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Hirt und Miethling

Das Pfarrhaus in Faulheim stand hübsch und nett neben der alten, sehr verwahrlosten Kirche. Letztere war im frühgothischen Styl erbaut, und jeden Freund altdeutscher Baukunst mußte die Gleichgültigkeit ärgern, mit der man dieses herrliche Denkmal behandelte. Aber die Gemeinde, jedes religiösen Sinnes baar und eines Gotteshauses überhaupt nicht bedürftig, dachte nicht entfernt an Reparaturen, und der Pfarrer wollte die Mühe für eine Sache nicht übernehmen, die ihn selber kalt ließ.

Desto blanker und wohnlicher lag das Pfarrhaus neben der altersgrauen, trauernden Kirche. Die Pfründe hatte bedeutende Einkünfte, und ihr gegenwärtiger Besitzer sparte keine Ausgaben für Bequemlichkeiten und standesgemäßen Lebensgenuß.

Um den längst abgetragenen Mittagstisch saßen drei geistliche Herren in lebhafter Unterhaltung. Eine anziehende und ehrwürdige Erscheinung war Pfarrer Gut von Heilborn, einem armen Dorfe in den Bergen, etwa vier Stunden von Faulheim. Seit dreißig Jahren wirkte er dort unverdrossen und mit den besten Erfolgen. In den ersten Jahren gab es für den damals jungen Mann schwierige Arbeiten, harte Kämpfe, bittere Kränkungen und Verfolgungen. Aber seine Nächstenliebe und Berufstreue überwanden alle Schwierigkeiten, und Gottes helfende Hand begleitete sichtbar die Bemühungen des getreuen Knechtes. Das leuchtende Beispiel seines lauteren priesterlichen Wandels, in Verbindung mit einer rührenden Aufopferung für das Heil der Seelen und der Macht inhaltsvoller, belehrender Predigten des begabten Redners, lenkten die anvertraute Heerde allgemach auf den Pfad christlichen Wandels. Die Gemeinde liebte und verehrte ihren Pastor, ohne dessen Berathung und Billigung nichts von einiger Bedeutung geschah, weil man seiner Einsicht vertraute und seine Sorge für die Wohlfahrt der Pfarrgenossen kannte. So kam es, daß Heilborn unberührt blieb von den Krankheiten der Zeit und dessen arme Bewohner ein stilles, arbeitsames, zufriedenes und glückliches Leben führten.

Für sich selbst entging Pfarrer Gut der Gefahr der Verbauerung an einem so abgelegenen Orte durch beharrliche Studien, denen er, neben seinen amtlichen Obliegenheiten, täglich eine oder mehrere Stunden widmete. Er besaß eine gediegene wissenschaftliche Bildung, und obwohl er fast niemals aus seinen Bergen herauskam, blieb er in der Tagesgeschichte doch stets bei dem Laufenden. Im Gegensatze zu den Kurzsichtigen und Lauen seiner Standesgenossen, welche den ungeheuren Einfluß der Presse nicht zu würdigen verstehen, schrieb er anziehende und belehrende Artikel in katholische Zeitschriften und Blätter, und seine Feder konnte böswilligen Feinden gegenüber scharf und spitzig sein.

Ottfried Edel kannte die hohen Eigenschaften Guts und hatte ihm, für den ersten Unterricht, seinen Sohn Walther anvertraut. Der junge Mann bewahrte seinem alten Lehrer ein dankbares Andenken und besuchte ihn häufig.

Gut zur Linken saß Pfarrer Streber von Faulheim, ein Mann in den besten Jahren. Neben Guts schlichter Einfachheit, erinnerte Streber an den glatten, kleinlichen Aeußerlichkeiten und Förmlichkeiten ergebenen Weltmann. Sein Anzug streifte an das Elegante, sein Haupthaar, sorgfältig gescheitelt und blank gekämmt, duftete von Parfum, und sein ganzes Wesen machte den Eindruck des Affektirten. Die Verkommenheit seiner Gemeinde bekümmerte ihn wenig; denn sein Wahlspruch lautete: »Laß Steine liegen, welche du nicht heben kannst.« Niemals raffte er sich auf zum ernsten Widerstande gegen das Verderbniß. Er ließ den Dingen ihren Lauf, genoß den Ruf eines friedliebenden, menschenfreundlichen Mannes und war bei der Regierung persona grata, – d. h. sehr gut angeschrieben. Und gerade diese Gunst der Staatsleiter gehörte zu Strebers ersehnten Zielen, weil nur die Regierung seinen unpriesterlichen Ehrgeiz befriedigen konnte. Geschmeidige Fügsamkeit vor der weltlichen Behörde sollte ihn empfehlen, und mit kluger Berechnung strebte er nach Beförderung, bis zu einem Sitze im Rathe des Bischofs. Unbewachte Aeußerungen in vertrauten Kreisen ließen sogar vermuthen, daß Strebers Selbstgefühl nicht einmal den Bischofsstuhl ausschloß, zur Belohnung seiner unbedingten Unterwürfigkeit, sowie seiner allzeit dienstbeflissenen Folgsamkeit für alle Winke der Regierung.

Streber gegenüber saß dessen Freund und Studiengenosse, Pfarrer Schaal von Pilsenbach, der nicht aus Berufsdrang die Priesterwürde gesucht, sondern in der Hoffnung, sich eine sorgenlose Lebensstellung zu verschaffen. Demzufolge glich Schaal nach Gesinnung und Wirksamkeit genau seinem Freunde Streber.

