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Einunddreißigstes Kapitel.
Schwarze Wolken

In Kromlaix sah man einem furchtbar bösen Winter entgegen. Die Überschwemmung hatte noch schlimmere Folgen nach sich gezogen, als man anfangs gefürchtet, denn gar viele Bewohner waren von der Flut in ihren Betten überrascht worden, noch mehr verloren ihr Leben unter den Trümmern der einstürzenden Häuser, man vermißte viele Frauen und Kinder, deren Leichen man nicht gefunden, weil sie ins offene Meer gespült worden waren. Der Überschwemmung folgte eine Hungersnot, denn die für den Winter bereits eingeheimsten Kornfrüchte und andere Vorräte sowohl, als auch das meiste Vieh und Geflügel waren den Fluten zum Opfer gefallen. Und um das Maß des Elends noch voller zu machen, wurde eine neue Konskription ausgeschrieben. Der unersättliche Kaiser verlangte abermals 300 000 Mann, von welchen das kleine Kromlaix auch wieder seine Kräftigsten und Tüchtigsten zu liefern hatte. Das arme Fischervolk jammerte, daß Gott und die Menschen sich gegen sie verschworen hätten.

Als Korporal Derval sein Häuschen wieder beziehen wollte, fand er, daß ein Teil der Mauern unterwaschen und das halbe Dach abgerissen war, so daß, wenn Marcelle noch eine halbe Stunde länger darin verweilt hätte, man sie ebenfalls zu den vielen Verunglückten hätte zählen müssen. Es dauerte bis nach Neujahr, ehe das Haus wieder in wohnlichen Zustand versetzt war. Für Korporal Derval begannen mit der Invasion von 1814 böse Zeiten.

Die Große Armee wurde von den rächenden Nationen wie eine Schar hungriger Wölfe über die Grenze getrieben. Viele Jahre hindurch hatte Frankreich Legionen ausgeschickt, um fremde Länder zu erobern und sich mit fremdem Gut zu mästen; nun nahte die Stunde der Vergeltung. Bonaparte mußte Hals über Kopf fliehen, sein Stern war im Sinken. In den entfernteren Teilen des Landes erhoben sich die Anhänger der »Weißen Lilie.« In alten Schlössern gab es geheime und offene Zusammenkünfte der Bourbonen, man sprach sogar schon offen in den Straßen von einer Absetzung Napoleons. Abbé Jacquilt entfaltete in der Vendee eine rege Thätigkeit, Durras in der Touraine. Das Volk zitterte vor einer Kosaken- und Ulaneninvasion, die man allgemein voraussagte. Selbst in dem abseits gelegenen Kromlaix sprach man vor den lodernden Kaminen von nichts anderem mehr als von Blücher und dem gefürchteten Wellington.

Die Stunde kam, da Napoleon seinen Kaiserthron noch retten konnte, wenn er in den Vertrag von Chatillon eingewilligt hätte; aber von dem Glauben an seine Unüberwindlichkeit überwältigt, ein Opfer seiner heftigen Leidenschaften, ließ er sich die günstige Gelegenheit entschlüpfen. Österreich, Rußland, Preußen und das mächtige England verpflichteten sich durch den Vertrag vom März 1814, eine Armee von 150 000 Mann aufrechtzuerhalten, bis Frankreich auf seine alten Grenzen reduziert sein werde, und die »Krämer« Englands schossen vier Millionen Pfund zu Kriegszwecken zusammen. Napoleon vertraute trotz alledem noch immer seinem glücklichen Stern und bestand für Frankreich auf den neuen Reichsgrenzen. So marschierte er denn nach Soissons auf Blücher los und der letzte Akt des Feldzuges begann. Der fürchterliche Winter ging seinem Ende entgegen, der Frühling zog ins Land und küßte die Natur wach, aber Frankreich stand noch immer im Zeichen des Schwertes.

