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IV.

Das Abendessen.

Die beiden jungen Leute betrachteten den Abenteurer mit einer Ueberraschung, die sie vergeblich zu verbergen strebten, obgleich sie sich dennoch unwillkürlich auf ihren Gesichtern malte.

Raimbaut brachte bald darauf mit Hülfe Lanca Ibarrü's einen vollständig servirten Tisch herbei, den er vor Don Adolfo hinstellte.

»Ei, meine Herren,« sagte heiter der Abenteurer, »Herr Raimbaut hat die zarte Aufmerksamkeit gehabt, drei Couverts aufzulegen, da er ohne Zweifel voraussah, daß Ihr es mir nicht abschlagen würdet, mir Gesellschaft zu leisten; ich bitte Euch daher, gönnt Euren Gedanken etwas Ruhe und setzt Euch zu Tische.«

»Von ganzem Herzen,« antworteten sie, indem sie an seiner Seite Platz nahmen.

Die Mahlzeit begann; Don Adolfo aß mit gutem Appetit, während er mit hinreißender Beredtsamkeit, welche seine Freunde bis dahin noch nie an ihm bemerkt hatten, plauderte; das von seinen Lippen sprühende Feuer von Witzen, geistreichen Worten und feinen Anekdoten wollte nicht versiegen.

Die jungen Leute blickten sich an, sie begriffen diese seltsame Laune nicht; denn trotz der Heiterkeit seines Gesprächs, blieb die Stirn des Abenteurers umwölkt und sein Gesicht bewahrte die spöttische Kälte, die demselben eigenthümlich war.

Indessen unwillkürlich durch diese Heiterkeit angeregt, hatten sie bald ihre Nebengedanken vergessen und überließen sich vollkommen dieser dem Anscheine nach so offenen Freude. Bald mischte sich mit dem Lachen und freudigen Worten das Klingen der Gläser und das Geklapper der Messer und Gabeln.

Die Diener waren fortgeschickt worden und so befanden sich die drei Freunde allein.

»Wahrhaftig, meine Herren,« sagte Don Adolfo, indem er eine Champagnerflasche entkorkte, »von allen Mahlzeiten ist nach meiner Meinung das Abendessen die beste; unsere Väter hielten sie werth und sie hatten recht, unter andern guten Gewohnheiten, die sich auf uns übertragen haben, verliert sich diese immer mehr, und bald wird sie vollständig vergessen sein, ich werde sie aufrichtig bedauern.«

Er füllte die Gläser seiner Gefährten.

»Laßt mich mit diesem Wein auf Eure Gesundheit trinken,« begann er von Neuem, »er ist eins der entzückendsten Erzeugnisse Eures Landes.«

Und nachdem sie angestoßen, leerte er sein Glas in einem Zuge.

Die Flaschen folgten rasch auf einander, die Gläser wurden fast eben so schnell geleert, als sie gefüllt waren.

Die Köpfe erhitzten sich bald. Als man die Cigarren anzündete, griff man zu den Liqueurs, dem Jamaikarum, dem Refino von Catalunna, und dem französischen Branntwein.

Dann plauderten die Gäste; mit den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, in eine dichte, wohlriechende Rauchwolke eingehüllt, wurde ihr Gespräch, ohne daß sie es selbst wußten, allmählich ernster und vertrauter.

»Bah!« sagte plötzlich Dominique, indem er sich gemächlich in seinen Stuhl zurücklehnte, »das Leben ist wirklich eine gute und schöne Sache!«

Bei diesem plötzlichen Einfall, brach der Abenteurer in ein kurzes, nervöses Lachen aus.

»Bravo,« sagte er, »das nenne ich Philosophie. Dieser Mann, welcher weder seine Eltern kennt, noch weiß, wo er geboren ist, der wie ein kräftiger Pilz aufgeschossen, ohne jemals einen andern Freund als mich gekannt zu haben, der nicht einen Real unter der Sonne besitzt, findet das Leben eine schöne Sache, ei, ich wäre neugierig diese schöne Theorie etwas näher erklärt zu sehen.«

