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Der Sieg des Bösen.

Am Abend eines der nächstfolgenden Tage kehrte Diomed von Neapolis zurück, wo er in Geschäften geweilt hatte. Er erreichte soeben die letzte Straße vor seiner Villa und bog eben um die Ecke, als ein Mann heftig gegen ihn anrannte. Schon wollte er seinem Unmut darüber Luft machen, da erkannte er noch rechtzeitig Klodius als den unschuldigen Übeltäter.

»Bist du es?« rief der Stutzer entschuldigend, »ich befand mich gänzlich in Gedanken vertieft über die Wechselfälle des Lebens. Unser armer Freund Glaukus, wer hätte das gedacht!«

»Ach ja,« nickte Diomed. »Glaukus, wird er wirklich vom Senat gerichtet werden?«

»Ja, allerdings,« bestätigte der Gefragte; »die Liktoren werden den Gefangenen förmlich vorführen.«

»So wurde er denn öffentlich angeklagt?«

»Freilich! Wo bist du gewesen, daß dir so etwas entgehen konnte?«

»Ich komme eben von Neapolis zurück, wohin ich gleich am Morgen nach seinem Verbrechen abreiste. Entsetzlich! Und war noch in meinem Hause am nämlichen Abend, wo es geschah.«

»Es findet kein Zweifel über seine Schuld statt,« bemerkte Klodius, die Achseln zuckend. »Und da dergleichen Verbrechen allen kleinen Strafsachen vorgehen, wird wohl das Urteil noch vor den Spielen gefällt werden.«

»Den Spielen! Gute Götter!« erwiderte Diomed mit leichtem Schauder. »Man wird ihn doch nicht zum Tierkampf verurteilen?«

»Er ist ein Grieche,« versetzte der Stutzer achselzuckend; »wäre er ein Römer, so hätte es an Erbarmen nicht gefehlt. Diese Fremdlinge dagegen kann man wohl dulden, solange es ihnen gut geht; im Unglück aber dürfen wir nicht vergessen, daß sie eigentlich Sklaven sind.«

»Und jener Gottesleugner? der Christianer oder Nazarener, oder wie er sonst heißt?«

»Wenn er der Cybele oder Isis opfert, wird er begnadigt, wenn nicht, so hat ihn der Tiger. Horch, die Tür dort knarrt in den Angeln; es ist das Haus des Prätors. Wer tritt heraus? Beim Bacchus, der Ägypter! Was mag er dort gesucht haben?«

»Zweifelsohne eine Unterredung über den Mord. Was nimmt man denn als Anreiz zu dem Verbrechen an? Glaukus sollte ja die Schwester des Priesters heiraten.«

»Ja, und da eben soll Apäcides seine Einwilligung versagt haben. Es mag wohl ein plötzlich entstandener Streit gewesen sein. Glaukus war offenbar voll des süßen Weins, den er bei dir im Übermaß getrunken.«

»Der arme Junge! Hat er einen guten Anwalt?« fragte Diomed.

»O ja, allein schwerlich wird sich das Volk erweichen lassen. Isis ist gerade in diesem Augenblick besonders beliebt.«

»Richtig,« rief Diomed mit veränderter Stimme, »da fällt mir ein, daß ich noch Waren zu Alexandria habe. Natürlich, Isis muß geschützt werden.«

Hier trennten sich beide, und Klodius schritt, während der reiche Kaufmann den Weg nach seiner Villa verfolgte, auf das Haus des Prätors zu. Unterwegs stieß er auf den Ägypter, der sich angelegentlich nach dem Hause des Sallust erkundigte.

»Nur wenige Schritte von hier,« erwiderte der Römer. »Aber gibt Salluft heut abend ein Fest?«

»Ich weiß es nicht und gehöre wohl auch nicht zu denjenigen, die er als Gesellschafter aussuchen möchte. Aber, wie auch dir bekannt sein dürfte, dient sein Haus dem Mörder Glaukus zum Gewahrsam.«

»Ach ja, der gutherzige Epikuräer glaubt an die Unschuld des Griechen. Er ist ja, fällt mir eben ein, Bürge für ihn geworden und haftet bis zur gerichtlichen Verhandlung für seine Person. Nun, Sallusts Haus ist immer besser als ein Gefängnis, besonders als das elende Loch auf dem Forum. Aber welches Anliegen kannst du an Glaukus haben?«

»Ich möchte mit ihm sprechen,« versetzte der Ägypter ausweichend, »denn ich höre, er sei wieder bei Sinnen.«

»Wenn es dir recht ist,« erklärte Klodius, »so will ich dich nach Sallusts Haus begleiten.«

Arbaces nahm das Anerbieten dankend an, und sie schritten vorwärts.

