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Bretagne

(1793)

An den Ufern der Bretagne, horch! welch nächtlich Widerhallen!
Aus den Wellen, aus den Wogen hör' ich es wie Lieder schallen!
Und ein Glöcklein tönt herüber leise wundersamen Klang;
Doch das ist nicht Schiffsgeläute, das ist nicht Matrosensang.

An den Ufern der Bretagne wohnt ein Volk von alter Sitte,
Kreuz und Krone, Gott und König gelten hoch in seiner Mitte;
Doch der König ist gerichtet, und den heiligen Altar
Hält mit blankem Schwert umlagert eine mordgewohnte Schar.

»Unsern König, den geliebten, wohl! ihr konntet ihn uns nehmen;
Doch des Glaubens heil'ge Flamme sollt ihr nimmer uns bezähmen!
Ist doch Gott an allen Orten, in den Tiefen, auf den Höhn,
Und an allen, allen Orten hört er seiner Kinder Flehn.« –

»Leis, o leis! der Abend dämmert! Süße Nacht, o sei willkommen,
O du Balsam den Geschlagnen, o du Schützerin der Frommen!
Leis, o leise! löst den Nachen, nehmet Angel und Gerät,
Täuscht die Späher, täuscht die Wächter: – in die Wogen zum Gebet!«

Flinke Ruder hör' ich rauschen: alle kommen, Kinder, Greise,
Weib und Mann, dem Herrn zu dienen nach der Väter frommer Weise,
Neugeborene zu taufen, einzusegnen Ehebund,
Friedenswort und Trost zu hören aus geweihten Priesters Mund.

In der Mitte schwamm der Priester, Kreuz und Hostie in den Händen,
Fischerbuben ihm zur Seite, süßen Weihrauch auszuspenden;
Durch der Wellen dumpfes Murren schallte freudig der Choral,
Klang das Glöckchen, tönten Seufzer und Gebete sonder Zahl,

Sprach der Alte durch die Wogen über alle seinen Segen,
Und sie kreuzten sich und neigten seinen Worten sich entgegen;
Durch der Wogen wildes Brausen schallte mutig der Choral,
Pfiff der Sturmwind, schlug der Regen, zuckten Blitze sonder Zahl.

»Herr! du bist ja allerorten, auf den Wassern, wie auf Erden!
Laß das Meer, das arg empörte, eine sichre Kirche werden!«
So durch des Gewitters Donnern tönte stehend der Choral,
Krachen Bord und Mast und Ruder, pfeifen Kugeln sonder Zahl.

Umgeschaut! Wachtfeuer glänzen, widerspiegelnd in den Wogen,
Und der Feinde Kugeln kommen von dem Strande rasch geflogen.
Aufgeschaut! der weite Himmel glüht, ein einzig Flammenmeer –
Tod im Wasser, Tod am Ufer, keine Rettung ringsumher!

»Herr! du bist ja allerorten, auf den Wassern, wie auf Erden!
Auch die in dem Meer gestorben, Herr! sie sollen selig werden!«
Also durch der Wogen Wüten, so durch Kugeln sonder Zahl,
Durch der Feinde Hohngelächter klingt, verklinget der Choral.

Fahret wohl, ihr frommen Beter! – Keiner kam ans Ufer wieder,
Die Gemeinde mit dem Priester schlang die falsche Welle nieder;
Nur am Morgen unter Trümmern, zwischen Klippen und Gestein
Schwamm das Kreuz, das wundersel'ge, in des Frührots goldnem Schein.

Robert Prutz
1816-1872

 


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