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II.

Triumph.

Dieser unerwartete, so vollständige Sieg Miramon's über die durch renommirte Offiziere befehligten, kriegsgeübten Truppen gab den erschreckten Anhängern des Präsidenten der Republik den Muth und die Hoffnung wieder.

Der Geist der Soldaten hatte sich in einem solchen Grade geändert, daß sie nicht mehr an dem Triumph ihrer Sache zweifelten und in wenigen Minuten betrachteten sie dieselbe fast als siegreich.

Allein mitten in dieser allgemeinen Freude machte sich Miramon keine Illusion über die Tragweite des Sieges, den er errungen hatte; für ihn war dieser neue Glanz seiner so lange siegreich gewesenen Waffen nur das letzte Auflodern einer dem Erlöschen nahen Fackel.

Er kannte seine unsichere Lage zu gut, als daß er sich auch nur einen Augenblick in trügerischen Hoffnungen hätte wiegen sollen; innerlich dagegen dankte er der Glücksgöttin, daß sie ihm ein letztes Lächeln bewilligt hatte, welches ihn nicht wie einen gewöhnlichen Mann von der Höhe herabstürzte.

Sobald die Cavallerie, welche die Flüchtlinge verfolgte, um sie zu verhindern, sich wieder zu vereinigen, wieder zu der auf dem Schlachtfelde gebliebenen Hauptarmee gestoßen war, gab Miramon nach zweistündiger Rast den Befehl, nach Mexiko zurückzukehren.

Die Rückkehr des Corps war nicht eben so rasch bewerkstelligt, als sein Auszug; die ermüdeten Pferde konnten nur mit Mühe vorwärts, die Infanterie ging zu Fuß, um die Gefangenen zu eskortiren, außerdem konnten die Kanonen und zahlreichen Bagagewagen, die man erobert hatte und die der Armee folgten, nur einen breiten und geebneten Weg passieren, was den General Miramon nöthigte, die Hauptstraße zu wählen, wodurch eine Verzögerung von mehren Stunden entstand.

Ungefähr um zehn Uhr Abends erreichte die Avantgarde des Corps Mexiko.

Es war stockfinster, und dennoch schien die Stadt durch unzähliche Lichter erleuchtet.

Die guten wie die schlechten Nachrichten verbreiteten sich mit außerordentlicher Schnelligkeit; erkläre, wer es vermag, das unauflösliche Räthsel, aber gewiß ist, daß die Schlacht bei Totuca kaum beendet war, als man auch schon den Ausgang derselben in Mexiko kannte. Das Gerücht von dem Siege des Präsidenten lief von Mund zu Munde, ohne daß man wußte, wer es überbracht hatte.

Bei der Nachricht dieses unverhofften Sieges war die Freude allgemein, der Enthusiasmus stieg auf's Höchste und als es dunkel wurde, war die Stadt freiwillig illuminirt.

Der Magistrat erwartete den Präsident am Eingang der Stadt, um ihm seine Glückwünsche darzubringen; die Truppen defilirten zwischen zwei dichten Volksreihen hindurch, welche Miramon mit begeisterten Vivats empfingen und Taschentücher und Hüte zu seiner Begrüßung schwenkten. Ungeachtet der vorgerückten Stunde läuteten alle Glocken der Stadt, und die zahlreichen, unter die Menge gemischten Hüte von Mitgliedern der Geistlichkeit bewiesen, daß die Priester und Mönche, die noch den Tag vorher so kalt gegen den Mann waren, den sie bisher stets unterstützt hatten, sich plötzlich durch die Nachricht seines Sieges von Neuem zur Begeisterung hingerissen fühlten.

Miramon ritt ruhig und gleichmüthig durch die Menge und erwiderte mit unmerklicher Ironie die Grüße, mit welchen man ihn unaufhörlich von allen Seiten überschüttete.

Vor seinem Palast angelangt, sprang er vom Pferde; an der Pforte desselben empfing ihn ruhig lächelnd ein Mann.

Es war der Abenteurer. Sobald ihn Miramon bemerkte, konnte er eine freudige Bewegung nicht unterdrücken.

»Ah! kommt, mein Freund,« rief er, indem er auf ihn zu eilte.

Und zur allgemeinen Verwunderung zog er dessen Arm unter den seinigen und trat mit ihm in das Innere des Palastes.

Als der Präsident sein Privatcabinet erreicht hatte, wo er gewöhnlich arbeitete, warf er sich in einen Fauteuil und trocknete mit einem Taschentuche sein in Schweiß gebadetes Gesicht.

»Oh!« stieß er in dem Tone übler Laune hervor, »ich bin wie gerädert; dieser dumme Empfang, dem ich wider Willen beizuwohnen gezwungen gewesen, hat mich auf Ehre mehr ermüdet, als alle andern Ereignisse des in seinen außerordentlichen Entwicklungen so furchtbaren Tages.«

»Nun,« antwortete gerührt der Abenteurer, »ich bin glücklich, Sie so sprechen zu hören, General; ich fürchtete, daß Ihr Erfolg Sie berauscht haben könnte.«

Der General zuckte verächtlich die Schultern.

