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Lied von Atli

Atlaquiđa in Graenlenzka

Zur Überschrift. Sowohl Atlaquida mit dem Nebentitel Dauđi Atla, Atlis Tod, als das nächstfolgende, Atlamal, Erzählung, Epos von Atli, tragen in ihren Überschriften außerdem die rätselhafte Bezeichnung in Graenlenzka, das ist in grönländischer Sprache oder Mundart.

Beide Lieder unterscheiden sich in der Vortragsweise nicht unwesentlich von den anderen der Edda. Die Ausführung ist breiter, das Bestreben, anschaulich zu wirken, merklicher. Auch fehlt es der Erzählung weder an dramatischer Bewegung noch an bemerkenswerten Ansätzen zum Schwung und großen Wurf des Epos. So schließen z. B. beide Dichtungen mit rückblickenden Strophen, in denen die Verfasser sich vertraut zeigen mit der bewährten Vortragsregel, die Rhapsodie in eindrucksvollem Endakkorde ausklingen zu lassen. Während das erste allerdings sogleich mitten in die Begebenheit hineinspringt, beginnt das zweite sogar mit einem für das große Epos kunstgerechten Anhube, welcher spannend und mit gewinnender Sprachmusik das Thema stellt.

Ferner weckt die Anordnung zu Strophen den Verdacht, dem Herkommen der Edda zuliebe einem unstrophisch gedichteten Text erst nachträglich aufgezwungen zu sein. Sie zerschneidet nicht selten Zusammengehöriges und ist dabei auffallend ungleichmäßig. Denn die Strophe zählt bald je acht, bald je sechs, dann gar von zuweilen nur vier bis zu elf und sechzehn Halbversen. So wird man hingedrängt zu der Vermutung, daß der altnordische Verfasser gearbeitet habe nach einer Vorlage, deren Dichter sich bereits klar geworden war über die oberste der formellen Forderungen des echten Epos: sich frei zu bewegen in Absätzen unbestimmter Verszahl je nach der Gliederung der Handlung oder des Gespräches. Auch habe ich deshalb zwar die Strophenzählung an der Seite beigefügt, aber die graphische Gruppierung der Verse lediglich dem Inhalt angepaßt.

Mehr mithin als irgendein anderes Stück der Edda nähern sich diese beiden Lieder in Form und Vortragsweise dem ehrwürdigsten Kleinod der gesamten deutschen Literatur, dessen gerettetes Bruchstück gerade noch groß genug ist, um uns erkennen zu lassen, daß es zu einer Dichtung von homerischer Herrlichkeit gehört hat: unserem unstrophischen Hildebrantsliede.

Ein erheblich anderes Gepräge als das der übrigen der Edda muß ihnen also zuerkannt werden.

Vergebens aber sucht man nach einer irgend nennenswerten Verschiedenheit der Sprache. Man darf behaupten, daß Grougaldr, Schwipdagsmal, Grottasöngr u. a. schon dem Beginn der Skaldenzeit angehörige Stücke, von den ältesten Liedern der Göttersage, was die Sprache betrifft, um das Vielfache mehr verschieden sind als unsere beiden von den anderen der Helden-, namentlich der Nibelungensage.

Wozu also der Titelzusatz »auf Grönländisch«?

Der Kommentator in der K. E. meint, es sei glaublich, daß man beide Dichtungen so bezeichnet, weil sie etwa zuerst aufgefunden oder auch entstanden seien, nicht etwa im allbekannten Grönland, sondern in einer auch so genannten Provinz Norwegens, derselben, von welcher Harald, der Vater Olavs des Heiligen, den Beinamen Graenski, der Grönländische, erhalten habe.

Diesem Erklärungsversuch darf im Gegenteil auch nicht ein Schatten von Glaubwürdigkeit zugebilligt werden. Daß in mit einem Adjektiv, welches aus einem Landnamen gebildet ist mittelst der unserem isch entsprechenden Endung, nicht meinen solle: verfaßt in der Art, in dem Dialekt dieses Landes, sondern lediglich: aufgefunden oder entstanden in demselben, das ist völlig undenkbar.

Weit wahrscheinlicher darf man Graenlenzka erachten für verderbt aus Rin- oder Rënlenzka.

Danach hätte der Nachbildner dieser ursprünglich deutschen Lieder mit dem Zusatz zum Titel ehrlich eingestanden, daß die ihm vorliegenden Originale verfaßt seien in rheinländischer, also wohl altfränkischer Sprache.

