Eduard Mörike
Idylle vom Bodensee oder Fischer Martin
Eduard Mörike

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Dritter Gesang

          Tone, des Schiffmanns Sohn, da er dienete noch bei dem Vater,
Hatte die Gertrud lieb, einer Witfrau einzige Tochter.
War sie so fromm und so brav, wie sie tüchtig und schön von Gestalt war,
Durften die Bursche vom Dorf ihm alle das Mädchen beneiden:
Doch hart war ihr Gemüt, nicht offen den Freuden der Jugend;
Ja vom Vater – er starb auf der Wirtschaft in Argen, ein rechter
Küß-den-Pfennig – vererbt' ihr ein Äderchen. Noch in der Schulzeit
Schwitzte der Kreuzer ihr naß im Fäustlein, eh sie ihn hingab
Für die Brezel an Ostern; so rühmte die Mutter ihr öfters
Nach vor den Freiern. Doch mußte sie fein sich halten in Kleidern,
Städtisch beinah, die Mutter verlangt's, und die Geizige selber
War dem eigenen Leib nicht feind, sie sah, daß er schön sei.
    Jetzo war es ein Jahr, seitdem der Gesell sie besuchte,
Und schon hatten sie manchen Verdruß und manche Versöhnung.
Aber nun fuhren sie fröhlich einmal mit andern zu Markte
Nach Lindau, der vergnüglichen Stadt, die schön auf der Insel
Liegt im See, durch die Brücke nur breit mit dem Lande verbunden.
Doch sie kamen zu Schiff: mit drei Kameraden der Tone
Und fünf Mädchen, im ganzen zu neunt; darunter der junge
Märte, zu welchem der Schiffer sich hielt wie ein jüngerer Bruder
Sich zu dem älteren hält. Und die stattlichen Bursche traktierten
Drüben im Wirtshaus über Mittag ein jeder sein Schätzchen,
Kauften Geschenke für sie, nicht schlechte: der einen zum roten
Mieder den Zeug, auch ein Band; der andern die starrende Haube,
Schwarz, mit Flittern gestickt, ein Spiegelchen oder ein Pater-
Noster von dunkelfarbigem Glas, mit zinnerner Fassung.
Lang vor den Buden verweileten sie, nach ländlichem Brauch erst
Hart um den äußersten Preis den geduldigen Krämer bedrängend,
Bis er die Ware zuletzt nach Wunsch abließ – wie er sagte,
Einzig der schönen Jungfer zulieb, die den Handel mit ansah.
Und so tauschten die Buben auch selbst wohl schmucke Geschenke.
Dann zur fröhlichen Heimfahrt wandten sich alle befriedigt.
Andere noch, die zu Fuß am Morgen herübergekommen,
Nahmen sie auf in das Schiff, bunt sitzend umher auf den Bänken
Oder gelehnt am Bord. So plauderte jedes und scherzte,
Während der Wind von Bregenz her, in stetigem Zuge
Sanft andringend, mit Macht auftrieb das gewaltige Segel.
Martin, der Klarinett wie ein Meister zu spielen gelernt war,
Machte Musik, frischauf, daß zur Rechten die blühenden Ufer
Drüben, im letzten Gefunkel des Tags, die verschobenen Buchten,
Reben- und Obstbaumhügel, die Schlösser, die Höfe, die Flecken,
Schneller sich drängten herbei, entgegen dem lieblichen Schalle.
Fels und Turm, gleichwie sie mit Lust ihr eigenes Abbild
Sahn in flüssigen Farben gemalt auf der glänzenden Fläche,
So nun vergnügt' es sie jetzt, die begierig empfangenen Töne
Wiederzugeben alsbald in melodischer Folge mit Necken.
Da ward vieles gelacht und gekost, da schlang sich ein mancher
Arm um einen geschmeidigen Leib und rauscht' es von Küssen.
    Aber die Gertrud saß am vorderen Ende des Schiffes
Auf Schilfblättern am Boden, wo dieser gelind sich emporhob,
Gegen die Sonne den Rücken gekehrt, damit sie nicht blende.