»Für wen haltet Ihr mich, mein Freund,« erwiderte er; »und welche traurigen Gedanken habt Ihr über mich, wenn Ihr glaubt, daß ich mich durch einen Erfolg blenden lasse, der, so glänzend er auch scheint, in Wahrheit nur ein Sieg mehr in der Reihe ist, dessen Resultat jedoch ebenso nichtig für die Sache sein wird, welche ich unterstütze.«

»Was Sie sagen, General, ist leider nur zu wahr.«

»Glaubt Ihr, daß ich es nicht weiß? Mein Sturz ist unvermeidlich; diese Schlacht wird ihn kaum um einige Tage verzögern; ich muß fallen, weil mich, trotz der begeisterten Zurufe der stets wechselnden, leicht zu täuschenden Menge, die bis jetzt meine Stärke gewesen ist, und mich in dem begonnenen Kampfe unterstützte, der Geist dieser Nation verlassen hat, das fühle ich.«

»Gehen Sie nicht zu weit, General! Noch zwei Schlachten wie diese, und wer weiß, ob Sie dann nicht alles Verlorene wieder erobert haben werden.«

»Mein Freund, der Erfolg der heutigen gebührt Euch; Dank Eurem glänzenden Angriff im Rücken der Feinde, ist derselbe in Verwirrung gebracht und besiegt worden.«

»Sie sind eigensinnig und wollen Alles schwarz sehen; ich wiederhole Ihnen: noch zwei Schlachten wie diese und Sie sind gerettet.«

»Diese Schlachten, mein Freund, werde ich liefern, wenn man mir dazu Zelt läßt. Ach! wenn ich anstatt allein in Mexiko eingeschlossen, noch ergebene Offiziere hätte, die den Krieg nach diesem Siege unterhalten könnten, so möchte Alles anders werden.«

In diesem Augenblick ging die Thür, auf und der General Cobos erschien.

»Ah! Sie sind es, mein lieber General,« sagte der Präsident, ihm die Hand reichend und plötzlich wieder eine lächelnde Miene annehmend, »seien Sie mir willkommen. Welcher Beweggrund verschafft mir das Vergnügen, Sie zu sehen?«

»Ich bitte Eure Herrlichkeit mich zu entschuldigen, wenn ich wage, unangemeldet hier einzutreten; aber ich habe ernste Dinge zu berichten, die keine Zögerung dulden.«

Der Abenteurer erhob sich, um sich zu entfernen.

»Bleibt, ich bitte Euch,« sagte der Präsident, ihn zurückhaltend; »sprechen Sie, mein lieber General.«

»Herr Präsident, es herrscht die größte Verwirrung auf dem Platze zwischen Volk und Soldaten; man verlangt mit wüthendem Geschrei, daß die zu Gefangenen gemachten Offiziere als Verräther am Vaterlande sogleich erschossen werden.«

»Wie?« sagte der Präsident, indem er sich rasch erhob und leicht erblaßte, »was berichten Sie mir da, mein lieber General?«

»Wenn Euer Herrlichkeit die Fenster dieses Gemachs öffnen wollen, werden Sie das Mordgeschrei vernehmen, welches die Armee und das Volk gemeinsam ausstoßen.«

»Ah!« murmelte Miramon, »politische Meuchelmorde mit kaltem Blute nach dem Siege begehen! Niemals werde ich darein willigen, solche schändliche Verbrechen zu billigen! Nein, tausendmal nein; wenigstens was mich betrifft, soll es nicht so sein. Wo sind die gefangenen Offiziere?«

»Sie werden im Hofe des Palastes bewacht.«

»So geben Sie den Befehl, daß sie sogleich vorgeführt werden; gehen Sie, General.«

»Ah! mein Freund,« rief der Präsident entmuthigt, sobald er sich mit ihm allein sah, »was kann man von so einem alles moralische Gefühl entbehrenden Volke wie das unsere erwarten? Ach! was müssen die europäischen Regierungen von so augenscheinlicher Barbarei denken! Welche Verachtung müssen sie nicht für unsere unglückliche Nation fühlen! Und dennoch,« setzte er hinzu, »ist dieses Volk nicht böse, nur seine lange Sclaverei und die ewigen Revolutionen, dessen Opfer es seit vierzig Jahren beständig gewesen, hat es so grausam gemacht. Kommt, folgt mir, ich muß damit zu Ende kommen.«

Begleitet von dem Abenteurer, verließ er sein Cabinet und begab sich nach einem weiten Saal, wo seine ergebenen Anhänger sich vereinigt hatten.

Der Präsident nahm einen um zwei Stufen erhöhten Sitz ein, der sich für ihn am Ende des Saales befand, und die seiner Sache treu gebliebenen Offiziere stellten sich zu beiden Seiten von ihm auf.

Auf einen Wink Miramon's war der Abenteurer, dem Anschein nach unberührt von den Vorgängen, an seiner Seite geblieben.

Bald darauf vernahm man draußen ein Geräusch sich nähernder Tritte und Waffengeklirr, und die gefangenen Offiziere, von dem ihnen voranschreitenden General Cobos geführt, traten in den Saat.

