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Achtzehntes Kapitel.
Das verrätherische Taschentuch

Miß Emmy Brown, die reiche Erbin des ehemaligen Besitzers von White-House, hatte allerdings in ihrer Freundin Esther das gefunden, wonach sie sich so heiß sehnte, ein befreundetes Herz, das mit ihr Freude und Leid zu theilen bereit war, allein sie war doch nicht glücklich, und ihr glänzender Palast kam ihr vor wie ein Kerker, hinter dessen Mauern sie zu schmachten genöthigt war, und der blumige Charlestown Platz, auf den ihre Fenster blickten, wie eine Saharah, deren schauriger Einöde sie nicht zu entrinnen vermochte.

Tagelang – wochenlang saß sie traurig und kummervoll hinter den Blüthenranken ihres Balcons und blickte auf den Platz hinab, als ob sie in jeder der glänzenden Equipagen, die auf dem ebenen Pfade geräuschlos vorbeisaus'ten, den erwartete, der allein die Nacht ihres Schmerzes zu erhellen vermochte.

Esther saß au. ihrer Seite, ihre Lilienhand liebkosend, oder das Haupt der Freundin an ihrem Busen ruhend. Sie kannte ihren Kummer, denn vor ihr hatte das schöne Mädchen nie ein Geheimniß gehabt. Wie Schwestern waren sie mit einander erzogen. Der alte Mr. Brown hatte die beiden Quadroonen-Kinder, Esther und Edward wie seine eigenen Kinder geliebt und war ihnen sein lebelang ein zärtlicher Vater gewesen. –

Barbarische Sitten, die einem entmenschten Tyrannen gestatteten, die Geschwister in den Fluch der Sklaverei zurückzuschleudern, dem sie durch die Milde eines edlen Mannes entrückt waren! –

Esther war eine schlechte Trösterin, denn auch sie war traurig, auch ihre Augen stillten sich häufig mit Thränen, auch ihrer Brust entrang sich mancher Seufzer, aber noch hatte kein Wort der Erklärung ihrem Herzen Erleichterung verschafft.

Emmy fühlte die zarte Rücksicht, die in dieser Verschlossenheit lag, allein sie hielt es für ihre Pflicht, die Freundin nach der Ursache ihrer Schwermuth zu fragen.

»Du verbirgst mir etwas, Esther,« sagte sie, liebevoll ihren Arm um den Nacken der Freundin legend. »Ich weiß, Du thust es nur, weil Du fürchtest, mir nur noch mehr Kummer zu machen. Aber ist es nicht billig, daß auch Du Dein Herz mir öffnest und Trost in meiner Theilnahme suchst? – Sprich Esther, was ist's, das Dich bedrückt?«

Esther schaute mit ihrem trüben, schwermuthsvollen Blick in die klaren blauen Augen der Freundin, erfaßte deren Hand und drückte sie ans Herz. Dann sagte sie im Ton der tiefsten Betrübniß:

»Du hast Recht, ich muß mich aussprechen, sonst tödtet mich ein Gefühl hier tief im Herzen, von dem ich mir selber keine Rechenschaft zu geben vermag. Auch Du hast Herzensweh, theure Emmy, vielleicht daß das Bewußtsein, Gleiches zu leiden, geeignet ist, uns die Last des Grames zu erleichtern ... Du liebst, Emmy –«

»Und Du liebst auch?« unterbrach sie das schöne Mädchen, wobei ihr Auge ein Freudenstrahl durchzuckte. »Ich habe Dir's längst angesehen, daß Du liebst. Sage, errathe ich's?«

»Weiß ich's, ob das Gefühl, das mir nicht Ruhe läßt, das mich bei Tage mit trüben Gedanken und Nachts durch beängstigende Träume foltert, das dennoch mein Herz mit namenloser Sehnsucht erfüllt, das Wonne und Weh zu gleicher Zeit ist, – weiß ich, ob dies Gefühl Liebe ist?«

»Ja, Esther, das ist die Liebe, wie ich sie empfinde gegen Frederic Seward,« entgegnete Emmy. »Aber nun sage mir, wer ist der Gegenstand Deiner Liebe? – Laß uns von ihm und von Frederic sprechen, so füllen wir am besten die Tage des Kummers aus. Ich habe wirklich nicht geglaubt, daß im Hause des Herren Breckenridge Jemand Eingang gefunden, der Deiner Liebe werth wäre.«

Esther schüttelte den Kopf.

