscheinlich Augenzeuge gewesen war, richtig erzählte Aufnahme fand. Indessen ist zweifelhaft, ob das Benehmen des Kaisers so ritterlich gewesen, wie es aus Angelos Bericht hervorging, oder ob er nicht Rienzi den Abgesandten des Papstes überliefert hat. Soviel ist aber jedenfalls gewiß, daß die Reise des gefallenen Tribunen von Prag bis Avignon einem Triumphzuge glich. Der Verlauf von Jahren – seine seltsamen Abenteuer – sein ungebrochener Geist – die Unordnungen in Rom, sobald seine unwandelbare Gerechtigkeit fehlte – die neue Gewalt, welche die Aufklärung wunderbarerweise täglich über die Gemüter der heranwachsenden Generation gewann – die Beredsamkeit Petrarcas und das gewöhnliche Mitgefühl des großen Haufens für gefallene Größe – alles vereinigte sich, um Rienzi zum Helden des Zeitalters zu machen. Da war keine Stadt, durch die er kam, die nicht, um ihn zu schützen, eine Belagerung ausgehalten hätte – kein Haus, das ihm nicht ein Obdach gewährt – keine Hand, die sich nicht zu seiner Verteidigung bewaffnet hätte. Alle Anerbietungen von Hilfe zurückweisend, jede Gelegenheit zur Flucht verschmähend, begeistert von seiner unbesiegbaren Hoffnung und seinem unerschütterlichen Glauben an den Glanz seines Schicksals, suchte der Tribun Avignon – und fand einen Kerker!

Diese seine äußeren Abenteuer sind kurz und leicht zu erzählen; wer aber vermöchte zu beschreiben, was in seinem Innern vorging? – wer erzählt die fürchterliche Geschichte seines Herzens? – wer schildert den raschen Wechsel von Gefühlen und Gedanken – den zornigen Schmerz – die trübe Niedergeschlagenheit – die erhabene Täuschung, welche die Entschlossenheit der großen Seele trübten, aber nie vernichteten? Wer kann sagen, was er erduldet, was er gedacht haben muß in der Einsiedelei in der Maiella – auf den verlassenen Hügeln des untergegangenen Reiches, von dessen Wiederherstellung er geträumt – an den Höfen barbarischer Könige – und vor allem, als er, verkleidet und unerkannt, in das Gewimmel der christlichen Welt, zu dem Sitze seiner früheren Macht zurückkehrte? Wie vielerlei Erinnerungen, und in welch einem wilden und feurigen Gehirn! Welche Betrachtungen mußten in den Kerkern von Avignon in einem Manne entstehen, der sich auf alles mit der Hitze des Fanatismus gestürzt hatte – vier Leidenschaften, deren jede allein mehr als hinreichend war, die stärkste Vernunft zu zerstören – Leidenschaften, die sich an und für sich sehr schwer vereinigen lassen – der Träumer – der Streber – der von Freiheit und dabei von Macht – von Kenntnissen und dabei von Religion Begeisterte!

»Ja,« murmelte der Gefangene, »ja, diese Sätze sind tröstend – tröstend. Der Gerechte wird nicht immer unterdrückt.« Mit einem langen Seufzer legte er bedächtig die Bibel beiseite, küßte sie mit großer Ehrfurcht, blieb einige Minuten still und nachdenklich und sagte dann, als ein leichtes Geräusch in einer Ecke der Zelle sich hören ließ, freundlich: »Ach, meine Freunde, meine Genossen, die Ratten! es ist ihre Stunde – ich bin froh, daß ich das Brot für sie beiseite legte!« Sein Auge glänzte, als er jetzt sah, wie diese schüchternen, ungeselligen Tiere sich aus einem Loch in der Mauer hervorwagten und über den vom Monde beschienenen Boden furchtlos zu ihm herankamen. Er warf ihnen einige Stückchen Brot hin und beobachtete einige Augenblicke ihre Sprünge mit einem Lächeln. »Manchino, der weißköpfige Schelm! er schlägt alle anderen – ha! ha! er ist vornehmer, als seine Kameraden – er befehligt den Stamm und wird zuerst in die Falle gehen. Wie wird er in den Stahl beißen, der nette Kerl! während die ganze, weniger edle Schar ihn von fern angafft, zittert und sich fürchtet, aber ihm nie zu Hilfe kommt. Doch könnten sie, wenn sie sich vereinigten, die Falle durchnagen und ihren Führer befreien! Ach, ihr seid gemeines Gesindel, und obwohl ihr mein Brot eßt, würdet ihr, sobald der Tod über mich käme und ich eine Leiche wäre, doch an meinem Körper prassen. Fort!« er klatschte in die Hände, die Kette um ihn klirrte heftig und die ekelhaften Mitbewohner seines Kerkers verschwanden in einem Augenblick.

Dieser eigentümliche und exzentrische Humor, den Rienzi besaß und der der törichten Halsstarrigkeit der römischen Edeln als Possenreißerei erschienen war, behauptete noch immer den alten Ausdruck in seinen Zügen, und er lachte laut, als er die scheuen Tiere in ihre Schlupfwinkel zurückeilen sah.

»Ein wenig Lärmen und das Klirren einer Kette – pfui, wie ahmt ihr die Menschen nach!« Er versank wieder in Stillschweigen, zog dann langsam und verdrossen die lebendigen Erzählungen des Livius zu sich und sagte: »Noch eine Stunde bis Mitternacht! – wachende Träume sind besser als Schlaf. Nun, die Geschichte erzählt uns, wie Männer – ja auch wie Völker – nach einem tieferen Falle, als dem Rienzis oder Roms, sich wieder erhoben haben!«

Nach wenigen Minuten war er offenbar in das Lesen vertieft; seine Aufmerksamkeit wurde durch diese Beschäftigung dermaßen gefesselt, daß er die Tritte nicht hörte, welche die zu seiner Zelle führende Wendeltreppe heraufkamen, und erst, als die Schlösser unter dem gewaltigen Schlüssel rasselten und die Tür in ihren Angeln knarrte, erhob Rienzi, erstaunt über die Störung zu einer so ungewohnten Stunde, seine Augen. Die Tür des Kerkers hatte sich wieder geschlossen, und bei dem einsamen, blassen Scheine der Lampe sah er eine Gestalt, die sich, wie um sich zu halten, gegen die Mauer lehnte. Von Kopf bis zu Fuß war die Gestalt in den langen Mantel jener Tage gehüllt, der nebst dem breiten, von Federn überschatteten Hute selbst die Gesichtszüge des Besuchers verbarg.

Lange betrachtete Rienzi den Fremden aufmerksam.

»Sprecht,« sagte er endlich und legte die Hand an die Stirn. »Mich dünkt, entweder hat die lange Einsamkeit mich verwirrt gemacht, oder, hübscher Herr, verblendet mich Eure Erscheinung. Ich kenne Euch nicht – bin ich sicher? –« und Rienzis Haare sträubten sich, während er sich langsam erhob – »bin ich sicher, daß ein lebendes Wesen vor mir steht? Engel sind früher schon in Kerker gedrungen. Ach, nie war der Trost eines Engels nötiger.«

Der Fremde antwortete nicht, aber der Gefangene sah sogar, wie sein Herz unter dem Mantel schlug; lautes Schluchzen erstickte seine Stimme; endlich sprang er, wie mit einer heftigen Anstrengung, vor und sank zu den Füßen des Tribunen nieder. Der entstellende Hut, der lange Mantel fielen zu Boden – das Antlitz eines Weibes blickte durch leidenschaftliche, glänzende Tränen empor – die Arme eines Weibes umschlossen die Knie des Gefangenen! Stumm und regungslos wie ein Stein starrte Rienzi sie an. »Himmlische Mächte und Heilige!« murmelte er endlich, »versucht ihr mich noch ferner! – es ist? – nein, nein – doch sprecht!«

»Geliebter – Angebeteter! – kennst du mich nicht?«

»Sie ist's – sie ist's!« rief Rienzi schwärmerisch, »es ist meine Nina – mein Weib – meine – –« die Stimme versagte ihm. Während sie sich in den Armen lagen, schienen die Unglücklichen einen Augenblick sogar das Gefühl der Wonne über ihrer Wiedervereinigung vergessen zu haben. Es war wie eine bewußtlose, tiefe Verzückung, durch welche etwas wie ein Traum schwach und unbestimmt zum Vorschein kommt.