»Wie steht es um Ione?« erkundigte sich Klodius.

»Sie ist dem Wahnsinn nahe,« lautete die Antwort des Ägypters. »Ich will mich ihrer annehmen und würde das schon früher getan haben, hätten nicht die Vorbereitungen zur Bestattung ihres Bruders ihr Gemüt hinlänglich beschäftigt.«

»Die Beisetzung der Asche findet in dieser Nacht statt,« schaltete Klodius ein.

»Ich weiß es. Da Ione gebeten, sie mit ihrem Schmerze allein zu lassen, so wird es ein sehr stilles Begräbnis sein. Leider will sie nicht daran glauben, daß Glaukus ihren Bruder ermordet, und ich fürchte daher sehr, daß sie dem Athener zu Hilfe eilt und zu seinen Gunsten aussagt.«

»Einem solchen Skandal muß vorgebeugt werden.«

»Ich glaube, die gehörigen Maßregeln dagegen getroffen zu haben. Ich bin ihr gesetzlicher Vormund und habe mir soeben die Erlaubnis ausgewirkt, sie nach dem Begräbnis des Apäcides in meine Wohnung zu bringen. Dort wird sie, wenn es den Göttern gefällt, in sicherm Gewahrsam bleiben.«

»Wohl getan, weiser Arbaces! Und siehe, hier ist Sallusts Haus. Die Götter mögen dich schützen.«

Klodius schüttelte dem Ägypter die Hand und schlenderte, ein Liedchen vor sich hinträllernd, die Straße entlang.

Arbaces stieg die Stufen des Hauses empor, vermochte aber die Türschwelle nicht zu überschreiten, da vor derselben eine dunkle Gestalt ausgestreckt lag.

»Du sperrst mir den Weg,« rief der Ägypter.

Sofort erhob sich die Gestalt vom Boden, und das Sternenlicht schien voll auf das bleiche Antlitz und die starren, aber blinden Augen Nydias.

»Wer bist du? Ich kenne den Klang deiner Stimme.«

»Blinde, was machst du hier zu so später Stunde?« raunte ihr der Ägypter zu.

»Ich kenne dich,« sprach Nydia mit leiser Stimme, »du bist Arbaces.« Und wie von einem plötzlichen Gedankenblitz durchzuckt, warf sie sich ihm zu Füßen, umklammerte seine Knie und rief in wildem, leidenschaftlichem Tone: »O furchtbarer, mächtiger Mann, rette ihn – rette ihn! Er ist nicht schuldig – ich bin's! Er liegt da drin krank, sterbend, und ich – ich bin die fluchwürdige Ursache, und sie wollen mich nicht zu ihm lassen, – sie stoßen das blinde Mädchen aus ihrer Halle. O, heile ihn! Du kennst ja wohl ein Kraut, ein Zaubermittel! – ein Gegengift, denn es ist ein Trank, der diesen Wahnsinn hervorgebracht hat!«

»Still!« gebot Arbaces. »Ich weiß alles – du vergissest, daß ich Julia zu der Höhle der Saga begleitete. Ohne Zweifel hat ihre Hand ihm den Trank beigebracht, aber ihre Ehre fordert dein Stillschweigen. Mache dir keine Vorwürfe; – was geschehen muß, geschieht! Einstweilen begebe ich mich zu dem Verbrecher – vielleicht kann er noch gerettet werden. Hinweg.«

Mit diesen Worten riß sich Arbaces von der Umschlingung der verzweifelten Thessalierin los und klopfte laut an das Tor.

Nach wenigen Sekunden hörte man die schweren Riegel langsam zurückschieben, und der Pförtner fragte aus der halbgeöffneten Tür: »Wer ist da?«

»Arbaces; – wichtige Geschäfte mit Sallust in bezug auf Glaukus. Ich komme vom Prätor.«

Augenblicklich ließ der Pförtner die hohe Gestalt des Ägypters ein und geleitete ihn nach dem Triklinium, wo Sallust mit seinen Lieblingsfreigelassenen noch spät beim Mahl saß.