Und für die Kurzweil nahm sie der langen grünenden Blätter
Einige, schön zur Schleife sie biegend, und schmückte das neue
Ruder, das künstlich geschnitzte, das zwischen den Knieen sie festhielt:
Hut erst war es dem Tone geschenkt vom Fischer, ein Marktstück,
Nicht zu gemeinem Gebrauch, nur am Festtag wollt er es führen.
Oben am Handgriff war ein Meerfräulein, das die Arme
Stemmt' in die schuppigen Hüften; es flossen die Haare natürlich
Ihr, wie naß, auf die Brust, die sich vorstreckt', und auf die Schultern;
Gelblicher Ahorn war's, auf eichener Stange befestigt.
Dessen erfreuete jetzo das Paar sich. Aber am meisten
Freut' er des Mädchens sich selbst, das ihm holder als je sich erzeigte.
Innig tat ihm ihr Anblick wohl, wie sie saß und die Sonne,
Schon zur Hälfte versenkt dort hinter die Türme von Konstanz,
Ihr den Nacken erhellt' und die rosige Wange noch streifte.
Und schon wallt', ein lebendiges Meer, rotglühend in ganzer
Länge, hinunter der See, mit unendlichen Wellen erzitternd,
Bis wo die feurige Flut er gestadlos breit ausgießet
In das Gewoge des tief entzündeten Abendhimmels.
    Leider verdarb es der Tone mit seinem Part auf die Letzte.
Denn im Frohsinn ermuntert' er noch die Gesellschaft, zu singen,
Etliche Dirnen zumal, die auch gleich mit geläufigen Kehlen
Herzhaft begannen ein Lied, zu welchem er selber den Kehrreim
Sang mit des Schäfers Tochter, der lieblichen Margarete,
Da denn zwischenhinein Klarinettspiel immer den neuen
Vers einleitete, schicklich und fein, nach Märtes Erfindung.
Trude jedoch sang nicht; sie ermangelte völlig der Gabe,
Ja wenn sie auch nur sprach, anmutete keinen die Stimme.
Also grollte sie ihm, weil zuerst er das Zeichen gegeben
Und im Gesange sich gar dem bescheidenen Mädchen gesellte,
Das für die schönere galt bei der Mehrzahl (wahrlich mit Recht auch)
Und, von vielen gewünscht, derzeit noch keinem gehörte.
    Als man das Dorf nun endlich erreicht und zur Stunde der Dämmrung
Stieß an das Land vor dem offenen Platz, wo umher aus den Häusern
Blinkten schon einzelne Lichter, da sprang Gertrud als die erste
Vorn, von einer Gespielin empfangen, hinaus auf den Kiesgrund;
Nicht erwartete sie den Geleitsmann, welcher noch hinten
Stand, wo dem Schiffe die Wendung er gab, rechtsher, mit dem Steuer:
Sondern sie lief, die Begleiterin heimlich nur zupfend am Ärmel,
Weg, indem sie ihm kurz Gut Nacht zurief von dem Ufer.
Selber ihr Marktstück ließ sie zurück; bei den übrigen Gaben
Hing es im bunten Gemische zur Schau am Mast auf der Herfahrt;
Käthchen nahm es indes, die Verlobte des Fischers, zu Handen.
So stand Tone beschämt, obgleich mit erzwungenem Lachen,
Unter den Paaren. Es führte nach Haus ein jeder die Seine,
Übrig allein blieb er, der allen am fröhlichen Tage
Hatte zum Führer gedient. Ihn bedauerte jedes im stillen,
Als er zum Scheine noch dort sich am Tauwerk machte zu schaffen.
Dann saß lang er allein auf der Bank im verlassenen Schiffe,
Heftig entrüstet im Innern und wie er sich räche bedenkend,
Weil sie die Schmach ihm tat um so kleines Vergehn (er erriet es).
    Still war alles umher, und, im Sternenscheine verbreitet,
Rührte der See sich kaum; nur daß am Bauche des Schiffes
In vielfältigen Tönen die glucksende Welle sich übte.