»Man darf eine Sache niemals verloren geben,« sagte Gut auf eine Bemerkung Strebers. »Die Weisung für unser pastorelles Wirken liegt in den Worten Jesu: – ›Ich bin gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war.‹ Sohin geht unsere Sendung auch an die Verlorenen.«

»Christus selber hat aber dort keine Wunder gewirkt, wo er keinen Glauben fand, – und ohne Glauben ist beinahe ganz Faulheim,« erwiederte Streber. »Man muß mit den gegebenen Verhältnissen rechnen. Wenige Bauern ausgenommen, sind alle hiesigen Einwohner Fabrikarbeiter, – was auch dem fremden Beobachter ersichtlich; denn das Ackerland liegt da in der gräulichsten Verwahrlosung. Was aber Fabriken für die ländliche Bevölkerung bedeuten, weiß man. Der religiöse Sinn wird untergraben, vorab in Diensten liberaler und glaubensloser Fabrikherren, die nicht selten fanatische Kirchenfeinde sind und ihre weißen Sklaven in diesem Geiste beeinflussen. Dem Schiffbruche am Glauben folgen Genußsucht und sittliche Ausschweifungen auf dem Fuße. Jeden Samstag Abend ist Zahltag, die Fabriker bekommen ihren Wochenlohn, und dieser wird regelmäßig in den Wirthshäusern verjubelt. Der Hirschwirth hier schlachtet jeden Samstag morgens drei Schweine, und diese werden pünktlich verzehrt; Samstag Abend beginnen die Gelage bis tief in die Nacht hinein. Am Sonntage werden die Räusche verschlafen. An Besuch des Gottesdienstes denken die Fabriker nicht. Sie haben in der Stadt längst gelernt und in Winkelblättern gelesen, daß Religion nur pfäffische Erfindung sei. Ohne die Familie Edel und deren Gesinde und zahlreiche Arbeiter, könnte ich regelmäßig vor leeren Stühlen predigen. Nachmittags beginnen die Gelage wieder. Männer und Frauen, Burschen und Mädchen, selbst Kinder, ziehen nach den Wirthshäusern, in denen ein sehr wüstes Treiben anhebt, und von nicht Wenigen bis zum grauen Morgen fortgesetzt wird. Die Früchte dieser Entartung werden immer trauriger und häufiger. In den Taufakten finden sich Mütter von fünfzehn Jahren, und die Zahl der unehelichen Kinder wächst erschreckend. Im Gefolge der religiösen Glaubenslosigkeit und Sittenverwilderung schreitet ein sehr bedenklicher Klassenhaß und Standesneid. Die meisten Faulheimer sind Socialdemokraten, für die kommende Revolution bearbeitet durch mundfertige Wühler in der Stadt, welche ihre Thätigkeit in hiesigen Wirthshäusern fortsetzen und den verkommenen Fabrikern die nothwendige Theilung der Güter und die Abschlachtung der Reichen zu Gunsten der unterdrückten Armen predigen. – – – Nun frage ich Sie, Herr Amtsbruder, wie ist unter solchen Verhältnissen eine wirksame Seelsorge möglich? Steine, die man nicht heben kann, muß man liegen lassen.«

»Anderswo ist es auch nicht besser,« sagte Schaal, sich eine frische Cigarre anzündend. »Sinnloser Luxus und Genußsucht überfluthen Alles, – der alte Gott ist mit seinen Geboten abgeschafft, – das ist moderner Zeitgeist. Deine Fabriker arbeiten doch wenigstens, aber meine Bauern werden immer mehr vom Teufel der Arbeitsscheu besessen, während die Lust zu Vergnügungen wächst. Und die Wirthe beuten diesen unseligen Hang meisterhaft aus. Freimusiken wechseln mit Preiskegelschieben, mit Hunderennen, Sackhüpfen, Preistaroken, Ringelstechen und tausend anderen Dingen, müßige Leute zu unterhalten und ihnen das Geld aus den Taschen zu locken. Dazu kommen die ständigen Vereine, die Krieger-, Turner-, Sängervereine, welche die Leute fortwährend in Bewegung erhalten, ihnen das Arbeiten verleiden und die Vergnügungssucht fördern. Für Tanzmusiken und andere Lustbarkeiten werden fast regelmäßig die Samstage gewählt. Die Nacht von Samstag auf Sonntag kann man durchtoben, man kann sich am Sonntage ausschlafen vom physischen und moralischen Katzenjammer. – – Gegen diese zersetzende Zeitströmung können wir nicht aufkommen, – beim besten Willen nicht. Man muß den Dingen ihren Lauf lassen. Die neudeutsche Sinnesart in die Schranken altdeutscher Einfachheit und Frömmigkeit hineinzwingen zu wollen, wäre ebenso vergeblich, wie dem hochgehenden Strome entgegen zu treten.«

»Demnach wäre an der Wiedergeburt und Besserung unseres Volkes zu verzweifeln?« warf Gut ein. »Nicht doch, meine Herren! Unsere Kirche hat das alte Heidenthum überwunden, und sie ist, in der freien Entfaltung ihrer geistigen Macht, stark genug, das neue Heidenthum zu überwinden.«

»In der freien Entfaltung ihrer geistigen Macht, – einverstanden!« entgegnete Streber. »Freiheit der Kirche existirt aber nicht. Der Staat hat genau die Wege und Kreise bezeichnet, in denen sich die Kirche bewegen darf, – und das Gebiet ihrer Bewegungen ist ein sehr beschränktes. Nicht einmal die christliche Jugenderziehung ist ihr gestattet. Religion bedeutet in den Schulen nicht mehr, als Rechnen und Schreiben, oder jeder andere Fachgegenstand; denn die Schule ist eine Staatsanstalt und confessionslos, was im Grunde gleichbedeutend ist mit religionslos. – Dagegen waltet der Staat gebietend in allen kirchlichen Dingen, selbst den Verbrauch des Hostienbrodes und der Wachskerzen controlirt er.«

In den Hof rollte eine Kutsche, gezogen von zwei prachtvollen Rappen in silbernem Geschirr und geleitet von einem Kutscher in grüner Livree.