Als sie endlich zu sich selbst kamen, als sie sich endlich erholten, nachdem die ersten Ausrufe, die ersten stürmischen Liebkosungen der Freude vorüber waren, erhob Nina ihr Haupt von der Brust ihres Gatten und blickte kummervoll in sein Antlitz. – »Ach, was hast du seit unserer Trennung erduldet! was seit der Stunde, wo du, durch dein kühnes Herz und dein wildes Verhängnis getrieben, mich am kaiserlichen Hofe verließest, um das Diadem wieder zu suchen und die Kette zu finden! Ach! warum befolgte ich deine Befehle? warum gab ich zu, daß du allein abreistest? Wie oft während deiner Reise hierher, in Zweifel und in Gefahr, hättest du an diesem Busen ausruhen können, und diese Stimme hätte deiner Seele Trost zugeflüstert? Du bist wohl, mein Geliebter, mein Cola? Dein Puls schlägt schneller als früher – deine Stirn ist gefurcht. Ach! sage mir, daß du wohl bist!«

»Wohl!« sagte Rienzi mechanisch. »Ich glaube, der kranke Geist stumpft alles Gefühl für körperliche Leiden ab. Wohl – ja! Und du – du hast dich wenigstens nicht verändert, nur in deiner Schönheit gereifter, die Glorie des Lorbeerkranzes ist nicht von deiner Stirn gewichen. Du wirst noch –« dann brach er plötzlich ab; »Rom – erzähle mir von Rom! Und du – wie kamst du hierher? Ach, vielleicht ist mein Urteil gefällt und man hat gnädig bewilligt, daß ich dich noch einmal sehe, bevor der Henker mir das Lebenslicht ausbläst. Ich erinnere mich, diese Gnade erzeigt man Missetätern. Als ich Herr über Leben und Tod war, gestattete ich auch dem gemeinsten Verbrecher, denen, die er liebte, Lebewohl zu sagen.«

»Nein – nicht so, Cola!« rief Nina aus und hielt ihre Hand vor seinen Mund. »Ich bringe dir frohere Botschaft. Morgen sollst du verhört werden. Die Gunst des Hofes ist wiedergewonnen. Du wirst freigesprochen werden.«

»Ha! sage es noch einmal.«

»Du wirst verhört werden, mein Cola – du wirst freigesprochen werden.«

»Und Rom wird frei! – Großer Gott, ich danke dir!«

Der Tribun sank auf die Knie, und nie, auch nicht in den frühsten und reinsten Stunden hatte sein Herz heißere, weniger selbstsüchtige Dankgebete ausgeströmt. Als er wieder aufstand, schien er ein ganz veränderter Mann. Sein Auge hatte den alten tiefen und heiteren Herrscherblick wieder angenommen. Majestät thronte auf seiner Stirn. Der Kummer der Verbannung war vergessen. In seinen sanguinischen, blitzschnellen Gedanken stand er wieder als der Beschirmer – als der Fürst seines Vaterlandes da!

Nina blickte ihn mit all der innigen, ergebenen Verehrung an, welche ihre eitleren und härteren Eigenschaften in alle Zärtlichkeit des sanftesten Weibes tauchte. »So,« dachte sie, »war sein Blick vor acht Jahren, als er mein jungfräuliches Zimmer verließ, voll von mächtigen Plänen für die Befreiung Roms – so, wenn er mit Sonnenaufgang unter den kriechenden Baronen und der knienden Bevölkerung der Stadt, die er zu seinem Throne gemacht hatte, sich erhob!«

»Ja, Nina!« sagte Rienzi, als er sich umwandte und ihrem Blicke begegnete. »Meine Seele sagt mir, daß meine Stunde gekommen ist. Wenn meine Untersuchung öffentlich geführt wird, so wagen sie es nicht, mich für schuldig zu erklären – wenn sie mich freisprechen, so können sie nicht anders, als mich wieder einsetzen. Morgen, sagst du, morgen?«

»Morgen, Rienzi; halte dich bereit!«

»Ich bin es – zum Triumphe! Aber, sage mir, welcher glückliche Zufall brachte dich nach Avignon?«

» Zufall, Cola!« sagte Nina mit vorwurfsvoller Zärtlichkeit. »Konnte ich bei dem Gedanken, daß du in den Kerkern des Papstes schmachtest, in sicherer Muße in Prag verweilen? Auch an dem kaiserlichen Hofe hattest du deine Anhänger und Gönner, Gold konnte ich mir leicht verschaffen. Ich begab mich nach Florenz – nahm einen anderen Namen an – und kam hierher, um durch Kunst und List deine Freiheit zu erlangen oder mit dir zu sterben. Ach! sagte dir dein Herz nicht, daß morgens und abends die Augen deiner treuen Nina nach deinem düsteren Turme schauten, und daß eine Freundin, wenn auch eine von geringer Bedeutung, dich nie verlassen könne!«

»Holde Nina! Aber – aber – in Avignon weicht die Macht der Schönheit nicht umsonst. Erinnere dich, daß es noch einen schlimmeren Tod gibt als das Aufhören des Lebens.«

Nina erblaßte. »Fürchte nichts,« sagte sie mit leiser aber bestimmter Stimme, »fürchte nicht, daß menschliche Lippen je sagen könnten, Rienzis Gattin habe ihn befreit. Niemand an diesem verderbten Hofe weiß, daß ich dein Weib bin.«

»Weib,« sagte der Tribun ernst; »dein Mund weicht der Antwort aus, die ich wünschte. In unserer entarteten Zeit und unserem sittenlosen Lande vergißt dein Geschlecht wie das meinige zu leicht, zu welch häßlichem Aussatz der geringste Makel an der Ehre einer Frau wird. Daß dein Herz mich nie kränken wollte, glaube ich; wenn aber deine Schwäche, deine Furcht um mein Leben mich entehrten, so bist du für Rienzi eine ärgere Feindin als die Schwerter der Colonna. Nina sprich!«

»O, daß meine Seele sprechen könnte,« antwortete Nina. »Deine Worte sind Musik für mich, die in jeden meiner Gedanken widerhallen. Könnte ich diese Hand berühren, könnte ich diesem Auge begegnen und nicht wissen, daß der Tod dir lieber ist als Schande? Rienzi, als wir das letztemal in Trauer, aber in Hoffnung schieden, was sagtest du zu mir?«

»Ich erinnere mich dessen wohl,« versetzte der Tribun; »ich verlasse dich, sagte ich, um durch deinen Geist die große Sache am kaiserlichen Hofe rege zu erhalten. Du bist jung und schön – und an Höfen gibt es unsittliche, rohe Bewerber. Ich warne dich nicht, es wäre unter meiner und deiner Würde. Aber ich lasse dir die Macht zu sterben! Und damit, Nina – –«

»Legte zitternd deine Hand diesen Dolch in die meinige. Ich lebe – brauche ich mehr zu sagen?«

»Meine edle, geliebte Nina, es ist genug. Behalte den Dolch noch.«

»Ja, bis wir auf dem Kapitol in Rom uns treffen!«

Man hörte ein leises Pochen an der Tür, Nina nahm schnell ihre Verkleidung wieder an.

»Es ist beinahe Mitternacht,« sagte der Gefangenenwärter, als er erschien.

»Ich komme,« gab ihm Nina zur Antwort.

»Und du mußt deine Gedanken sammeln,« flüsterte sie Rienzi zu, »waffne all deinen glänzenden Geist. Ach! müssen wir uns schon wieder trennen? Wie entsinkt mir der Mut!«

Die Anwesenheit des an der Schwelle stehenden Gefangenenwärters benahm dem Abschied dadurch seine Bitterkeit, daß sie ihn abkürzte. Der vermeintliche Page drückte seine Lippen auf die Hand des Gefangenen und verließ die Zelle.