In den folgenden Anmerkungen ist mehrmals die Rede von Spuren, welche diese Vermutung unterstützen. Der endgültige Beweis freilich wird nie zu erbringen sein, falls nicht die von Jakob Grimm gehegte Hoffnung in Erfüllung ginge und die Liedersammlung Karls des Großen doch noch gefunden würde. Des Glaubens aber bin ich, daß uns in Atlaquida und Atlamal wenigstens eine Nachahmung und stellenweise sogar Übersetzung erhalten ist von zwei altdeutschen Liedern, welche weiland in Gesellschaft des Hildebrantliedes in jener Sammlung gestanden haben.

1

aringreypom in 1, 8, 3, 7 und 16, 3 macht Schwierigkeit, weil es erst von Bänken, dann von Helmen ausgesagt wird und »mit Erz geklammert, beschlagen« nur für letztere paßt. Ich glaube, daß das Wort in einem Falle, vielleicht gar in beiden, verschrieben ist. Wäre 1, 8 etwa zu lesen armgreypom, so dürfte man an Sessel mit Armlehnen denken. Noch ziehe ich vor, an erster Stelle Korrektur zu unterlassen. arin, angesehen als das althochdeutsche Wort für Tenne, Estrich, Saalboden, gibt guten Sinn. Thrymsquida 22 heißt es: ok straiþ bekki, auch stellet Bänke auf. Das, will der Dichter sagen, braucht hier nicht zu geschehen. Der Saal Gunthers ist, wie die folgende Strophe, und vielleicht ironisch, angedeutet, ein irdisches Walhall, einzig und beständig zum Trinken bestimmt. Bänke zum Gelag erst aufzustellen, ist da nicht nötig, weil sie dauernd feststehen, mit den Füßen in den Boden eingreifend. Dagegen stand 3, 7 im Original wohl ein aus altdeutsch arn, Adler, und grîfan, greifen, wo nicht gar grîf, Greif, gebildetes Wort, welches die Helme entweder als mit umkrallenden Adlern oder mit geflügelten Greifen geschmückt, also als nicht zum Kampf, sondern zu festlichem Prunk bestimmt bezeichnete.

Von Atli beauftragt, eilte zu Gunther
Ein listiger Knappe namens Knéfröd.
Zur Gibichsburg kam er in Gunthers Gastsaal
Voll bodenfester Bänke zu süßem Gebecher.

2

Der Trugbote schwieg. Die Getreuen des Königs
Tranken den Wein dort im irdischen Walhall
Und fürchteten schon die Feindschaft der Hunnen.
Mit rauher Stimme rief nun Knéfröd,
Der Gesandte des Südens, vom hohen Sitze:

3

Zu Strophe 3 bis 5. Dem Anerbieten der Geschenke läßt der Bote eine versteckte Drohung folgen. Komm, dann will dich der Hunnenkönig überdies behalten lassen, was du besitzest. Und von diesem Besitz nennt er nur, was die Burgunden sich angeeignet haben durch die ihnen damit vorgeworfene Ermordung Sigfrids. Auf der Gnitaheide hatte Sigfrid den Drachen Fafner erlegt, seinen Schatz und die Gegend selbst für sich gewonnen. In dem »klingenden Schaft« ( giallandi ger, der gellende Ger) vermute ich eine Wunderwaffe aus dem Drachenschatz, in dem Schiff mit vergoldetem Steven das wundersame Fahrzeug, in welchem Sigfrid Nib. L. Avent. VIII, Strophe 1 und 2) unsichtbar in der Tarnkappe nach Nibelungenland fährt. Aus den Bezeichnungen beider Besitztümer schimmert noch die Grundanschauung der Naturmythe, die sich in der Sigfridsage vermenschlichte. Denn dies schiffel, das durch die Kräfte des unsichtbaren Fergen so rasch vloz, daß

man wânde daz ez fuorte ein sunderstarker wint,

ist ja ursprünglich nichts anderes als die nach Norden ziehende Frühlingswolke, vindflot, die Seglerin der Lüfte. Ihre von der Sonne geröteten Ränder sind die vergoldeten Steven des Schiffes, ihr donnernder Blitz der schallende Speer. Als aus dem Frühlingsgott der menschliche Held wurde, verwandelte die Sage auch dessen Naturattribute, ihre poetische Benennung wörtlich nehmend, in Waffen und Geräte göttlichen Ursprunges und von wundersamen Eigenschaften. – Die stadi Danpar nehme ich für ergiebige, tributpflichtige Städte. Im Original stand vermutlich dancpari, und dies Wort wurde irrtümlich gehalten für einen Genitiv des Namens Danpi, der in der Ynglinga- und anderen nordischen Sagen vorkommt. –

Myrkviđ wird wohl genannt als eben der Wald, in welchem Sigfrids Ermordung stattgefunden. Vgl. altsächsisch mirki, grauenvoll.

