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Der Lehnhold.

(1853.)

Ab der Landstraße.

Ab der Landstraße, die durch das rauschende Waldthal führt, zieht sich ein Fahrweg bergan durch den Wald und dann zwischen lebendigen Buchenhecken nach einem einsamen Gehöfte, einer sogenannten Einzechte.

Die Gleise auf dem Wege sind alle gleich, denn hier bewegen sich nur Wagen von derselben Spurweite; wer hier auf und ab zieht, hat mit dem Bauer von der langen Furche zu thun; denn dieser Weg gehört dem Furchenbauer zu eigen und führt nur zu ihm; wer von da wieder zurück will zu andern Menschen, muß auf demselben Wege wieder umkehren.

So stattlich und weit sich auch Haus und Scheunen dort ausnehmen, die mit ihren grauen Strohdächern fast felsenartig ins Thal herniederschauen: sie haben doch nicht Raum genug für all das reiche Erträgnis des Feldes, denn hüben und drüben in den Feldern sehen wir die kegelförmig gebauten Garbenhaufen, Feimen genannt, die erst nach und nach abgedroschen werden, und in den noch herbstgrünen Bergwiesen stehen lustige Scheunen, sogenannte Stadel, deren Wände und Dach von graugewordenen Brettern viel nahrhaftes Heu in sich bergen.

Dort etwas fern vom Hofe, am Rande des Bergvorsprunges jenes kleine aus Holz erbaute Häuschen, mit einer Turmspitze geschmückt, das ist die Kapelle, die dem Hofe zu eigen gehört. An Sommerabenden, oder auch am Sonntage, wenn man nicht nach der mehr als eine Stunde entfernten Kirche gehen kann, versammelt der Hausherr seine Kinder und sein Ingesinde in dem Käppele (wie der Landesausdruck hier das Wort Kapelle umgewandelt hat), und vor den mit Blumen und Bändern geschmückten Heiligenbildern wird er selber eine Art Priester, indem er laut die üblichen Gebete spricht und alles um ihn her kniet.

Wir sind längst auf Grund und Boden des Furchenbauern, aber der Weg ist noch lang genug, daß wir uns einstweilen erinnern können, zu wem wir gehen, bis wir den Mann selbst vor uns haben. Damals, als wir mit dem Brosi auf der lustigen Hochzeit in Endringen waren und den Bändelestanz entstehen sahen, damals hatten wir uns vorgesetzt, die Geschichte des Furchenbauern zu erzählen. Wer damals das glückselige und reich gesegnete junge Paar erschaute, konnte nicht ahnen, welch ein schweres Geschick ihm bevorstand, das sich mit der Zeit erfüllte.

Freilich, stolz und eigenmächtig war der junge Furchenbauer schon damals: hatte er ja dem armen Brosi einen Taglohn dafür geben wollen, wenn er mit Tanzen und Singen die Hochzeitsgäste erlustige; schon damals blickte der Furchenbauer mit einer stillen inneren Verachtung auf jeden herunter, der ihm nicht gleichstand, und hielt es nur selten der Mühe wert, in Wort und Mienen das auszusprechen. Aber warum soll ein junger Baron in schwarzem, rotausgeschlagenem Samtrock, roter Weste und Lederhosen nicht ebenso stolz sein wie einer mit Epauletten und goldgesticktem Halskragen? Der Furchenbauer konnte sich neben jedem Ritterbürtigen sehen lassen. Er war alleiniger Erbe oder, wie man es hier zu Lande noch heißt, der Lehnhold des großen Gutes von der langen Furche, das sich in Wald und Feld weit über Berg und Thal ausbreitet; er hatte acht Rosse im Stall, eben so viel Ochsen und die Doppelzahl Kühe und Rinder, und alles war schuldenfrei, denn er heiratete die Tochter des reichen fetten Gäubauern, des Vogts von Siebenhöfen, der den ehrenvollen Unnamen »der Schmalzgraf« hatte, und von dem Beibringen der Frau konnte die ausbedungene Losung der einzigen Schwester, die nachmals den Gipsmüller heiratete, blank ausgezahlt werden; der einzige Bruder, der sich dem geistlichen Stande weihte, erhielt nur einen Teil des ihm Zukommenden, das übrige ließ er auf dem elterlichen Hofe stehen, es war ja ohnedies das einstige Erbe der Bruderskinder.