»Wer kommt da?« sagte Schaal von seinem Sitze durch das Fenster schauend. »Ein fürstlicher Wagen, – königliche Pferde, – vornehmer Besuch.«

»Friedrich Edel!« antwortete Streber mit einiger Ueberraschung.

Der junge Mann trat ein, begrüßte den Pfarrer, und als er den ehrwürdigen Herrn von Heilborn bemerkte, verbeugte er sich ehrfurchtsvoll.

»Ich habe in amtlicher Angelegenheit einige Worte mit Ihnen zu sprechen, Herr Pfarrer!« wandte er sich an Streber. »Bitte, die Sache betrifft kein Geheimniß,« setzte er bei, als ihn der Geistliche nach einem Seitenzimmer geleiten wollte.

»Nach, Ihrem Wunsche, Herr Edel! Wollen Sie gefälligst Platz nehmen.«

»Ich bin nämlich Heirathscandidat und bedarf Ihrer Hilfe, das ersehnte Ziel zu erreichen.«

»Ah, – ich gratulire, Herr Edel! Ich bin glücklich, in einer so angenehmen, für das Leben hochwichtigen Sache, Ihnen dienen zu können. Und welchem Fräulein wurde die Auszeichnung Ihrer Wahl?«

»Einem einfachen Landmädchen, Anna Oswald von hier.«

Im Angesichte des Pastors malte sich das größte Erstaunen.

»Anna Oswald? Wie ist dies möglich? Sie überraschen, Herr Edel!«

»Weil ich für den einfachen Landwirth eine passende Wahl getroffen habe?« versetzte lächelnd der junge Mann. »Ein anspruchsvolles Stadtfräulein würde sich für den einsamen Waldhof nicht eignen,« fuhr er ernst fort, »und ich bin alt genug, mich durch den Schein nicht täuschen zu lassen. Annas seltene Vorzüge, namentlich ihr fleckenloser Wandel und ihre häusliche Tüchtigkeit, dürften auch Ihnen nicht unbekannt sein.«

»Diese Jungfrau ist wirklich eine Zierde ihres Geschlechtes, – keine Frage!«, versetzte Streber. »Gegenüber allen übrigen Mädchen in Faulheim bildet sie eine rühmende Ausnahme. – Und was sagt Ihr Herr Oheim?«

»Er ist vollkommen einverstanden. Nur ein Hinderniß besteht noch, das Sie, Herr Pfarrer, leicht heben können. Anna ist nämlich illegitim, weßhalb mein Onkel zur Bedingung seines Einverständnisses macht, daß Annas Aeltern kirchlich getraut werden, wodurch deren Kinder legitim und der Fleck ihrer Geburt beseitigt würde. Deßhalb bitte ich Sie, Annas Aeltern zu trauen.«

Streber blickte zu Boden und sein Gesicht wurde merklich länger.

»Das ist eine alte, ärgerliche Geschichte!« hob er an. »Nach höherer Weisung muß nämlich der Bürgermeister den Civilact verweigern, und der Pfarrer darf nicht trauen, ohne den vorausgegangenen Civilact. Deßhalb bedauere ich sehr, Ihnen nicht dienen zu können. – Außerdem ist fraglich, ob sich Oswald zur kirchlichen Trauung herbei läßt; denn sein Concubinat fiel längst der Vergessenheit anheim, und religiöse Bedenken dürften einen Mann nicht bestimmen, den ich niemals in der Kirche gesehen.«

»Sie täuschen sich, Herr Pfarrer,« entgegnete Edel, innerlich geärgert über Strebers kalte Glätte. »Oswald erklärte meinem Onkel, daß er sich mit Freuden würde copuliren lassen, weil das unerlaubte Verhältnis sein Gewissen beschwere. Nebenbei bemerkte er zugleich, daß Annas Mutter beständig kränkele, in Folge ihres schweren Kummers über dieses Zusammenleben, und daß sie nichts sehnlicher wünsche, als den kirchlichen Segen. – Diese höchst wichtigen Umstände dürften für Sie entscheidend sein, Herr Pfarrer; denn ich glaube, wo verlorene Seelen nach Rettung sehnlichst verlangen, müssen alle übrigen Rücksichten schweigen.«

Herr Gut nickte bestätigend mit dem Haupte. Schaal sah mit großen Augen auf den jungen Mann, und Streber wurde noch kälter.

»Rücksichten wohl, – nicht aber Pflichten des Gehorsams gegen die Obrigkeit,« erwiederte er. »Das Gesetz verbietet in solchen Fällen, bei strenger Strafe, die kirchliche Trauung. Wenn der Bürgermeister den Act errichtet, nur dann werde ich Oswald copuliren. Weigert sich der Bürgermeister, so muß ich bedauern, Ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können.«

»Obwohl mein Lebensglück und das Geschick einer ganzen Ewigkeit für zwei Seelen hievon abhängt?« wandte Edel ein, in den blauen Augen ein aufleuchtendes Feuer.