»Um Atlis Auftrag hier auszurichten,
Durchritt ich auf rüstig trabendem Rosse
Den finsteren Forst, wo niemand die Fahrt weiß.
Dich soll ich bitten, zu seinen Bänken
Als Gast zu kommen, o König Gunther.
Im Adlerfesthelm fahret zum Atli.

4

Dort schenkt man euch Schilde und scharfe Schwerter,
Goldrote Helme, Hunnen in Menge,
Sättel, besäumt mit vergoldetem Silber,
Waffengewand in der Walstattfarbe.
Stichfeste Sturmhemde, stolze Rosse.

5

In Gnaden verheißt er, auch Gnitaheide
Euch gern zu gönnen, die weite Gegend,
Den schallenden Schaft, das Schiff mit dem Goldbug,
Den erstaunlichen Hort, die steuernden Städte
Und den Forst obendrein, den vielgenannten,
Der Finsterwald heißt im Munde des Volkes.«

6

Da wandte der Herrscher sein Haupt zu Hagen:
»Was rätst du uns, Rascher, auf solche Rede?«

Hagen.

»Nie galt mir das Gold von Gnitaheide
Für edler als unsere anderen Güter.

7

Wir besitzen hier sieben Säle voll Schwerter
Mit Gefäßen, geformt aus funkelndem Golde.
Meins schneidet am schärfsten, mein Hengst ist der schnellste.
Nur wer Bänke biegen kann, spannt meinen Bogen;
Mir schirmt die Brust eine goldene Brünne;
Es kamen aus Kiars, des Kunstreichen, Werkstatt
Mein Schild und mein Helm und schimmern am hellsten,
Und ihn, den einen, acht' ich für besser
Als alle Helme der Hunnen zusammen.«

Gunther.

8

»Was denkst du von dieses Ringes Bedeutung,
Den die Schwester uns schickt?«

Hagen.

»Schweigend, so scheint mir,
Befiehlt sie uns Vorsicht. Ich fand ihren Goldreif
Mit Wolfshaar umwickelt. Wölfische Falschheit
Fordert uns auf zu gefährlicher Fahrt.«

9

Kein Vetter empfahl's, kein Verwandter des Fürsten,
Kein Ratmann, kein Recke, kein Runenkenner;
Doch Gunther sprach kühn, wie's Königen ziemet,
Voll mannhaften Mutes und met-erheitert:

10

»Erhebe dich, Schaffner, und schick' uns eiligs
Dienende Schenken, mit goldenen Schalen
Für die tapferen Krieger den Tisch zu umkreisen.

11

Zu Strophe 11. Schon der Verfasser der Völsungasage hat diese Verse nicht mehr verstanden. Er läßt ihren umgedeuteten Inhalt erst folgen auf den Warntraum der Kostbera. Bei ihm sagt Gunther, zwar entschlossen zur Fahrt, aber unheilahnend, zu Fiörnir: »Steh auf und gib uns zu trinken aus großen Kannen guten Wein, dieweil es sein mag, daß dies unser letztes Mahl ist, und nun wird der alte Wolf zu dem Golde kommen, wenn wir sterben, und der Bär wird nicht sparen, mit seinen Streitzähnen zu beißen.«

Durch diese unrichtige Auslegung haben sich alle folgenden Erklärer auf die falsche Fährte verlocken lassen. Simrock übersetzt:

Der Wolf wird des Erbes der Niflungen walten,
Graubärtige Greise! wenn Gunnar erliegt,
Braunzottige Bären das Bauland zerwühlen
Zur Freude der Hunde, wenn Gunnar nicht heimkehrt.

Wer sagt diese Worte? Doch Gunther selbst. Dann aber frage ich: Wo sind die einem König geziemenden kühnen Worte, die der Schluß von 11 ankündigt mit af mođi storom?