Der Gefangenenwärter zögerte noch einen Augenblick und legte dann ein Pergament auf den Tisch. Es war die Vorladung des zu der Untersuchung des Tribunen niedergesetzten Gerichtshofes.

Sechstes Kapitel.
Die Witterung trügt nicht – Der Priester und der Soldat.

Als sie die Treppe hinabstieg, begegnete Nina Alvarez.

»Schöner Page,« sagte der Spanier heiter, »dein Name, sagtest du mir, ist Villani? – Angelo Villani – nun, ich kenne deinen Vetter, glaube ich. Seid so gut, junger Herr, tretet in dieses Zimmer und trinkt einen Nachtpokal auf die Gesundheit Eurer Dame; ich hörte gerne Botschaft von meinen alten Freunden.«

»Ein andermal,« antwortete der falsche Angelo und zog den Mantel dichter ins Gesicht; »es ist spät – ich habe Eile.«

»Nein,« sagte der Spanier, »so leicht entkommst du mir nicht,« und faßte den Knaben derb an der Schulter.

»Laßt mich los, Herr!« sagte Nina stolz und beinahe weinend, denn ihre starken Nerven waren jetzt abgespannt. »Gefangenwärter, auf deine Gefahr – öffne das Gatter!«

»So hitzig,« sagte Alvarez, erstaunt über soviel Würde an einem Pagen, »nein, ich wollte dich nicht beleidigen. Darf ich dir morgen meine Aufwartung machen?«

»Ja, morgen,« sagte Nina, begierig, zu entkommen.

»Und inzwischen,« sagte Alvarez, »will ich dich nach Hause begleiten – wir können unterwegs noch reden.«

Mit diesen Worten trat er, ohne auf die Gegenvorstellungen des vermeintlichen Pagen zu achten, mit Nina ins Freie. »Eure Gebieterin,« sagte er gleichgiltig, »ist wunderschön: ihr leisester Wille ist dem vornehmsten Adeligen in Avignon Befehl. Ich glaube, sie ist aus Neapel – ist es so? Bist du stumm – holder Jüngling?«

Der Page antwortete nicht, sondern eilte mit so schnellen Schritten, daß der langsame Spanier beinahe den Atem verlor, über den kleinen Platz zwischen dem Turme und dem Palast der Cäsarini; alle Bemühungen des Alvarez entlockten seinem Begleiter nicht eine Silbe gegen seinen Willen, bis sie an dem Tore des Palastes ankamen und er sich unhöflicherweise zurückgelassen fand.

»Die Pest über den Knaben!« sagte er, sich in die Lippen beißend; »wenn's dem Kardinal ebenso glückt wie seinem Diener, bei der Mutter Gottes, so ist Seine Eminenz ein glücklicher Mann!«

Keineswegs zufrieden in der Aussicht auf eine Unterredung mit Albornoz, der, wie die meisten gewandten Männer, die Fähigkeiten derer, die er zu seinen Diensten verwendete, genau nach dem Erfolg abschätzte, kehrte der Spanier langsam nach Hause zurück. Mit der ihm gestatteten Freiheit trat er etwas barsch in das Zimmer des Kardinals und traf diesen in ernsthaftem Gespräch mit einem Kavalier; dessen aufwärts gebogener Schnurrbart sowie der glänzende Brustharnisch, den er unter seinem Mantel trug, seinen kriegerischen Beruf anzudeuten schienen. Vergnügt über den Aufschub zog sich Alvarez eilig zurück, und in der Tat waren die Gedanken des Kardinals in diesem Augenblick und während dieser Nacht auf andere Gegenstände als Liebe gerichtet.

Die Unterbrechung trug indessen dazu bei, das Gespräch zwischen Albornoz und seinem Gast abzukürzen. Der letztere stand auf.

»Ich denke,« sagte er, sich auf ein kurzes, breites Schwert stützend, das er während der Unterredung beiseite gelegt hatte – »ich denke, mein Herr Kardinal, Ihr ermutigt mich zu dem Gedanken, daß unser Geschäft einem glücklichen Abschlusse entgegensieht. Zehntausend Gulden, so verläßt mein Bruder Viterbo und schleudert den Donnerkeil der Kompagnie auf das Gebiet von Rimini. Von Eurer Seite – –«

»Von meiner Seite wird zugestanden,« sagte der Kardinal, »daß der Herr der Kirche den kriegerischen Unternehmungen Eures Bruders nicht in den Weg tritt – somit ist Friede zwischen uns. Ein Krieger versteht den anderen!«

»Und das Wort von Giles von Albornoz, dem Sohn des königlichen Geschlechtes von Aragon, ist ein Pfand für die Treue des Kardinals,« versetzte der Ritter lächelnd. »In Eurer früheren Eigenschaft habe ich mit Euch verhandelt.«

»Hier ist meine Rechte,« erwiderte Albornoz, zu politisch, als daß er auf die Anspielung geachtet hätte. Der Kavalier führte sie ehrfurchtsvoll an die Lippen und bald hörte man seinen waffenklirrenden Tritt die Treppe hinabgehen.

»Sieg,« rief Albornoz, seine Arme in die Höhe werfend, »Sieg, jetzt bist du mein!«

Mit diesen Worten stand er eilig auf, legte seine Papiere in eine eiserne Kiste, öffnete eine verborgene Tür hinter der Tapete und trat in ein Zimmer, das eher einer Mönchszelle als dem Gemache eines Fürsten glich. Ueber einer gemeinen Pritsche hingen ein Schwert, ein Dolch und ein rohes Bild der heiligen Jungfrau. Ohne Alvarez noch zu berufen, entkleidete sich der Kardinal und war nach wenigen Augenblicken eingeschlafen.

Siebentes Kapitel.
Vaucluse und sein genius loci – Eine alte Bekanntschaft wird erneuert.

Am folgenden Tage sah man den Ritter, welchen unser letztes Kapitel dem Leser vorgeführt, schon früh morgens langsam einen grünen, anmutigen Pfad, einige Meilen von Avignon hinreiten. Endlich befand er sich in einem wilden, romantischen Tale, durch welches jener entzückende Fluß sich windet, dessen Namen die Geschichte Petrarcas eine so liebliche Berühmtheit verschafften. Durch Felsen geschützt und in dieser Gegend durch die lachendsten Ufer sich windend, durch tausend wilde Blumen und Wasserpflanzen geschmückt, strömte die kristallene Sorgia dahin. Weiterhin gewann die Landschaft ein düsteres und unfruchtbares Aussehen. Das Tal schien durch phantastische Felsen von tausenderlei Gestalt eingeengt oder geschlossen, über welche tausend Bächlein herabrauschten und schimmerten. Und gerade, wo die Szenerie am wildesten war, erweiterte sich das Tal plötzlich zu einem schmucken, bebauten Garten, in welchem man unter üppigem Laubwerk ein kleines, niederes Häuschen sah – die Einsiedelei des Ortes. Der Reiter befand sich im Tale von Vaucluse, und vor seinen Augen lagen Garten und Haus Petrarcas! Nachlässig glitt indessen sein Auge über den geheiligten Ort; und unbewußt ruhte es einen Augenblick auf einer einsamen Gestalt, die nachdenklich am Ufer des Flusses saß. Ein großer Hund zur Seite des Mittagsträumers bellte den Reiter an, als er sich näherte. »Ein schönes Tier und schlägt tief an!« dachte der Reisende; ihm schien der Hund von weit größerem Interesse als sein Herr. Und so – wie die Menge kleiner Menschen unbekümmert, ohne auf sie zu achten, an solchen vorübergeht, welche die Nachwelt als die Gefeiertsten ihres Zeitalters anerkennt, wandte der Reiter seinen Blick von dem Dichter ab!

