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Schneewittchen

Märchen-Szenen

Zwergenwirtschaft. Links eine Tür zur Schlafkammer der Zwerge; im Hintergrunde eine Tür- und Fensteröffnung. Von außen Wald und Sonnenschein. Drinnen steht ein kleiner Tisch mit sieben Schüsseln.

Die sieben Zwerge

(kommen singend nach einander herein mit Kräutersäcken auf dem Nacken, werfen die Säcke in den Winkel, treten an den Tisch und stutzen, einer nach dem andern)

Zwergenältester

Wer hat auf meinem Stühlchen sessen?

Zwerg 2

Wer hat von meinem Tellerlein essen?

Zwerg 3

Wer hat von meinem Müschen pappt?

Zwerg 4

Wer hat mit meinem Gäblein zutappt?

Zwerg 5

Wer hat aus meinem Becherlein trunken?

Zwerg 6

Wer hat mein Löfflein eingetunken?

Zwerg 7

(schaut in die Nebenkammer)

Wer drückt' in meinem Bett das Dellchen?

Zwergenältester

Wer rückt' an meinem Schlafgestellchen?

Zwerg 2

Wer schlief auf meinem Lagerstättchen?

Zwerg 3

O weh! liegt einer in meinem Bettchen!

Zwerg 4

Ein Mägdelein!

Zwerg 5, 6, 7

Laß schaun, laß sehn!

Zwerg 7

Ei Gott, wie ist das Kind so schön!

Zwergenältester

O weckt sie nicht! o schreckt sie nicht!
Geschlossen ist der Äuglein Licht,
Hinabgerollt die Locken dicht;
Über des Mieders blanke Seide
Gefaltet fromm die Händchen beide.

Zwerg 2

Wer mag sie sein? Wo kam sie her?
Der Wald wächst in die Kreuz und Quer.

Zwerg 3

Wie fand das liebe Tausendschön
Den Weg durch Dorn und Moor und Seen?

Zwerg 4

Ist alles so gar lieb und fein,
So rosenrot, schneeweiß und rein!

Zwergenältester

Bis sie erwacht, bleibt mäuschensacht,
Das helle Glöcklein nehmt in acht,
Bleibt ruhig in den Schühlein stehn,
Laßt leis das Zünglein ummegehn!

Zwerg 4

Schau, schau! Die Wimper regte sich.

Zwerg 5

Das Mündlein rot bewegte sich.

Zwerg 6

Das blonde Köpfchen reckt sich auf,
Zwei blaue Äuglein schlägt sie auf!

Zwerg 7

Sie schaut sich um ein stummes Weilchen!

Zwergenältester

Schweigt nun! ihr Mühlchen, ihr Plappermäulchen!
Erschreckt sie nicht, geht fein beiseit!
Sie sah wohl Zwerglein nicht bis heut.

(Die Zwerge treten bis auf den ältesten an beiden Seiten zurück.)

Schneewittchen

(erscheint scheu an der Tür)

Zwergenältester

Ei, grau' dich nicht, tritt nur herein;
Du sollst uns fein willkommen sein,
Willkommen in der Zwerge Hüttchen!
Doch sprich, wie heißt du denn?

Schneewittchen

Schneewittchen!
So hat die Mutter mich genannt;
Mein Vater ist König über dies Land.

Zwergenältester

Schneewittchen, Königstöchterlein,
Wo ließest du die Pagen dein?
Wo ließest du die Wagen und Rosse?
Wie kamst du von des Königs Schlosse?

Schneewittchen

Ach, ich bin kommen arm und bloß!
Mütterlein schläft in Grabes Schoß;
Der König freite die zweite Frau,
Die schlug mich oft und schalt mich rauh;
Schickte mich dann mit dem Jäger zu Walde,
Sollte mich töten auf Berges Halde,
Und der Königin als Zeichen
Sollt er mein blutend Herze reichen;
Doch ich bat ihn so lange, so lang' auf den Knien –
Da schoß er den Eber und ließ mich fliehn.

Zwergenältester

Schneewittchen, Königstöchterlein,
Wie fandst du Weg und Steg allein?
Wer zeigte dir die sieben Berge?
Wie kamst du in das Reich der Zwerge?

Schneewittchen

Sprangen zwei Rehlein mir voran,
Sahn mit den braunen Augen mich an;
Saßen im Walde die Vöglein zuhauf,
Schwangen zwei Vöglein sich vor mir auf;
Am Himmel zog ein Stern vor mir –
Und wie ich folgte, so bin ich hier.

Zwergenältester

Schneewittchen, Königstöchterlein,
Schlag auf die blauen Äugelein,
Laß springen dein Herzlein wohlgemut;
Sollst bleiben hier in unsrer Hut,
Im grünen Reich der sieben Berge!

Schneewittchen

Wie kann ich euch danken, ihr guten Zwerge?

Zwergenältester

Kannst die Wirtschaft uns versehen,
Wenn wir tags in die Berge gehen;
Unsern Haushalt kannst du führen!

Schneewittchen

O wie will ich mich tummeln und rühren!
Bin wohl behend in allen Stücken;
Sprecht nur, was soll ich immer beschicken?

Zwergenältester

Morgens im Dämmerschein
Fegst du das Kämmerlein,
Bohnest die Stühlchen,
Lockerst die Pfühlchen,
Schüttelst zurechte die Schlafestättchen!