Die Aufforderung, die Heldenhumpen kreisen zu lassen, ist doch keine Äußerung großen Mutes, wenn sie nur diese bange Zukunftsahnung einleitet. Auch K. E. verfehlt den Sinn der ersten Strophenhälfte: Lupus potietur haereditate Niflungorum, o senes barba honesti, si Gunnar pereat, obwohl die Übersetzung der zweiten Hälfte: Ursi fusca pelle praediti mordebunt segetes dentibus, delectabunt caninum collegium, si Gunnnar non redeat im wesentlichen richtig ist, wenn auch þref, Trift oder Trieb von Pflanzen, besser mit prata oder herbam wiedergegeben wäre.

Der Dichter denkt bei ulfr nicht an Attila und dessen wolfische Wildheit. Ebensowenig haltbar ist die Konjektur, man solle lesen elfr, Fluß, und den Vers beziehen auf die Versenkung des Nibelungenhorts im Rhein. Vielmehr ist ulfr nicht figürlich, sondern ebenso eigentlich zu nehmen wie birnir, Bären. Nur hat man, um den genau deckenden Parallelismus der ersten vier mit den zweiten vier Halbversen nicht zu zerstören, ulfir zu lesen, auch gamlar gran verþir nicht als Vokativ, als Anrede der mit bei Tisch sitzenden Alten (der rynendr und rađendr in 9), sondern als Nominativ und märchenhaft ironisches Prädikat zu ulfir zu nehmen. Die große, königliche, ausdrücklich auch der Erregung durch das Gelag zugeschriebene Kühnheit Gunthers besteht darin, daß er unbekümmert um die schweigende Mißbilligung der Verwandten und um die Warnung durch den Ring mit Wolfshaar erklärt: Daß ich, Gunther, aus derlei Bedenken es an mir fehlen ließe bei solcher Einladung, das ist geradeso wahrscheinlich, als daß die Wölfe Ratsherren, Aldermänner mit würdeverleihenden Graubärten werden, und, daß ich nicht glücklich heimkehren sollte, ebenso denkbar, als daß der Bär seine gewaltigen Zähne zum Grasfressen verwendet und mit den Hunden in Freundschaft lebt.

Die Wölfe fürwahr bekleiden die Würde
Der Richter zuvor in der Niblunge Reichen,
Eh man Gunthern vermißt an Atlis Metbank,
Und weidend eher die Wiesenkräuter
Wird der zottige Bär mit den Zähnen zerbeißen
Und Friedensgemeinschaft froh mit der Meute
Der Hunde halten, als daß Gunther nicht heimkehrt.

12

Die redlichen Ergänze: während die Trugboten des Gelingens ihrer List froh waren. Leute geleiteten weinend
Den Herrn des Landes, den Heereslenker
An Tagen der Schlacht, aus Gibichs Schlosse.

Da sprach des Hagen Sprößling und Erbwart:
»So fahret nun heil und furchtlosen Herzens,
Wohin ihr begehrt, vom Geiste getrieben.«

13

Die herzhaften Helden ließen die Hengste
Von hinnen stürmen mit stäubendem Hufschlag,
Über die Berge, durch die Gebüsche,
Die weglose Wildnis des finsteren Waldes.
Wo die furchtlos Festen gefahren kamen,
Erbebte der Boden des Hunengebieters.
Durch strauchlose Strecken strebten sie fürbas
Über grünende Gründe, grasreiche Wiesen.

14

Nun sahen sie liegen die Lande Atlis.
Der tiefen Ebne entragten Türme;
Von drohender Mannschaft starrten die Mauern.
Den Saal des Südvolks umgaben Sitze;
Schußfest schirmende glänzende Schilde
Hingen an Riemen gereiht in die Runde.
Beim Wein saß Atli in diesem Walhall,
Und Wächter weilten, Gunthers gewärtig,
Draußen zum Spähn, ob mit dröhnendem Speere
Er käme, den Kummer des Kampfes zu wecken.

15

Schon auf der Schwelle erkannte die Schwester
In den beiden alsbald ihre eigenen Brüder,
Da sie nicht im geringsten vom Wein berauscht war.
»O Gunther!« rief sie, »jetzt bist du verraten!
So mächtig du bist, wie dünkt' es dir möglich,
Dich der hunnischen Hinterlist heil zu erwehren?
So schleunig du kamst, enteile dem Schlosse.

16

Statt im Festhelm hieher zu Atli zu fahren,
Trüget ihr, Bruder, weit besser die Brünnen,
Säßt, bis die Sonne verglüht, in den Sätteln
Und ließt um die Leichen erlegter Feinde
Den klagenden Nachruf der Nornen erklingen.

