Benvenuto Cellini
Leben des Benvenuto Cellini
Benvenuto Cellini

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Elftes Kapitel

Streit zwischen dem Autor und Ascanio. – Seltsame kranke Phantasie des Schloßhauptmanns, wodurch sein Betragen gegen Cellini verändert wird. – Dieser wird enger als jemals eingeschlossen und mit großer Strenge behandelt. – Kardinal Cornaro nimmt ihn auf und verbirgt ihn eine Zeitlang.

Als in dieser Zeit meine Feinde sahen, daß meine Werkstatt verschlossen war, sagten sie alle Tage mit Verachtung irgendein beleidigendes Wort zu meinen Dienern und Freunden, die mich noch im Gefängnis besuchten; unter anderm begegnete mit Ascanio folgende Geschichte. Er besuchte mich alle Tage zweimal und verlangte eines Tages: ich solle ihm aus einer blauen Samtweste, die ich nicht mehr trug und die mir nur ein einziges Mal bei der Prozession gedient hatte, ein Westchen machen lassen. Ich sagte ihm dagegen: es sei weder Zeit noch Ort, solche Kleider zu tragen. Das nahm der junge Mensch so übel, daß er zu mir sagte: er wolle nun auch nach Tagliacozzo zu den Seinigen gehen. Ich sagte ihm voll Verdruß: er mache mir großes Vergnügen, wenn er mir aus den Augen ginge. Darauf schwur er mit heftiger Leidenschaft, daß er mir niemals mehr vors Gesicht kommen wolle. Als wir dieses sprachen, gingen wir eben um den Turm des Kastells spazieren. Es begab sich, daß der Kastellan uns eben begegnete, als Ascanio zu mir sagte: Nun gehe ich fort, leb wohl für immer! Und ich antwortete ihm: So sei es denn für immer! und damit es wahr bleibe, will ich der Wache sagen, daß sie dich nicht mehr hereinlassen soll. Dann wendete ich mich zum Kastellan und bat ihn von ganzem Herzen: er möge der Wache befehlen, daß Ascanio nicht wieder hereindürfe! und setzte hinzu: Dieser Knabe vergrößert noch mein großes Übel; deswegen bitte ich Euch, Herr Kastellan, laßt ihn nicht wieder herein! Dem Kastellan tat das sehr leid, denn er wußte, daß es ein Junge von viel Fähigkeiten war; dabei hatte er eine so schöne Gestalt, daß jeder, der ihn nur einmal gesehen hatte, ihn ganz besonders lieb gewann.

Der junge Mensch ging weinend fort und hatte einen kleinen Säbel bei sich, den er manchmal heimlich unter seinen Kleidern trug. Als er aus dem Kastell mit so verweintem Gesicht kam, begegnete er zwei meiner größten Feinde, dem obgedachten Hieronymus von Perugia und einem gewissen Michael, zwei Goldschmieden. Michael, weil er Freund von jenem Schelm von Perugia und Feind von Ascanio war, sagte: Was will das heißen, daß Ascanio weint? vielleicht ist sein Vater gestorben? ich meine den Vater im Kastell. Ascanio versetzte: Er lebt, aber du sollst sterben! und so hieb er ihn zweimal über den Kopf. Mit dem erstenmal streckte er ihn auf die Erde, mit dem zweiten hieb er ihm die Finger der rechten Hand ab und traf ihm doch noch den Kopf: der Mann blieb für tot liegen. Sogleich erfuhr es der Papst, der denn mit bedeutenden Worten sagte: Weil denn doch der König ein Urteil verlangt, so gebt ihm drei Tage Zeit, seine Gründe beizubringen. Alsbald kamen sie und besorgten das Geschäft, das ihnen der Papst aufgetragen hatte. Der brave Kastellan ging sogleich zum Papste und zeigte, daß ich von dieser Sache nichts wissen könne, indem ich den Knaben in dem Augenblick weggejagt habe. So verteidigte mich der Mann mit aller Kraft und rettete mir das Leben in diesem wilden Augenblick. Ascanio entfloh nach Tagliacozzo zu den Seinigen, schrieb mir von da und bat tausendmal um Vergebung. Er bekannte sein Unrecht, daß er mir bei meinem großen Unglück noch Verdruß gemacht habe; wenn mir aber Gott die Gnade erzeigte, daß ich wieder aus dem Gefängnis käme, so wolle er mich nicht mehr verlassen. Ich ließ ihm wissen, daß er fortfahren sollte, etwas zu lernen; wenn Gott mir die Freiheit gäbe, wollte ich ihn gewiß wieder zu mir berufen.