»Ich verachte, ich hasse Alle, die ich mit dem Unmenschen befreundet sah. – Er war nicht mit ihm befreundet.«

»Wer?«

»Der, mit dem sich meine Gedanken beschäftigen, den ich, wie Du sagst, liebe. Er ist ein Feind von Breckenridge, ein Feind Aller, die dem Sclaventhum das Wort reden.«

»Also auch ein Republikaner – ein Gesinnungsgenosse meines Frederic. – Weiter Esther, erzähle mir mehr von ihm – ich vermuthe, Du sprichst von dem jungen Manne, der Dich auf der Flucht begleitete und in die Gewalt der Verfolger fiel?«

»Von demselben.«

»Ah, nun begreife ich auch Deinen Kummer. Er ist gefangen, und Dir vielleicht auf ewig entrissen.«

»Das fürchte ich fast. Aber doch; ich habe geschworen, ihn zu retten, und mein Leben will ich daran wagen, ihn aus dem Gefängniß von Millen zu befreien.«

»Er ist in dem Gefängniß von Millen? – Das ist schlimm, sehr schlimm, aber wie wäre es, wenn Du versuchtest, die Wache mit Geld zu bestechen?«

»Der Haß der Conföderirten ist unbestechlich.«

»Kann Dir nicht Dein Bruder Edward behülflich sein?«

»Er muß sehr vorsichtig sein, denn wie Du weißt, hat man schnell die Fälschung der Liste entdeckt, und Breckenridge schäumt vor Wuth, daß dieser Deserteur mit dem Leben davon gekommen ist. Man hat Anstalten getroffen, daß überall auf ihn gefahndet wird.«

»Also hast Du noch gar keinen Plan gemacht, wie es möglich wäre, den Jüngling zu befreien?«

Esther schüttelte den Kopf.

»Armes Kind,« klagte Emmy, ihr einen Kuß auf die Lippen drückend. »Was mußt Du leiden. Kaum den Ketten der Sklaverei entronnen, seufzest Du unter dem schweren Joch einer unglücklichen Liebe. Wer ist der Jüngling? Vielleicht, daß einflußreiche Verwandte seine Berücksichtigung bei einer Auswechselung fordern.«

»Ich weiß nicht, ob er einflußreiche Verwandten hat – ich kenne nicht einmal seinen Namen.«

»Da ist allerdings dieser Rettungsweg nicht möglich. Aber noch eins. Ich werde meinen Einfluß bei Mr. Breckenridge für ihn geltend machen. Die Freunde des Ministers bestürmen mich ja täglich mit Anliegen, deshalb darf auch ich wohl eine Bitte wagen.«

»Nein, thue das nicht,« fiel Esther hastig ein. »Mr. Breckenridge würde, wenn er überhaupt geneigt sein sollte Jemanden zu begnadigen, seine Gnade jedem Andern angedeihen lassen, aber diesem nicht. Ihm ist der Tod bestimmt, ob ich ihn davon retten kann –? – Wer weiß. – Aber eine Ahnung sagt mir, daß ich ihn nicht zum letzten Male gesehen, daß es mir vergönnt ist, in seinen sanften blauen Augen noch einmal das Geständniß seiner Liebe zu lesen.«

»Blaue Augen hat er?« rief Emmy entzückt. »Gerade wie mein Frederic. Vielleicht auch kastanienbraunes Haar?«

»Auch kastanienbraunes Haar,« bestätigte Esther, »und schön geschweifte Brauen, dazu ein schlanker Wuchs und edle Formen des Körpers.«