17

Den hunnischen Schildmägden wär's dann beschieden,
Dunkles Verderben von euch zu erdulden.
Dann schleudertet ihr zu den Schlangen den Atli; –
Nun wartet aber euer der Wurmhof.

Gunther.

18

»Noch geschwind genug, Schwester, können wir schwerlich
Nachricht sendend die Niblunge sammeln;
Zu weit ist der Weg, um zur Hilfe zu werben
Die berühmten Recken des Rheingebirges.«

20

Zu 20, 21 und 19. Daß Hagen dem Gunther die Gewalt abwehrt, wäre unsinnig, nachdem 19 Gefangennehmung und Fessellung G.s berichtet hat. Die Darstellung wird begreiflich nur, wenn man voraussetzt, daß auch Hagen trotz tapferer Gegenwehr überwältigt und von Gunther abgesondert gefangen gesetzt worden ist. So schildert es ausführlicher die Völsungasage, obwohl auch sie die Absonderung beider nur als selbstverständlich voraussetzt. Alles kommt in gute Ordnung durch meine in den Seitenzahlen angegebene Richtigstellung der unzweifelhaft verworfenen Versfolge.

Hagen entseelte der Hunnen sieben
Mit scharfem Eisen und schob den achten
In die heiße Hölle des flammenden Herdes.
So verteid'ge sich der Tapfre vor tückischen Feinden!

21, 1 u. 2

Doch nicht wehrte Hagen von Gunther Gewalt ab.

19

Gefangen wurde und schwer gefesselt
Gunther, der Gast, vom Burgundenschwager.

21, 3

Sie waren erbötig, dem Volksgebieter
Sein Leben zu lassen für goldene Lösung.

Gunther.

22

Erst legt mir Hagens Herz in die Hände;
Mit mordscharfem Messer metzelt es blutig
Aus dem Körper des kühnen Königssprossen.

23

Da schnitten die Hunnen dem Sklaven Hialli
Das Herz aus der Brust und brachten es blutig
Auf einer Schüssel, daß Gunther es schaue.

24

Doch das merkte Gunther, der Männergebieter:
»Dies Herz gehörte dem Feigling Hialli;
Nicht gleicht es dem Herzen Hagens, des Helden.
Es liegt in der Schüssel schimpflich zitternd;
Als der Busen es barg, da bebt' es noch bänger.«

25

Hagen aber, der Helmzerschmettrer,
Verschmähte Kleinmut und schmerzliche Klage.
Er ließ sich lachend ins Leben schneiden.
Da sein Herz auf der Schüssel Gunther schaute,

26

Rief beruhigt der rüstige Niblung:
»Hier hab' ich das Herz des furchtlosen Hagen;
Nicht gleicht es dem Herzen des feigen Hialli.
Nur wenig schaudert's auf blutiger Schüssel
Und bebte minder im Busen des Mannes.

27

O wärst du mir, Atli, so weit aus den Augen,
Als du nimmer jetzt schaun wirst die Niblungenschätze.
Ich nun als einziger nenne mein eigen
Des Hortes Geheimnis, nun Hagen tot ist.
[Zwischen Reden und Schweigen schwankt' ich noch ratlos.]

28

In beständigem Zwiespalt als zwei wir noch lebten;
Doch nun ist das nichtig, da niemand als ich lebt.
Mit dem schädlichen Schatze schalte der Rheinstrom,
Denn er nur weiß mit den waltenden Göttern
Nächstens den Ort des Niblungenerbes.

29

Zu 29, 5, und 6. Die Worte des Textes Ykviđ er hvelvögnom haptr er nu i böndom geben so schlechterdings keinen vernünftigen Sinn. Wären sie ein Befehl Atlis, so stünden sie schwerlich so unvermittelt hereinplatzend am Ende der Strophe, Sie würden dann eingeleitet sein mit Þa quaþ þat Atli; auch könnte man ykvid đ allenfalls für entstellt aus þa quaþ halten. Ich glaube aber, daß es Gunthers letzte Worte sein sollen. Der Text scheint mir arg verfälscht. hvel-vögnom (Rad-Wagen) ist wahrscheinlich verderbt aus hel-vegr und ykviđ oder ykviđar zu erklären aus altdeutschem iogahwedar, iokawidar, angelsächsisch eocawedar, mitteldeutsch îquedir und iquiddir, jedweder, haptr verschrieben aus hafþr, annehmbar, erwünscht. Ich schlage also vor:

Ykviđar hel-vegr
hafþr er i böndom

das ist: jeder Weg zum Tode ist erwünscht, wenn man in Banden liegt; d. h. macht nun mit mir, was ihr wollt; auch der martervollste Tod ist mir erwünschte Erlösung aus eurer Gefangenschaft.

