Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Rockhampton, 12. 4. 64.

Liebe Charitas!

Deinen lieben Brief, worin Du mir das Weihnachtsfest so ausführlich beschreibst, habe ich erhalten. Du schreibst mir darin auch sehr viel von Deiner Sehnsucht. Glaubst Du etwa, ich sehne mich nicht auch? Aber, – laß uns einander nicht weich machen. Du neigst so sehr dazu. Hast Du das von mir? Vielleicht. – Es ist aber nicht gut, wenn man so viel in seinen Gefühlen herumwühlt. Während Du sie mir aussprichst, bohrst Du Dich wieder frisch in den Schmerz, den Du vielleicht schon etwas überwunden hattest, und machst ihn nun noch einmal durch. Es gibt Schmerz genug, dem wir auf keine Weise aus dem Wege gehen können; ich meine deshalb, wo wir ihn uns ersparen können, müssen wir das tun. – Ich muß für meine Aufgaben Mut, Freudigkeit und innere Ruhe haben. Mit einem schweren, bedrückten Herzen geht keine Arbeit flott vonstatten, weder bei Dir noch bei mir! Ich sage mir aus eigner Erfahrung: Stimmungen und Gefühle wechseln täglich in uns. Welche lange Zeit vergeht, ehe wir die Briefe voneinander in den Händen haben, da ist es möglich, daß Du, während ich hier über Deine traurige Stimmung weine, wieder sehr vergnügt durch Wald und Wiese streifst. Schreib mir mit jedem Schiff einen, wenn auch noch so kurzen Brief, dann aber mache es wie mit dem Weihnachtsbrief, gib mir ein Bild aus Deinem Leben. Ich meine nicht: schreib ein Tagebuch, das liebe ich gar nicht, denn nicht jeden Tag passiert etwas, das des Aufschreibens wert ist. Schreib aber, wenn Dir wirklich etwas begegnet, was sich von dem täglichen Leben abhebt. Das schreib grade wie Du Zeit und Ruhe hast, und das schick', wann Du willst. Laß es uns mal so versuchen. Ich will Dir auch in dieser Weise schreiben. Es kann auch bei mir vorkommen, daß ich Dir mal lange Zeit nicht ausführlich schreiben kann, eine kurze Nachricht sollst Du aber möglichst oft haben. –

Neulich habe ich zwölf Kisten nach Hamburg geschickt und bin nun sehr gespannt, wie sich die Herren darüber äußern. Die Fahrt am Brisbane River hat mir so reiche Ausbeute gebracht. Mit der Umgegend von Gladstone war ich dagegen gar nicht zufrieden. Gladstone ist eine der ältesten Niederlassungen und hat etwa 30 Häuser. Ich hielt mich nur drei Monate da auf. Im Vergleich zu andern Landstrichen ist die Gegend für den Sammler armselig und dürftig. Ich unternahm eine Fußwanderung von etwa 25 Meilen. In der Ansiedelung hatte man mir Aussicht auf allerlei interessante Funde gemacht. Das war aber ein Irrtum. Die Ausbeute stand in keinem Verhältnis zu den Anstrengungen. – Ehe ich eine weitere Wanderung unternehme, lasse ich mir in der Ansiedelung von einem Wegkundigen Bescheid sagen. Mein Ratgeber nimmt ein Stöckchen und zeichnet mir den Weg auf die Erde. Zuerst wurde es mir schwer, mich danach zu richten; aber man lernt alles, und schließlich, – auf Irrgänge kommt gerade bei mir nicht so viel an, die Hauptsache ist, daß ich mich immer wieder nach Hause finde. Die oben erwähnte Wanderung steht in schlechtem Andenken bei mir, denn die Vegetation war geradezu trostlos! Das Land war gebirgig, ich hatte über totes, steiniges Geröll zu wandern, und nur selten wurde die Einöde durch ein Myrtenwäldchen oder durch einige Eukalypten belebt. Eine Überraschung hatte ich aber doch. Als ich einen steinigen Hügel abwärts wanderte, sah ich unter mir eine Anzahl Zelte. Pfähle waren in die Erde gerammelt, darüber Segeltuch gespannt, und mitten dazwischen war eine Bude aus Baumrinde verfertigt. Ich war zuerst in Zweifel, ob hier Eingeborene hausten und ging vorsichtig auf die Bude los. Ein Deutscher hatte hier eine Art Wirtshaus errichtet, die Zelte gehörten Goldgräbern. Nachdem ich mich gestärkt und geruht hatte, ging ich an den nahen Fluß und sah mir die Sache an.