»Nichts leichter als das,« antwortete der junge Mann ruhig, »ich kenne freilich den Ort nicht, wo ich geboren bin, aber dies ist ein Glück für mich: da ist die ganze Erde mein Vaterland! Zu welcher Nation die Menschen auch gehören mögen, Alle sind meine Landsleute. Ich kenne meine Eltern nicht. Wer weiß, ob das nicht wieder ein Glück für mich ist. Sie haben mich durch ihr Verlassen aller Achtung und Dankbarkeit für die Sorge, die sie mir angedeihen lassen sollten, enthoben und haben mir die Freiheit gegeben, nach meinem Belieben zu handeln, ohne daß ich ihre Controle fürchten müßte. Ich habe nur einen Freund im Leben gehabt; wie viele Menschen dürfen sich schmeicheln, eben so viel zu besitzen? Der meinige ist gut, aufrichtig und ergeben, stets in meiner Nähe, wenn ich seiner bedarf, um meine Freude oder meinen Schmerz zu theilen, mich zu unterstützen und durch seine Freundschaft an die große menschliche Gesellschaft zu knüpfen, aus welcher ich ohne ihn verbannt wäre. Ich besitze keinen Real unter der Sonne, freilich wahr; aber wozu sollte mir der Reichthum dienen? Ich bin stark, tapfer und intelligent; soll der Mensch nicht arbeiten? Ich erfülle meine Aufgabe wie die Anderen, vielleicht besser, denn ich beneide Niemand und bin zufrieden mit meinem Loose. Ihr seht wohl, mein lieber Adolfo, daß das Leben für mich wenigstens, wie ich eben sagte, eine schöne und gute Sache ist. Ich fordere Euch auf, Ihr Skeptiker, mir das Gegentheil zu beweisen.«

»Gut geantwortet, meiner Treu,« erwiderte der Abenteurer, »alle diese Gründe, obwohl scheinbar leicht zu widerlegen, scheinen nichts desto weniger sehr logisch, ich werde mir nicht die Mühe geben, darüber zu streiten. Allein ich mache Euch bemerklich, mein Freund, daß wenn Ihr mich für einen Skeptiker haltet, Ihr im Irrthum seid; zurechtweisend wohl, aber niemals werde ich skeptisch sein.«

»Oh! oh!« riefen die beiden jungen Leute zugleich; »dies verlangt eine Erklärung Don Adolfo.«

»Diese Erklärung will ich geben, wenn Ihr es durchaus verlangt; aber wozu? Doch halt, ich werde Euch einen Vorschlag machen, der, wie ich glaube, Euch angenehm sein wird.«

»So laßt hören.«

»Es ist bald Morgen, in wenigen Stunden wird es Tag, keiner von uns ist müde, bleiben wir alle beisammen und plaudern wir fort.«

»Gewiß, ich bin ganz damit einverstanden,« antwortete der Graf.

»Und ich ebenfalls, aber wovon plaudern wir?« bemerkte Dominique.

»Wenn Ihr wollt, werde ich Euch ein Abenteuer erzählen, oder vielmehr eine Geschichte, – nennt es, wie Ihr wollt, die ich heut selbst gehört habe und Euch eben so genau wieder erzählen will, denn Der, welcher sie mir mittheilte, und den ich seit langer Zeit kenne, hat darin eine Rolle gespielt.«

»Warum wollt Ihr uns nicht Eure eigene Geschichte erzählen, Don Adolfo? sie muß manche seltsame und bewegte Erlebnisse enthalten,« sagte der Graf absichtlich.

»Nun seht, gerade darin irrt Ihr Euch, mein lieber Graf,« versetzte Olivier gutmüthig, »nichts weniger als bewegt, im Gegentheil, das, was Ihr meine Geschichte nennt, ist beinahe diejenige aller Schleichhändler; denn Ihr wißt, sagte er in vertraulichem Tone, »daß ich nichts Anderes bin, nicht wahr? Unser Leben ist bei Allen dasselbe: wir gebrauchen List, um die Waaren, die man uns anvertraut, durchzupaschen, und die Douane sucht uns ebenfalls durch List daran zu verhindern und uns festzunehmen, daher kommen die Conflicte, die zuweilen, aber Gott sei Dank selten, blutig werden; seht, das ist in Kurzem die Geschichte, die Ihr verlangt, Graf, Ihr werdet bemerken, daß es darin nichts wesentlich Interessantes giebt.«

»Ich bestehe nicht weiter darauf, lieber Don Adolfo,« antwortete lächelnd der Graf; »sprechen wir von etwas Anderem, wenn es Euch beliebt.«

»Nun,« sagte Dominique, »wenn Ihr wollt, so beginnt Eure Geschichte.«

Olivier füllte ein Champagnerglas mit Resino de Catalunna, leerte es mit einem Zuge und mit dem Heft seines Messers auf den Tisch klopfend, sagte er:

»So hört, meine Herren, ich fange an. Ich muß vor allen Dingen um Eure Nachsicht bitten, wegen einiger Lücken und dunkler Stellen, die sich in dieser Erzählung finden werden. Ich wiederhole Euch, daß ich nur daß wiedererzähle, was ich selbst gehört habe, und daß ich demnach viele Dinge, nicht weiß, und nicht verantwortlich gemacht werden darf für die wahrscheinlich absichtlich vom ersten Erzähler übergangenen Thatsachen, welche zu verschweigen er aus ihm allein bekannten Motiven für nöthig hielt.«

»Fangt an, fangt an,« baten sie.