»Ich beklage wirklich, Herr Edel, durch Pflichtverletzung Ihr Lebensglück nicht fördern zu können.«

Das Gesicht Edels wurde glühend roth, seine Augen sprühten und eine heftige Entgegnung schwebte ihm auf den Lippen. Allein er beherrschte sich und von einem jähen Gemüthssturm emporgetrieben, schnellte er vom Sitze und verließ, mit den Merkmalen der höchsten Entrüstung, das Zimmer.

Streber hatte wohl diesen plötzlichen Abbruch der Verhandlung nicht erwartet; denn er saß noch verwirrt und betroffen, als Edel bereits vor seinem Wagen stand.

Herr Gut, der nicht blos der Unterredung aufmerksam folgte, sondern auch das Verhalten des jungen Mannes scharf beobachtete, hatte sich mit ihm erhoben, und war dem Hinausstürmenden nachgegangen.

»Fassen Sie Muth, mein lieber Friedrich!« sprach der greise Familienfreund. »Jedenfalls giebt es noch Mittel und Wege, die armen Seelen zu retten und Ihre Vermählung mit Anna, die ich sehr wohl kenne, zu ermöglichen. Diese Wahl macht Ihrem Verstande und Herzen alle Ehre. Ich gratulire!«

»Ich danke Ihnen, hochwürdigster Herr!« entgegnete Edel, auf den Guts sanfte Worte und Persönlichkeit einen beruhigenden Eindruck hervorbrachten. »Darf ich Ihnen einen Sitz im Wagen anbieten? Ihr Besuch würde uns Alle sehr freuen und beglücken.«

»Für heute kann es nicht sein, – aber nächstens. Grüßen Sie herzinnig die ganze Familie. Sodann bitte ich, in Ihrer Angelegenheit vorläufig nichts zu thun, und mir einige Tage Frist zur Ueberlegung zu gewähren.«

»Ihre gütige Theilnahme bietet mir Trost und Beruhigung, hochwürdigster Herr! Ich vertraue vollständig Ihrer Klugheit und Erfahrung.«

Er drückte dem Greise warm die Hand, stieg in den Wagen und fuhr davon.

Mittlerweile hatte zwischen den beiden würdigen Freunden ein flüchtiger Meinungsaustausch stattgefunden.

»Eine starke Zumuthung!« sagte Schaal. »Die Geschichte würde Dir mindestens vier Wochen Gefängniß eintragen.«

»Dazu würden alle glänzenden Aussichten für die Zukunft vernichtet,« ergänzte Streber. »Meine günstige Stellung bei der Regierung wäre dahin, ich könnte als persona ingratissima sitzen bleiben.«

Gut kehrte zurück.

»Ich glaube, Sie könnten ohne Bedenken copuliren,« hob er an; »denn das Heirathsverbot dürfte längst verjährt sein.«

»Dies zu untersuchen, ist nicht meine Sache,« entgegnete Streber. »Der Casus liegt ja sehr klar. Das Bürgermeisteramt verweigert den Akt, – ohne Akt dürfen wir nicht trauen, – also!«

»Sie könnten aber doch wenigstens den Bürgermeister veranlassen, beim Amte in der Sache anzufragen, damit sich die Verjährung herausstelle.«

»Hiezu bleibt mir keine Zeit,« versetzte Streber. »Wie Ihnen bekannt, habe ich um die Stadtpfarrei L– mich beworben. Meine Aussichten sind günstig, – vielleicht wurde meine Ernennung durch Seine Excellenz den Herrn Cultusminister Dr. von Fuchs bereits volllzogen. Sohin muß ich die Sache meinem Nachfolger überlassen.«

»Wenn aber inzwischen die arme Frau stirbt?« wandte Gut ein.

»Dann wäre die Frage gelöst,« meinte Schaal.

»Leider zu Ungunsten des Seelsorgers, welcher das unversöhnte Hinscheiden des unglücklichen Weibes vor Gott zu verantworten hätte,« sagte Gut.

»Mir unverständlich!« erwiederte Streber. »Wie kann ein Verfahren zur Schuld angerechnet werden, das ich aus Gehorsamspflicht gegen die staatlichen Gesetze einhalten mußte?«

»Wenn das ewige Seelenheil und die priesterliche Pflicht in Frage kommen, haben entgegenstehende Verbote keine Geltung,« antwortete Gut.

»Diese Anschauung ist etwas veraltet und nicht mehr überall in der Kirche getheilt,« sagte Streber in seiner verstandeskalten Weise. »Blicken Sie nach dem katholischen Bayern! Dort lagen die alten, längst begrabenen Bischöfe in beständigen Kämpfen mit dem Cultusminister, wegen behaupteter Eingriffe der Staatsgewalt in die innersten Rechte der Kirche. Heute ruht der Kampf, – nicht weil sich die Verhältnisse geändert haben, sondern weil in maßgebenden klerikalen Kreisen eine friedfertige Richtung herrscht. – Bei uns gilt fügsame Ergebenheit nach oben nicht weniger. Unser Bischof lebt im schönsten Frieden unter dem Dache seines Alles schlichtenden Wahlspruches: ›Es ist nichts zu machen!‹ Streit und Kampf scheiden niemals unseren Bischof von dem Cultusminister, weil der Bischof stets nachgiebt – sich loyal fügt, seinem Wahlspruche gemäß: ›Es ist nichts zu machen!‹ – – Sie werden gestatten, daß wir Pfarrer nach dem Vorbilde unseres Bischofes verfahren.«

Herr Gut trommelte leise auf seiner Tabaksdose, was immer geschah, sobald innere Bewegung den ruhigen Spiegel seiner Seele kräuselte.