»Ah, er ist das Ebenbild Frederic Seward's. – Sieh, Esther, das ist die Wirkung der Sympathie unserer Seelen, daß Diejenigen, aus welche unsere Liebe gefallen, sich sogar äußerlich so außerordentlich gleichen. Aber welch schreckliches Geschick – Dein Geliebter in dem fürchterlichen Kerker des Major Wirtz, der meinige in der Armee M'Clellan's – vielleicht« – und ihre Stimme begann zu zittern – »vielleicht ist er bereits unter den vielen Tausenden von Opfern, die dieser schreckliche Krieg tagtäglich fordert.«

Die beiden Freundinnen sanken einander in die Arme, und eine wohlthätige Thränenfluth erleichterte ihr Herz von der Last des Kummers unter der es seufzte. – –

»Miß Brown!« erklang plötzlich hinter ihnen eine Stimme.

Die beiden Mädchen, so ganz mit ihren Gedanken beschäftigt, fuhren empor und sahen sich erschrocken um.

»Ich bin es,« antwortete die Mulattin Margot. »Ich wollte Sie nicht stören, aber Mrs. Slater verlangte durchaus, Ihnen gemeldet zu sein.«

»Oh, diese unausstehliche Spionin,« murmelte Emmy – »ich mag sie nicht, denn ich weiß ja, in welcher Angelegenheit sie kommt – aber doch, laß sie eintreten, vielleicht kann sie uns nützen.«

»Warte ein wenig!« rief Esther der Mulattin zu, die sich eben entfernen wollte. »Mrs. Slater, diese lebendige Chronik der neuesten Ereignisse, ist eine Person, die Alles weiß und Alles kennt, sie möchte sich in Bezug auf mich nicht täuschen lassen, und in dem Fall wäre ich entdeckt und verloren, ich werde während ihres Besuches dort hineingehen.«

Sie drückte einen flüchtigen Kuß auf die Wange der Freundin und verschwand in dem Nebenzimmer.

Mrs. Slater hatte versucht, ihr sonst so strenges mürrisches Aussehen bei ihrem Eintreten in eine gewinnende Freundlichkeit umzuwandeln, ein Versuch, der ihr aber so völlig mißglückte, daß sie dadurch nur einen vollständig widerwärtigen Eindruck hervorrief.

Miß Brown lud sie mit kalter Höflichkeit zum Sitzen ein und begegnete ihrem unstäten forschend auf sie gerichteten grauen Auge mit einem ruhig fragenden Blick.

»Sie sind neugierig, weshalb ich komme, meine theure Miß Brown?« begann die Dame, ihre männlichen, markirten Züge zu einer häßlichen Fratze verzerrend.

»Nicht im Mindesten, Mrs. Slater,« war die ruhige Antwort. »Ich weiß, daß Sie stets nur als Alliirte und Parlamentairin derjenigen Männer kommen, deren Willen ich mich nie zu fügen beabsichtige. Hat etwa Breckenridge bereits wieder einen neuen Plan mit mir? – dann gebe ich Ihnen die Versicherung, daß ich mich dem eben so wenig fügen werde, wie den früheren Plänen.«

»Sie thun mir Unrecht, theuerste Freundin, ich gehöre gewiß nicht zu den Leuten, die Ihnen übel wollen; allein Sie dauern mich. Ich fühle die innigste Theilnahme für Sie. Sie schließen sich von der Welt und Ihren Freunden so gänzlich ab und leben wie eine Einsiedlerin. Sie sollten das nicht thun. Sie sind jung, Sie sind schön, Sie sind reich – das Alles sind Dinge, welche Sie berufen zu haben scheinen, eine glänzende Rolle in der Welt zu spielen, aber Sie machen sich alle diese Vorzüge nicht zu Nutze.«

»Ich habe das Leben, wie ich es führe, ganz nach meinem Geschmack gewählt, Mrs. Slater, und trage kein Verlangen, meine Lebensweise zu andern. Ich liebe die Einsamkeit und sehne mich nicht nach dem Geräusch großer Gesellschaften.«