»Was, Arbaces, zu solcher Stunde!« rief der überraschte Hausherr. »Empfange diesen Becher.«

»Nein, edler Sallust, um eines Geschäftes, nicht zum Trinken komme ich hierher,« versetzte der Ägypter ablehnend. »Wie befindet sich dein Schützling? In der Stadt heißt es, er sei wieder bei Sinnen.«

»Ach, jawohl,« erwiderte der gutmütige, aber gedankenlose Sallust, indem er sich die Tränen aus den Augen wischte, »aber seine Nerven und seine ganze Konstitution sind so erschüttert, daß man ihn kaum wieder erkennt. Er hat nur eine undeutliche Erinnerung von dem, was vorfiel und behauptet, trotz deines Zeugnisses, weiser Ägypter, feierlich seine Unschuld an dem Tod des Apäcides.«

»Sallust,« entgegnete der Ägypter ernst, »in der Sache deines Freundes liegt manches, was zu besonderer Nachsicht auffordert, und könnten wir aus seinem Munde das Geständnis und die Ursache seines Verbrechens erfahren, so ließe sich von der Gnade des Senats noch viel für ihn hoffen; deswegen habe ich auch von der Behörde die Erlaubnis erhalten, noch diese Nacht mit dem Athener zu sprechen, da bereits morgen die gerichtliche Verhandlung stattfindet.«

Sallust nickte Beifall und führte den Ägypter nach einem kleinen Zimmer, das von außen durch zwei schlaftrunkene Sklaven bewacht wurde. Die Tür ging auf, – Sallust entfernte sich auf Arbaces Bitte; der Ägypter befand sich mit Glaukus allein.

Auf einem hohen Kandelaber brannte eine einzige Lampe neben dem kleinen Bett. Bleich fielen die Strahlen aus des Atheners Gesicht. Die blühende Farbe war hinweg, die Wangen eingesunken, die Lippen verzerrt und bleich; grimmig war der Kampf gewesen zwischen Vernunft und Wahnsinn, Leben und Tod. Die Jugendkraft hatte gesiegt, aber die Frische des Blutes und der Seele waren dahin.

Still setzte sich der Ägypter neben das Lager; Glaukus lag stumm und ohne seine Anwesenheit zu merken. Endlich, nach einer ziemlich langen Pause hob Arbaces an:

»Glaukus, wir sind Feinde gewesen. Ich komme allein und im Dunkel der Nacht zu dir, – als dein Freund, vielleicht dein Erretter.«

Wie das Roß vor der Fährte des Tigers aufspringt, fuhr der Athener bei der plötzlichen Erscheinung seines Feindes empor.

»Beruhige dich,« begann Arbaces mit sanfter Stimme, »komme ich doch als dein Freund, der zwar weiß, was du getan hast, aber auch die Gründe kennt, welche dein Vergehen entschuldigen.«

»Mein Vergehen?« wiederholte Glaukus matt. »Träume ich denn immer noch?«

»Nein, du wachst. Du hast einen gotteslästerlichen Mord begangen; – runzle die Stirn nicht, – meine Augen haben es gesehen, – aber ich kann dich retten, weil ich zu beweisen vermag, daß du deiner Sinne beraubt gewesen bist. Um dich aber retten zu können, mußt du dein Verbrechen eingestehen. Unterzeichne dieses Papier, in dem du anerkennst, wirklich an Apäcides Tod schuldig gewesen, und du entgehst der verhängnisvollen Urne.«

»Was sind das für Worte?« rief Glaukus, die Hand auf die Stirn legend, »Mord und Apäcides? Sah ich nicht seine Leiche blutend auf dem Boden ausgestreckt? Und du willst mich überreden, ich habe die Tat vollbracht? Mensch, du lügst, hinweg!«