»Wenn der angeführte bischöfliche Wahlspruch bedeutet, man müsse den Staatsgesetzen unter allen Umständen sich unterwerfen, auch jenen, welche die von Gott gewollte Seelsorge verhindern, oder die Sakramentenausspendung verbieten, oder irgendwie in das berufene Walten der Kirche störend eingreifen, – dann ist die Uebung besagten Wahlspruches gleichbedeutend mit Verrath am Heiligsten,« erwiederte er mit Betonung. »Hätten die Apostel nach diesem Wahlspruche gehandelt, sie wären niemals in Kampf gerathen mit der Staatsgewalt, sie hätten ihr Leben nicht geopfert für Gott und dessen heilige Stiftung, – die apostolische Kirche wäre überhaupt niemals gegründet worden. Der heilige Bischof Chrysostomus schreibt über das Bischofsamt:› Opus suscepisti, id considera, perfice, labora, et te certaminibus expone!‹ Wer also ein geistliches Amt übernommen, darf sich mit dem Einkommen und den Ehren keineswegs begnügen, er muß vielmehr im Geiste seines Amtes arbeiten. Stelle ich des heiligen Bischofs Wahlspruch: › Te certaminibus expone, setze dich kämpfend aus!‹ – neben den anderen neudeutschen bischöflichen Wahlspruch: ›Es ist nichts zu machen!‹ – vergleiche ich das amtliche Verfahren nach diesem modernen Wahlspruche mit dem Verfahren der Apostel und ihrer würdigen Nachfolger, – dann stehe ich nicht an, zu behaupten: kampfesscheue geistliche Würdenträger sind Verräther vor Gott und an der Kirche. Es sind Miethlinge, welche den Wolf nicht abwehren von der Heerde, sondern feige davon laufen.«

»Hu, – das ist streng!« meinte Schaal.

Streber lächelte vornehm.

»Sagen Sie mir doch, Herr Mitbruder, was half den preußischen Bischöfen der Widerstand gegen die sogenannten Maigesetze? Man hätte all den Wirrwarr und all das Unglück durch fügsames Nachgeben vermeiden können.«

»Zunächst darf jeder bischöfliche Bekenner in Preußen sagen: salvavi animam meam, – meine Seele habe ich gerettet,« antwortete Gut. »Jene pflichtgetreuen Bischöfe und Pfarrer handelten nach ihrem Gewissen, sie thaten einfach ihre Schuldigkeit, und Gott wird ihnen lohnen. – Sodann bin ich erstaunt über diesen Einwand von Seiten eines Theologen. Der innerste Kern der preußischen Maigesetze ist bekanntlich die Forderung des Staates, die geistlichen Aemter an Persönlichkeiten zu vergeben, die ihm tauglich erscheinen, – mit anderen Worten, der Staat nimmt die kanonische Sendung der katholischen Geistlichkeit in Anspruch. Der Staat hätte dann das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit die theologische Ausbildung des Clerus zu leiten und zu bestimmen, sowie das Recht, auf die Auswahl der Priester für die einzelnen Aemter, sogar das Recht, durch den von ihm errichteten geistlichen Gerichtshof Vernachlässigungen oder Übertretungen geistlicher Amtspflichten zu strafen, – und dies Alles zusammen, diese ungeheuere, in das innerste Leben der Kirche einschneidende Forderung bezeichnet man mit dem harmlosen Worte: ›Anzeigepflicht.‹ Nun besteht aber bekanntlich die Anordnung und Bestimmung Jesu Christi, daß die kanonische Sendung des Clerus nur von der Kirche ausgehen darf. Vom Papste, dem sichtbaren Oberhaupte der Kirche, dem Statthalter Gottes auf Erden, entspringt alle geistliche Amtsgewalt. Er sendet die Bischöfe, und die Bischöfe, welche die Nachfolger der Apostel sind, senden mit des Papstes Vollmacht die übrigen Geistlichen. Diese Institution Christi ist katholische Glaubenslehre, eine durchaus unveränderliche dogmatische Bestimmung. Darum ist es keine leere Redensart, wenn der Papst, gegenüber den preußischen Forderungen sagt: › Non possumus!‹ Das ist vielmehr die nackteste Wirklichkeit, – der Papst kann nicht. Würde der Papst, – die Unmöglichkeit angenommen, – die Anzeigepflicht in dem angegebenen Umfang gestatten, dann wäre der Papst vom Glauben abgefallen, er hätte das Dogma verletzt, wäre ein Irrlehren geworden und kein Katholik dürfte ihm gehorchen. Und wenn der protestantische Norden, der bekanntlich in katholischen Dingen eine ganz erstaunliche Unwissenheit besitzt, dennoch dem Papste einen Abfall vom Glauben zumuthet, so kommt dies einfach daher, weil er vom protestantischen Standpunkte die Sache behandelt. Der Landesherr ist ja zugleich Landesbischof nach protestantischen Begriffen, warum sollte er die katholischen Geistlichen nicht ebenso senden dürfen, wie die protestantischen Diener am Wort? Sohin mag die Anzeigepflicht böser Absicht wohl nicht entspringen, obschon es auch unter den Freunden der Anzeigepflicht Männer giebt, die recht gut wissen, daß mit ihrer Annahme die katholische Kirche protestantisirt und verstaatlicht, und nicht mehr die katholische Kirche wäre.«

Die beiden Hörer blickten schweigend vor sich hin.