In den Strudeln des Stromes wälze sich strahlend
Der goldene Schmuck, anstatt als Geschmeide
An der Hunnensöhne Händen zu schimmern.
Jeder Weg ist erwünscht, der den fesselumwundnen
Von hinnen führt nach Helas Behausung.

30

Zu 30. Vor Gudrún sig-tifa ist Halbvers 5 ausgefallen. Man ergänzt ihn gewöhnlich goettiz harma; ich einfacher, wahrscheinlicher und versgerecht:

gekk þa Guđrun
i garđ sigtifa.

Atli ist eben abgefahren, um Gunther ins Schlangenverließ werfen zu lassen. Nicht zu ihm kann Gudrun 31 sprechen, auch wenn sie so einfältig wäre, ihm ihre Rachsucht sogleich zu offenbaren, der sie doch später so heimlich und entsetzlich überraschend zu fröhnen weiß. Þys-haull bedeutet hier nicht die lärmende Festhalle, welche die meisten Hunnen mit Atli und Gunther verlassen haben. Gudrun geht erst in das Gehege der Schutzgötter und tritt dann in deren leeres, daher tönendes Heiligtum, um zu ihnen um Rache zu beten, wobei sie ihr Verlangen nach Vergeltung sehr wohl auch ohne Atlis Gegenwart in der Anredeform aussprechen darf.

Die Mähnen flattern; der mächtige Atli
Rollt von dannen; den ruchlosen Schwager
Umstarren die Speere wie Stacheldornen.«

Gudrun ging zu den schützenden Göttern,
Ihre Tränen beim Betreten
Der dröhnenden Halle unterdrückend.

31

»Dir, Atli, ergeh' es, gleichwie du dem Gunther
Die häufig geschworenen Schwüre gehalten,
Die für ewige Zeiten zugesagt waren
Beim Südsaal der Sonne, beim Sieggottsberge,
Beim verhüllten Ruhbett, beim Ringe Ullers;
Und dennoch rissen von dannen zum Tode
Den Hüter des Hortes die knirschenden Hengste
Auf das Geheiß des Heergebieters.«

32

Es sperrte die Schar der Schergen Atlis
Den König lebend in jenes Verließ ein
Voll schlüpfender Schlangen. Einsam schlug da
Gunther voll Zorn mit den Zehen die Harfe,

33

Zu 33. Nur die ersten beiden Worte glamdo strengir halte ich für echten Rest der ursprünglichen Strophe. Das Hauptaugenmerk des späten Ergänzers war, das Gesetz der Alliteration formell zu erfüllen. Je weniger er imstande war, sie zu ihrer wesentlichen Wirkung, der auf das Ohr, zu bringen, desto deutlicher sucht er sie dem Auge bemerkbar zu machen durch die verschlungenen Doppelstäbe glumdo strengir skal gulli fraekn hring fira halda.

Der Ausdruck ist ungeschickt gekünstelt und matt, der Gedanke so dürftig als müßig: So soll Gold ein hartgemuter Ringspender gegen Menschen bewahren. Meine Nachbildung tut ihm im Grunde unverdiente Ehre an, indem sie aus der verschwommenen Andeutung herausschärft, was dem Autor unklar vorgeschwebt hat: Wie hier Gunther, allen Martern Trotz bietend, lieber stirbt, als den Ort des Niblungenschatzes verrät, so geziemt es einem hochgemuten König, der sonst freigebig Ringe verteilt, sich sein Gold von einer drohenden, gierigen Menge nicht abzwängen zu lassen.

Und es tönten die Saiten. So soll ein tapfrer
Ringverteiler unentreißbar
Vor der Gegner Gewalt sein Gold bewahren

34

Zu 34. Hier beginnt ein neuer Akt, von Gundruns Rache. Ein längerer Zeitraum ist verflossen. Gundrun hat ihren gräßlichen Vorsatz ausgeführt. Atli kehrt zu Wagen zurück, nicht etwa von der Hinrichtung Gunthers, sondern von einem Feldzuge.]

Zurück in sein Land einst lenkte die Rosse,
Die erzbeschlagnen, Atli vom Schlachtfeld.
Da dröhnte der Hof vom Gedränge der Hengste,
Vom Waffengerassel der Wiedergekehrten.

