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Eine Vision.

Ich sitze im Sofiensaal, ein Glas Bier vor mir.

Ein sogenanntes »volkstümliches Konzert« ist es, das abgehalten wird. Die Militärkapelle spielt soeben »Der Traum des Reservisten«, eine Art Potpourri von Ziehrer.

In Tönen wird dargestellt, wie zuerst der Reservist daheim bei den Seinen, in der Schmiede arbeitend sitzt, wie er am Feierabend ins Gasthaus geht und dann zurückgekehrt in sanften Schlaf verfällt. Nun kommt sein Traum.

Er fährt nach Wien als einberufener Reservist. Tagreveille wird geblasen. Es geht hinaus in den Kampf. –

Ich sitze vor meinem Glase Bier und starre in das gelbe Naß. Ich habe noch nicht viel getrunken, ich sehe klar, klarer als sie alle um mich herum.

Der Ausmarsch beginnt. Trompetengeschmetter ertönt. Man vernimmt den Marschschritt der Truppen.

Meine Blicke schweifen im Saale. Wie sich die Augen der Mädchen mit einem Male beleben! Wie Alles gespannt aufhorcht!

Es kommt zum Gefecht. Geknatter, Geschützfeuer, Salven, Schlag auf Schlag, Puff auf Puff ertönt. Das Bild des Krieges, freilich nur in Tönen, wird vor uns entrollt. Wie es durch den großen Saal schmettert!

Ein Beifallssturm erhebt sich. Die Freude leuchtet aus allen Gesichtern; jeder wäre gar zu gerne dabei gewesen. O, wie süß es doch sein muß, fürs Vaterland zu sterben!

Armes Volk!

Mir gehen so manche Gedanken durch den Sinn. – In meiner Umgebung klatscht alles wie wütend.

Ich stelle mir vor, jeder dieser Kanonenschüsse treffe einen Menschen.

O armes Volk, armes, so leicht zu bethörendes, so leicht zu begeisterndes Volk!

Ihr hört nur den Lärm des Krieges, Ihr hört die verführerischen Weisen, das Gerassel und Geschmetter und schon seid ihr mit fortgerissen!

Was würden Sie, Fräulein, die Sie dort an der Seite Ihres Bruders sitzen, sagen, wenn derselbe Kanonenschuß, der Sie jetzt die Händchen beifällig gegeneinander bewegen läßt, Ihren Bruder, ihn, der soeben in übermütigster Laune sein Glas auf den Tisch schlägt, mitten ins Herz träfe!

Was möchtest du, altes Mütterchen, die du dort im Kreise deiner Lieben stumm, freudig verklärten Auges weilest, sagen, wenn nur einer von den vielen Schüssen, nur einer von den vielen Säbelhieben, die du nicht siehst, die du nur hörst, dein Kind träfe! Nicht verklärt, nein, gebrochen würde dein Auge starren.

Der Radetzkymarsch ertönt.

Das Jauchzen der Menge verstärkt sich, schwillt zum Orkan an, die Musik übertönend. Alles ist mit fortgerissen. –

Ich blicke in den Kronleuchter. Ist es der Tabaksqualm, ist es die Helle des elektrischen Lichtes, ist es doch vielleicht der Genuß der Getränke – es schwirrt mir vor den Augen. Ich starre in den Dunst, der über dem Saale lagert.

Es ist ein anderes Bild, das sich vor mir aus dem Qualme abhebt.

Ich stehe auf dem Schlachtfelde.

Aus dem Nebel lösen sich Gestalten ab, Massen, die sich bewegen.

Ich sehe dieselben Menschen, die vorhin friedlich beim Glase Bier saßen, zu Bataillonen formiert. Schlag auf Schlag ertönt, jeder Schuß reißt neue Lücken unter ihnen.

Eine Bombe platzt; zerfetzte Gliedmaßen fliegen herum. Die Hälfte der Streiter fällt. Sie alle, die da vorhin noch den Kriegsweisen zujubelten – ich erkenne sie wieder. Ein Haufen zermalmter, verstümmelter Kadaver. Lebende unter Toten, ohne Hoffnung, ohne Hilfe, von unsäglichen Schmerzen gepeinigt!

*

Ruhigere Weisen ertönen. Ich erwache. Auch ich habe geträumt. Es war ein anderer Traum als der des Reservisten.

Da sitzen sie noch alle um mich herum an den Tischen, die ich vorhin im Pulverdampf zu sehen vermeinte, und schwatzen und lachen und kichern.

Und sie jauchzen von Neuem, als wiederum der Radetzkymarsch erschallt und klatschen in die Hände. –

Es ist Pause.

Sie blicken mich erstaunt an. –

Alles in meiner Umgebung hat in den Jubel mit eingestimmt – nur ich nicht. Ich muß in meinem Dahinbrüten mich wohl etwas sonderbar ausgenommen haben. Ihre Blicke sagen es mir.

Sollte ich der Einzige im Saale gewesen sein?

Bernhard Barber.


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