Der Kastellan, der mich übrigens sehr gut behandelte, ward alle Jahre von einer gewissen Krankheit befallen, die ihm ganz und gar den Kopf verrückte, und wenn er davon angegriffen wurde, pflegte er sehr viel zu schwatzen, und es waren seine grillenhaften Vorstellungen alle Jahre verschieden. Denn einmal glaubte er ein Ölkrug zu sein, ein andermal ein Frosch, und da hüpfte er auch nach Art dieses Tieres; hielt er sich für tot, so mußte man ihn begraben, und so hatte er alle Jahr eine neue Einbildung. Diesmal stellte er sich vor, er sei eine Fledermaus, und wenn er so spazieren ging, zischte er manchmal leise wie diese Geschöpfe, bewegte sich auch ein wenig mit den Händen und dem Körper, als wollte er fliegen. Die Ärzte, die ihn wohl kannten, sowie seine alten Diener suchten ihm alle Art von Unterhaltung zu verschaffen, und weil sie glaubten, er habe großes Vergnügen, mich diskurieren zu hören, so holten sie mich alle Augenblicke und führten mich zu ihm. Ich mußte manchmal vier bis fünf Stunden bei diesem armen Manne bleiben und durfte nicht aufhören zu reden. Er verlangte, daß ich an seiner Tafel gegen ihm über sitzen sollte, und dabei wurde von beiden Seiten unaufhörlich gesprochen. Bei dieser Gelegenheit aß ich sehr gut, aber er, der arme Mann, aß nicht und schlief nicht und ermüdete mich auch dergestalt, daß ich nicht mehr vermochte. Manchmal, wenn ich ihn ansah, konnte ich bemerken, daß seine Augen ganz falsch gerichtet waren: das eine blickte dahin, das andere dorthin. Unter anderm fing er auch an, mich zu fragen: ob mir wohl niemals die Lust zu fliegen angekommen sei? Darauf versetzte ich: eben diejenigen Dinge, die dem Menschen am schwersten vorkämen, hätte ich am liebsten zu vollbringen gewünscht und vollbracht, und was das Fliegen betreffe, so habe mir Gott und die Natur einen Körper, sehr geschickt zum Laufen, gegeben, und wenn ich nun noch einige mechanische Vorteile dazu täte, so sollte mir das Fliegen sicher glücken.

Darauf fragte er mich: auf welche Weise ich es anfangen wollte? und ich versetzte: Wenn ich die Tiere, welche fliegen, betrachte, um das, was ihnen die Natur gegeben hat, durch Kunst nachzuahmen, so finde ich nur die Fledermaus, die mir zum Muster dienen kann.

Kaum hatte er den Namen ›Fledermaus‹ gehört, als seine diesjährige Narrheit bei ihm aufwachte und er mit lauter Stimme rief: Das ist wahr! das ist das rechte Tier! Und dann wendete er sich an mich und sagte: Benvenuto! nicht wahr, wenn man dir die Gelegenheit gäbe, so würdest du auch Mut haben zu fliegen? Ich versetzte: er solle mir nur die Erlaubnis geben, so getraute ich mich, bis hinaus auf die Wiesen zu fliegen, wenn ich mir ein paar Flügel von feiner gewichster Leinwand machen wollte. Darauf versetzte er: Das könnte ich wohl zugeben, aber der Papst hat mir befohlen, dich aufs genauste in acht zu nehmen. Auch weiß ich, daß du ein künstlicher Teufel bist und imstand wärst, mir zu entfliehen: darum will ich dich mit hundert Schlüsseln verschließen lassen, damit du aushalten mußt.

Nun fing ich an, ihn zu bitten, und brachte ihm ins Gedächtnis, daß ich also ihm ja schon hätte entfliehen können, daß ich aber mein Wort gegen ihn niemals gebrochen haben würde. Ich bat ihn um Gottes willen und bei allen denen Gefälligkeiten, die er mir schon erzeigt hatte, daß er das Übel, das ich ohnedies leiden mußte, nicht noch vergrößern möchte.