35

Zu 35. Der vergoldete Becher, den Gundrun dem Atli zum Willkomm bietet, ist verfertigt aus dem Schädel eines ihrer Kinder (vgl. Atlamal 79). Das setzt der Dichter, wie vieles andere, als aus der Sage bekannt voraus. Auch das geheimnisvolle Ächzen der Trinkgeschirre im Anfang der folgenden Strophe spielt darauf an. Gundrun spricht mit schrecklicher Zweideutigkeit. Indem sie den König bewillkommnet, kann er ihre Worte gnadda nifl-farna (die Speere der nach Niflhel Abgefahrenen) beziehen auf die eroberten Waffen, die er heimbringt, und die sie ihm etwa zählend von dem Wagen herab zum Aufbewahren als Trophäen zureichen wolle. Sie selbst aber meint damit eben die zu Trinkgefäßen verarbeiteten Schädel. In gnadda, stammverwandt mit Nadel, Natter, und englisch gnat, Stechmücke, liegt die Vorstellung des Stechens, des heimtückischen Verwundens. Ihr sind die Schädelhumpen scharfe Speere, welche ihre ermordeten Brüder aus der Unterwelt vermittelst der rächenden Hand der Schwester in Atlis Herz stoßen.

Gudrun ging entgegen dem Atli,
Den vergoldeten Kelch dem König bietend;
»Empfange nun, Fürst, in deinem Vorsaal
Heiteren Geistes aus Gudruns Händen
Das Geschoß der zum Schattenreich nieder Geschickten.«

36

Zu 36. Wie das homerische ϰαρηϰομόωντες die Freien bezeichnet, die im Gegensatz zu den geschorenen Sklaven und Hörigen langes Haar tragen durften, so scheint nach unserem Liede der lange Bart Zeichen eines gewissen Ranges zu sein, welcher zur Tischgenossenschaft mit dem König berechtigte.

Wie seufzend erbebten die Becher Atlis,
Als mit Rebensaft man sie füllte zum Rande.
Im Saale beisammen saßen die Hunnen,
Und es zogen hinein die mit Bärten Gezierten.

37

Das schreckliche Weib kam festen Schrittes
Und mit heiterer Miene, den Met zu schenken
Und die besten Bissen dem Fürsten zu bieten.
Doch fahl entfärbte die Furcht sein Antlitz,
Da sie den Atli nun also anfuhr

38

Zu 38. sverđa deilir. Schwertverteiler wäre als an Atli gerichtete Anrede hier so schief und unpassend als möglich, während es zwingend nahe liegt, daß hier die Rede sei von Atlis mit dem Schwerte zerschnittenen Söhnen. Die verwegensten Härten, Worterfindungen und Gewalttaten gegen die Grammatik sind dem Verfasser unseres Stückes durchaus zuzutrauen. Unter dieser Voraussetzung darf man den Text vielleicht beibehalten wie er ist, und deilir nehmen für deilar von deilr, Teil. Nur wären mit sverđa d. nicht Teile der Schwerter, sondern mit dem Schwert gemachte Teile gemeint. Den Satz: »Du hast deiner Söhne Schwertstücke gegessen« würden auch wir ohne weiteres so verstehen, auch für diese Ausdruckweise, ohne sie grammatisch zu billigen, aus Volksliedern manches Beispiel anführen können.

»Du hast deiner Söhne zersäbelte Glieder
Und blutige Herzen mit Honig gegessen;
Denn Menschenbraten schien mir zum Mahle
Als Zukost geziemend dir Zorngemutem;
So sandt' ich dir solchen zum Sitz der Ehre.

39

Zu 39. Erinnert an die Kinder Siggeirs, die von Sigmund und Sinfiötli umgebracht werden, während sie mit goldenen Ringen spielen. Überhaupt trifft die Erzählung vielfach zusammen mit der der Völs. S. von Signis Rache.

Nun schaukelt dein Knie nimmer die Knaben,
Den Eitil, den Erp, die so eifrig schon zechten.
Im Saale sitzend, siehst du sie nimmer
Spielen mit Gold und Speere sich schäften
Noch Mähnen strählen und mutig reiten.«

40

Zu 40. ber für biörn, Bär, kommt sonst nur vor in der Zusammensetzung ber-fiall, Bärenfell, Völundarqu. 10 und als fem. bera, Bärin. Hier ist es richtiger abzuleiten von at bera, tragen, ertragen, also ber-harđa, Hartes ertragend, duldensstark.