»Noch eine andere Schwierigkeit ist bei dieser Erzählung,« fuhr er unerschütterlich fort, »nämlich, daß ich durchaus nicht weiß, in welchem Lande sie sich zugetragen hat; aber dies ist nur eine relative Wichtigkeit, die Menschen sind beinahe überall dieselben, das heißt, bewegt und beherrscht durch Laster und identische Leidenschaften. Alles, was ich mit Gewißheit annehmen kann, ist, daß die Geschichte der alten Welt angehört, übrigens werdet Ihr selbst darüber urtheilen. Es lebte also in Deutschland – nehmen wir an, wenn Ihr wollt, daß es Deutschland gewesen, wo diese wahrhafte Geschichte sich ereignete – es lebte in Deutschland, sagte ich, eine reiche und mächtige Familie, deren Adel bis in die weiteste Zeit hinabreichte. Ihr wißt ohne Zweifel, daß der deutsche Adel einer der ältesten in Europa ist. und daß die Traditionen desselben sich unangetastet bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Nun also, der Prinz von Oppenheim-Schlewig – wir werden ihm diesen Namen beilegen – das Haupt der Familie, war Fürst und hatte zwei Söhne von beinahe gleichem Alter, sie waren nur zwei bis drei Jahre auseinander. Beide waren schön und mit lebhaftem Verstand begabt. Diese beiden jungen Edelleute waren auf das Sorgfältigste unter den Augen ihres Vaters, der aufmerksam ihre Erziehung überwachte, erzogen worden. In Deutschland ist es nicht wie in Amerika, die Macht des Oberhaupts der Familie ist sehr ausgedehnt und überhaupt sehr geachtet. Es liegt etwas wahrhaft Patriarchalisches in der Art und Weise, wie die Disciplin des Hauses unterhalten wird. Die jungen Leute benutzten die Lehren, welche sie empfingen, aber mit den Jahren bildete sich auch ihr Charakter aus und es war leicht, eine große Verschiedenheit zwischen ihnen zu erkennen, obwohl Beide vollendete Edelleute in voller Bedeutung des Worts waren. Indessen ihre moralischen Eigenschaften, wenn es mir gestattet ist, mich dieses Ausdrucks zu bedienen, waren vollständig verschieden: der älteste war sanft, freundlich, dienstfertig, ernst, anhänglich an seine Pflichten und überhaupt durchdrungen von der Ehre seines Namens; der zweite zeigte ganz verschiedene Neigungen, obwohl sehr stolz und sehr auf seinen Adel eingebildet, fürchtete er doch nicht, die Achtung, welche er seinem Namen schuldete, in den niedrigsten Spielhäusern und den gewöhnlichsten Gesellschaften zu compromittiren, indem er das ausschweifendste Leben führte. Der Fürst seufzte innerlich über die Ausschweifungen seines jüngsten Sohnes; mehrmals ließ er ihn zu sich rufen und machte ihm ernste Vorstellungen; der junge Mann hörte ehrerbietig seinen Vater an, versprach ihm, sich zu bessern, fuhr aber dennoch in seinem Leichtsinn fort.

Frankreich erklärte den Krieg an Deutschland. Der Prinz von Oppenheim-Schlewig war einer der Ersten, die dem Aufruf des Kaisers folgten und sich unter seine Fahnen reihten; seine Söhne begleiteten ihn als Adjutanten, sie führten ihre ersten Waffenthaten an seiner Seite ans. Einige Tage nach seiner Ankunft im Lager wurde der Fürst von dem Oberbefehlshaber mit einer Recognoscirung betraut; es fand ein heißes Gefecht mit den feindlichen Fourageurs statt, im stärksten Gewühl fiel der Fürst vom Pferde, man eilte ihm zu Hülfe, aber er war todt. Aber ein seltsamer Umstand, der niemals erklärt wurde, fand sich vor, die Kugel, welche seinen Tod verursacht hatte, war ihm von hinten zwischen die beiden Schultern gedrungen.«

Don Adolfo hielt inne.