Indem ich also sprach, befahl er ausdrücklich, daß sie mich binden und mich in meinem Gefängnisse wohl einschließen sollten. Da ich nun sah, daß nichts anders zu hoffen war, sagte ich ihm in Gegenwart aller der Seinigen: So verschließt mich nur wohl! denn ich werde Euch auf alle Weise zu entkommen suchen. So führten sie mich weg und sperrten mich mit der größten Sorgfalt ein.

Nun fing ich an, die Art und Weise zu überlegen, wie ich entkommen könnte. Sobald ich eingeschlossen war, untersuchte ich das Gefängnis, und da ich sicher glaubte, den Weg gefunden zu haben, wie ich herauskommen könnte, so bedachte ich, wie ich von dem hohen Turm herunterkommen wollte, nahm meine Leintücher, die ich, wie gesagt, schon zerschnitten hatte, nähte sie wohl zusammen und bedachte, wieviel Öffnung ich brauchte, um durchzukommen, und bereitete überhaupt alles, was mir nur dienen konnte. Ich holte eine Zange hervor, die ich einem Savoyarden genommen hatte, der sich unter der Schloßwache befand. Er sorgte für die Wasserfässer und Brunnen und arbeitete dabei allerlei in Holz. Unter verschiedenen Zangen, die er brauchte, war auch eine sehr starke und große; ich überlegte, daß sie mir sehr nützlich sein könnte, nahm sie ihm weg und verbarg sie in meinem Strohsack. Als nun die Zeit herbeikam, daß ich mich ihrer bedienen wollte, so fing ich an, damit die Nägel zu untersuchen, wodurch die Bänder der Tür befestigt waren; weil aber die Tür doppelt war, so blieb auch der umgeschlagene Teil der Nägel ganz verborgen, so daß ich mit der größten Mühe von der Welt endlich einen herausbrachte. Darauf überlegte ich, wie ichs nun anzufangen hätte, daß man es nicht merkte, und vermischte ein wenig rostigen Eisenfeil mit Wachs, welches dadurch die völlige Farbe der Nägelköpfe erhielt, die ich nun, sowie ich einen herauszog, wieder auf den Bändern vollkommen nachahmte. So hatte ich die Bänder nur oben und unten befestigt, indem ich einige Nägel abstutzte und sie leicht wieder einsteckte, damit sie mir die Bänder nur festhalten sollten.

Dieses alles vollbrachte ich mit großer Schwierigkeit, denn der Kastellan träumte jede Nacht, ich sei entflohen, und schickte alle Stunden ins Gefängnis. Der Mensch, der jedesmal kam, betrug sich wie ein Häscher; man nannte ihn Bozza. Er brachte immer einen andern mit sich, der Johannes hieß, mit dem Zunamen Pedignone; dieser war Soldat, jener Aufwärter. Johannes kam niemals in mein Gefängnis, ohne mir etwas Beleidigendes zu sagen; der andere war von Prato und daselbst bei einem Apotheker gewesen. Er betrachtete genau jene Bänder und überhaupt das ganze Gefängnis, und ich sagte zu ihm: Nehmet mich wohl in acht! denn ich gedenke auf alle Weise zu entfliehen. Über diese Worte entstand zwischen mir und ihm die größte Feindschaft, so daß ich mein Eisenwerk, die Zange nämlich und einen ziemlich langen Dolch, auch andere dergleichen Dinge sorgfältig in meinem Strohsack verbarg.

Sobald es Tag ward, kehrte ich das Behältnis selbst, und ob ich gleich von Natur mich an der Reinlichkeit ergötze, so trieb ich sie zu jener Zeit aufs äußerste. Sobald ich gekehrt hatte, machte ich mein Bett aufs zierlichste und putzte es mit Blumen, die ich mir fast alle Morgen vom Savoyarden bringen ließ, dem ich die Zange entwendet hatte. Wenn nun Bozza und Pedignone kamen, so sagte ich ihnen gewöhnlich: sie sollten mir vom Bette bleiben, ich wollte es weder beschmutzt noch eingerissen haben! Und wenn sie es ja einmal, um mich zu necken, nur leicht berührt hatten, rief ich: Ihr schmutzigen Lumpen! werd ich doch gleich an einen eurer Degen meine Hand legen und euch so zurichten, daß ihr euch verwundern sollt! Glaubt ihr wohl wert zu sein, das Bett von meinesgleichen anzurühren? Wahrhaftig, ich werde mein Leben nicht achten, da ich gewiß bin, euch das eure zu nehmen. Ist es nicht genug an meinem Verdruß und meiner Not? wollt ihr mich noch ärger quälen? Hört ihr nicht auf, so will ich euch zeigen, was ein verzweifelter Mensch tun kann.