Mit einem stolzen gesättigten Behagen sah der Christoph, oder wie er jetzt – da ihm seine Würde erst den rechten Namen verlieh – hieß, der Furchenbauer am Morgen nach seiner Hochzeit zum Fenster hinaus und schaute zu, wie der Wind mit den Morgennebeln spielte, fast so wie er selber die Tabakswolken vor sich her blies. Der Vater hatte ihm die Zeit lang gemacht, Christoph war ledigerweise viel älter geworden, als die Bauernsöhne seinesgleichen, der Vater schien das Gut nicht lassen zu können, bis der Tod es ihm entriß. Christoph zürnte im stillen oft darüber, aber er war in Gehorsam und Unterwürfigkeit erzogen und durfte sich nichts merken lassen; war es ihm ja übel bekommen, als er einmal scherzweise zu seinem Vater sagte: »Gebt Euer Sach doch her, so lang Ihr lebet, dann höret Ihr's auch noch, wie man Euch Dank sagt.« Christoph hörte die Antwort darauf nicht, aber er fühlte sie. Nur auf Bedrängen der befreundeten und besonders des zweiten Sohnes, der damals Pfarrverweser in Reichenbach war, ließ sich endlich der Vater bewegen, an Christoph abzugeben. Er wählte seinem Sohne die ebenbürtige Frau, und dieser willfahrte nach altem Brauch; aber, als müßte es doch zur Wahrheit werden, daß der Vater das Gut bei Lebzeiten nicht lassen könne, starb er vor der Uebergabe und der Hochzeit. Am Morgen nach dieser dachte Christoph mit einem gewissen wehmütigen Danke an den Vater; er hatte recht gethan, ihn nicht früher in das Gut einzusetzen, jetzt erst war er geeignet, der Furchenbauer zu heißen, und ein schönes reichgesegnetes Lehen lag vor ihm . . .

Die freudige Stimmung jenes ersten Morgens nach der Hochzeit ist schon lange verklungen. Wenn man bald vierzig Jahre im Besitze einer Macht ist, denkt man kaum mehr der Stunde, da man damit bekleidet wurde. Der Furchenbauer hat seitdem mancherlei erlebt. Von neun Kindern waren ihm vier verblieben, drei Söhne und eine Tochter; er hatte die Freude, den ältesten zum Schmalzgrafen erhoben zu sehen, denn er erbte das Gut des Muttervaters; aber schon nach wenigen Jahren starb der rüstige Schmalzgraf mit Hinterlassung einer einzigen Tochter. Dies war das alleinige Enkelchen des Furchenbauern, denn die andern Kinder waren unverheiratet, und wir werden bald sehen, warum.

Wir sind am Hofe. Dumpfes Bellen und Kettenrasseln zweier Hofhunde, die in ihrem Bellen sich bald ablösen und bald zusammenstimmen, zeigt an, daß kein Fremder sich unbemerkt hier nahen darf; über das Bellen hinaus tönt aber der Taktschlag von sechs Dreschern, und dazwischen vernimmt man das rasche Klappern einer Handmühle, der sogenannten Putzmühle, die statt des ehedem üblichen Wurfelns das Korn säubert. Häuser, Ställe und Scheuern sind im Gevierte gebaut, das Thor steht offen; halten wir aber noch eine Weile inne, bevor wir eintreten. – Auf der Leiter an einem Zwetschgenbaum im Hausgarten steht eine Frauengestalt in üblicher Landestracht, die roten Strümpfe umschließen ein mächtiges Wadenpaar. Aus dem offenen Hofthor kommt ein schlanker junger Bauer, drei mächtige Strohbündel auf dem Rücken.

»Ameile, fall nicht abe,« ruft der junge Mann.

»Da unten ist auch schwäbisch,« antwortet es in die Zweige hinein, und die Strohbündel hüpfen auf und nieder von dem Lachen des jungen Mannes, während die Frauengestalt wieder fragt:

»Was willst denn mit dem Stroh?«

»Der Bauer will, daß man die Breitlingäpfel dort diesmal nicht brechen soll, man hab' kein' Zeit dazu, ich soll sie schütteln und Stroh unterlegen. Steig abe und gib mir die Leiter.«

»Bist zu steif? Kannst nicht 'naufkrebseln?« spottet das Mädchen, während der Bursche das Stroh ausbreitet und erwidert:

»Du sollst auflesen, ich muß gleich wieder ans Dreschen.« Behende ist er auf den Baum geklettert, der ganze Baum wird hin und her geschüttelt, es rasselt in den Zweigen, und dumpf prasselnd auf das knisternde Stroh und darüber hinaus fallen die rotbackigen Aepfel. Das Mädchen will bald da bald dort anfangen aufzulesen, aber wo es sich zeigt, wird ein Ast mächtiger geschüttelt, und manchmal, getroffen von einem Apfel, grillt es auf und schilt den tückischen Mann auf dem Baume. Dieser steigt ab, schaut das Mädchen kurz an und will nach dem Hofe gehen.

»Du machst unsaubere Arbeit!« sagt das Mädchen lachend und fährt, auf den Baum deutend, fort: »Schau, dort hängt noch ein Apfel und dort noch einer.«

Im Fortgehen erwiderte der Bursche:

»Du vergißt's immer wieder, und ich hab' dir's schon oft gesagt: wenn man einem Obstbaum nicht alles abnimmt, trägt er im nächsten Jahre um so gewisser.«

Ameile (Amalie) hält einen Apfel in der Hand und will den Weggehenden damit werfen, aber noch im Ausholen hält sie an, ein zweiflerischer Gedanke scheint ihr die Hand zu senken, sie steckt den Apfel in die Tasche, und auf das Stroh knieend, rafft sie die Aepfel zusammen und singt dazu:

»Schätzele, Engele,
Laß mi e wengele –«
»»Schätzele wasele?««
»Nur mit dir basele.«

Der Bursche, der eine Soldatenmütze auf dem Kopfe trägt und überhaupt eine soldatische Haltung verrät, geht wieder nach dem Hofe zurück, nimmt den Dreschflegel zur Hand und fällt taktmäßig in die Schläge ein.


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