»Zu trinken,« wandte er sich zu Dominique. Dieser goß ihm ein Glas Punsch ein; der Abenteurer leerte es fast siedend, und nachdem er mit der Hand über seine bleiche, feuchte Stirn gefahren war, nahm er seine Erzählung mit scheinbarer Gleichgültigkeit wieder auf:

»Die beiden Söhne des Fürsten waren ziemlich weit von ihrem Vater entfernt, als diese Katastrophe sich ereignete. Sie liefen eiligst herbei; aber sie fanden nur noch den blutigen und entstellten Leichnam ihres Vaters. Der Schmerz der jungen Leute war groß; der des Aeltesten düster und verschlossen, der des Jüngsten dagegen brennend; ungeachtet der genauesten Nachforschungen war es unmöglich zu entdecken, wie der Prinz an der Spitze seiner Truppen, die ihn vergötterten, von hinten getroffen worden sein konnte. Dies blieb ein Geheimniß.

»Die jungen Leute schieden aus der Armee und kehrten nach Hause zurück; der Aelteste erhielt den Titel und wurde das Oberhaupt der Familie. In Deutschland herrscht das Altersgesetz in aller seiner Strenge, der Jüngste hing also vollständig von seinem Bruder ab; dieser wollte dagegen seinen Bruder nicht in so untergeordneter Lage lassen und trat ihm das Vermögen seiner Mutter ab. Dieses ziemlich bedeutende Vermögen, es belief sich, glaube ich, auf beinahe zwei Millionen, machte ihn vollständig unabhängig und erlaubte ihm, den Titel eines Marquis anzunehmen.«

»Eines Herzogs, wollt Ihr sagen,« unterbrach ihn der Graf.

»Ihr habt Recht,« versetzte Don Adolfo, indem er sich auf die Lippen biß, »da er Prinz war, aber Ihr wißt wohl, wir Republikaner,« fügte er mit bitterm Lächeln hinzu, »sind wenig mit diesen pomphaften Titeln vertraut, für die wir die tiefste Verachtung empfinden.«

»Erzählt weiter,« bat Dominique nachlässig.

Don Adolfo fuhr fort:

»Der Herzog machte sein Vermögen flüssig, nahm Abschied von seinem Bruder und reiste nach Wien; der Fürst blieb auf seinen Gütern mitten unter seinen Vasallen und hörte nur noch in langen Zwischenräumen etwas über seinen Bruder; die Nachrichten aber, welche er über ihn erhielt, waren nicht erfreulicher Art. Der Herzog kannte keine Grenzen mehr in seinen Ausschweifungen, ja es ging so weit, daß sich der Fürst genöthigt sah, einen strengen Entschluß zu fassen und seinem jüngeren Bruder den Befehl zu geben, sofort das Königreich, ich will sagen, das Kaiserreich zu verlassen. Dieser gehorchte ohne Murren; mehre Jahre verflossen, während welcher Zeit der Herzog ganz Europa durchreiste. Er schrieb nur selten an seinen ältesten Bruder und betheuerte jedes Mal, daß mit ihm eine vollständige Umwandlung vorgegangen wäre. Ob nun der Fürst diesen Betheuerungen Glauben schenkte oder nicht, so hielt er es dennoch für seine Pflicht, seinem Bruder anzuzeigen, daß er im Begriff sei, sich mit einer jungen, schönen und reichen Erbin zu vermählen und daß die Verheirathung bald stattfinden sollte. Er lud ihn, vielleicht in der Voraussetzung, daß der Herzog zu entfernt sei, um zu kommen, ein, der Trauung beizuwohnen. In dieser Vermuthung täuschte er sich jedoch, der Herzog kam an dem Tage vor der Hochzeit an. Sein Bruder empfing ihn sehr freundlich, und wies ihm ein Zimmer in seinem Palaste an; den darauf folgenden Tag fand die beabsichtigte Vermählung statt.

»Das Betragen des Herzog war untadelhaft; er blieb bei seinem Bruder und suchte, ihm in Allem zu gefallen und ihm bei jeder Gelegenheit zu beweisen, daß seine Besserung aufrichtig sei. Kurz, er spielte seine Rolle so gut, daß Jedermann dadurch getäuscht wurde und vor Allem der Prinz, der ihm nicht allein seine Freundschaft, sondern sogar sein vollständiges Vertrauen wieder schenkte.