Das sagten sie alles dem Kastellan wieder, der ihnen ausdrücklich befahl: sie sollten sich meinem Bette nicht nähern und übrigens aufs beste für mich sorgen. Da ich nun mein Bett gesichert hatte, glaubte ich schon alles getan zu haben, weil in demselben alle Hülfsmittel zu meinem Unternehmen verborgen lagen, und ich freute mich um so mehr, weil ich schon Aufsehen erregt hatte.

Am Abend eines Festtages unter anderm war der Kastellan in einem sehr üblen Zustand: seine Krankheit hatte sich verschlimmert, und er wollte nun von nichts anderm wissen, als daß er eine Fledermaus sei. Er befahl seinen Leuten: wenn sie hörten, daß Benvenuto weggeflogen wäre, sollten sie ihn nur gewähren lassen; er wolle mich gewiß wieder einholen, denn bei Nacht würde er stärker fliegen als ich. Benvenuto, pflegte er zu sagen, ist nur eine nachgemachte Fledermaus, ich aber bin es wahrhaftig. Mir ist er anbefohlen, ich will seiner schon wieder habhaft werden. So war es viele Nächte fortgegangen, er hatte alle seine Diener ermüdet; ich erfuhr, was vorging, auf verschiedenen Wegen, besonders durch den Savoyarden, der mir sehr wohl wollte.

An ebendiesem Abende hatte ich mich entschlossen, es koste, was es wolle, zu entfliehn. Ich wendete mich vor allen Dingen zu Gott und bat Seine göttliche Majestät, in so einem gefährlichen Unternehmen mich zu beschützen und mir beizustehn. Hernach legte ich Hand ans Werk und arbeitete die ganze Nacht an den Sachen, die ich brauchen wollte. Zwei Stunden vor Tage nahm ich die Bänder mit großer Mühe herunter, denn das Türgewände und der Riegel hinderten mich dergestalt, daß ich nicht aufmachen konnte, und ich mußte daher das Holz zersplittern; doch brachte ich sie endlich auf und nahm die Binden auf den Rücken, die ich auf zwei Hölzer nach Art der Hanfspindein gewunden hatte. Nun ging ich hinaus und an der rechten Seite des Turms herum, deckte von innen zwei Ziegel des Dachs auf und hub mich mit Leichtigkeit hinauf. Ich hatte ein weißes Nachtwestchen an, auch weiße Beinkleider und Halbstiefeln, und in die Stiefeln hatte ich meinen Dolch gesteckt. Nachher nahm ich ein Ende meiner Binden und hing es an ein Stück Ziegel, das in den Turm gemauert war und ungefähr vier Finger herausstand. Die Binde hatte ich auf die Art eines Steigbügels zubereitet. Darauf wendete ich mich zu Gott und sagte: Hilf mir nun, weil ich recht habe, wie du weißt, und weil ich mir selbst zu helfen gedenke!

Nun ließ ich mich sachte hinab, und indem ich mich durch die Gewalt der Arme erhielt, kam ich endlich bis auf den Boden. Es war kein Mondenschein, aber eine schöne Helle. Da ich unten war, betrachtete ich die große Höhe, von der ich so kühn heruntergekommen war, und ging vergnügt weg, denn ich glaubte befreit zu sein. Es fand sich aber anders; denn der Kastellan hatte an dieser Seite zwei hohe Mauern aufführen lassen, wo er seine Ställe und seinen Hühnerhof hatte, und es waren die Türen von außen mit großen Riegeln verschlossen. Da ich sah, daß ich nicht hinauskonnte, ging ich hin und wider und überlegte, was zu tun sei. Unversehens stieß ich wider eine große Stange, die mit Stroh bedeckt war, richtete sie mit großer Schwierigkeit gegen die Mauer und half mir mit der Gewalt meiner Arme in die Höhe; weil aber die Mauer sehr scharf war, so konnte ich nicht ganz hinaufkommen und entschloß mich, ein Stück meiner neuen Binde von der andern Spindel dazu anzuwenden, denn die andere war am Turm des Schlosses hängen geblieben. Da ich sie nun an den Balken gebunden hatte, ließ ich mich auch diese Mauer hinunter, doch hatte ich dabei große Mühe und war sehr ermüdet, denn die Hände waren mir inwendig aufgeschunden und bluteten. Ich ruhte deshalb ein wenig aus und wusch mir die Hände mit meinem eignen Wasser. Als ich nun glaubte, meine Kräfte wären wiederhergestellt, griff ich zu meinen noch übrigen Binden und wollte sie um einen Zacken des Mauerkranzes winden, um, wie von der größern Höhe, so auch von der kleinern herunterzukommen. Da bemerkte mich eine Schildwache, und in dieser Gefahr, meinen Zweck vereitelt und mein Leben ausgesetzt zu sehen, nahm ich mir vor, die Wache anzugreifen, die, als sie meinen entschiedenen Vorsatz bemerkte, und wie ich ihr mit gewaffneter Hand zu Leibe ging, größere Schritte machte und mir auswich.