»Ihre Ausführung entspricht genau der katholischen Lehre,« sagte Streber in einem Tone, der Bedauern und leisen Spott in sich schloß.

Schaal rückte mißvergnügt auf dem Sitze.

»Bedenken Sie aber doch die gräulichen Verwüstungen in Preußen!« warf er ein. »Die Bischöfe sind davongejagt, ihre Sitze stehen leer, und wo sie nicht leer stehen, gleichen die Bischöfe geschnitzten Figuren, die sich nicht regen und bewegen können. Die Pfarrer sterben aus, die Seelsorgsstellen veröden, das Volk verwildert, – und schließlich muß die katholische Kirche in Preußen verschwinden. All dieses Unglück hätte vernünftiges Nachgeben verhüten können.«

»Die Verläugnung der Glaubenslehre ist kein vernünftiges Nachgeben,« versetzte Gut, »aber die Durchführung der preußischen Maigesetze wäre die Vernichtung der katholischen Kirche. Darum haben die Bischöfe in ihrem gemeinsamen Hirtenbriefe erklärt: ›Wir wollen lieber, daß die katholische Kirche in Preußen zu Grunde gehe ohne unsere Schuld, als mit unserer Schuld.‹ – – Ich bestreite nicht, daß Atheisten und Liberale eine Ausrottung der Kirche anstreben, – wer sich aber nicht in die Niederungen der Gegenwart stellt, sondern auf die Höhe der Weltgeschichte, kann das feindselige Bemühen der neuesten Ketzerei gegen die Kirche nur belächeln. Wer mag erwarten, im Kampfe mit einer geistigen Macht den Sieg zu erringen, deren Begründer und oberster Schirmherr der allmächtige Gott selber ist? Seit 1800 Jahren war Gott der Schild seiner Braut und er wird den zeitgenössischen Feinden gegenüber keine Ausnahme machen. Ueberdies bin ich der Meinung, der heldenmüthige Widerstand der preußischen Katholiken, die bewunderungswürdige Haltung, der Muth, die Opferwilligkeit, die Ausdauer unserer Glaubensbrüder in Preußen, werden die Kampfeszeit abkürzen und das Eingreifen Gottes beschleunigen. Hat aber der helfende und vergeltende Gott einmal seinen Arm ausgestreckt, dann ist gar nicht zu berechnen, wer und was unter demselben in Trümmer geht. – Möchte doch die Einsicht der leitenden Gewalten in Preußen dem bösen Zeitgeiste widerstehen und den gerechten Gott durch Gerechtigkeit versöhnen!«

Wie ein Marmorbild, so kalt, saß Streber neben dem für seine Kirche warm fühlenden Gut.

»Was Sie aus der Vergangenheit angeführt, trifft zu, – aber das Prophezeien ist eine bedenkliche Sache,« erwiederte er. »Überlassen wir also die Zukunft den unerforschlichen Rathschlüssen Gottes. – Dagegen überrascht mich Ihr schneidiger Widerspruch gegen die kirchliche Praxis vorsichtiger Fügsamkeit. Sie würden ohne Zweifel, entgegen dem Verbote der weltlichen Behörde, Oswald copulirt haben.«

»Ich würde dies allerdings für meine Pflicht erachtet haben.«

»Ebenso gewiß hätte Sie Ihr Amtseifer einige Wochen hinter Schloß und Riegel gebracht.«

»Wo ich mit dem Psalmisten gebetet haben würde: Tu Domine cognovisti sessionem meam, – Du, Herr, kennst mein Sitzen!« entgegnete lächelnd der greise Pfarrer.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Herr Mitbruder!« fing Streber wieder an. »Offen gestanden, beunruhigt mich der Gedanke, in sehr ernster Sache eine Pflicht versäumt zu haben. Ich nahm leider unseren Bischof zum Vorbilde, sowie dessen Wahlspruch: ›Es ist nichts zu machen!‹ – und beugte mich gehorsam unter das Heirathsverbot der weltlichen Behörde. Nun aber hat Ihr Hinweis auf die alte Kirchenpraxis, sowie auf den heldenmütigen Widerstand und das beharrliche Kämpfen des Clerus und Volkes in Preußen, mein priesterliches Gewissen aufgeregt. Wie wäre es nun, wenn Sie, bei meiner nahe bevorstehenden Versetzung, auf die Pfarrei Faulheim sich meldeten?«

Schaal warf seinem Gegenüber einen vorwurfsvollen Blick zu und bewegte ärgerlich den Kopf.

»Seit dreißig Jahren bin ich in Heilborn und dachte niemals an einen Wechsel,« antwortete Gut.

»Entschuldigen Sie meinen Freimuth, Herr Amtsbruder, wenn ich bemerke, daß Faulheims schwer zu bearbeitender Weinberg der geeignetste Wirkungskreis für Ihre Erfahrung und Ihren Hirteneifer wäre,« fuhr Streber fort. »Heilborn ist ein ruhiger abgelegener Ort, den schädigenden Einflüssen einer nahen Stadt nicht ausgesetzt. Alles geht dort seinen gemessenen Gang. Die Leute sind frommgläubig und sehr leicht zu pastoriren. Ihr Nachfolger hätte weiter nichts zu thun, als in Ihre Fußtapfen zu treten. – In Faulheim hingegen erwartet Sie Kampf und Widerstand. Würden Sie diese herabgekommene Gemeinde für Gott gewinnen und ein Heilborn aus derselben machen, – Ihr Verdienst wäre unendlich groß vor dem Herrn.«