»Aber nach aufrichtiger Freundschaft sehnen Sie sich doch, Miß Brown – ich weiß, daß Sie sich danach sehnen, denn ich habe Sie das oft sagen hören. Gut, so schließen Sie sich doch nicht von denjenigen ab, welche Ihnen sicherlich mit Herzlichkeit entgegenkommen werden. Miß Davis würde Sie gewiß mit aller Liebe in ihr Herz schließen, und Mrs. Davis würde Ihre Vorzüge zu würdigen und zu schätzen wissen. Sie würden übrigens im Kreise dieser erlauchten Familie noch andere Personen treffen, deren Bekanntschaft Ihnen nicht uninteressant sein dürfte, da ist z. B. Miß Surratt, eine äußerst gebildete und wohlerzogene junge Dame, Tochter der ehemaligen Plantagen-Besitzerin Surratt in Fairfax, dann treffen Sie dort einen sehr schönen Jüngling, einen gewissen Francis Parker, der sich der speziellen Gunst und Protection Sr. Excellenz des Herrn Präsidenten erfreut –«

»Hat man etwa Heirathspläne in Bezug auf diesen, nachdem sich das Project mit Mr. Berckley zerschlagen?« unterbrach sie Emmy bitter.

»O, fürchten Sie nichts, Miß Brown,« belehrte sie Mrs. Slater. »Der Jüngling hat sein Herz bereits verloren an Miß Jenny Davis, außerdem aber würde Ihr Vormund es schwerlich über sein Herz bringen, Ihnen eine so unrespectable Parthie vorzuschlagen. Für Sie, Miß Brown, muß ein Gatte gewählt werden, der hoch und angesehen dasteht und Ihnen eine Stellung im Leben zu bieten vermag, die Ihrer Herkunft und Ihrem Vermögen angemessen ist – ein solcher Mann ist Mr. Berckley.«

»Was, Mr. Berckley? denn wie ich hörte, ist es mit dem zu Ende,« unterbrach sie Emmy.

»Sie meinen seine Gefangenschaft in New-York? – Oh das hat nichts zu sagen, wir haben bereits Vorbereitungen getroffen, ihn zu befreien. Und kehrt er dann zurück, Miß Brown, dann kann Ihr Herz, selbst wenn es bisher nichts für ihn fühlte, nicht kalt bleiben gegen den Mann, den die ganze Residenz, ja das ganze Land als den Helden des Tages feiern wird. Mit Stolz werden Sie dann sagen können, das ist der Mann, der mich anbetet und zu meinen Füßen in den Ketten der Liebe schmachtet –«

»Und dessen Bewerbung ich mir dann ebenso verbitten werde wie früher,« fügte Emmy mit Geringschätzung hinzu, dann aber umwölkte sich plötzlich ihre Stirne, und niedergeschlagen sagte sie: »Also Sie meinen – Sie hoffen, daß Mr. Berckley wieder frei werden könnte?«

»Ich bin davon überzeugt, denn der Mann, der es übernommen, ihn zu befreien, ist klug, unternehmend, kühn und von starkem Willen. Er wird sicherlich sein Vorhaben durchsetzen.«

»Wer ist der Mann, von dem Sie sprechen?«

»Der Schauspieler Wilkes Booth, ebenfalls ein Günstling des Präsidenten, wie alle Vornehmen des Landes; ein Mann, der die Herzen aller Frauen wie im Sturm erobert und selbst den Männern das Gefühl der Freundschaft abzwingt. Der junge Mr. Francis Parker, von dem ich Ihnen vorhin sprach, scheint mir, seit er mit Booth bekannt wurde, viel kälter gegen Miß Davis und wäre im Stande, seine Liebe der Freundschaft zu opfern.«

Emmy lächelte.

