Benvenuto Cellini
Leben des Benvenuto Cellini
Benvenuto Cellini

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Zweites Kapitel

Der Autor sieht seinen Bruder in einem Gefecht beinahe erschlagen und nimmt seine Partei; daraus entspringen einige unangenehme Vorfälle, und er wird deshalb von Florenz verbannt. – Er begibt sich nach Siena und von da nach Bologna, wo er in der Kunst, auf der Flöte zu blasen, zunimmt, mehr aber noch in der Profession des Goldschmieds. – Streit zwischen seinem Vater und Pierino, einem Tonkünstler; trauriges Ende des letztern. – Der Autor begibt sich nach Pisa und geht bei einem dortigen Goldschmied in Arbeit. – Er kommt krank nach Florenz zurück. – Nach seiner Genesung tritt er bei seinem alten Meister Marcone in Arbeit.

Ich hatte einen Bruder, der zwei Jahre jünger als ich und sehr kühn und heftig war. Er galt nachher für einen der besten Soldaten, die in der Schule des vortrefflichen Herrn Johannes von Medicis, Vater des Herzogs Cosmus, gebildet wurden. Dieser Knabe war ungefähr vierzehn Jahr alt und bekam eines Sonntags zwei Stunden vor Nacht zwischen den Toren San Gallo und Pinti mit einem Menschen von zwanzig Jahren Händel, forderte ihn auf den Degen, setzte ihm tapfer zu und wollte nicht ablassen, ob er ihn gleich schon übel verwundet hatte. Viele Leute sahen zu, und unter ihnen mehrere Verwandte des jungen Menschen. Da diese merkten, daß die Sache übel ging, griffen sie nach Steinen, trafen meinen armen Bruder an den Kopf, daß er für tot zur Erden fiel. Zufällig kam ich auch in die Gegend, ohne Freunde und ohne Waffen; ich hatte meinem Bruder aus allen Kräften zugerufen, er solle sich zurückziehen. Als er fiel, nahm ich seinen Degen und hielt mich, in seiner Nähe, gegen viele Degen und Steine. Einige tapfere Soldaten kamen mir zu Hülfe und befreiten mich von der Wut der Gegner. Ich trug meinen Bruder für tot nach Hause; mit vieler Mühe ward er wieder zu sich selbst gebracht und geheilt. Die Herren Achte verbannten unsere Gegner auf einige Jahre und uns auf sechs Monate zehn Miglien von der Stadt. So schieden wir von unserm armen Vater, der uns seinen Segen gab, da er uns kein Geld geben konnte.

Ich ging nach Siena zu einem braven Manne, der Meister Francesco Castoro hieß. Ich war vorher schon einmal bei ihm gewesen, denn ich war meinem Vater entlaufen und hatte dort gearbeitet; nun erkannte er mich wieder, gab mir zu tun und freies Quartier, solange ich in Siena blieb, wo ich mich mit meinem Bruder mehrere Monate aufhielt.

Sodann ließ uns der Kardinal Medicis, der nachher Papst Clemens ward, auf die Bitte meines Vaters wieder nach Florenz zurückkehren. Ein gewisser Schüler meines Vaters sagte aus böser Absicht zum Kardinal: er solle mich doch nach Bologna schicken, damit ich dort von einem geschickten Meister das Blasen in Vollkommenheit lernen möchte. Der Kardinal versprach meinem Vater, mir Empfehlungsschreiben zu geben; mein Vater wünschte nichts Besseres, und ich ging gerne, aus Verlangen, die Welt zu sehen.

In Bologna gab ich mich zu einem in die Lehre, der Meister Herkules der Pfeifer hieß. Ich fing an, Geld zu verdienen, nahm zugleich täglich meine Lektionen in der Musik, und in kurzer Zeit brachte ich es weit genug in dem verfluchten Blasen. Aber weit mehr Vorteil zog ich von der Goldschmiedekunst; denn da mir der Kardinal keine Hülfe reichte, begab ich mich in das Haus eines Bologneser Miniaturmalers, der Scipio Cavalletti hieß, ich zeichnete und arbeitete für einen Juden und gewann genug dabei.

Nach sechs Monaten kehrte ich nach Florenz zurück, worüber der ehemalige Schüler meines Vaters, Peter der Pfeifer, sehr verdrießlich war; aber ich ging doch meinem Vater zuliebe in sein Haus und blies mit seinem Bruder Hieronymus auf der Flöte und dem Hörnchen. Eines Tages kam mein Vater hin, um uns zu hören; er hatte große Freude an mir und sagte: Ich will doch einen großen Musikus aus dir machen, zum Trotz eines jeden, der mich daran zu verhindern denkt. Darauf antwortete Peter: Weit mehr Ehre und Nutzen wird Euer Benvenuto davon haben, wenn er sich auf die Goldschmiedekunst legt, als von dieser Pfeiferei. Das war nun freilich wahr gesprochen, aber es verdroß meinen Vater um desto mehr, je mehr er sahe, daß ich auch derselben Meinung war, und sagte sehr zornig zu Petern: Ich wußte wohl, daß du der seist, der sich meinem so erwünschten Zwecke entgegensetzt. Durch dich habe ich meine Stelle im Palast verloren, mit solchem Undank hast du meine große Wohltat belohnt, dir hab ich sie verschafft, mir hast du sie entzogen. Aber merke diese prophetischen Worte: nicht Jahre und Monate, nur wenig Wochen werden vorbeigehen, und du wirst wegen deines schändlichen Undanks umkommen. Darauf antwortete Peter: Meister Johann, viele Menschen werden im Alter schwach und kindisch, wie es Euch auch geht; man muß Euch nichts übelnehmen, denn Ihr habt ja alles verschenkt und nicht bedacht, daß Eure Kinder etwas nötig haben dürften. Ich denke, das Gegenteil zu tun und meinen Söhnen so viel zu hinterlassen, daß sie den Euern allenfalls zu Hülfe kommen können.

