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Ein Besuch bei Don Juan

Eines Tages suchte ich meinen Weg nach dem Hospiz de la Charité, durch die heißen Gassen Sevillas, diese lustigen Gassen, deren sonnvertrocknete Schönheit hinreißend ist wie der Rhythmus der Castagnetten, und die von den Nelken im Haar der Frauen duften.

Durch einen Hof, den ein paar Bäume beschatteten und ein Marmorbrunnen kühlte, trat ich in die Kapelle. Das tiefe Dunkel ließ mich nur undeutlich eine Frau unterscheiden, die ganz in lange schwarze Schleier gehüllt einem Priester ihre Sünden zuflüsterte, ihre leidenschaftlichen Sünden ...

Eine Schwester führte mich vor ein Bild: die beiden von Würmern zerfressenen Leichen, das berühmte und schreckliche Werk des Valdes Leal.

Ein Vorhang flog in die Höhe, und das volle Licht fiel plötzlich auf die theatralische Leinwand. Ich sah den Kadaver eines Bischofs und den eines Königs in den entsetzlichen Farben der Verwesung, ganz in Grabtücher gehüllt – bis auf das Gesicht, aus dem Tausende von Würmern hervorbrachen. Im Hintergrund ein ganzer Beinhaufen von Schädeln und darüber die geheimnisvolle Wage des Katholizismus, auf der Verdienst und Schuld gewogen wird.

»Ein Bild, das man nicht ansehen kann, ohne die Nase zuzuhalten,« sagte Murillo. Man kennt es aus Charles Blancs Reproduktion in der »Histoire«, aber weiß man, wer es von Valdes Leal bestellte? Ein Zusammentreffen, das nachdenklich macht: Der Mann, der dieses Bild haben wollte, es inspirierte und es bezahlte, war Don Juan, Molières, Byrons und Mozarts berühmter Don Juan, der Don Juan der Tausend und Drei ...

Man weiß, daß in Sevilla im siebenzehnten Jahrhundert ein mächtiger Wüstling, Don Miguel de Manura Vicentello de Leca lebte, der, um die Frenesie seiner Sinnlichkeit zu befriedigen, Männer mordete und zu Tränen alle Frauen brachte, die unter seiner Verführung vergingen. Die Welt blieb seitdem von seiner Schönheit, seinen Liebschaften und vom Schlag seines Herzens erfüllt, und selbst im Tode verwirrt er noch, denn es ist aus seinen Abenteuern, woraus die Dichter Don Juan schufen.

Infolge eines unheilvollen Gesichtes, das ihn den eigenen Leichnam sehen und seinem Begräbnis beiwohnen ließ, tat er Buße und bat um Aufnahme in den Orden der Caritad. Man kann sogar sagen, daß er ihn organisiert hat. Diese Bruderschaft hat sich zur Aufgabe erwählt, den zum Tode Verurteilten in ihren letzten Tagen beizustehen, sie zur Hinrichtung zu begleiten und dann ihre Leichen, die bis dahin den Tieren zum Fraße dienten, zu bestatten. Männer jeden Standes, große Herren und Höflinge trugen die Gehenkten und Geköpften auf ihren Schultern; denn so will es Don Miguels Vorschrift, die ein wahres Meisterstück der Barmherzigkeit ist. Man kennt seine Lebensgeschichte, der sich dieselbe Inschrift eignet, die er an jenem Bilde der zwei Kadaver anbringen ließ: »Finis gloria mundi.« Seit drei Jahrhunderten erregt die Geschichte dieses Lebens die Phantasie der Menge und der Dichter. Aber was man noch nicht kommentiert hat, ist, daß er von dieser Caritad aus Valdes Leal mit ihrer Ausschmückung betraute. Welches Licht wirft diese Quittung auf die Seele des großen Erotikers!

Was mich betrifft, so wundere ich mich über ein solches Zusammentreffen nicht. Manche finden in der Tat eine bittere Lust an den Greueln der Verwesung. Naturen, deren Nerven schon viele Arten der Erregung erschöpft haben, reizen diese Schrecken. Das rüttelt sie einen Moment lang auf, zerstreut sie, weckt ihre sonst stumpfe Sensibilität. Die Wollust und der Tod, eine Geliebte und ein Skelett, sie allein sind ernsthaft noch imstande, unsere armselige Maschine, die alles ermüdet, noch etwas in Tätigkeit zu bringen; und wie schnell erlahmt sie selbst da!

In der Legende der Jahrhunderte kommen sie ja häufig vor, diese Gesättigten, die sich trunken an Greueln machen. Zur selben Zeit als Don Juan dem Valdes Leal auftrug, die Leichenhäuser zu öffnen, erlebte ein Franzose desselben ungestümen und tragischen Verlangens, Rancé, ein noch düstereres Tête-à-Tête. »Als er sich geradewegs nach den Gemächern der Herzogin von Montbazon begab, zu denen er jederzeit Zutritt hatte, erwartete ihn dort, statt der Freuden, die er zu genießen dachte, als erster Anblick ein Sarg und darauf der bluttriefende Kopf seiner Geliebten, den man von ihrem Körper abgetrennt hatte, um die Halslänge auszugleichen, denn der Sarg war zu kurz.«

Don Juan organisiert eine religiöse Bruderschaft; Rancé stiftet den Trappistenorden. Beide weihen sich einem asketischen Leben. Wie wollte ich mich über ihr Antlitz gebeugt haben in dem Augenblick, da sich die Leichname darin spiegelten und die plötzliche Wandlung ihres Wesens hervorriefen!