*

Was war mittlerweile mit dem Helden unserer Erzählung geschehen? Rohan Gwenfern schien nach seinem heldenmütigen Rettungswerk in der Allerseelennacht wie vom Erdboden verschwunden. Alle Nachforschungen blieben erfolglos. In der strengen Winterkälte und den heftigen Stürmen konnte er sich unmöglich in seinem bisherigen Versteck aufhalten. Daß er unter den Lebenden weile, wußte Marcelle aus verschiedenen Quellen – aber wo, davon hatte keiner seiner Verwandten eine Ahnung. Sie dankte Gott, der ihn bislang gnädig beschützt hatte und der ihm seine unbegreifliche Auflehnung gegen den guten Kaiser in Anbetracht seines letzten menschenfreundlichen Werkes gewiß verzeihen werde. Ach, wenn nur kein Blut an seinen Händen klebte! Wie glücklich fühlte sich Marcelle, daß nun endlich das ganze Dorf einsehen gelernt, ihr Verlobter sei kein Feigling, daß er sie und sich vor Gott und der Welt gerechtfertigt und seinen außergewöhnlichen Mannesmut bewiesen hatte! Wenn Meister Arfoll und andere böse Ratgeber ihm nicht den Sinn verwirrt hätten, er würde seine Tapferkeit nun auch schon auf offenem Schlachtfelde bewährt haben! Sie konnte es noch immer nicht fassen, wie Rohan so thöricht hatte handeln können, denn ihr ethisches Verständnis war naturgemäß ganz unentwickelt. Für sie war der Gedanke, daß der Krieg grausam und ein Hohn auf die moderne Kultur sei, ebenso unverständlich wie irgend ein philosophisches Problem eines Spinoza oder Kant.

Ihr Enthusiasmus für Napoleon hatte trotz aller traurigen Ereignisse des letzten Jahres keine Einbuße erlitten, wenn er auch zeitweilig durch mächtigere Gefühle unterdrückt worden war. Sie gehörte zu jenen Frauen, die sich um so fester an ihre Grundsätze klammern, je mehr man diese anfeindet; daher artete, als der Stern des Kaisers zu sinken begann, ihre Bewunderung für ihn fast in den gleichen Fanatismus aus wie bei ihrem Onkel Ewen. Obgleich der Alte den ganzen Winter hindurch heimlich furchtbare Seelenqualen durchgemacht hatte, wollte er durchaus nicht zugeben, daß es um den »kleinen Korporal« schlecht stehe. Nacht für Nacht las er die Berichte vom Kriegsschauplatz und legte sich sie zu Gunsten seines Herrn und Meisters aus. Er zeterte offen gegen die Gegner desselben, namentlich gegen die »elenden Engländer« und prophezeite ihnen ein böses Ende, aber seine Stimme verhallte wie die des Predigers in der Wüste, denn in Kromlaix gab's, wie wir bereits früher erwähnt haben, viele Legitimisten, die es jetzt wagten, ihre Stimmen gegen den alten Korporal zu erheben, der so lange die öffentliche Meinung beherrscht hatte. Wenn er seine bekannten Tiraden über den »Kaiser« losließ, erzählten andere Wunderdinge vom »König.« Er mußte täglich die schrecklichsten Sachen über Napoleon anhören; und eines Abends, als er sich am Strande erging, sah er die ganze Bergkette entlang Freudenfeuer auflodern, die zu Ehren des in Jersey gelandeten Herzogs von Berri angezündet waren.

Unter den Abtrünnigen Napoleons befand sich auch Mikel Grallon, der, wenn es ihm Nutzen gebracht hätte, wahrscheinlich ohne Bedenken auch seine eigene Haut hätte umkehren lassen. Der saubere Ehrenmann hatte die Idee, Marcelle zu heiraten, schon längst aufgegeben, grollte ihr aber nichtsdestoweniger, weil sie seinem Rivalen die Treue bewahrte. Ganz im stillen, wie es seine Maulwurfsart, suchte er den Einfluß des alten Derval zu untergraben, was ihm auch glänzend gelang; die Anhänger des Königreichs mehrten sich von Tag zu Tag und die des Kaiserreichs schmolzen arg zusammen.

Infolge aller inneren und äußeren Aufregungen begann die Gesundheit des Korporals zu leiden. Er verbrachte einen schlechten Winter, unzweideutige Zeichen des Alters begannen sich einzustellen, seine Stimme verlor an Klang und Kraft, seine Augen wurden schwächer und sein Gang weniger fest. Ganze Abende saß er, vor sich hinbrütend und wahre Rauchwolken aus seiner Pfeife paffend, vor dem Kamin. Rohan erwähnte er nur selten, aber dann stets mit einer an ihm ungewohnten Zärtlichkeit; Marcelle behauptete, daß sich der Alte im stillen gräme, den unglücklichen Neffen so ungerecht behandelt zu haben.