Darauf antwortete mein Vater: Kein schlechter Baum bringt gute Früchte hervor, und ich sage dir: da du bös bist, werden deine Söhne arm und Narren werden und werden bei meinen braven und reichen Söhnen in Dienste gehn.

So eilten wir aus dem Hause, und es fielen noch manche heftige Worte. Ich nahm die Partie meines Vaters und sagte im Herausgehen zu ihm: wenn er mich bei der Zeichenkunst ließe, so wollte ich ihn an dem unartigen Menschen rächen. Er sagte darauf: Lieber Sohn! ich bin auch ein guter Zeichner gewesen und habe es mir in meinem Leben sauer werden lassen; willst du nun nicht, um deinen Vater, der dich gezeugt und erzogen und den Grund zu so vieler Geschicklichkeit gelegt hat, manchmal zu erquicken, die Flöte und das allerliebste Hörnchen in die Hand nehmen? Darauf sagte ich: aus Liebe zu ihm wollte ichs gerne tun. Der gute Vater versetzte: mit solchen Geschicklichkeiten und Tugenden würde man sich am sichersten an seinen Feinden rächen. Kein ganzer Monat war vorbei, und Pierino hatte in seinem Hause ein Gewölbe machen lassen und war mit mehrern Freunden in einem Zimmer über dem Gewölbe, sprach über meinen Vater, seinen Meister, und scherzte über die Drohung, daß er zugrunde gehen solle. Kaum war es gesagt, so fiel das Gewölbe ein, entweder weil es schlecht angelegt war, oder durch Gottes Schickung, der die Frevler bestraft. Er fiel hinunter, und die Steine und Ziegeln des Gewölbes, die mit ihm hinabstürzten, zerbrachen ihm beide Beine; aber alle, die mit ihm waren, blieben auf dem Rand des Gewölbes, und niemand tat sich ein Leid. Sie waren erstaunt und verwundert genug, besonders da sie sich erinnerten, wie er kurz vorher gespottet hatte. Sobald mein Vater das erfuhr, eilte er zu ihm und sagte, in Gegenwart seines Vaters: Piero, mein lieber Schüler, wie betrübt mich dein Unfall! Aber erinnerst du dich, wie ich dich vor kurzem warnte? Und so wird auch das, was ich von deinen und meinen Söhnen gesagt habe, wahr werden. Bald darauf starb der undankbare Piero an dieser Krankheit; er hinterließ ein liederliches Weib und einen Sohn, der einige Jahre nachher in Rom mich um Almosen ansprach. Ich gab sie ihm, denn es ist in meiner Natur, und erinnerte mich mit Tränen an den glücklichen Zustand Pierinos, zur Zeit, da mein Vater zu ihm die prophetischen Worte gesagt hatte. Ich fuhr fort, der Goldschmiedekunst mich zu ergeben, und stand meinem Vater mit meinem Verdienste bei. Mein Bruder Cecchino mußte anfangs Lateinisch lernen: denn wie der Vater aus mir den größten Tonkünstler bilden wollte, so sollte mein Bruder, der jüngere, ein gelehrter Jurist werden; nun konnte er aber in uns beiden die natürliche Neigung nicht zwingen, ich legte mich aufs Zeichnen, und mein Bruder, der von schöner und angenehmer Gestalt war, neigte sich ganz zu den Waffen. Einst kam er aus der Schule des Herrn Johann von Medicis nach Hause, wo ich mich eben nicht befand, und weil er sehr schlecht mit Kleidern versehen war, bewegte er unsere Schwestern, daß sie ihm ein ganz neues Kleid gaben, das ich mir hatte machen lassen. Denn außerdem, daß ich meinem Vater und meinen guten Schwestern durch meinen Fleiß beistand, hatte ich mir auch ein hübsches, ansehnliches Kleid angeschafft. Ich kam und fand mich hintergangen und beraubt, mein Bruder hatte sich davongemacht, und ich setzte meinen Vater zur Rede, warum er mir so großes Unrecht geschehen ließe, da ich doch so gerne arbeitete, um ihm beizustehen. Darauf antwortete er mir: ich sei sein guter Sohn; was ich glaubte verloren zu haben, würde mir Gewinst bringen; es sei nötig, es sei Gottes Gebot, daß derjenige, der etwas besitzt, dem Bedürftigen gebe, und wenn ich dieses Unrecht aus Liebe zu ihm ertrüge, so würde Gott meine Wohlfahrt auf alle Weise vermehren. Ich antwortete meinem armen, bekümmerten Vater wie ein Knabe ohne Erfahrung, nahm einen armseligen Rest von Kleidern und Geld und ging grade zu einem Stadttor