»Was redest Du da, Streber?« brach Schaal unmuthig los. »Du weißt doch, daß ich nach Faulheim mich melden will. Wie könnte ich nun mit Herrn Gut concurriren, der achtzehn Dienstjahre mehr zählt, als ich? Seit sieben Jahren sitze ich zu Pilsenbach mit 800 Gulden, und Faulheim trägt 3000 Gulden. Längst ersehnte ich diesen Wechsel, – und nun Deine unbegreifliche Durchkreuzung meiner berechtigten Ansprüche!«

»Um Vergebung, Schaal! An Deine Bewerbung habe ich augenblicklich gar nicht gedacht, lediglich bestimmt durch meine Gewissensunruhe und den Wunsch, Oswalds Concubinat gehoben zu sehen, – das Du ohne Zweifel bestehen ließest.«

Schaal erwiederte nichts. Geärgert blickte er in den blauen Dampf der Cigarre.

»Im Grunde ist das Einkommen aller Pfarreien gleich,« sagte Herr Gut. »Jede Seelsorgsstelle trägt von Zweien Eins: – den Himmel oder die Hölle.«

»Jawohl! Aber primum est vivere, – und zwar anständig leben, was man mit 800 Gulden nicht kann.«

Streber sah nach der Uhr.

»Ist schon fünf?« frug der Pfarrer von Pilsenbach.

»Bereits zehn Minuten darüber.«

»Beabsichtigen die Herren einen Ausgang?«

»Um fünf Uhr ist Kegelschieben im Hirschen,« antwortete Streber. »Sämmtliche Honoratioren Faulheims sind von der Parthie, nämlich der Bürgermeister, der Forstwart, Lehrer Schofel und meine Wenigkeit.«

Herr Gut nahm Stock und Hut und verabschiedete sich.

»Was hast Du mir da für einen Streich gespielt?« zürnte Schaal.

»Beruhige Dich, mein Freund,« tröstete Streber. »Hätte Gut nicht achtzehn, sondern tausend Dienstjahre mehr, als Du, er würde die Braut Faulheim doch nicht heimführen, weil er bei der Regierung persona ingrata ist.«

»Ein solcher Rigorist Pfarrer in Faulheim, – das gäbe ein hübsches Durcheinander!« sagte Schaal. »Die Faulheimer bedürfen eines Pfarrers, der sich den Zeitbedürfnissen anbequemt.«

Inzwischen schlug Herr Gut einen Pfad ein, der in gerader Richtung nach den Bergen führte. Gedankenvoll sah er beständig vor sich hin. Ein inneres Kämpfen und Ringen trat immer lebhafter in seine Züge. Strebers Vorschlag und dessen Begründung waren auf fruchtbares Erdreich gefallen. Ohne des Weges zu achten, ging er fort, in ernste Betrachtungen vertieft. Nach etwa zweistündiger Wanderung betrat er die feierliche Stille des Hochwaldes. Unter einer Lichtung der Bäume, deren Kronen die Abendsonne vergoldete, blieb er stehen, nahm den Hut vom ergrauten Haupte, blickte zum Himmel empor und sagte: »Herr, wenn es Dein heiliger Wille ist, – hier bin ich! Die letzten Kräfte des Greisenalters seien Deinem Dienste geweiht!«

Nach diesen Worten, im Tone feierlichen Gelöbnisses gesprochen, glitt es leuchtend über sein Gesicht, in dem sich Glück und Frieden spiegelten. Er setzte den Hut wieder auf und wanderte nun rüstiger fürbaß, als man von seinen dreiundsechzig Jahren erwartete.

Zwei Tage später kam Walther von Heilborn zurück. In eiliger Hast trat er vor seinen Vater.

»Alle Schwierigkeiten sind gehoben!« berichtete er. »Das Amtsblatt von gestern enthält Strebers Versetzung nach L –. Herr Gut wird die Pfarrei Faulheim übernehmen, und seine erste Sorge wird Oswalds Trauung sein.«

»Eine solche Lösung hätte ich doch nicht erwartet,« sprach Herr Ottfried, in hohem Grade überrascht. »Ich kenne die Liebe unseres Freundes für seine Pfarrkinder und deren Verehrung für ihn. Jetzt bringt er Alles zum Opfer, – vertauscht Liebe mit Haß, den Frieden mit Kampf, dankbare Verehrung mit Verfolgung, Heilborn mit Faulheim, – das ist bewunderungswürdig! Herr Gut ist ein vollkommener Priester!«

»Ein Heiliger!« versicherte Walther.

Guts Opfermuth machte auf den Großgrundbesitzer einen tiefen Eindruck und reizte ihn, zur Betrachtung von Zeitverhältnissen, welche mit dem innersten Leben und Gedeihen des deutschen Volkes in enger Beziehung stehen.