Wild aussehende Männer mit nacktem Oberkörper standen am Fluß, je zwei und zwei arbeiteten zusammen: der eine grub, der andere wusch das Gegrabene. Die Männer mit den gierigen Blicken flößten gerade kein Vertrauen ein, und ich eilte, daß ich weiter kam. Von dieser beschwerlichen Wanderung kam ich recht mutlos zurück. – Von Gladstone zog ich nach Rockhampton, hier ist wieder viel mehr für mich zu tun, und ich glaube, daß ich hier nicht so bald wieder wegkomme. – Du sagst, Du sorgst Dich um mich. Du hast gehört, daß die Papuas Menschenfresser sind. Du fragst, ob ich noch gar nichts mit ihnen zu tun hatte? Bei Brisbane habe ich nicht viel von ihnen gesehen, manchmal habe ich mich aber sehr amüsiert über sie. Die Regierung hat angeordnet, die Papuas dürfen nicht unbekleidet in die Stadt gehen, da ist es denn sehr drollig, wenn sich der eine einen alten Zylinder, der andere einen Strumpf und ein dritter das Gestell einer Krinoline anzieht. – Die Hitze hier ist unerträglich, dadurch aber eine Üppigkeit der Vegetation, daß mir buchstäblich alles über den Kopf wächst. O, Du kannst Dir keine Vorstellung machen, wie hier alles wächst und treibt. Das eine verdrängt das andere. Unter Riesenbäumen wachsen Farren, unter denen ich ganz verschwinde, und mir wird manchmal ganz angst, wenn ich mich zwischen üppigen Schlingpflanzen, Farren und Gesträuch hindurcharbeiten muß. Große Orchideen hängen an fast unsichtbaren Fäden von den Bäumen herunter, sie sind so wunderbar geformt, sie haben so schöne Farben, und sie sehen mich so geheimnisvoll an, daß meine Hand sie nur mit einer gewissen Scheu pflückt, als seien es lebende Wesen, die mir Vorwürfe machen, daß ich ihr ruhiges Dasein störe.

Und wie interessant ist hier auch die Tierwelt! Alles ungefähr umgekehrt wie bei uns. Die Schwäne sind schwarz, und viele Säugetiere haben Schnäbel, die Bienen dagegen haben keinen Stachel, und eine Bachstelze habe ich beobachtet, die hebt den Schwanz nicht auf- und abwärts, sie bewegt ihn von links nach rechts. Es gibt Laubbäume, deren Blattränder nach oben gerichtet sind. Andere Bäume verlieren statt des Laubes die Rinde, und es macht einen traurigen Eindruck, wenn man die nackten Riesen gleichsam frierend zwischen den anderen Bäumen sieht. Ich fand eine kirschenartige Frucht, der Kern aber saß draußen an der Beere. Eine andere Beere hatte Ähnlichkeit mit unserer Stachelbeere. Als ich sie aß, merkte ich, daß die feinen Haare, mit denen sie bedeckt ist, brennen, als ob ich Brennnesseln im Halse hätte. Die rühr' ich also künftig nicht wieder an.

In der Nähe der Ansiedelungen grasen auf meilenweiten, üppigen Ebenen viele Tausende von Schafen, Pferden und Rindern. Und wie schön ist die Wolle dieser Schafe!

Ein hoher Gebirgszug, man nennt ihn: »The great deviding Range,« zieht sich vom nördlichen bis zum südlichen Teil der Ostküste, und dieser Höhenzug sorgt für Wasser.

Ich wollte, Du könntest mal einen Blick in diese Märchenwelt tun, könntest mal die Palmen am Fitzroy-River sehen, aber vor allen Dingen die Riesenbäume des Eucalyptus amygdalina. Es sollen die höchsten Bäume der Erde sein. Das Geäst dieser Riesen ist im Verhältnis zu ihrer sonstigen Größe fast dürftig.

Am Fitzroy-River habe ich Krokodile gefunden von 22 Fuß Länge. Als ich sie ausnahm, fand ich handgroße Steine in ihrem Magen. Ich fand hier auch Wasserschlangen, die lebendige Junge zur Welt bringen.