Ich kehrte schnell zu meinen Binden zurück, und ob ich gleich wieder eine andere Schildwache sah, so wollte doch diese mich diesmal nicht sehen. Nun hatte ich meine Binden am Mauerkranz befestigt und ließ mich hinab. Ob ich nun zu früh glaubte, daß ich schon nahe genug an der Erde sei, und die Hände auf tat, um hinabzuspringen, oder ob sie mir zu müde waren und die Anstrengung nicht mehr ausdauern konnten, weiß ich nicht zu sagen: genug, ich fiel, verletzte mir den Kopf und blieb betäubt liegen.

Es mochten ungefähr anderthalb Stunden vergangen sein, als der Tau, der eine Stunde vor Sonnenaufgang fällt, mich wieder erfrischte und munter machte; doch war ich noch immer wie schlaftrunken, ob ich gleich einen Versuch machte, mich aufzuheben. Noch immer war ich nicht bei mir: es kam mir vor, als hätte man mir das Haupt abgeschlagen und ich befände mich im Fegefeuer. So kamen mir nach und nach die Kräfte wieder, und der Gebrauch der Sinne stellte sich her; dann sah ich, daß ich außerhalb des Kastells war, und ich erinnerte mich alles dessen, was ich getan hatte. Vor allem ändern fühlte ich die Verletzung meines Hauptes, und als ich es mit den Händen befühlte, brachte ich sie ganz blutig wieder herunter. Darauf betastete ich mich überall und glaubte mich nicht sonderlich beschädigt zu haben; als ich mich aber von der Erde aufheben wollte, fand ich, daß ich meinen rechten Fuß gebrochen hatte, drei Finger über dem Knöchel, worüber ich sehr erschrak. Ich zog meinen Dolch aus dem Stiefel zusamt der Scheide; diese hatte leider an der Spitze des Ortbandes ein ziemlich großes Kügelchen, und da sich nun der Fuß deshalb auf keine Weise biegen konnte, so war es die Ursache, daß er an dieser Stelle brach. Darauf warf ich die Scheide des Dolchs weg und schnitt mit demselben ein Stück von der Binde, die mir übrig geblieben war, herunter, womit ich den Fuß, so gut ich konnte, zusammenband; dann kroch ich auf allen vieren mit dem Dolche nach dem Tor, das noch verschlossen war. Genau unter demselben bemerkte ich einen Stein, den ich nicht für sehr stark hielt; ich gedachte ihn loszubringen, deswegen legte ich Hand an, und als ich eine Bewegung fühlte, kam ich leicht zustande, zog den Stein heraus und schlüpfte hinein. Es mochten mehr als fünfhundert Schritte sein vom Orte, da ich herunterfiel, bis zum Tore.

Kaum war ich wieder nach Rom hinein, als einige große Hunde sich auf mich warfen, die mich übel bissen. Da sie nun verschiedene Male mich zu quälen wiederkamen, stach ich mit meinem Dolche unter sie und traf einen so tüchtig, daß er laut aufschrie und davonlief. Die andern Hunde, wie es ihre Art ist, liefen ihm nach, und ich gedachte, die nächste Kirche zu erreichen, immer auf allen vieren. Als ich nun an das Ende der Straße gekommen war, wo man sich nach Sant Angelo umkehrt, veränderte ich meinen Vorsatz und ging gegen St. Peter, und da es hell genug um mich wurde, betrachtete ich die Gefahr, in der ich schwebte. Da begegnete mir ein Wasserhändler mit seinem beladenen Esel und gefüllten Krügen. Ich rief ihn zu mir und bat ihn, er sollte mich aufheben und mich auf die Höhe der Treppe von St. Peter tragen. Dabei sagte ich ihm: Ich bin ein armer Jüngling, der bei einem Liebeshandel sich zum Fenster herunterlassen wollte. Ich bin gefallen und habe mir einen Fuß gebrochen, und da der Ort, von dem ich komme, von großer Bedeutung ist, so bin ich in Gefahr, in Stücken zerhauen zu werden; deswegen bitte ich dich, hebe mich schnell auf, du sollst einen Goldgülden haben.