»Wenn nun aber Herr Gut das Opfer nicht gebracht und der Staat das Heirathsverbot nicht aufgehoben hätte? Was dann? – – Mir ist unbegreiflich, wie unsere Staatsmänner und leitenden Politiker eine Notwendigkeit nicht zu erkennen scheinen, die sich gleichsam mit elementarem Zwang aufdrängt. Wenn der Staat die Ausspendung der Sakramente verbietet, wenn er jene Geistlichen des Landes verweist oder zu gemeinen Verbrechern in Gefängnisse sperrt, welche die Sakramente pflichtgemäß dennoch spenden, – wenn der Staat die Besetzung geistlicher Stellen verhindert, so daß Städte und Dörfer ohne Seelsorge und deren Bewohner verwildern, religiös und sittlich verderben müssen, – wenn Tausende gläubiger Christen vergeblich schmachten nach der Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse und sogar die Sterbenden ohne Aussöhnung mit Gott, ohne den priesterlichen Beistand, ohne den Trost und die Heilskraft der heiligen Sakramente von hinnen scheiden müssen, – und wenn dies Alles geschieht ohne Ueberschreitung der staatlichen Rechtssphäre, wenn vielmehr der Staat dies Alles herbeiführen zu müssen glaubt, zur Wahrung seiner Autorität und zur Nöthigung unter Gesetze, welche in das religiöse Leben und in den religiösen Glauben bestimmend eingreifen: – so dürfte auch dem Kurzsichtigen die Nothwendigkeit einer Trennung von Kirche und Staat einleuchten. Der Staat proklamire Gewissensfreiheit und kümmere sich gar nicht um die rein kirchlichen Verhältnisse der verschiedenen Religionsgesellschaften. Geschieht dies nicht, dann ist an gesunden Frieden nicht zu denken, und der ewige Krieg wird unser ganzes Volksleben vergiften und schließlich den gewaltsamen Umsturz herbeiführen. Man behauptet wohl, der Streit zwischen Kaiser und Papst sei ein alter, unvermeidlicher, – das ist grundfalsch und die Anwendung auf unsere modernen Verhältnisse unmöglich. Die Zerwürfnisse zwischen Kaiser und Papst im Mittelalter waren nur Familienzwiste; denn das ganze Volk, war katholisch und der Staat religiös. Heute aber ist das Staatswesen confessionslos, das Volk selbst im Glauben gespalten, und wenn ein Staat ohne bestimmtes religiöses Bekenntniß in der Kirche gebieten will, so ist dies unnatürlich und der Religion überhaupt höchst gefährlich. Im Mittelalter konnte man das Verhältniß zwischen Kirche und Staat eine Ehe nennen, – heute nicht mehr. Zwischen der Kirche Jesu und dem Staate Feuerbachs kann es nur eine wilde Ehe geben und diese ist unerlaubt vor Gott. Also Trennung von Kirche und Staat, wie in England oder Amerika; – Trennung von zwei Gewalten, die innerlich und wesentlich geschieden sind.«

Walther war der langen Erörterung aufmerksam gefolgt und jetzt erklärte er sich mit den väterlichen Ansichten einverstanden.

»Vater,« rief er dann, »würdest Du in unserer Landeskammer und im Reichstage für diese heilsame, für diese gleichsam rettende Nothwendigkeit eintreten, und sie, im Bunde mit einsichtsvollen Männern durchführen, – Dein Verdienst vor Gott und dem Vaterlande wäre groß.«

Frau Clara, Edels Gattin, unterbrach den Gegenstand. Mit einer für sie frohen Botschaft erschien sie im Zimmer, einen geöffneten Brief in der Hand.

»Heinrich hat geschrieben, zwar wenige, doch beruhigende Zeilen. Lies einmal, Ottfried! – – Du hast Deine Mutter ohne allen Grund erschreckt,« wandte sie sich an Walther. »Dein Bruder war immer ein gutes, frommes Kind, – wie könnte er in männlichen Jahren freveln wider Gott und sein Gewissen? Er scherzt und lacht im Briefe über meine unbegreiflichen Vorstellungen. ›Dein grundlos geängstigtes Mutterherz,‹ schreibt er, ›ließ Dich Gespenster sehen. Niemals werde ich meiner Ueberzeugung untreu, niemals dem Namen Unehre machen, den ich mit Stolz trage.‹ Mithin hast Du an Deinem Bruder gesündigt durch falschen Argwohn.«

»Ich bereue die Sünde, liebe Mutter, und bitte Gott, Heinrichs Ueberzeugung möge immer die unsere sein. – Es wird Dich freuen, zu hören, daß Friedrichs Angelegenheit den besten Erfolg verspricht,« – und er setzte sie von dem Entschlusse des Pfarrers von Heilborn in Kenntniß.

»Herr Gut ist ein sehr frommer und würdiger Priester, – dies weiß ich längst. Dagegen wiederhole ich, daß mir Friedrichs Wahl sehr mißfällt. Die Tochter eines Käsehändlers, – kein feiner Geschmack!«

»Uebersehe nicht die vorzüglichen Eigenschaften Annas.«

»In höheren Ständen giebt es auch vorzügliche weibliche Eigenschaften,« erwiederte sie. »Mußte Friedrich gerade die Tochter eines fahrenden Käsekrämers wählen?«

»Vor Gott und der religiösen Ueberzeugung begründet der niedere Stand keinen Unwerth,« sagte Walther.

»Aus diesem Grunde widerspreche ich auch nicht, – Friedrich mag seinen Willen haben,« entgegnete Frau Clara, indem sie das Zimmer verließ.

»Ich bewundere die Unbefangenheit Deiner Mutter,« sprach trübe Herr Ottfried. »Heinrichs Brief ist durchaus nicht geeignet, unsere Befürchtungen zu heben, – im Gegentheil! In der Maske heiterer Laune ergeht er sich in zweideutigen Ausdrücken. Er spricht von der Unerschütterlichkeit seiner Ueberzeugung, – was jedoch seine gegenwärtige Ueberzeugung ist, sagt er nicht. Er werde dem Familiennamen keine Schande machen, – nach den Versicherungen des ungläubigen Professorenthums ist aber die neudeutsche radikale Wissenschaft der höchste Ruhm, obwohl sie den persönlichen Gott und jede geoffenbarte Religion läugnet. – – Ich fürchte das Schlimmste!«



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