»Sei nicht vorschnell, Glaukus,« erwiderte der Ägypter ruhig. »Sei nicht Zu rasch. Die Tat ist bewiesen. Laß mich deinem erschöpften, müden Gedächtnis nachhelfen. Du gerietst mit dem Priester in Streit über seine Schwester. Du weißt, er war unduldsam, ein halber Nazarener, und suchte dich zu bekehren. Ihr kamt zu einem heftigen Wortwechsel; er schmähte deine Lebensweise und schwor, er gebe seine Einwilligung zu Iones Heirat mit dir nicht, – worauf du in wahnsinniger Wut den Todesstreich führtest. Geh, geh! Dessen wirst du dich Wohl erinnern? Lies dieses Papier, es enthält die Angabe, wie ich sie hier ausgesprochen. Unterzeichne, und du bist gerettet.«

»Ich der Mörder von Iones Bruder?« rief Glaukus außer sich; »ich mich dazu bekennen, einem Wesen, das ihr teuer war, auch nur ein Haar gekrümmt zu haben, tausendmal lieber will ich zugrunde gehen!«

»Bedenke es wohl!« entgegnete Arbaces mit leiser, zischender Stimme, »du hast nur eine Wahl: dein Gedächtnis und die Unterschrift – oder das Amphitheater und den Löwenrachen.«

Ein leichter Schauder zuckte über den Körper des Atheners, doch nur für einen Augenblick; schon im nächsten besaß er seine volle Fassung wieder und rief in edler Aufwallung:

»Aus meinen Augen, elender Versucher, der du meine Unterschrift benutzen willst, mir Iones Herz abwendig zu machen. Du dünkst dich so klug, aber ich durchschaue dich ganz. Willst du gehen? Dein Anblick ekelt mich an. Bisher haßte ich dich, jetzt verachte ich dich.«

»Ich gehe,« erwiderte Arbaces erbittert. »Wir treffen uns noch zweimal; einmal vor Gericht, das andere Mal vor dem Tode! Leb wohl!«

Langsam stand der Ägypter auf, hüllte sich dichter in seinen Mantel und verließ das Zimmer und das Haus, ohne den Wirt noch einmal aufzusuchen.

Auf der Straße angelangt, sah er sich von Nydia mit neuen Fragen bestürmt.

»Wirst du ihn retten?« rief sie, die Hände faltend.

»Geh mit mir nach Hause, ich will mit dir sprechen um seinetwillen,« erwiderte der Ägypter. »Folge mir nach meiner Wohnung.«

Damit faßte er die Blinde bei der Hand und zog sie mit sich fort, denn er war fest entschlossen, sich des Mädchens zu versichern, damit sie nichts von dem geheimnisvollen Tranke ausplaudere.

Das düstere Schweigen des Ägypters erhöhte die Verzweiflung von Nydia derart, daß sie, als die Wohnung des Arbaces erreicht war, ihm gestand, daß ihre Hand und nicht jene Julias dem Athener das Elixier beigebracht, gleichzeitig warf sie sich dem Ägypter zu Füßen, ihn anflehend, die Gesundheit des Glaukus wieder herzustellen und sein Leben zu retten.

Der kalte, berechnende Blick des Arbaces ruhte auf der Flehenden. Er sah jetzt erst recht die Notwendigkeit ein, sie bis zur Entscheidung über das Schicksal des Glaukus als Gefangene zurückzubehalten, da ihr Zeugnis und ihre Selbstanklage vor Gericht, die er fürchten mußte, solange sie frei blieb, sonst leicht das Gelingen seiner Rache stören konnten.

»Tochter,« begann nach längerer Pause der Ägypter, »du mußt hier bleiben. Ich fühle Mitleid mit deinem Verbrechen, das dich nur die Dankbarkeit begehen ließ, – ich will alles tun, es wieder gut zu machen. Harre einige Tage in Geduld, und Glaukus soll wieder hergestellt werden.«

Mit diesen Worten und ohne ihre Erwiderung abzuwarten, eilte er aus dem Zimmer, schob den Riegel vor die Tür und überwies die Pflege und Aufwartung seiner Gefangenen dem Sklaven, unter dessen Obhut dieser Teil des Hauses stand.