»Ich kann mir nicht denken, Mrs. Slater, daß Sie mir das Vergnügen Ihres Besuchs lediglich zu dem Zwecke gewähren, um mir von den Vorzügen des Komödianten zu sprechen. Ich setze voraus, daß Sie noch einen andern Zweck mit Ihrem Besuch verbinden.«

»Ich will Ihnen nicht länger lästig sein, Miß Brown. Ich wollte nur, wie gesagt, Sie der Einsamkeit entreißen, und mir die Gewißheit verschaffen, daß Ihnen eine Einladung Sr. Excellenz zu einem Diner nicht unwillkommen sei. Es werden außer den angeführten Personen noch Mr. Conover, Sanders, Breckenridge und Tucker anwesend sein, welche Alle gleich sehr vor Verlangen brennen, Ihnen ihre Hochachtung zu bezeugen und ihre Freude, Sie der Einsamkeit entrissen zu haben.«

Emmy schwieg. Sie schien zu überlegen. Mrs. Slater beobachtete sie mit lauerndem Blick, als die Antwort längere Zeit ausblieb, begann sie von Neuem:

»Oder sollte Ihr Leben nicht so einsam sein, wie es scheint? – Sollten Sie Gesellschaft haben, von welcher Mr. Breckenridge und die Andern nichts ahnen?«

Emmy blickte nicht auf, aber sie fühlte, daß der Blick· der Spionin auf ihr ruhte und bis in ihre Seele drang. Mit unsicherer Stimme sagte sie:

»Was für Gesellschaft könnte das sein, von welcher die Herren nichts ahnen?«

Mrs. Slater ließ ihr bewegliches Auge im Zimmer umherschweifen, auf einem Stuhl in ihrer Nähe lag ein Taschentuch. Sie hob dasselbe mit einer gewissen Zerstreutheit auf und sagte, scheinbar von der Frage ganz abstrahirend:

»Sie wissen ohne Zweifel, daß die schöne Quadroone, die mit Ihnen erzogen und später von Breckenridge gekauft wurde, entlaufen ist?«

Emmy war kaum im Stande, bejahend zu antworten, noch weniger wagte sie ihren scheuen Blick zu der Spionin zu erheben.

»Man war der Meinung, daß sie eine vom Feinde besetzte Gegend aufgesucht habe und hat vermuthet, daß sie nach Pensylvanien gegangen sei,« fuhr Mrs. Slater fort.

»Und ist man jetzt anderer Meinung?« fragte Emmy schüchtern.

Mrs. Slater antwortete wieder nicht auf diese Frage, sondern faltete das Taschentuch, welches sie vorhin aufgehoben hatte, mit gleichgültiger Miene auseinander und bemerkte, den Namenszug betrachtend:

»Eine kunstvolle Stickerei – von Ihrer Hand, Miß Brown?«

Emmy warf einen flüchtigen und gleichgültigen Blick auf den Gegenstand – aber marmorbleich wurde sie, als sie auf dem Taschentuch den Namen »Esther« gestickt sah.

Die Spionin bemerkte ihren Schrecken und betrachtete sie mit einem höhnischen Lächeln. Schnell aber zog sich ihr Gesicht wieder in die gewöhnlichen Falten und nahm den gewöhnlichen ernsten Ausdruck an.

»Ich glaube kaum, daß die Sklavin sich hier noch aufhält,« fuhr Sie fort, ohne eine Miene zu verziehen, »denn wer würde sich dazu hergeben, eine entlaufene Sklavin zu beherbergen? Die Gesetze unseres Landes bedrohen ein solches Verbrechen mit Gefängniß bis zu zehn Jahren.«

Emmy bebte wie Espenlaub, und um ihre innere Angst nicht zu verrathen, suchte sie schnell von diesem Thema abzulenken.

»Eine Einladung zum Diner bei Sr. Excellenz wird mir gewiß außerordentlich angenehm sein,« sagte sie kleinlaut und mit einem Seufzer, der zu dieser Erklärung eigentlich nicht recht paßte.

Mrs. Slater war indessen sichtlich erfreut über die Entschließung.