Wenigstens durfte ich den für den schweifenden Gedanken so lebhaften Genuß erleben, zuerst das Porträt und dann, was mehr ist, die Maske zu studieren, die man von Don Juan auf seinem Sterbebette abgenommen hatte. Die Züge dieses Mannes, der zu einer der tiefsten Legenden der modernen Sensibilität den Stoff gegeben hat, diese Züge zu betrachten, zu betasten, ist dies nicht schon sehr erregend? Wahrhaft religiöse Gemüter werden mich verstehen; diese galante Reliquie machte einen tieferen, ernsteren Eindruck auf mich als die vielen heiligen Gebeine, von denen die Kirchen Spaniens voll sind.

Zweifellos war Don Juan eine Seele ohne Komplikationen, aber eine starke Seele und von einem zu mächtigen Innenleben, als daß es für sie Hindernisse gegeben hätte. Es kostete ihn nicht mehr, die Welt durch seine Bekehrung zu verblüffen, als früher die Furchtsamen zu erschrecken, die Vernünftigen zu skandalisieren und seine Geliebten, die nach so großer Liebe so früh Verlassenen, verzweifelt zu machen.

Valdes Leal zeigt ihn uns in einem authentischen Porträt als den Bekehrten und disputierend. Er sitzt vor theologischen Traktaten und widerlegt und behauptet mit erhobenem Finger und mit dem Wesen eines soldatischen Schnauzbartes. Gewiß, er ist schön so, aber vom Tode empfing er einen noch höheren Adel als von seiner Konversion. Der Todeskampf sublimierte seine Züge, die, solang er lebte, nicht besonders intelligent waren. Sterbend erst wurde er seiner Legende würdig. In diesem Augenblick war es, daß er ganz sich selber gleich wurde. Aus Don Miguel wurde er Don Juan. Auf seiner Totenmaske trat plötzlich jene Leidenschaft, jener tiefe Ernst hervor, von dem er immer erfüllt war; denn haltet ihn nicht, selbst in seiner Débauche, für einen frivolen Kalten, sondern für einen Menschen, der auf sein Glück erbittert ist und der zu seinem Grimme, das Glück nicht zu finden, diese Bitterkeit gibt, den Schmerz in der Welt zu propagieren. Ah! wie leicht mußte es ihm fallen, für die Armen zu betteln, er, der so viele Jahre hindurch um das Glück gebettelt hatte! Und wie leicht mußte ihm die barsche Abweisung der angebettelten Reichen sein, nach den Tränen aller derer, die diesem Unwiderstehlichen nichts versagen und ihm dennoch den Obolus des Glückes, nach dem er begehrte, nicht reichen konnten! Dieser Wollüstige, der so viele junge Leiber aus den besten Familien in seinen Armen gehalten hatte, und den nichts sonst mehr befriedigte, als die Leichen der Gehenkten zu tragen!

Auf die äußeren Umstände des Lebens legt man für gewöhnlich ein viel zu großes Gewicht. Ob wir unser Leben mit dieser oder jener Beschäftigung hinbringen, das ist unwesentlich. Jeder geht den Weg, der in seinem Dorfe endet. Der geht in das Kloster, dieser andere in die Kaserne, ein dritter wird Kustos in einer Bibliothek und ein vierter Stammgast der Freudenhäuser. Beurteilt die Menschen nicht nach diesen äußeren Dingen! Merkt lieber darauf, wie sie etwas bewegt, wie sie Entschlüsse fassen, wie sie diese großen Erschütterungen spüren, jeder auf seinem Wege.

Paulus auf dem Weg nach Damaskus, Loyola zu einer anderen Zeit zeigen genau dasselbe Willensphänomen, das bei Don Juan Tenorio zutage tritt. Das sind Annäherungen, die die Analogie bestätigen, die wir in den Fällen Don Juan und Rancé fanden und durch die wir vielleicht Anstoß erregen. Aber da ist noch eine andere: als ich in der Caritad diese so ernste Maske betrachtete, brachte sie mir plötzlich Pascals eigenste Züge vor das Auge.

Dieser Don Juan, der allerdings nicht die Provinciales schrieb, aber leidenschaftlich argumentierte, und der, auch er, um sich zu bekehren, seinen Glauben auf seiner Todesfurcht und seinen Enttäuschungen gründete, dieser Don Juan verwirrt mich nicht, wenn seine Züge sich im Todeskampf veredeln und eine Familienähnlichkeit mit diesem fiebrigen Pascal zeigen. Und ich staune nicht darüber, auf ihren Zügen, die keine äußeren Einflüsse mehr deformierten, so ähnliche Linien hervortreten zu sehen, da doch eine gleiche Not ihre innersten Regungen bestimmte.

Schade, daß sich von Don Juans Maske kein Abguß erlangen läßt. In Bronze gegossen wäre es schön ihn in der Hand zu halten. Aber die Ordensschwestern der Caritad lassen es nicht zu, daß ihm noch länger Liebkosungen zuteil werden. Eine scherzhafte Rache! Den die leidenschaftlichsten Frauen auch nicht mit ihren Tränen zu halten vermochten, der ist heute der Gefangene kaltkeuscher Jungfrauen. Sie haben die Reproduktion der Don Juan-Maske verboten.


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