Jenseits aber die Berge, die ewig schimmern im Schneelicht,
Schon empfingen sie höheren Glanz und leise des Mondes
Aufgang zeigten sie an, eh die lieblichen Ufer ihn schauten;
Hoch vor andern im Nachtblau glänzte die Stirne des Alpsteins,
Einer himmlischen Wolke vergleichbar. Aber der Jüngling
Sah und hörete nichts, in trauriges Brüten versunken.
Erst als oben am Himmel der Mond in völligem Scheine
Stand, aufrafft' er sich auch, und heim durch die schweigenden Gassen
Lief er, entschlossen, den Trotz mit doppeltem Trotze zu strafen,
Wie er sich oft vornahm, doch nie es zu halten vermochte:
Wenn sie quälerisch war, stets kam er am ersten von selber.
    Diesmal setzt' er es durch. Er suchte die Schwelle des Mädchens
In fünf Tagen nicht heim. So fuhr er am sechsten auf Bregenz
Ohne Adieu, mit den Knechten – ihm konnte sein Vater das Steuer
Sicher vertraun mit der Fracht; sie hatten Getreide geladen
In das Tirol; – und so kam er zurück auch ohne Willkommen.
Aber die bittere Reu und die nagenden Schmerzen verhehlend
Ging er Gesellschaft suchen denselbigen Abend im Zwielicht
Noch auf die Straßen; er dachte: vielleicht daß ich finde das Mädchen
Unter der Haustür stehn und sie gibt mir hustend ein Zeichen,
Daß ich komme; so hofft' er; da stieß an dem offenen Platze
Gegen den See, wo die Schiff anlanden, unferne dem Kornhaus,
Märte zu ihm; der zog ihn hinein in die steinerne Halle,
Die, auf Bogen erbaut, von vorn das alte Gebäu schmückt.
    Hast du gehört, mit der Gertrud –? was sie für Sprünge gemacht hat?«
Redete jener ihn an mit blitzenden Augen, den Tone,
Welcher verblaßt'; ihm ahnete gleichwohl nimmer das Ärgste.
Aber behutsamer sprach nach kurzem Bedenken der andre:
    »Tone! wenn ich nun spräche: du hast einem Narren von Weibe
Trauben geschenkt, da läuft sie dir hin, sich Schlehen zu pflücken:
Zögst du dir das zu Gemüt wie ein Unglück über die Maßen?
Wahrlich auch mir vorhin, da die Käthe mir alles berichtet,
Hat sich das Blut empört um der Falschheit willen der Dirne,
Die dich verkauft und verrät dem leidigen Mammon zuliebe;
Aber um dich und was du verlorst, da säng ich ein Klaglied
Ohne Lachen dir schwerlich zu End; mein's geht nach der Weise:
Hallelujah! oder: Herein ihr Schnurranten, ihr Pfeifer!
– Wiß: sie hat kurzweg sich an den Müller, den jungen, von Bärnau
Lassen verkuppeln, den Erzdümmling mit flächsenen Haaren,
Dem ja von je, du klagtest es immer, die Alte flattiert hat.
Ihr kam euer Verdruß wie bestellt und sie schürte das Feuer
Weidlich. Nun wurde dem Peter die Zunge gelöst und er stellte
Keck am vergangenen Sonntag schon durch die Base den Antrag.
›Nimm ihn!‹ sagte die Mutter, und: ›friß ihn!‹ sagte die Base:
›Bei dem säßest du warm, der machte dich wahrlich zur Herrnfrau!
Steht ihm die Mühle nicht drüben im Tal wie ein Schloß, mit dem neuen
Müllerblauen Altan? rings eigene Gärten und Güter?
Und auf den Händen, er schwur's ja, wollt er dich tragen aus Liebe,
Und zum Brautgruß denkt er dir schon auf ein kostbares Taftkleid,
Cochcorot, deine Leibfarb, Trude, was sagst du nur dazu?
Der gutherzige Mensch! dem's auch gar nicht an Verstand fehlt,
Still nur ist er, zu blöd, und fährt nicht wohl mit der Sprache
Doch schön geht das Geschäft und der Mühlstein dreht sich von selber.
Laß mir den Fischerkittel, den trutzigen! Macht sich noch rar der!
Hat noch kein eigen Gewerb und fronet dem Alten im Handwerk!