Dreimal gesegneter Name! Unsterblicher Florentiner! Es ist kaum zu erwähnen nötig, daß seine Abstammung, nicht seine wirkliche Geburt uns berechtigt, Petrarca einen Florentiner zu nennen. Nicht vor dem geheiligten Andenken des Liebenden oder des Dichters beuge ich mich, verehre ich dich als ein Wesen, das anders, als dem Namen nach, wie ein Schatten, in diese unwürdigen Blätter einzuführen, Entweihung wäre; sondern insofern du der erste warst, der vor Völkern und Fürsten die heilige Erhabenheit der Wissenschaften behauptete, der für das Genie das Recht beanspruchte, einen Einfluß auf die Staaten auszuüben, die Meinungen zu beherrschen, die Herzen der Menschen zu regieren und durch begeisternde Leidenschaft und leitende Gedanken Ereignisse vorzubereiten! Was (obgleich man es nur schwach empfindet und nur dunkel sieht) – was verdanken wir noch jetzt dir, wenn die Wissenschaft jetzt eine Macht ist; wenn der Geist ein Prophet und ein Fatum ist, welches die künftigen Dinge vorhersagt und bestimmt! Für den Größten wie für den Geringsten von uns, denen die Feder Szepter und Schwert, ist der niedriggeborene Florentiner der Vorgänger gewesen, der den Weg geebnet und den Empfang vorbereitet hat. Ja! der Geringste der Nachkommen – selbst derjenige, welcher jetzt seine Dankbarkeit ausspricht – ist dein ewiger Schuldner! Wie sehr kommt dir die Ehre zu, wenn seine Arbeiten, so gering sie auch sein mögen, ein Publikum finden, wo immer man die Literatur kennt, indem sie in den entferntesten Ländern die Moral vergessener Revolutionen predigen und in Palästen und auf Marktplätzen die Saaten ausstreuen, die zur Frucht reifen sollen, wenn die Hand des Aussäenden Staub, sein Name vielleicht verschollen ist! Denn ach! nur wenige sind es, deren Namen das Grab überleben; aber die Gedanken jedes Schriftstellers werden unsterblich: andere machen sie sich zu eigen, fördern, steigern sie; und Millionen unbekannter Geister, von denen man nie geträumt, sind erforderlich, um einen einzigen unsterblich zu machen!

Betrachtungen nachhängend, die sehr verschieden von den Gedanken waren, welche der Name Petrarcas in einer späteren Zeit erweckt, verfolgte der Kavalier seinen Weg.

Das Tal hatte er längst hinter sich und der Weg wurde immer ungebahnter, bis er in einem Walde aufhörte, durch dessen verschlungene Zweige das spielende Sonnenlicht brach. Zuletzt öffnete sich der Wald auf eine weite Lichtung, auf welcher eine mit den Ruinen einer alten Burg gekrönte Höhe steil emporragte. Der Reisende stieg ab, führte sein Pferd die Anhöhe hinan, erreichte die Ruinen, ließ das Tier in einem der dachlosen, mit dem längsten Grase und einer Menge Gesträuch bewachsenen Zimmer zurück, erstieg dann mit einiger Mühe eine schmale, zerbrochene Treppe und befand sich in einem kleinen, besser erhaltenen Zimmer, dessen Decke und Boden noch ganz waren.

Auf dem Boden ausgestreckt, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt, lag hier in seinen Mantel gewickelt ein Mann von hohem Wuchse und mittlerem Alter. Behend richtete er sich auf einem Arm in die Höhe, als der Kavalier eintrat.

»Nun, Brettone, ich habe die Stunden gezählt – was für Botschaft?«

»Albornoz willigt ein.«

»Frohe Kunde! Du gibst mir neues Leben. Par dieu, ich werde dafür um so besser frühstücken, mein Bruder. Hast du daran gedacht, daß ich hungrig bin?«

Brettone zog unter seinem Mantel eine ansehnliche Weinflasche und einen ziemlich gut gefüllten kleinen Korb hervor; der Bewohner der Ruine machte sich begierig über die Lebensmittel her, und beide Krieger, denn dies waren sie, streckten sich nun auf den Boden hin, labten sich mit großem Eifer und sprachen heftig und vertraut zwischen jedem Bissen.

»Ich sage dir, Brettone, du teilst nicht ehrlich; du hast schon mehr als die halbe Pastete verschlungen, schiebe sie mir zu. Und der Kardinal willigt also ein! Was ist er denn für ein Mann? Gewandt, wie man sagt?«

»Rasch, scharf und ernst, mit einem feurigen Auge, macht nicht viel Worte und trifft die Hauptsache.«

»Also nicht wie ein Pfaff; ist ein guter Räuber an ihm verdorben. Was hast du von der Macht gehört, die er befehligt? Ho, nicht so schnell mit dem Wein!«

»Unbedeutend für jetzt. Er verläßt sich auf Rekruten aus Italien.«

»Was sind seine Absichten bezüglich Roms? Dahin, mein Bruder, dahin geht mein geheimes Streben! Was diese kleinen Städte und kleinen Tyrannen betrifft, so kümmere ich mich nicht darum, ob sie fallen und durch wen. Aber der Papst darf nicht nach Rom zurückkehren. Rom muß mein werden. Die Stadt eines neuen Reiches, die Siegesbeute eines neuen Attila! Hier vereinigen sich alle Umstände zu meinen Gunsten! – die Abwesenheit des Papstes, die Schwäche der Mittelklassen, die Armut der Bevölkerung, die schwache, wenn auch wilde Barbarei der Barone – das alles hat lange zusammengewirkt, um Rom zur leichtesten und zugleich zur ruhmvollsten Eroberung zu machen!«

»Mein Bruder, gebe der Himmel, daß dich dein Ehrgeiz nicht schließlich zu Grunde richtet; du verlierst immer das Land aus dem Gesicht. Gewiß, mit dem ungeheuren Reichtum, den wir bekommen, können wir – –«

»Nach etwas Höherem streben, als Freibeuter, heute Generale – morgen Abenteurer zu sein. Erinnerst du dich, wie der Normannen Schwert Sizilien gewann, und wie der Bastard Wilhelm auf dem Hastingsfelde seinen Stab in ein Szepter verwandelte? Ich sage dir, Brettone, dieses lockere Italien hat Kronen auf den Hecken, die eine geschickte Hand mit der Lanzenspitze hinwegnehmen kann. Mein Entschluß ist gefaßt, ich werde das schönste Heer in Italien bilden und einen Thron auf dem Kapitol gewinnen. Narr, der ich vor sechs Jahren war! – Hätte ich, statt diesen einfältigen Tölpel Pepin von Minorbien abzusenden, selbst den Ungarn verlassen und wäre mit meinen Kriegern auf Rom marschiert, so wäre auf den Fall Rienzis Montreals Erhebung gefolgt. Pepin wurde überlistet und warf eine Beute fort, nachdem er sie erjagt hatte. Der Löwe wird dem Schakal nicht wieder die Jagd anvertrauen!«

»Walter, du sprichst von Rienzis Schicksal, laß es dir zur Warnung dienen!«

»Rienzi!« versetzte Montreal; »ich kenne den Mann! in friedlichen Zeiten oder bei einem ehrbaren Volke hätte er eine große Dynastie gegründet. Aber er träumte von Gesetzen und Freiheit für Leute, die jene verachten, und diese nicht beschützen. Wir, die wir von einem härteren Stamme sind, wissen, daß ein neuer Thron durch das kriegerische, nicht durch das bürgerliche System erbaut werden muß; in die Stadt selbst müssen wir das Lager versetzen. Durch die Menge errang der stolze Tribun seine Macht – durch die Menge verlor er sie; durch das Schwert will ich sie erringen und durch das Schwert mir auch erhalten!«

»Rienzi war zu grausam, er hätte die Barone nicht reizen sollen,« sagte Brettone, im Begriff, die Flasche zu leeren, als die starke Hand seines Bruders sie ihm entriß und seiner Absicht zuvorkam.