»Einen Rath will ich Ihnen noch geben,« sagte sie nach einer Pause. »Sie haben da die beste Gelegenheit, sich den Kriegsminister verbindlich zu machen, versäumen Sie es ja nicht; denn später dürfte seine Macht nicht so weit reichen als sein Wunsch.«

Da Miß Brown sie fragend anblickte, so beeilte sie sich, die Erklärung hinzuzufügen:

»Es ist Ihnen wahrscheinlich unbekannt, daß Mr. Sanders gegen Breckenridge intriguirt, um womöglich seinen Posten zu bekommen.«

»In der That, das ist mir gleichgültig,« entgegnete Emmy in einem Tone, der die Wahrheit ihrer Worte hinlänglich bekundete.

»Ich sollte doch nicht meinen, Miß Emmy,« versetzte Mrs. Slater ein wenig spöttisch – »Einer ist vielleicht in Handhabung der Gesetze strenger wie der Andere; und Mr. Breckenridge, obwohl er das Unglück gehabt hat, seine beiden theuersten Sklaven, die Geschwister Edward und Esther, zu verlieren, die beide entlaufen sind, wäre gewiß unter gewissen Umständen, d. h. wenn man seinen Plänen ein wenig entgegenkäme, geneigt, ein Auge zuzudrücken.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Emmy befremdet. »Darf ich Sie um eine deutlichere Erklärung bitten?«

»Ah, was ich sagte, kann sich das nicht auf Sie beziehen? Kommen Sie nicht mit den Gesetzen des Landes in Kollision?«

»Nein, ich hoffe nicht.«

»Um so besser für Sie, Miß Brown, ... wahrlich eine vorzügliche Stickerei ... Dies Taschentuch mit dem Namen Esther gehört Ihnen? – Ha, ha! – Doch ich halte Sie auf. Sie sind möglicher Weise beschäftigt – vielleicht Besuch – Adieu, meine theure Miß Brown; auf Wiedersehen!«

Es war Emmy, als hörte sie noch das häßliche Lachen der Spionin im Vorzimmer. Unfähig sich zu regen, saß sie noch eine Weile von Schrecken gelähmt auf ihrem Stuhl.

»Ich kann sie nicht mißverstehen,« seufzte sie. »Sie hat Esthers Taschentuch hier liegen sehen und schließt daraus, daß sich die Entflohene bei mir aufhält. Eine Haussuchung darf man bei mir nicht abhalten – aber wie wird Esther nach dem Norden entkommen? man wird sie einfangen und dann –«

Sie hielt plötzlich inne. Es fielen ihr die Worte der Spionin ein, daß die Gesetze des Landes den Begünstiger der Flucht eines Sklaven mit Gefängniß bis zu zehn Jahren bedrohen. – Wie ein furchtbares Gespenst trat ihr dieser Gedanke vor die Seele.

»Himmel!« rief sie, »soll ich auch das noch erdulden?«

Jetzt ward ihr klar, was die widerwärtige Frau damit meinte, als sie sagte: Mr. Breckenridge werde gütig genug sein, ein Auge zuzudrücken – falls man seinen Plänen ein wenig entgegen komme.

»Seinen Plänen entgegen kommen!« schluchzte Emmy. »Ich kenne die Bedeutung, es heißt nichts Anderes, als in die verabscheute Heirath willigen. – O ich dachte es wohl, diese Menschen finden Mittel, mich zu zwingen, daß ich in Alles willige. – Frederic, mein Frederic, warum kannst Du mich nicht retten aus den Krallen der Ungeheuer, die mich zu ihrer Beute ausersehen haben!« –

Als zufällig ihr Blick durch das Epheuspalier ihres Balcon-Fensters fiel, bemerkte sie an der gegenüberliegenden Seite des Platzes ein Individuum, dessen Blicke unausgesetzt auf ihr Haus gerichtet waren.

»Die Bewachung meines Hauses beginnt,« sagte sie niedergeschlagen. »Gott schütze Dich, Freundin, und bewahre ·mich vor den Schrecken, welche mir drohen!«


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