»Ich sage euch, Onkel Ewen ist nicht gesund,« erklärte Marcelle eines Abends.

»Ich weiß, was ihn sofort heilen würde – die Nachricht von einem großen Sieg Napoleons,« entgegnete Gildas, überlegen lächelnd.

Ende März verbreitete sich in Kromlaix die Nachricht, daß die Verbündeten sich Paris näherten.

»Glaubt ihr, daß der Kaiser nicht wisse, was er thut?« rief der Korporal, als er das vernahm. »Das ist einer seiner bekannten Geniestreiche! Paris wird sie wie eine große Falle verschlingen. Schwupps, hin sind sie alle, die Maulmacher! Jeder Schritt, mit dem die Feinde sich Paris nähern, entfernt sie um einen Schritt von dem nötigen Proviant. Wartet nur, wer zuletzt lacht, lacht am besten.«

Einige Tage später hieß es, daß die Kaiserin geflohen sei. Der Korporal lachte höhnisch auf: »Die Weiber haben natürlich vor Belagerungen und Kanonaden Angst, und dann will sie es wahrscheinlich nicht mit eigenen Augen sehen, wie ihre Verwandten, die Österreicher, bei lebendigem Leibe aufgefressen werden! Welcher vernünftige Mensch kann ihr das verargen?«

Als ihm vierundzwanzig Stunden später das furchtbare Ereignis der Einnahme von Paris zu Ohren kam, wankte der Alte, als ob man ihm ein Messer ins Herz gebohrt hätte.

»Der Feind in Paris! Ja, wo ist denn der Kaiser?« hauchte er.

Der war zum erstenmal in seinem Leben in eine Falle gegangen. Während Paris eingenommen wurde, hatte man ihn von der Grenze weggelockt. Vergebens eilte er, seiner Armee weit voraus, im Wagen nach Paris. Seine Generale trafen außerhalb der Hauptstadt mit ihm zusammen und ermahnten ihn, umzukehren. Er tobte, drohte, flehte – zu spät! Mit Entsetzen vernahm er die Kunde, daß die Stadtbehörde die Eindringlinge willkommen geheißen, ja, herbeigerufen habe, daß das Kaiserreich thatsächlich gestürzt sei. Verzweifelt, halb wahnsinnig begab sich Napoleon nach Fontainebleau.

Vater Rolland war gerade anwesend, als der Korporal diese Schreckensbotschaft las.

»Die verbündeten Herrscher weigern sich also, mit dem Kaiser zu verhandeln? Na, na!« Dieses »na, na« konnte ebensogut als ein Zeichen der Verwunderung wie als eines der Zustimmung oder des Tadels aufgefaßt werden. Der Geistliche war ein Diplomat und wollte es mit niemandem gründlich verderben, er nahm alle Dinge ruhig auf. Selbst das größte Wunder hätte ihn nicht aus der Fassung bringen können. Sein schlichter Geist hielt alle menschlichen Vorkommnisse für wunderbar, für wunderbar alltäglich nämlich. Der Veteran aber war aus anderem Holz geschnitzt und leicht erregbar: »Was, sie weigern sich! Am Ende wird es gar heißen, daß Mäuse sich weigern, mit einem Löwen zu verhandeln! Krähenseelen! Was bilden sich diese Kaiser und Könige eigentlich ein? Der kleine Korporal hat dutzendweise Könige entthront und zum Frühstück Kaiserreiche verspeist! Sie sollen sehen, Vater Rolland, gar bald wird dieser Zar Alexander froh sein, die Füße Napoleons küssen zu dürfen. Das Benehmen des Kaisers von Österreich ist einfach schändlich, denn ist er nicht ein naher Verwandter unseres Kaisers?«

»Was glauben Sie, Onkel Ewen, wird es noch Schlachten geben?«

»Es ist leichter, seine Hand in eines Löwen Rachen zu stecken, als sie wieder herauszuziehen. Wenn der Kaiser zornig ist, ist er fürchterlich, das weiß die ganze Welt! Nun man ihn so gröblich beleidigt hat, wird er nicht ruhen, bis er diese Canaillen vom Erdboden vertilgt hat!«

»Ich habe heute gehört,« mischte sich jetzt Gildas ins Gespräch, »daß der Herzog von Berri wieder auf Jersey gelandet sei und daß der König – – –«

»Der König? Verflucht! Welcher König?« unterbrach ihn der Alte wutschnaubend.