»Pah,« sagte Montreal mit einem langen Seufzer nach dem Zuge, »er war nicht grausam genug. Er wollte nur gerecht sein und keinen Unterschied machen zwischen Edelmann und Bauer. Er sollte unterschieden haben! Er hätte die Edlen mit Wurzeln und Aesten ausrotten sollen. Aber dies vermag kein Italiener. Dies ist mir vorbehalten.«

»Du wolltest doch nicht alles edle Blut Roms hinschlachten?«

»Schlachten! Nein, aber ich würde ihre Güter fortnehmen und damit einen neuen Adel belehnen, den kühnen, trotzigen Adel des Nordens, der wohl weiß, wie er seinen Fürsten zu schützen hat, und ihn auch gerne schützt, als die Quelle seiner eigenen Macht. Für jetzt genug hiervon. Und da wir von Rienzi sprechen – schmachtet er noch in seinem Kerker?«

»Nun, bevor ich diesen Morgen abreiste, hörte ich sonderbare Neuigkeiten. Die ganze Stadt war in Bewegung – an allen Ecken standen Gruppen. Man sagte, Rienzis Untersuchung solle heute vorgenommen werden und nach den Namen der Richter vermutet man, daß seine Freisprechung bereits beschlossen ist.«

»Ha, das hättest du mir früher sagen sollen.«

»Wenn er wieder in Rom eingesetzt würde, würde dies deinen Plänen zuwiderlaufen?«

»Hm! ich weiß nicht – tiefes Nachdenken und geschicktes Handeln wären dann nötig. Ich würde am liebsten diesen Ort nicht eher verlassen, als bis ich gehört habe, was beschlossen ist.«

»Gewiß, Walter, wäre es klüger und sicherer gewesen, wenn du bei deinen Leuten geblieben wärest und mir die vollständige Besorgung dieser Angelegenheit anvertraut hättest.«

»Nicht so,« antwortete Montreal; »du bist wohl ein kühner Bursche – und auch verschlagen – – aber mein Kopf ist in solchen Dingen besser als der deinige. Ueberdies,« fuhr der Ritter mit gedämpfter Stimme, die Hand vor das Antlitz haltend, fort: »hatte ich eine Wallfahrt an den geliebten Fluß und an den alten Standort gelobt. O Gott! – – Doch all dies, Brettone, verstehst du nicht – schweigen wir davon. Was meine Sicherheit betrifft, so fürchte ich, nachdem wir die Amnestie mit Albornoz ins reine gebracht haben, nur wenig Gefahr, selbst wenn ich entdeckt werde; außerdem brauche ich Geld. Es sind Leute in dieser Gegend, Deutsche, die ein italienisches Heer mit Haut und Haar auffressen könnten, und die ich gerne anwerben möchte; ihre Anführer verlangen bares Geld – die gierigen Schurken! – Wie sollen die Gulden des Kardinals bezahlt werden?«

»Die eine Hälfte jetzt – die andere, wenn deine Truppen vor Rimini stehen.«

»Rimini! der Gedanke schärft mein Schwert. Erinnerst du dich, wie dieser verfluchte Malatesta mich von Averse Dieser Malatesta, ein Signor einer erlauchten Familie, war einer der gewandtesten Krieger Italiens. Er und sein Bruder Galeotto waren durch die Stimme der Bürger zu der Doppeltyrannei von Rimini erhoben worden. Nachdem sie lange Zeit Feinde der Kirche gewesen, wurden sie endlich durch den Kardinal Albornoz zu deren Hauptleuten ernannt. vertrieb, mein Lager erstürmte, und alle meine Beute in seine Hände fiel? Da ging das Werk von Jahren verloren! Aber dafür soll jetzt mein Banner über St. Angelo flattern. Ich will die Schuld mit Feuer und Schwert zurückbezahlen, ehe der Sommer seine Blätter abstreift.«

Das schöne Antlitz Montreals wurde bei diesen Worten furchtbar; seine Hände faßten den Griff seines Schwertes, und sein starker Körper bebte sichtlich; Zeichen der trotzigen, schonungslosen Leidenschaften, durch die ein Leben des Raubes und der Rache eine Natur verdorben hatte, welche ursprünglich ebensosehr von der Milde wie von dem Mute provençalischer Ritterschaft erfüllt war.

So war der furchtbare Mann beschaffen, der jetzt (nachdem die Wildheit seiner Jugend nüchterner geworden, sein Ehrgeiz gehärtet und konzentriert war) sich neben Rienzi um die Herrschaft Roms bewarb.

Achtes Kapitel.
Die Volksmenge – Die gerichtliche Verhandlung – Die Entscheidung – Der Krieger und der Page.

Am folgenden Abend war eine bedeutende Volksmenge in den Straßen von Avignon versammelt. Es war der zweite Tag der Untersuchung Rienzis, und mit jedem Augenblick erwartete man die Verkündung des Urteils. Unter den aus allen Gegenden hier an dem Sitz des päpstlichen Glanzes versammelten Fremden herrschte lebhafte Teilnahme. Die Italiener, sogar aus den höchsten Ständen, waren für, die Franzosen gegen den Tribun gestimmt. Was die guten Einwohner von Avignon selbst betrifft, so fühlten diese nur wenig Begeisterung für eine Sache, die kein Geld in ihre Taschen brachte, und wenn es einer Abstimmung überlassen worden wäre, so hätte sich ohne Zweifel eine ungeheure Stimmenmehrheit dafür ergeben, den Gefangenen zu verbrennen, was man als eine einträgliche Spekulation angesehen hätte!

Unter der Menge befand sich ein großer Mann in einfacher, rostiger Rüstung; aber er hatte soviel ritterlichen Anstand, daß die schlechte Beschaffenheit seines Panzers ein wenig Lügen gestraft wurde; er trug keinen Helm, sondern eine kleine Sturmhaube von schwarzem Leder mit großem Schilde, wie sie von Reisenden in den heißen Klimaten des Südens häufig gebraucht wurden. Ein schwarzes Pflaster bedeckte die eine Wange beinahe ganz und er hatte durchaus das Aussehen eines grimmigen Kriegsmannes, dessen Beutel und Körper der Krieg übel mitgespielt hatte.

Viele Scherze wurden auf Kosten des schäbigen Kriegers gemacht, mit denen die lebhaften Leute ihre Ungeduld befriedigten, und obgleich der Schild der Haube seine Augen verbarg, so zeigte doch ein schlaues, lustiges Lächeln um seine Mundwinkel, daß er einen Scherz über sich selbst wohl ertragen konnte.

»Nun,« sagte einer von der Menge (ein reicher Mailänder), »ich bin aus einem Staate, der frei war, und hoffe, man wird dem Mann des Volkes Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Amen,« sagte ein ernster Florentiner.

»Man sagt,« flüsterte ein junger Pariser Student einem gelehrten Doktor der Rechte zu, bei dem er wohnte, »seine Verteidigung sei ein Meisterstück gewesen.«

»Er hat die Ehrenstufe eines Doktors nicht erreicht,« versetzte der Rechtsgelehrte zweifelnd. »He, Freund, warum stößt du mich so? Du hast mir den Rock zerrissen.«

Diese Worte galten einem Minnesänger oder Jongleur, mit einer kleinen, umgehängten Laute, der sich mit großem Eifer durch das Gedränge Bahn brach.

»Ich bitte um Verzeihung, würdiger Herr,« sagte der Minnesänger; »aber das ist ein Schauspiel, das besungen werden muß! Noch nach Jahrhunderten, ja, und in fernen Landen werden Sagen und Gesänge die Schicksale Cola di Rienzis erzählen, des Freundes von Petrarca und des Tribunen von Rom!«

Der junge Franzose wandte sich rasch nach dem Sänger um und eine Glut trat auf seine Wangen; er teilte die allgemeine Stimmung seiner Landsleute gegen Rienzi nicht und fühlte, daß, wenn ein Minnesänger so von den Helden des Geistes – nicht des Krieges rede, dies eine Epoche in der Weltgeschichte bedeute.