Betäubendes Toben entstand um die Tische,
Und lautes Geschrei der erschrockenen Männer.
Raschelnd zerriß man reiche Gewande,
Der hunnischen Jünglinge Schicksal bejammernd.
Nur Gudrun allein vergoß keine Träne,
Nicht um die standhaft gestorbenen Brüder
Noch um die Söhne, die süßen Knaben,
Ihre schuldlosen Kinder vom König Atli.

41

Zu 41. Die lange vorher stattgefundene Bestechung der Knechte wird nachträglich erzählt, um begreiflich zu machen, daß Gudrun den Kindermord furchtlos eingestehen kann, ohne sogleich von den Leuten Atlis niedergestoßen zu werden. Das müßte eigentlich, wie in meiner Nachbildung, im Plusquamperfektum vorgetragen sein. Dies aber widerstrebt dem epischen Stil, welcher die Aufgabe hat, zu vergegenwärtigen, daher selbst das Perfektum selten anwendet und wenn es einmal geschehen, so rasch als möglich zum Imperfekt oder Präsens zurückkehrt. Das Plusquamperfekt, seiner Silbenmenge wegen in der Poesie aller Sprachen möglichst gemieden, ist im altnordischen Stabvers vollends unanwendbar.

Die schwanweiße Frau hatte Gold verschwendet,
Die Knechte beringt mit roten Reifen,
Das Schicksal geschürt mit schierem Golde;
Wie ja Weiber gewöhnlich nach Willkür und Laune
Geld und Gut zu vergeuden pflegen.

42

Zu 42 und 43. Atli ist berauscht schlafen gegangen, ohne Waffen mitzunehmen. Gudrun begibt sich zu ihm, unaufgehalten von der Wache der Edlinge, die es, wie 42, 5–8 andeuten sollen, gewohnt waren, sie ungescheut zu nächtlichem Besuch des Gemahls eintreten zu sehen. – Die K. E. meint, der Vortrag sei dann in 43 ordnungslos durcheinandergeworfen und tumultarisch, wie die geschilderte Szene selbst. Dem ist nicht so. Der Schein davon entsteht nur dadurch, daß man 43, 5 hratt fur hallar dyrr (warf vor die Tür der Halle) irrtümlich verbindet mit 43, 7 brandi bruđur heitom (den Brand der Frau, den heißen), worauf dann allerdings Halbvers 6 ok huskarli vakti (und weckte die Hausleute) aussehen muß wie in der unnatürlichsten Weise dazwischen geworfen. Das verführte weiter zu der verfehlten Erklärung, Gudrun habe die Hunde losgebunden, damit sie nicht durch ihr Gebell verrieten, was sie beginne, und ferner, sie habe das Hausgesinde geweckt, um von demselben Holzscheite aufschichten und entzünden zu lassen. Halbvers 4 und 5 gehören zusammen. Der Sinn ist: ihr Rachedurst war so heftig, daß sie, obwohl von Natur mitleidsvoll genug, um die Hunde zu retten, die Hausgenossen Atlis mit verbrennen ließ, indem sie es so einrichtete, daß dieselben erst erwachten durch die Feuersbrunst, als ihr nicht mehr zu entrinnen war.

Allzu berauscht war der unkluge Atli,
Ungewarnt vor Gudrun und ganz ohne Waffen.
Gar oft war's geschehn, daß scherzend die beiden
Einander umarmt vor der Edlinge Augen.

43

Mit mordender Hand ihr Messer zückend,
Tränkt sie das Bett mit dem Blute des Buhlen.
Die Hunde löst sie vom Halsband und wirft sie
Hinaus in den Hof; doch die Hausgenossen
Weckte dies Weib erst, das Werk ihrer Rache
Für die Brüder vollbringend und alle verbrennend.

44

Dem Feuer befahl sie die Insassen alle,
Die mitgeholfen bei Gunthers Ermordung
Und heimgekehrt aus dem finsteren Kerker.
Da stürzte berstend das alte Gebälke,
Da rauchten die Kammern voll Kostbarkeiten
Im Bothlungenbau; da verbrannte lebendig
Der Schildmägde Schar, vom Schicksal betrogen
Um Jugend und Glück, in verzehrender Glut.

45

Doch genug schon vernahmt ihr. Niemals wieder
Wird wohl ein Weib in solcher Weise
Die Brünne tragen, um Brüder zu rächen.
Der Erlauchten gelang's, eh' sie selbst erlegen,
Zum Tode zu fördern drei Völkerfürsten.

Ausführlicher ist dies erzählt in der grönländischen Atlisage.


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