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Vom Verstand zum Gefühl

Luise Adelgunde Viktorie Kulmus an Gottsched

Danzig, den 20. Oktober 1733.

Hochzuehrender Herr! Die biedermännische Einteilung Ihrer Stunden hat meinen ganzen Beifall. Die zwei übersetzten Reden habe ich mit vielem Vergnügen gelesen. Von der einen, welche unsere gute Stadt Danzig insonderheit angeht, wird schon viel Gutes vermutet.

Meine Ode hat kein besser Schicksal verdient, als ganz mit Stillschweigen übergangen zu werden. In der besten Welt hat es so sein müssen, um mich nicht zu verderben. Wer weiß, ob ich nicht stolz geworden wäre ...

Ich für mein Teil weiß jeden Augenblick gut anzuwenden. Wollen Sie die Berechnung meiner Stunden lesen?

Gleich bei Anbruch des Tages beschäftige ich mich mit geistlichen Betrachtungen, die meine Seele zu ihrem Schöpfer erheben; die Seele, die den Anfang ihres Wesens ebensowenig als ihre Unsterblichkeit ergründen kann, genießt bei diesen heiligen Empfindungen einen Vorschmack der künftigen Seligkeit, der fröhlichsten Hoffnung.

Hierauf ergötzet sich mein Geist an den vortrefflichen Werken der Natur. Das kleinste davon zeigt mir die Größe des Schöpfers, neue Schönheiten und neue Wunder. Dieses ist die allerangenehmste Beschäftigung für mich. Ich verliere mich darinnen und rufe voller Bewunderung aus: Welch eine Tiefe des Reichtums! Zuletzt werde ich traurig, wenn ich denke, wie kurz meine Lebenszeit sein kann, und wie wenig ich von dieser mir so wichtigen Wissenschaft entdecken werde.

Will ich mein Gemüt wieder aufheitern, so setze ich mich ans Klavier und übe mich, so vollkommen zu werden, als Sie 1729 wünschten, daß ich sein möchte. Hier denke ich mit doppeltem Eifer an meinen Freund und wünsche seinen Beifall zu erlangen, und daß die Tage unserer Prüfung zu Ende sein möchten, und daß unsere Geduld belohnet würde. Die übrige Zeit bringe ich mit Lesung nützlicher Bücher hin. Jetzt lese ich den La Bruyère und den Horaz, und beneide einen Dacier um alles Vergnügen, so er bei dieser Arbeit gefunden.

So vergehen meine Tage und meine Stunden, unter welchen ich diese vorzüglich glücklich schätze, in welchen ich mich mit Ihnen unterhalte und die Versicherung meiner ewigen Ergebenheit wiederhole.

Kulmus.

Danzig, den 1. März 1735.

Bester Freund! Sie haben recht, daß Sie unsere Liebe eine philosophische Liebe nennen. Sie ist von den so oft gewöhnlichen Bündnissen, welchen man zwar auch diesen Namen beizulegen pfleget, sehr unterschieden. Unsere Herzen waren einig, und wir hatten nicht an die äußerlichen Zeichen unserer Verlobung gedacht. Um andrer willen bestätigten wir unsre Verbindung auf die gewöhnliche Art; wie oft kann die genaueste Beobachtung der feierlichen Zeremonien den Bruch vieler Bündnisse doch nicht verhindern? wie oft geschieht es, daß diese, der erstern ohngeachtet, vor geistlichen und weltlichen Gerichten für nichtig erkläret werden? Wir sind dergleichen Zufällen nicht unterworfen. Wo die Herzen für einander geschaffen sind, sollte da wohl eine Trennung möglich sein? Von Ihnen, mein tugendhafter Freund, hoffe ich das Beste, und von mir versichere ich alles. Ich mag mich nicht einmal mit der traurigen Möglichkeit eines Umstandes beunruhigen. Ich erwarte Sie mit Ungeduld. Werden Sie auch alle meine mit einer gewissen Ökonomie gemachten Anstalten billigen? Alle überflüssige Pracht, die nur allzuoft bei dergleichen Festen verschwendet wird, halte ich für ganz unnötig. Zu einer wohleingerichteten Haushaltung gehöret notwendig eine vernünftige Sparsamkeit, und man kann nicht zeitig genug anfangen, vorsichtig zu handeln. Wie viele verschwenden bei dergleichen Gelegenheit in wenig Stunden eines ganzen Jahres Einkünfte. Unser Hochzeittag soll nicht mehr als 100 Taler kosten. Mein Aufwand für ganz unentbehrliche Dinge beläuft sich nicht viel höher. Wir haben eine weite Reise zu tun und dabei ganz unvermeidliche Ausgaben. Wir müssen auf unsere Einrichtung in Leipzig denken, und dieses sind nötige Erfordernisse, bei denen keine Ersparnis stattfinden kann. Ich habe es also bei denen entbehrlichen und eingebildeten Notwendigkeiten abzubrechen gesucht. Nicht mehr als achtzehn Personen sollen Zeugen von unserm Feste, die ganze Stadt aber von unserm Glücke sein.

Im Fall Ihre würdigen Eltern ihres Alters und ihrer schwachen Gesundheit wegen nicht dabei zugegen sein können: so erbitten Sie uns ihren Segen, den Gott seinem treuen Knechte für das Wohl seiner Kinder nicht versagen wird. Endlich wird nach langem Warten der glückliche Augenblick kommen, da ich Sie mit der reinsten Zärtlichkeit umarmen und Ihnen mit der vollkommensten Freude versichern kann, daß ich kein irdisches Glück sonst kenne, als ganz die Ihrige zu sein.

Kulmus.

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