»Nun, König Louis,« stotterte Gildas verlegen.

»Nieder mit den Bourbonen!« donnerte der Korporal, am ganzen Körper zitternd. »Gildas Derval, ich verbiete dir, in meinem Hause diesen Namen auszusprechen! König Capet!«

»Ich muß gehen,« bemerkte der Pfarrer, sich erhebend, »aber erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, mein lieber Korporal, daß Sie zu starke Ausdrücke gebrauchen. Die Bourbonen waren unsere rechtmäßigen Könige und die Beschützer der Kirche; sollten sie wieder in ihre alten Rechte eingesetzt werden, ich wäre der erste, der sie willkommen hieße.« Vater Rolland nickte allen Anwesenden freundlich zu und ging. Derval sank wie vernichtet in seinen Stuhl.

»In ihre alten Rechte eingesetzt werden? Solange der kleine Korporal lebt, ist keine Gefahr!« brummte er, zuversichtlich. Der Gedanke, daß sein angebeteter Gott vom Throne gestürzt werden könnte, tauchte ihm gar nicht auf. Ebenso leicht könnte das Himmelreich selbst einstürzen! Und was die verbannte Königsfamilie betraf, die würde sich gewiß hüten, in die Löwengrube zu steigen! Der kleine Curé hatte sich einfach lächerlich gemacht! Er war ein ganz guter Seelenhirt, aber ein schlechter Politiker. Bisher hatte er sich unter Napoleons Herrschaft ganz wohl gefühlt, nun trat er ins Lager der im Dorfe immer stärker anwachsenden legitimistischen Partei, um es mit seiner Gemeinde nicht zu verderben. Ihn über die »göttlichen Rechte« der Bourbonen schwatzen zu hören, war einfach, um aus der Haut zu fahren. Konnte es denn ein »göttlicheres Recht« geben als die Herrschaft des Kaisers?

Einige Tage später wollte der alte Haudegen ausgehen, aber Marcelle, die sehr blaß war und verweinte Augen hatte, hielt ihn zurück.

»Krähenseele, was ist denn los? Weshalb soll ich denn nicht in die Barbierstube gehen, um die neuesten Nachrichten zu hören?«

Marcelle schwieg und sah flehend zu ihrer Mutter und Gildas hinüber, die ebenfalls sehr verlegen dreinblickten. Endlich faßte sich die Witwe ein Herz und sagte: »Es sind schlechte Nachrichten eingetroffen und es wäre daher besser, wenn du heute zu Hause bliebest, Schwager!«

Marcelle hatte mittlerweile die Hausthüre geschlossen; trotzdem drangen Hochrufe und Händeklatschen von der Straße herein.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Alte, aufhorchend. »Sprecht und laßt mich nicht in Ungewißheit!«

Gildas brummte etwas Unverständliches und stieß die Witwe an; in diesem Augenblick wiederholten sich die Hochrufe in verstärktem Maße und der Korporal begann die Wahrheit zu ahnen. Er erbleichte und wankte.

»Ich will dir sagen, was los ist, wenn du mir versprichst, nicht auszugehen,« rief Marcelle. »Sie proklamieren den König!«

Derval starrte, wie vor den Kopf geschlagen, vor sich hin, seine Lippen bewegten sich, ohne einen Laut hervorzubringen; endlich gab er sich einen Ruck, preßte die Lippen fest aufeinander und schritt entschlossen zur Thüre.

»Onkel, geh' nicht fort!« flehte Marcelle.

»Halts Maul, Mädchen, und mach' mich nicht böse! Ich bin kein Kind mehr und will sehen und hören, was los ist. Gott im Himmel, ich glaube, die Welt geht ihrem Untergange entgegen.« Damit riß er die Thüre auf und schritt auf die Straße.