Obwohl diese Gefangenen eine äußere Ruhe zeigten, waren sie doch über das Schicksal, welches man ihnen vorbehalten hatte, ziemlich besorgt; sie hatten das gegen sie ausgestoßene, wüthende Geschrei gehört und kannten die üble Stimmung der Anhänger Miramon's gegen sie.

Der, welcher voran ging, war der General Beriozabal, ein junger Mann von höchstens dreißig Jahren, mit ausdrucksvollem Kopf, feinen und intelligenten Zügen und edlem, ungezwungenen Gange; ihm folgte der General Dogollado zwischen seinen beiden Söhnen, dann zwei Oberste und die Offiziere, welche den Generalstab des General Beriozabal bildeten.

Die Gefangenen schritten mit fester Haltung auf den Präsidenten zu, welcher bei ihrer Annährung rasch seinen Platz verließ und ihnen mit freundlichem Lächeln einige Schritte entgegen ging.

»Caballeros,« sagte er zu ihnen, sie höflich grüßend, »ich bedaure, daß die Umstände, in welche wir leider versetzt sind, mir nicht gestatten, Ihnen sogleich die Freiheit zurückzugeben; jedoch werde ich durch alle mir zu Gebote stehenden Mittel versuchen, Ihnen die Gefangenschaft, welche, wie ich hoffe, nicht von langer Dauer sein wird, so angenehm wie möglich zu machen. Wollen Sie vor allen Dingen Ihre Degen zurücknehmen, die Sie so tapfer getragen und deren Sie beraubt zu haben, ich lebhaft bedaure.«

Er winkte dem General Cobos, welcher sich beeilte, den Gefangenen ihre genommenen Waffen wieder zu übergeben, welche dieselben mit freudiger Bewegung empfingen.

»Jetzt, Caballeros,« nahm der Präsident wieder das Wort, »erzeigen Sie mir die Ehre, die Gastfreundschaft, welche ich Ihnen in diesem Palast anbiete, wo Sie mit aller der Rücksicht, die Ihr Unglück verdient, behandelt sein werden, anzunehmen. Ich verlange nur Ihr Wort als Soldaten und Ehrenmänner, nicht ohne meine Billigung sich zu entfernen, nicht weil ich an Ihrer Ehre zweifle, sondern einzig und allein, um Sie den Versuchen der gegen Sie schlecht gesinnten und durch die Leiden eines langen Krieges erbitterten Menge zu entziehen. Sie sind also Gefangene auf Ehrenwort, Caballeros, und vollkommen frei nach Ihrem Belieben zu handeln.«

»Herr General,« erwiderte darauf der General Beriozabal im Namen Aller, »wir danken Ihnen aufrichtig für Ihre Freundlichkeit; wir durften nicht weniger von Ihrem bekannten Edelmuth erwarten.

»Wir geben freudig das von uns geforderte Wort und werden uns nur der Freiheit in den uns gestatteten Grenzen erfreuen, und gleichzeitig Ihnen das Versprechen leisten, in keiner Weise den Versuch zu machen, unsere Freiheit wieder zu erlangen, bevor wir unseres Wortes enthoben sind.«

Nach einigen, zwischen dem Präsidenten und den beiden Generalen ausgetauschten Höflichkeiten, zogen sich die Gefangenen in die ihnen angewiesenen Gemächer zurück.

In dem Moment, wo Miramon sich anschickte, in sein Cabinet zurückzukehren, hielt ihn der Abenteurer lebhaft zurück, und zeigte auf einen höheren Offizier, welcher sich in der Gruppe zu verbergen suchte.

»Kennen Sie diesen Mann?« sagte er mit leiser, bebender Stimme.

»Gewiß kenne ich ihn,« antwortete der Präsident, »er ist nur erst seit einigen Tagen bei mir, und hat mir schon ungeheure Dienste erwiesen. Er ist ein Spanier und heißt Antonio Cacerbar.

»Oh! ich weiß seinen Namen,« entgegnete der Abenteurer, »denn ich kenne ihn leider schon seit langer Zeit. Dieser Mensch, General, ist ein Verräther.«

»Ei, Ihr wollt scherzen.«

»Ich wiederhole Ihnen, General, daß dieser Mann ein Verräther ist, dessen bin ich gewiß!«

»Ich bitte Euch, beharrt nicht länger darauf, mein Freund,« unterbrach ihn rasch der General, »es wäre mir peinlich. Gute Nacht, erfreut mich morgen mit Eurem Besuch, ich habe über wichtige Dinge mit Euch zu reden.«

Und ihm freundlich winkend, trat der Präsident in sein Gemach und schloß die Thür hinter sich.

Der Abenteurer blieb nachdenklich einen Augenblick stehen, schmerzlich berührt von der Gleichgültigkeit des Präsidenten.

»Oh!« sprach er betrübt, »Diejenigen, welche Gott verlassen will, schlägt er mit Blindheit! Leider ist jetzt Alles zu Ende, der Mann ist unwiderruflich verurtheilt, seine Sache ist verloren!«

Und er verließ den Palast mit den düstersten Ahnungen.


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