In diesem Augenblick wurde dem großen Soldaten ungeduldig auf den Rücken geklopft.

»Ich bitte dich, großer Herr,« sagte eine durchdringende, gebieterische Stimme, »deine ungeheure Masse ein wenig auf die Seite zu schieben – ich kann nicht durch dich hindurchsehen, und ich möchte doch, daß meine Augen unter den ersten wären, die Rienzi erblicken, wenn er das Gericht verläßt.«

»Schöner Herr Page,« versetzte der Krieger gut gelaunt, als er Angelo Villani Platz machte, »du wirst finden, daß man in der Welt nicht immer dadurch weiterkommt, daß man den Starken befiehlt. Wenn du älter geworden, wirst du die Schwachen am Bart zupfen und den Starken schmeicheln.«

»So muß ich also mein Wesen ändern,« antwortete Angelo (der von etwas kleiner Statur und noch nicht völlig ausgewachsen war) und versuchte immer, sich über die Köpfe der Menge zu erheben.

Der Krieger blickte ihn beifällig an, und wie er ihn so betrachtete, seufzte er, und seine Lippen waren in heftiger Bewegung.

»Du sprichst gut,« sagte er nach einigem Schweigen. »Verzeih mir die zudringliche Frage – bist du aus Italien? – Deine Zunge hat etwas von dem römischen Dialekt; doch habe ich Züge wie die deinigen diesseits der Alpen gesehen.«

»Wohl möglich, guter Mann,« sagte der Page stolz, »aber ich danke dem Himmel, daß ich ein Römer bin.«

In diesem Augenblick ertönte ein lautes Geschrei von der Stelle zunächst dem Gerichtshofe her. Der Schall von Trompeten brachte unter der Menge wieder tiefes, atemloses Schweigen hervor, während die längs dem Wege zum Gerichtshofe aufgestellten päpstlichen Wachen eine aufrechtere Haltung annahmen und einige Schritte gegen die Menge zurücktraten.

Als die Trompeten verstummten, hörte man die Stimme eines Herolds, aber sie drang bei weitem nicht bis zu der Stelle, wo Angelo und der Krieger standen, und nur durch ein ungeheures Jubelgeschrei, das plötzlich ringsum ertönte und überall widerhallte – durch das Wehen von Tüchern aus den Fenstern – durch abgebrochene Ausrufe, die sich von Mund zu Mund fortpflanzten, erfuhr der Page, daß Rienzi freigesprochen war.

»Ich wollte, ich könnte sein Antlitz sehen!« seufzte der Page kläglich.

»Das sollst du,« sagte der Krieger, nahm den Knaben auf den Arm und drängte sich mit Riesenstärke, den lebendigen Strom rechts und links teilend, nach einem Platze näher bei den Wachen, wo Rienzi vorbeikommen mußte.

Der Page, halb vergnügt, halb unwillig, sträubte sich ein wenig, ergab sich aber, als er fand, daß dies nichts nütze, schweigend in das, was er für eine Beeinträchtigung seiner Würde hielt.

»Hat nichts zu sagen,« sagte der Krieger, »du bist der erste, den ich je absichtlich über mich erhob und ich tue es jetzt deinem hübschen Gesicht zuliebe, das mich an jemand erinnert, den ich liebte.«

Aber diese letzten Worte wurden leise gesprochen, und der Knabe in seiner Begierde, den Helden Roms zu sehen, hörte sie nicht und beachtete sie nicht. Jetzt kam Rienzi vorüber: zwei Edelleute von des Papstes eigenem Gefolge gingen zu seiner Seite. Langsam schritt er unter den Beglückwünschungen der Menge dahin und sah weder rechts noch links. Seine Haltung war fest und männlich, und außer der Röte auf seinen Wangen bemerkte man an ihm kein äußerliches Zeichen von Freude oder Gemütsbewegung. Blumen flogen von allen Balkonen auf seinen Pfad, und als er auf einen freieren Platz kam, wo der Boden etwas erhöht war, und er von den Häusern umher besser gesehen werden konnte, stand er still – entblößte sein Haupt und dankte für die ihm dargebrachte Huldigung mit einem Blicke – einer Gebärde – unvergeßlich jedem, der es sah. Sogar der fröhliche, gedankenlose Hof erinnerte sich daran, als die letzte Nachricht von Rienzis Leben zu seinen Ohren kam. Und Angelo, der sich an dem Nacken des Kriegers festhielt, erinnerte sich – doch wir dürfen nicht vorgreifen.

Aber nicht in den finsteren Turm kehrte Rienzi zurück. In dem Palaste des Kardinals Albornoz wurde ihm eine Wohnung eingerichtet. Am folgenden Tage wurde er bei dem Papst vorgelassen, und am Abend dieses Tages rief man ihn als Senator von Rom aus.

Unterdessen hatte der Krieger Angelo wieder auf den Boden gestellt, und als der Page Danksagungen stammelte, die mehr als bloße Höflichkeit ausdrückten, unterbrach er ihn in traurig-freundlichem Tone, der den Pagen heftig ergriff, so wenig paßte er zu dem rauhen, gemeinen Aeußern des Mannes.

»Wir scheiden,« sagte er, »als Fremde, hübscher Junge, und da du sagst, du seiest ein Römer, so ist kein Grund vorhanden, warum mein Herz sich so für dich hätte erwärmen sollen, wie es geschehen; wenn du aber je eines Freundes bedarfst – so suche ihn« – und die Stimme des Kriegers sank zu einem Flüstern herab – »in Walter von Montreal.«

Ehe der Page sich von seinem Erstaunen über diesen gefürchteten Namen erholt hatte, den zu scheuen man ihn in seiner frühesten Kindheit gelehrt hatte, war der Johanniter unter der Menge verschwunden.

Neuntes Kapitel.
Albornoz und Nina.

Aber den Augen, die mehr als andere nach dem Anblick des erlösten Gefangenen sich sehnten, war diese Wonne versagt. Allein in ihrem Zimmer, wartete Nina das Ergebnis der Untersuchung ab. Sie hörte das Jubelgeschrei, die Rufe, die Tritte von Tausenden in der Straße; sie fühlte, daß der Sieg errungen war, und ihr lange beschwertes Herz fand endlich in leidenschaftlichen Tränen Linderung. Angelos Rückkehr unterrichtete sie bald von allem, was vorgegangen: aber ihre Freude wurde etwas gedämpft, als sie hörte, daß Rienzi der Gast des gefürchteten Kardinals sei. Die Erschütterung, welche die, wenn auch glückliche Gewißheit hervorbringt, wenn sie an die Stelle des Zweifels tritt, übte, verbunden mit der peinlichen Furcht vor einem Besuche des Kardinals einen so mächtigen Einfluß auf ihren körperlichen Zustand aus, daß sie drei Tage bedenklich krank war; und erst fünf Tage, nachdem Rienzi zum Senator von Rom ernannt worden war, sah sie sich soweit hergestellt, um Albornoz bei sich empfangen zu können.