Zwerg 2

Und für dich selber das weichste Bettchen!

Zwergenältester

Gehn wir zu Walde, hütst du das Stübchen,
Deckest das Tischchen, kochest die Süppchen!

Zwerg 3

Doch von den Süppchen und von den Speischen
Das Schönste für dich, Prinzeß Schneeweißchen!

Zwerg 4

Schau nur, die Dornen zerrissen mein Röcklein!

Zwerg 5

Streiften mir ab von dem Käppchen das Glöcklein!

Zwergenältester

Besserst das Röcklein,
Heftest das Glöcklein,
Setzest auf Jäckchen
Saubere Fleckchen;
Doch in das Hüttchen
– Bist du allein –
Läßt du, Schneewittchen,
Niemand herein!

Schneewittchen

Aber die Rehe, die süßen Rehe!
Wenn ich sie morgens durchs Fensterlein
Draußen im goldenen Sonnenschein
Springen und spielen und nahen sehe?

Zwergenältester

Rehlein stehn in hohen Gnaden,
Sind gar tapfre Kameraden;
Kannst sie immer zu Gaste laden.

Schneewittchen

Aber die Vögel, die bunten Flämmchen,
Stieglitz mit dem roten Kämmchen,
Ammer mit dem goldenen Latz,
Und der Star, der possierliche Matz,
Und vor den andern Vögeln allen
Die süßen Sänger, die Nachtigallen!
Wenn sie draußen durch die Zweiglein
Schauen mit den klugen Äuglein;
Wenn sie dann mählich näher schlüpfen,
Neugierig auf die Schwelle hüpfen?

Zwergenältester

Vöglein stehn in hohen Gnaden,
Sind gar lust'ge Kameraden;
Darfst sie immer zu Gaste laden.

Schneewittchen

Aber die Sonne, der himmlische Schein!
Wenn sie morgens ins Fensterlein
Durch die grünen, funkelnden Blätter
Sendet das goldene Sommerwetter?
Und abends, wandert die Sonne von dannen,
Der Mond steigt über die schwarzen Tannen;
Der wohnt am Himmel allein nicht gern,
Bringt mit sich alle die tausend Stern';
Mond und Sonne und Sternelein
Schauen alle zu mir herein,
Wie ich die Wirtschaft mag treiben und leiten
Sie kennen mich alle seit langen Zeiten!

Zwergenältester

Rehlein laß um dich spielen und springen,
Vöglein flattern und schmettern und singen,
Laß Mond- und Sonnenschein herein;
Nur vor den Menschen hüte dich fein!

(Zu den andern)

Nun kommt, ihr wackern Brüderlein,
Drei Gänge fürder noch waldein!
Dreimal noch füllt mit weichem Moos
Die Säcklein aus des Waldes Schoß,
Und richtet fein in unserm Hüttchen
Ein achtes Bettchen für Schneewittchen.

Die sieben Zwerge

(gehen singend ab)

»Da ging die Katz die tripp die trapp,
Da schlug die Tür die klipp die klapp,
Frau Füchsin, sind Sie da?
Ach ja, mein Kätzchen, ja!«

Schneewittchen

(allein)

Morgens im Dämmerschein
Feg ich das Kämmerlein,
Bohne die Stühlchen,
Lockre die Pfühlchen,
Mache die Bettchen,
Die Schlummerstättchen,
Nähe das Röcklein,
Hefte das Glöcklein,
Setz auf die Jäckchen
Saubere Fleckchen;
Rehlein und Vögelein,
Alle die Tierelein
Flattern durchs Fensterlein,
Schlüpfen zur Tür herein;
Sonne und Mondenschein,
Sternlein, die hellen,
Sind alle meine Spielgesellen.

Gemach der Königin

Die Königin

(vor dem Zauberspiegel)

Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?

Aus dem Spiegel

Frau Königin, Ihr
Seid die Schönste hier;
Aber Schneewittchen hinter den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr!

Die Königin

Ei, Spieglein, red nicht so unnütz!
Des Jägers Speer war blank und spitz;
Was sprichst du von Schneewittchen mir?

Aus dem Spiegel

Ist tausendmal, tausendmal schöner als Ihr!

Die Königin

Halt ein! Halt ein, o Spieglein licht!
Du kennst im Wald die Stelle nicht!
Eine Blume blüht in Purpurglut,
Die Würzlein tranken rotes Blut;
Schön Mündlein hat der Wolf geküßt –
Der Wolf weiß, wo Schneewittchen ist.

Aus dem Spiegel

Hinter den Bergen,
Bei den sieben Zwergen!

Die Königin

Es frißt am Herzen mir so jäh!
War denn das Blut vom Elk, vom Reh? –
O Spieglein blank, der Rabe log,
Der krächzend mir ans Fenster flog!
Schneewittchen – Spieglein, sage mir!

Aus dem Spiegel

Ist tausendmal, tausendmal schöner als Ihr!

Die Königin

(sich abwendend)

Die Schönste war ich immer noch!
Die Schönste will ich bleiben doch!
Wenn sie des Jägers Speer nicht trifft,
So hilf mir, Zaubertrank und Gift!
Die Schönste in der ganzen Welt,
Das soll mir bleiben unvergällt!


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