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, das Dorf hatte sich bereits von den Folgen der Überschwemmung einigermaßen erholt und leuchtete wie ein Juwel im Sonnenschein. Die Straße war still und ruhig, nur aus der Ferne hörte man lebhaftes Stimmengemurmel. Die Frauen hatten Gildas beschworen, den Onkel zu begleiten, damit ihm nichts Böses zustoße. In wenigen Augenblicken hatten sie das unterste Dorfende erreicht und waren auf eine lebhaft erregte Menge gestoßen. Einige vornehm aussehende fremde Herren verteilten weiße Kokarden unter die Männer und weiße Rosetten unter die Mädchen. Der Ruf » Vive le Roi! Vive le Roi!« erfüllte die Luft.

Ein Edelmann, Sieur Marmont, der Besitzer eines benachbarten Schlosses, ein ältlicher, runzeliger Herr in reicher Kleidung, zog voll Begeisterung sein Schwert aus der Scheide. » Vive le Roi! Vive le Sieur Marmont!« brüllte das Volk begeistert.

Unter der Menge befanden sich manche, die nur als stumme Zuschauer an der Komödie teilnahmen und finster dreinblickten – die bonapartistische Minorität.

»Was hat all das zu bedeuten? Zum Teufel, was geht hier vor?« knurrte Derval, sich mit den Ellbogen einen Weg bahnend.

»Der Kaiser ist tot und es lebe der König!« schrie eine Fischersfrau.

»Hier, alter Freund, ein kleines Geschenk!« bemerkte der Schloßherr, eine weiße Kokarde auf die Säbelspitze spießend und sie dem Veteranen mit einer höflichen Verbeugung reichend. »Der Kaiser lebt, aber er ist entthront, vive le roi!«

» A bas les Bourbons! A bas les émigrés!« brüllte Derval.

Dem Edelmann schoß das Blut ins Gesicht und er blickte zornig auf den Störenfried: »Wer ist dieser Mensch?«

»Korporal Derval!« schrieen ein Dutzend Leute gleichzeitig. Vater Rolland, der neben dem Schloßherrn stand, flüsterte ihm etwas zu, worauf Marmont, verächtlich lächelnd, sagte: »Verlieren wir unsere Zeit nicht mit diesem kindischen Alten! Folgt mir in die Kirche, meine Freunde, damit wir vor der Mutter Gottes ein Dankgebet verrichten, die uns unseren guten König zurückbringt!«

Der jähzornige Derval war seiner Sinne kaum mehr mächtig. Mit aufgehobenem Stock, einen wilden Fluch ausstoßend, stürzte er auf den Edelmann zu, » A bas le Roi! A bas les émigrés!« brüllend.

Marmont erbleichte vor Zorn, richtete die Spitze seines Schwertes auf das Herz des alten Mannes und rief: »Zurück, Alter, oder ich stoße zu!«

Unter dem Ruf: » A bas le Roi, vive l'Empereur!« führte Derval mit seinem Stock einen so geschickten Hieb gegen die Klinge des Edelmannes, daß dieselbe in der Mitte zerbrach. Dies war das Zeichen zu einem allgemeinen Handgemenge. Der wütende Royalist wollte sich auf den Invaliden stürzen, wurde aber von seinen Begleitern zurückgehalten, während den Korporal die Dorfbewohner umringten, von denen einige wütend auf ihn losschrieen, andere wieder ihre Hand zum Schlage gegen ihn erhoben. Es wäre ihm zweifellos übel ergangen, wenn nicht Gildas und einige seiner Freunde ihn in Schutz genommen hätten. Nach einem minutenlangen Straßenkampf, der zum Glück ohne gefährliche Waffen geführt wurde, sah sich der Korporal von einer kleinen Zahl von Anhängern umringt, die feindliche Schar aber marschierte, von Marmont geführt, zur Kirche hinauf.

Nachdem sich Derval einigermaßen von der Anstrengung des Kampfes erholt hatte und wieder klar denken konnte, begriff er, was die Anwesenheit Marmonts zu bedeuten habe. Er eilte ins Dorf hinab, in die Barbierstube Plouëts, las die letzten Zeitungen und fand seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Sein armer alter Kopf schwindelte, das Herz krampfte sich zusammen und Thränen trübten seine Augen.

»Mein Kaiser! Mein Herr und Gebieter, ich wollte, ich könnte auf der Stelle für dich sterben!« murmelten seine zitternden Lippen.


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