In düstere Gedanken versunken, wartete Arbaces die Stunde ab, zu welcher Ione von der außerhalb der Stadt befindlichen Gräberstraße zurückkehren konnte. Auch ihrer Person mußte er sich versichern, wollte er nicht gewärtig sein, daß sie Zeugnis wider ihn vor Gericht ablegte und die Gewaltmaßregeln, mit welchen er sie zum Dienst der Isis hatte zwingen wollen, zur Kenntnis der Welt brachte. Dadurch würde Arbaces aber den Glorienschein, mit dem er sich zu umgeben wußte, eingebüßt und dem Richter Grund gegeben haben, seine auf den Mord des Apäcides bezügliche Aussage in Zweifel zu ziehen.

So begab er sich denn mit einer Sänfte und mehreren Sklaven auf den Weg.

Er brauchte nicht lange nach Ione suchen; der Schein der Fackel, welche ihre Dienerinnen trugen, wurde zu seiner Leuchte, und gleich einer drohenden Wetterwolke hielt er vor der trauernden Schwester und Braut still.

Der Ägypter kam zu rechter Zeit, um Ione zu verhindern, dem Prätor den Verdacht mitzuteilen, welchen sie gegen Arbaces hegte; denn daß Glaukus ihren Bruder getötet haben sollte, erschien ihr von Anfang an als eine nichtswürdige Lüge. Sie hatte ihrer Pflicht gegen ihren unglücklichen Bruder Apäcides Genüge getan und sich an seiner sterblichen Hülle ausgeweint; jetzt war sie fest entschlossen, alles zur Rettung des unschuldig angeklagten Glaukus aufzubieten, – da trat ihr das Verhängnis in der Gestalt des Ägypters hindernd in den Weg.

Ione schrie laut auf, als sie Arbaces erkannte.

»Meine arme Mündel,« begann er sanft, »möge mir verzeihen, wenn ich sie in ihrem frommen Schmerze störe. Aber der Prätor, besorgt um ihre Ehre und den wunderlichen Widerspruch erwägend, in welchem sie Genugtuung für ihren ermordeten Bruder fordern, gleichzeitig aber die Strafe des Verlobten fürchten muß, – der Prätor, geliebte Mündel, hat dich weise und väterlich der Obhut deines gesetzmäßigen Vormunds zugewiesen. Sieh her, den Erlaß, welcher dich meiner Aufsicht überantwortet.«

»Dunkler Ägypter!« rief Ione und trat stolz zurück, »hinweg! Du bist es, der meinen Bruder erschlagen hat! Deiner Obhut, deinen noch vom Blut des Bruders rauchenden Händen will man die Schwester übergeben? Ha, du wirst blaß, dein Gewissen schlägt dir! Du zitterst vor dem Blitzstrahl des rächenden Gottes! Hinweg und überlaß mich meinem Schmerze.«

»Dein Schmerz verwirrt deine Vernunft, Ione,« entgegnete Arbaces, vergebens nach der gewöhnlichen Ruhe seines Tones ringend. »Ich verzeihe dir. Auch jetzt wirst du mich, wie immer, als deinen zuverlässigsten Freund finden. Herbei Sklaven! Komm, meine holde Pflegebefohlene, die Sänfte wartet auf dich.«

Die erschreckten und erstaunten Dienerinnen drängten sich um Ione und umfaßten ihre Knie.

»Arbaces,« rief die älteste, »das ist wahrhaftig gegen das Gesetz. Ist nicht befohlen, daß die Angehörigen eines Verstorbenen neun Tage lang nach dem Begräbnis in ihrem Hause nicht gestört, in ihrem einsamen Gram nicht unterbrochen werden dürfen?«

»Mädchen,« entgegnete Arbaces und streckte gebieterisch die Hand, aus, meine Mündel unter das Dach ihres Vormunds zu bringen, verstößt nicht gegen die Leichengesetze. Ich sage dir, ich habe die Vollmacht des Prätors. Bringt die Sänfte!«

Mit diesen Worten schlang er den Arm fest um die bebende Ione. Sie fuhr zurück, blickte ihm ins Gesicht und brach dann in ein krampfhaftes Lachen aus.

Selbst erschrocken über den furchtbaren Klang dieses kreischenden, wahnsinnigen Gelächters, sank sie, als es verhallte, ohne Lebenszeichen zu Boden.

In der nächsten Minute hatte sie Arbaces in die Sänfte gehoben. Schnell schritten die Träger von dannen, und bald war die unglückliche Ione dem Gesichtskreis ihrer weinenden Dienerinnen entschwunden.

*


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