Der Kardinal hatte sich alle Tage nach ihrem Befinden erkundigen lassen und seine Nachfragen waren ihrem beunruhigten Geiste als Mahnungen an seine rechtmäßigen Ansprüche erschienen. Unterdessen gab es für Albornoz genug, was seinen Gedanken eine andere Richtung gab und ihn beschäftigte. Nachdem er den gefürchteten Montreal durch Geld dem Dienste Johann di Vicos, eines der stärksten und trotzigsten Feinde der Kirche, entzogen hatte, beschloß er, so schnell wie möglich gegen das Gebiet dieses Tyrannen zu marschieren, um ihm auf diese Weise keine Zeit zu lassen, sich des Beistandes einer anderen Bande besoldeter Abenteurer zu versichern, welche Italien damals als einen Markt für ihre kriegerische Tapferkeit betrachteten. Mit Aufbringung von Truppen, Anschaffung von Geld, Briefwechsel mit den verschiedenen Freistaaten und dem Abschlusse von Bündnissen im Interesse seiner weitergehenden, ehrgeizigeren Pläne an dem Hofe von Avignon beschäftigt, wartete der Kardinal mit ziemlicher Ergebung auf die Zeit, wo er von der Signora Cäsarini den Lohn fordern konnte, zu welchem er sich berechtigt glaubte. Unterdessen hatte er seine ersten Besprechungen mit Rienzi gehabt, und unter dem Scheine der Höflichkeit gegen den freigesprochenen Tribun, hatte ihn Albornoz als seinen Gast aufgenommen, um den Charakter und die Absichten eines Mannes in seine Gewalt zu bekommen, den er zu seinem Diener und Werkzeug zu machen sich bestrebte. Die wunderbare und magische Gewalt, welche nach dem Zeugnisse der Geschichtschreiber jener Zeit Rienzi auf alle, mit denen er in Berührung kam, wie verschieden sie auch in Gemütsart, Ansichten und Stand waren, ausübte, verließ ihn auch in seiner Audienz bei dem Papste nicht. So getreu hatte er den wahren Zustand Roms geschildert, so vernunftgemäß die Ursachen und Heilmittel der vorhandenen Uebelstände entwickelt, so sanguinisch von seinen eigenen Fähigkeiten, die Angelegenheiten zu lenken, gesprochen und so glänzend die Aussichten dargestellt, welche seine Verwaltung für das Wohl der Kirche und das Interesse des Papstes eröffnete, daß Innocenz, obwohl ein feiner, schlauer und etwas skeptischer Berechner menschlicher Dinge, doch durch die Beredsamkeit des Römers vollständig bezaubert wurde.

»Ist dies der Mann,« soll er gesagt haben, »den wir während zwölf Monaten als Gefangenen und Verbrecher behandelten? Wollte Gott, daß das Reich der Christenheit nur auf seinen Schultern ruhte!«

Beim Schlusse der Unterredung hatte er unter allen Zeichen von Gunst und Auszeichnung Rienzi die Würde eines Senators übertragen, was eigentlich ebensoviel war, als Vizekönig von Rom, und hatte sich gern zu allen Entwürfen verstanden, welche der unternehmende Rienzi jetzt wieder machte – nicht nur, um das Gebiet der Kirche wiederzugewinnen, sondern auch um das diktatorische Szepter der Siebenhügelstadt über die früheren Besitzungen in Italien auszudehnen.

Albornoz, welchem der Papst diese Unterredung mitteilte, war ein wenig eifersüchtig auf die Gunst, in welche sich der neue Senator so plötzlich zu setzen gewußt, und suchte, kaum nach Hause zurückgekehrt, ein Gespräch mit seinem Gaste. In seinem Herzen betrachtete der Fürst-Kardinal, wirklich ein Mann von reger Tatkraft, Rienzi mehr als einen lustigen, wie als einen klugen – mehr als einen glücklichen, denn als einen großen Mann – als eine Mischung von Gelehrten und Demagogen. Aber nach einer langen, forschenden Unterredung mit dem neuen Senator, beugte auch er sich dem Zauber seines unwiderstehlichen, hinreißenden Geistes. Wider seinen Willen mußte sich Albornoz gestehen, daß Rienzis Erhebung nicht ein Werk des Zufalles war, aber mit noch größerem Widerwillen erkannte er in dem Senator einen Mann, den er als Gleichgestellten behandeln, nicht aber als Günstling lenken könne. Und er hegte ernstlich Zweifel, ob es geraten schiene, ihn wieder in eine Gewalt einzusetzen, welche zu erweitern und auszudehnen er die Fähigkeit bewies. Noch immer bedauerte er indessen nicht, daß er zu Rienzis Freisprechung mitgewirkt. Seine Anwesenheit in einem so schwach bevölkerten Lager war höchst wünschenswert. Und durch seinen Einfluß hoffte der Kardinal mehr als je die Römer für sein Unternehmen, die Wiedereroberung des Gebietes des heiligen Petrus zu gewinnen!

Rienzi, der heftig danach verlangte, seine ihm durch die Prüfung und Abwesenheit, die durch eine neue Brautzeit nur teurer gewordene Nina wiederzusehen, war gleichwohl nicht imstande, sie unter dem von ihr angenommenen Namen in Avignon zu entdecken; und der Umstand, daß er bei dem Kardinal wohnte, wo er scharf, wenn auch mit aller Achtung beobachtet wurde, benahm Nina alle Gelegenheit, Briefe mit ihm zu wechseln. Einige halb scherzhafte Winke, welche Albornoz darüber hatte fallen lassen, daß die gefeiertste Schönheit in Avignon Anteil an seinem Wohlergehen genommen, hatten ihn mit einer gewissen Unruhe erfüllt, welche sich selbst zu gestehen er zitterte. Aber der volto sciolto – der wie gewöhnlich bei allen italienischen Politikern seine pensieri stretti verbarg – setzte ihn in den Stand, der eifersüchtigen, luchsartigen Beobachtung des Kardinals gänzlich zu spotten. Auch Alvarez war es ebensowenig gelungen, die Neugierde seines Gebieters zu befriedigen. Er hatte zwar den Pagen Villani aufgesucht, aber das kurze, herrische Wesen dieses launischen, stolzen Jungen hatte bald alle Versuche zu einem Kreuzverhör abgeschnitten. Und alles, worüber er Gewißheit erlangen konnte, war, daß der wirkliche Angelo Villani nicht derjenige Angelo Villani sei, welcher Rienzi besucht hatte.

In dem festen Vertrauen, alles zu erfahren, und entflammt von einer Leidenschaft und Hoffnung, wie nur er sie zu fühlen imstande war, machte sich Albornoz auf den Weg nach dem Palaste der Cäsarini.

Er wurde mit der seinem Range gebührenden Etikette in das Gemach der Signora geführt. Er fand sie blaß und Spuren der Krankheit in ihren edlen, statuenähnlichen Zügen. Sie erhob sich, als er eintrat, und als er näher kam, beugte sie halb das Knie und führte seine Hand an ihre Lippen. Erstaunt und erfreut über einen ihm so neuen Empfang, beeilte sich der Kardinal, ihrer Herablassung zuvorzukommen; er hielt ihre beiden Hände fest und versuchte sanft, sie an sein Herz zu ziehen.

»Schönste!« flüsterte er, »wüßtest du, wie sehr ich deine Krankheit betrauerte – und doch hat sie dich nur noch liebenswürdiger gemacht, wie der Regen den Glanz der Blumen erhöht. Ach! glücklich bin ich, wenn ich deinen leisesten Wunsch erfüllt habe, und wenn ich fortan in deinen Augen einen Engel suchen darf, der mich führt und zugleich ein Paradies, das mich belohnt.«

Nina machte ihre Hand los und bedeutete durch eine anmutige Bewegung derselben dem Kardinal, er möge sich setzen. Sie selbst setzte sich nicht weit von ihm und sprach dann mit großem Ernst und niedergeschlagenen Augen: »Mein Herr, Eure Vermittlung war es, die, verbunden mit seiner Unschuld den erwählten Beherrscher des römischen Volkes aus jenem Turme befreite. Aber Freiheit ist die geringste Eurer edelmütigen Gaben; eine größere ist die Wiederherstellung des guten Namens und die Wiederverleihung rechtmäßiger Ehren. Hierfür bleibe ich ewig Eure Schuldnerin; hierfür sollen, wenn ich Kinder gebäre, diese Euren Namen segnen lernen; hierfür wird der Geschichtschreiber, welcher die Begebenheiten dieser Zeit und die Schicksale Cola di Rienzis erzählt, einen neuen Kranz zu denen fügen, die Ihr bereits errungen. Herr Kardinal, ich habe vielleicht gefehlt. Ich habe Euch vielleicht beleidigt – vielleicht klagt Ihr mich einer Weiberlist an. Sprecht nicht, erstaunt nicht, hört mich zu Ende. Ich habe eine Entschuldigung, wenn ich sage, daß ich alle Mittel, Entehrung ausgenommen, für gerechtfertigt hielt, um Cola di Rienzi das Leben zu retten, seine Macht wiederherzustellen. Wißt, mein Herr, diejenige, welche jetzt mit Euch spricht, ist seine Gattin.«