Bleib von dem Hungerleider! Was bist du schuldig? Kein Treupfand
Gabt ihr einander. So ging ja wohl eh ein Handel zurück schon.
Spruchweis sagte mein Mann: voll Röselein hänget der Kirschbaum.
Neune gehören dem Wind, das zehente glücket zur Frucht nur.‹ –
Aber die Trude darauf? Fürwahr, da braucht' es wohl großer
Arbeit, bis sie sich gab! Mit der Axt ja spalt't man die Butter!
Kurz, schon haben sie richtig gemacht insgeheim und den Handschlag
Holte der Peter sich heut mit zwei Goldfuchsen am Wäglein.
Tone, nun hängst du den Kopf! und jetzt mit langsamen Schritten
Wirst du von dannen und heim auf deine Kammer dich stehlen.
Aber – dort nimm die Kreide vom Sims und, hörst du, zu Häupten
Über dem Bett, wo das Ruder dir hängt, noch im grünenden Schilfkranz
An der getäfelten Wand, da zeichne dir pünktlich den Tag auf:
Diesen heutigen! Künftig mit Dank noch gedenkst du der Stunde,
Da der Märte gesagt: dir ist er ein zweiter Geburtstag!
Denn, bei Gott, du bist wie der Mann, der drinnen gemalt ist
In der Kirche, der Kanzel zunächst, den der scheußliche Meerfisch
Zwischen den Zähnen hervor aus triefendem Rachen ans Land spie.
Jetzo liegt er für tot, doch er wird mit Freuden des Tages
Licht neu sehen und sehn frohlockender Freunde Gesichter.«
    Solches zum Trost ihm sagt' er und anderes. Aber der Arme
Glich vielmehr dem verwundeten Lachs, wenn plötzlich die Angel
Steckt im begierigen Schlund, und die Schnur abriß an der Rute,
Daß er vor Schmerz aufspringt aus der Flut und weiset der Sonne
Noch den glänzenden Leib und im offenen Munde den Blutstrom,
Mitleid heischend und Hilfe von ihr, die den wimmelnden Scharen
Ihre Wohnung erhellt und wärmt, und im lieblichen Schimmer
Ihnen die Speise, die tödliche, zeigt, so wie die gesunde.
Stumm so kämpfte der Bursch in sich; um den steinernen Pfeiler
Warf er den nervigen Arm und ihm stürzt' aus den Augen die Träne.
    Doch schon rückte von fern hörbar aus der oberen Straße
Müßiger Burschen ein Trupp mit Gesang an und mit Gepfeife,
Wie sie pflegen zu tun in sommernächtlicher Kühle,
Arm in Arm nach dem Platze gewandt, wo sie gern in der Halle
Ausruhn auf der geräumigen Bank und schmauchen und schwatzen.
Schnell da schickte sich Tone zum Abschied, denn der Genossen
Anblick wollt er entgehn, der jetzt unerträglich ihm deuchte.
Links in das Gäßchen begleitet' ihn Märte und sagte zuletzt noch:
»Mach dir auch keine Gedanken der Leut halb, was sie nun werden
Sagen, und meine nicht gar dich vor uns und den Mädchen zu schämen.
Dich hat alles in Ehren und hängt dir an, und ein jedes
Preist dich selig dazu; ich wollte, du hörtest die Käthe!
Aber der Gertrud will ich und ihrem Kauz einen Maien
Stecken – er soll sie nicht freun! Nur soviel sag ich: wenn diesmal
Nicht ein Fastnachtspossen gespielt wird, daß man in achtzig
Jahren sich noch die Haut voll lacht ob dem Bärnauer Ehpaar,
Will ich mein Lebtag nimmer der Eulenspiegel euch heißen.«
    Dies die Rede des Fischers. Hierauf denn schieden sie beide.
Nur noch folgte dem Tone von fern sein Freund bis zur Ecke,
Ob er auch sicher ins Haus, nicht etwa hinab dem Gestad zu
Liefe, ein Leid sich zu tun; denn es geht jähschlüssige Liebe
Gern auf das Äußerste gleich, und besorgt ist herzliche Freundschaft.
Aber so weh es ihm war, nicht solches gedachte der Jüngling.

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