Denk Dir nur. Fleisch hat hier gar keinen Wert, aber man macht sich auch gar nichts daraus bei der großen Hitze, man möchte nur immer trinken. Ich trinke, – wenn ich nicht die schönen Früchte habe, – kalten Tee. Neulich kam ich in der Dunkelheit nach Hause, ich war so verschmachtet, daß ich eilig ein Stück Zucker in den Mund nahm und Tee nachtrinken wollte, aber – o der Schreck! Am Zucker saß eine Riesenameise, die biß sich im Halse fest, ich hatte furchtbare Schmerzen und konnte das Tier weder hinunterschlucken noch heraushusten. Ich war wie von Sinnen vor Schmerz, machte nun den Tee heiß und versuchte das Tier zu verbrühen; es muß mir ja auch schließlich gelungen sein, denn endlich konnte ich es loshusten, und Du siehst, es ist gut gegangen. – Ich bin hier allerdings mehr Gefahren ausgesetzt, als wenn ich in der Heimat reiste, aber ich meine, Gott kann mich hier grade so gut schützen wie zu Hause. Furcht habe ich nicht. Die vorhergehenden Jahre waren so schwer, daß ich doch finde, ich habe es jetzt, im Vergleich zu früher, sehr gut. Ach, wenn ich zurückdenke, wie ich mit dem guten, treuen Hektor durch die Länder zog! Der Wagen so schwer, die Wege oft so schlecht; Hunger, Frost und Hitze hatten wir zu leiden, und immer die drückende Sorge ums tägliche Brot und um Dich! Wie oft im Traum ziehe ich noch an dem Wagen, und wenn ich träume, daß es bergauf geht, strengen Hektor und ich uns ganz besonders an; ich erwache dann in Schweiß gebadet und empfinde, o wie dankbar, daß ich es so gut habe. Ich sitze sozusagen an einem reichen Tisch, die denkbar schönsten Früchte, Ananas, Bananen, Potaten (eine Art süßer Kartoffel), Ibomea potata, stehen mir jederzeit zur Verfügung. Welche Freiheit habe ich hier beim Sammeln! Kein Mensch setzt meinem Sammeleifer irgendwelche Schranken. Ich durchschreite die weiten plains, durchwandere die Urwälder, ich lasse Bäume fällen, um die Holzarten, Blüten und Früchte zu sammeln, ich durchfahre im schmalen Kanoe Flüsse und Seen, suche Inseln auf und sammele, sammele!

Die Unbequemlichkeiten, die mir die Hitze und die Moskitos bereiten, vergesse ich leicht über dem unendlichen Glücksgefühl, das mich beseelt, wenn ich auf Schritt und Tritt Schätze heben kann, die vor mir keiner geholt hat. Ich habe keine Angst, daß ich die Erwartungen, die Godeffroys in mich setzen, täuschen könnte. Wenn ich so ungehemmt das weite Gebiet durchwandere, dann meine ich, kein König kann sich so frei und glücklich fühlen wie ich, mir ist dann zumute, als hätte mir Godeffroy den ganzen großen Erdteil zum Geschenk gemacht. Auf allen Gebieten Neues, Unbekanntes! Und alle diese Naturwunder, ob es nun unscheinbare Moose, Nacktschnecken. Spinnen und Tausendfüße oder Gerätschaften, Schädel und Skelette der Eingeborenen sind, alle, alle dienen dazu, mich mit der alten Heimat zu verknüpfen. Unsichtbare Fäden ziehen dadurch hinüber und herüber; von mir zu all den Gelehrten, die die Sachen bearbeiten, von ihnen wird mir Anerkennung. Glaube nicht, daß ich unempfindlich oder gleichgültig dagegen bin; ich habe in den Jahren meiner Demütigung schwer gelitten, wie dankbar empfinde ich jetzt den Gegensatz! Mir fehlen die Worte, Dir den Reichtum zu schildern, der mir auf jedem Gebiet entgegentritt. Wie oft wünsche ich Dich an meine Seite, damit Du meine Freude, mein Entzücken teilen könntest.

Wir wollen doch alles Große und Schöne, was uns geboten wird, recht dankbar aufnehmen, dann bleibt uns gar nicht soviel Zeit, trüben Gedanken nachzuhängen.

Für heute sei herzlich gegrüßt von

Deiner
glücklichen Mutter.


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