Der Kardinal blieb bewegungslos, stumm. Aber sein gelbes Gesicht wurde plötzlich von der Stirn bis auf den Nacken rot, seine dünnen Lippen zitterten einen Augenblick und brachen dann in ein mattes, bitteres Lächeln aus. Endlich erhob er sich sehr langsam von seinem Sitz und sagte mit leidenschaftlich zitternder Stimme: »Es ist gut, Madame. Giles von Albornoz ist also ein Spielzeug in den Händen des plebejischen Demagogen von Rom, eine Stufe zu seiner Erhebung gewesen! Ihr spieltet nur mit mir für Eure Zwecke, und nichts Geringeres, als ein Kardinal von Spanien, ein Fürst vom königlichen Blute von Aragon wurde zum Werkzeug einer Quacksalbergaukelei ausersehen! Madame, Ihr selbst und Euer Gemahl könntet mit Recht des Ehrgeizes beschuldigt werden – –«

»Haltet ein, mein Herr,« sagte Nina mit unaussprechlicher Würde; »welche Beleidigung Euch widerfahren, von mir kam sie allein. Denn bis nach unserer letzten Unterredung wußte Rienzi nicht einmal, daß ich in Avignon anwesend war.«

»Bei unserer letzten Unterredung, gnädige Frau (Ihr tut wohl, daß Ihr daran erinnert)!, wurde, dünkt mich, stillschweigend ein Vertrag geschlossen. Ich bin meiner Verpflichtung nachgekommen – ich verlange dasselbe von Euch. Hört mich. Ich gebe meine Ansprüche nicht auf. Ebenso leicht wie ich diesen Handschuh zerreiße, kann ich das Pergament zerreißen, das deinen Gatten zum Senator von Rom ernennt. Der Kerker ist nicht der Tod, und seine Tür kann sich auch zum zweitenmale öffnen.«

»Mein Herr – mein Herr!« rief Nina, krank vor Schrecken, »tut Eurer edlen Natur, Eurem großen Namen, Eurem heiligen Stande, Eurem ritterlichen Blute nicht solche Schmach an. Ihr seid von dem ritterlichen Geschlecht Spaniens; die schmutzigen, niedrigen, unerbittlichen Laster, welche die kleinen Tyrannen dieses unglücklichen Landes beflecken, sind Euch nicht eigen. Ihr seid kein Visconti – kein Castracani – Ihr könnt Eure Lorbeeren nicht durch Rache gegen ein Weib besudeln. Hört mich,« fuhr sie fort und sank ihm plötzlich zu Füßen; »die Männer täuschen und betrügen unser Geschlecht – und zwar aus eigennützigen Absichten; ihnen wird verziehen – selbst von ihren Opfern. Betrog ich Euch durch eine falsche Hoffnung? Gut – was war mein Zweck? – was ist meine Entschuldigung? Die Freiheit meines Gatten – die Rettung meines Vaterlandes! Euer Geschlecht, mein Herr, versteht nur zu selten die Schwäche oder die Größe eines Weibes! Irrend – ganz menschlich gegenüber von anderen – begabt sie Gott mit tausend Tugenden für den einen, den sie liebt! Aus dieser Liebe allein schöpfte sie ihre edlere Natur. Für den Helden, den sie anbetet, hat sie die Sanftmut der Taube – die Ergebung einer Heiligen; für seine Rettung aus Gefahr, für seine Befreiung aus dem Unglück saugt ihr argloser Sinn die List der Schlange – ihr schwaches Herz den Mut der Löwin ein! Das ließ mich während der Trennung mein Antlitz unter Lächeln verbergen, damit die Freunde des heimatlosen Verbannten nicht an seinem Schicksale verzweifelten – das trieb mich durch Wälder, in denen Räuber hausten, um die Sterne über jenem einsamen Turme zu beobachten – das führte meine Schritte zu den rauschenden Lustbarkeiten Eures mir verhaßten Hofes – das ließ mich einen Befreier in dem Edelsten seiner Großen suchen – das endlich öffnete dem Gefangenen, der jetzt in Euren Mauern sich befindet, die Kerkertür, und das, Herr Kardinal,« fuhr Nina fort, indem sie aufstand und ihre Arme über ihrem Herzen kreuzte, »das wird, wenn Euer Zorn ein Opfer sucht, mich ermutigen, daß ich ohne einen Seufzer – aber auch ohne Entehrung sterbe!«

Albornoz blieb wie in den Boden gewurzelt. Erstaunen, Bewegung, Bewunderung, alles stürmte auf sein Herz ein. Auf Ninas flammendes Auge und wogenden Busen blickte er wie ein Krieger des Altertums auf eine begeisterte Prophetin. Wie durch einen Zauber blieben seine Augen auf die ihrigen geheftet. Er versuchte zu sprechen, aber die Stimme versagte ihm.

Nina fuhr fort: »Ja, mein Herr, dies sind keine eitlen Worte! Wenn du Rache suchst, so steht sie in deiner Gewalt. Vernichte dein Werk. Gib Rienzi dem Kerker, der Ungnade wieder preis, und du bist gerächt: aber nicht an ihm. Alle Herzen Italiens werden ihm eine zweite Nina werden! Ich bin allein die Schuldige und ich will das Opfer sein. Höre meinen Schwur – in dem Augenblicke, wo Rienzi neues Unrecht widerfährt, macht diese Hand meinem Leben ein Ende. Mein Herr, ich flehe Euch nicht länger an!«

Noch immer war Albornoz tief bewegt. Nina beurteilte ihn jedoch richtig, wenn sie den hochstrebenden Spanier von den barbarischen, grausamen Wollüstlingen Italiens unterschied. Trotz der Verworfenheit, welche sein heiliges Gewand befleckte, trotz all der erworbenen und gesteigerten Unempfindlichkeit eines heftigen, ränkevollen und skeptischen Mannes, noch gefährlicher bei einer schlimmen Natur in dieser schlimmen Zeit – lebte doch in seiner Seele viel von der ritterlichen Ehrenhaftigkeit seines Geschlechts und seines Vaterlandes. Erhabene Gedanken und ein kühner Geist berührten eine verwandte Saite seines Herzens, und dies um so mehr, da er sie nur sehr selten während seiner Erlebnisse in Lagern und Höfen angetroffen hatte. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte er, daß er das Weib gesehen, das ihn auch im Ehestande befriedigt und ihn die stolze und treue Liebe gelehrt haben könnte, welche die Minnesänger Spaniens besangen. Er seufzte, und während er Nina noch immer anblickte, näherte er sich ihr beinahe ehrfurchtsvoll; er kniete nieder und küßte den Saum ihres Kleides. »Madame,« sagte er, »ich wollte, ich könnte glauben, Ihr hättet richtig in meinem Innern gelesen, aber ich wäre fürwahr für alle Ehre verloren und edler Geburt unwürdig, wenn ich noch einen einzigen Gedanken gegen den Frieden und die Tugend eines Wesens wie Ihr hegte. Süße Heldin,« fuhr er fort, »so lieblich, und doch so rein, so stolz und doch so sanft – du hast mir das schönste Blatt aufgeschlagen, das diese Augen jemals in dem befleckten Buche der Menschheit durchlasen. Mögest du so glücklich sein, als das Leben dich machen kann; aber Seelen, wie die deinige, bauen ihr Nest wie der Adler auf Felsen und unter Stürmen. Fürchte nichts mehr von mir, denke nicht mehr an mich – außer später, wenn du die Leute von Giles von Albornoz sprechen hörst, magst du bei dir denken –« und hier zuckte die Lippe des Kardinals verächtlich, »er entsagte nicht allen eines Mannes würdigen Gefühlen, als Ehrgeiz und Schicksal ihn mit dem Priesterrock bekleideten.«

Ehe Nina eine Antwort fand, war der Spanier fort.


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