»Schon seit mehren Monaten war der Herzog von seinen Reisen zurück, er schien das Leben ernster zu nehmen und nur den einen Wunsch zu haben, die Fehler seiner Jugend wieder gut zu machen. Anfangs begegnete man ihm in allen Familien mit Kälte, bald aber mit Auszeichnung, und fast war es ihm gelungen, die Irrthümer seiner Vergangenheit vergessen zu machen, als, ich weiß nicht bei Gelegenheit welches Festes oder Geburtstages, in dem Lande große Festlichkeiten stattfinden sollten; natürlich übernahm der Fürst, wie es seine Pflicht war, die Anordnung derselben und auf das Anrathen seines Bruders beschloß er sogar, um ihnen mehr Glanz zu verleihen, selbst darin eine wichtige Rolle zu übernehmen. Es handelte sich darum, eine Art Turnier darzustellen. Der höchste Adel der umliegenden Länder hatte mit Eifer seine Mitwirkung zugesagt. Endlich kam der erwartete Tag heran. Die junge Gemahlin des Fürsten, in hochschwangerem Zustande, versuchte vergeblich, von einer Ahnung getrieben – die aus dem Herzen kommen und niemals täuschen – ihren Gemahl daran zu verhindern, die Rennbahn zu betreten, indem sie ihm unter Thränen gestand, daß sie ein Unglück befürchte. Der Herzog vereinigte seine Bitten mit denen seiner Schwägerin, und suchte seinen Bruder zu bewegen, nur als Zuschauer in dem Turnier zu erscheinen. Aber der Fürst, der seine Ehre dabei engagirt glaubte, war unerschütterlich in seinem Entschluß, scherzte darüber, behandelte ihre Befürchtungen als Chimären und bestieg sein Pferd, um sich zu dem Turnier zu begeben.

»Eine Stunde später brachte man ihn sterbend zurück.

»Durch einen außergewöhnlichen Zufall, ein unerhörtes Mißgeschick, hatte der Fürst seinen Tod gefunden, da, wo er nur Vergnügen zu finden hoffte.

»Der Herzog zeigte über den schrecklichen Tod seines Bruders einen tiefen Schmerz.

»Das Testament des Fürsten wurde gleich darauf geöffnet, er ernannte darin seinen Bruder zum Universalerben aller seiner Güter, so fern die Prinzessin nicht, die, wie ich bereits erwähnt habe, sich in vorgerückter Schwangerschaft befand, einem Sohne das Leben gebe, in welchem Falle dieser Sohn das Vermögen und die Titel seines Vaters erben und bis zu seiner Majorennität unter der Vormundschaft seines Onkels bleiben würde.

»Als die Prinzessin den Tod ihres Gemahls erfuhr, wurde sie plötzlich von Geburtswehen ergriffen; und gebar eine Tochter.

»Die zweite Clausel des Testaments war also annullirt, der Herzog erhielt den Titel Fürst und nahm das Vermögen seines Bruders in Besitz.

»Ungeachtet der lockendsten Anerbietungen ihres Schwagers wollte die Prinzessin nicht länger als Fremde in einem Palaste wohnen, worin sie die Herrin gewesen war, und zog sich in ihre Familie zurück.«

Der Abenteurer machte eine Pause.

»Wie findet Ihr diese Geschichte?« fragte er mit ironischem Lächeln seine Zuhörer.

»Ich warte,« erwiderte der Graf, »daß Ihr uns den andern Theil derselben mittheilen werdet, um Euch eine Antwort darauf geben zu können.«

Der Abenteurer warf ihm einen durchdringenden Blick zu.

»Also,« sagte er, »Ihr glaubt, daß dies nicht Alles ist.«

»Jede Geschichte,« erwiderte der Graf, »besteht aus zwei verschiedenen Theilen.«

»Das heißt?«

»Der falsche und der wahre Theil.«

»Erklärt Euch.«

»Gern; der falsche Theil ist derjenige, welcher öffentlich ist, den Jedermann kennt, auslegen und weiter erzählen kann.«

»Wohl,« meinte mit leichter Kopfbewegung der Abenteurer, »und der wahre Theil?«

»Dieser ist das höchstens von zwei bis drei Personen gekannte Geheimniß, die Haut des von den Schultern des Wolfes geraubten Schafes.«

»Oder die von dem Gesichte des Bösewichts abgerissene Tugendmaske,« brach er hervor, »nicht wahr?«

Ja, in der That.«

»Und Ihr erwartet diesen zweiten Theil der Geschichte?

»Ich erwarte ihn,« versetzte der Graf streng.

Der Abenteurer verharrte einige Minuten, die Stirn in die Hand gestützt, in tiefem Schweigen, dann erhob er stolz den Kopf, leerte mit einem Zuge das vor ihm stehende Glas, und rief mit nervöser Stimme:

»Wohlan, so hört, denn, wahrlich, was Ihr hören werdet, ist der Mühe werth.«


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