Ich griff sogleich nach dem Beutel, in welchem eine gute Menge sich befanden. Er faßte mich unverzüglich an, nahm mich auf den Rücken und trug mich auf die Stufen von St. Peter: da sagte ich ihm, er solle mich nur lassen und zu seinem Esel zurücklaufen. Alsdann kroch ich nach dem Hause der Herzogin, Gemahlin des Herzogs Ottavio, einer natürlichen Tochter des Kaisers, die vorher Gemahlin Herzog Alexanders von Florenz gewesen war. Ich wußte gewiß, daß bei dieser großen Fürstin viele von meinen Freunden sich befanden, die mit ihr von Florenz gekommen waren; auch hatte sie schon gelegentlich Gutes von mir gesprochen.

Denn als sie ihren Einzug in Rom hielt, war ich Ursache, daß ein Schade von mehr als tausend Scudi verhindert wurde: es regnete sehr stark, und der Kastellan war äußerst verdrießlich, ich aber sprach ihm Mut ein und sagte ihm, wie ich mehrere Kanonen nach der Gegend gerichtet hätte, wo die stärksten Wolken wären; und als ich mitten in einem dichten Regen anfing, die Stücke abzufeuern, hörte es auf, und viermal zeigte sich die Sonne, und so war ich Ursache, daß dieses Fest aufs glücklichste vorbeiging. Das hatte der Kastellan dem Papst erzählt, um etwas zu meinen Gunsten vorzubringen. Als es die Herzogin hörte, sagte sie: Der Benvenuto ist einer von den geschickten Leuten, die mit meinem seligen Herrn waren, und ich werde es ihm immer gedenken, wenn es Gelegenheit gibt. Auch hatte sie von mir mit ihrem jetzigen Gemahle gesprochen. Deswegen ging ich gerade nach Ihrer Exzellenz Wohnung, die im alten Borgo in einem sehr schönen Palaste war: da wäre ich nun ganz sicher gewesen, und der Papst hätte mich nicht angerührt; aber weil das, was ich bisher getan hatte, zu außerordentlich für einen sterblichen Menschen war, so wollte Gott nicht, daß ich mich dieses eignen Ruhms überheben sollte, vielmehr sollte ich zu meinem Besten noch größere Prüfungen ausstehn, als jene waren, die ich schon erlitten hatte.

Daher begab sich, daß, als ich so auf Händen und Füßen die Treppe hinunterkroch, ein Bedienter des Kardinal Cornaro mich erkannte; dieser lief sogleich zu seinem Herrn, der im vatikanischen Palast wohnte, weckte ihn und sagte: Hochwürdigster Herr! da ist Euer Benvenuto aus dem Kastell geflohen und kriecht ganz blutig auf allen vieren; soviel sich bemerken läßt, hat er ein Bein gebrochen, und wir wissen nicht, wo er hin will. Darauf sagte der Kardinal: Sogleich lauft und tragt mir ihn hierher in mein Zimmer! Als ich vor ihn kam, sagte er: ich solle ruhig sein, und schickte sogleich nach den ersten Ärzten von Rom, die mich in die Kur nahmen. Unter denselben war Meister Jakob von Perugia, der trefflichste Chirurgus; der richtete mir den Fuß ein, verband mich und ließ mir selbst zur Ader. Da nun die Gefäße übermäßig aufgetrieben waren, er auch die Öffnung etwas groß gemacht hatte, so fuhr eine Menge Bluts dergestalt gewaltsam heraus, ihm ins Gesicht, und bedeckte ihn über und über, daß er sich entfernen mußte. Er nahm die Sache für ein böses Anzeichen und kurierte mich mit großem Widerwillen; ja einige Male wollte er mich gar verlassen, denn er fürchtete, diese Kur könnte ihm sehr übel bekommen. Der Kardinal ließ mich in ein geheimes Zimmer legen und ging in der Absicht weg, mich von dem Papste zu erbitten.


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