hinaus, und da ich nicht wußte, welches Tor nach Rom führte, befand ich mich in Lucca. Von da ging ich nach Pisa (ich mochte ungefähr sechzehn Jahr alt sein) und blieb auf der mittelsten Brücke, wo sie es ›zum Fischstein‹ nennen, bei einer Goldschmiedwerkstatt stehen und sah mit Aufmerksamkeit auf das, was der Meister machte. Er fragte: wer ich sei und was ich gelernt hätte? Darauf antwortete ich: daß ich ein wenig in seiner Kunst arbeitete. Er hieß mich hereinkommen und gab mir gleich etwas zu tun, wobei er sagte: Dein gutes Ansehn überzeugt mich, daß du ein wackrer Mensch bist; und so gab er mir Gold, Silber und Juwelen hin. Abends führte er mich in sein Haus, wo er mit einer schönen Frau und einigen Kindern wohl eingerichtet lebte. Nun erinnerte ich mich der Betrübnis, die mein Vater wohl empfinden mochte, und schrieb ihm, daß ich in dem Hause eines sehr guten Mannes aufgenommen sei und mit ihm große und schöne Arbeit verfertige; er möchte sich beruhigen: ich suche was zu lernen und hoffe, mit meiner Geschicklichkeit ihm bald Nutzen und Ehre zu bringen. Geschwind antwortete er mir: Mein lieber Sohn! meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich, wenn es nur schicklich wäre, mich gleich aufgemacht hätte, zu dir zu kommen; denn gewiß, mir ist es, als wenn ich des Lichts dieser Augen beraubt wäre, daß ich dich nicht täglich sehe und zum Guten ermahnen kann. Diese Antwort fiel in die Hände meines Meisters; er las sie heimlich und gestand es mir dann mit diesen Worten: Wahrlich, mein Benvenuto, dein gutes Ansehn betrog mich nicht! Ein Brief deines Vaters, der ein recht braver Mann sein muß, gibt dir das beste Zeugnis; rechne, als wenn du in deinem Hause und bei deinem Vater seist. Ich ging nun, den Gottesacker von Pisa zu besehen, und fand dort besonders antike Sarkophagen von Marmor und an vielen Orten der Stadt noch mehr Altertümer, an denen ich mich, sobald ich in der Werkstatt frei hatte, beständig übte. Mein Meister faßte darüber große Liebe zu mir, besuchte mich oft auf meiner Kammer und sah mit Freuden, daß ich meine Stunden so gut anwendete. Das Jahr, das ich dort blieb, nahm ich sehr zu, arbeitete in Gold und Silber schöne und bedeutende Sachen, die meine Lust, weiter vorwärtszugehn, immer vermehrten. Indessen schrieb mir mein Vater auf das liebreichste, ich möchte doch wieder zu ihm kommen; dabei ermahnte er mich in allen Briefen, daß ich doch das Blasen nicht unterlassen sollte, das er mich mit so großer Mühe gelehrt hätte. Darüber verging mir die Lust, jemals wieder zu ihm zurückzukehren, dergestalt haßte ich das abscheuliche Blasen, und wirklich, ich glaubte das Jahr in Pisa im Paradiese zu sein, wo ich niemals Musik machte. Am Ende des Jahrs fand mein Meister Ursache, nach Florenz zu reisen, um einige Gold- und Silberabgänge zu verkaufen, und weil mich in der bösen Luft ein kleines Fieber angewandelt hatte, so ging ich mit ihm nach meiner Vaterstadt, wo ihn mein Vater insgeheim und auf das inständigste bat, mich nicht wieder nach Pisa zu führen. So blieb ich krank zurück und mußte ungefähr zwei Monate das Bette hüten. Mein Vater sorgte für mich mit großer Liebe und sagte immer, es schienen ihm tausend Jahre, bis ich gesund wäre, damit er mich wieder könnte blasen hören. Als er nun zugleich den Finger an meinem Puls hatte (denn er verstand sich ein wenig auf die Medizin und auf die lateinische Sprache), so fühlte er, daß in meinem Blute, da ich vom Blasen hörte, die größte Bewegung entstand, und er ging ganz bekümmert und mit Tränen von mir. Da ich nun sein großes Herzeleid sah, sagte ich zu einer meiner Schwestern, sie sollte mir eine Flöte bringen, und ob ich gleich ein anhaltendes Fieber hatte, so machte mir doch dies Instrument, das keine große Anstrengung erfordert, nicht die mindeste Beschwerlichkeit; ich blies mit so glücklicher Disposition der Finger und der Zunge, daß mein Vater, der eben unvermutet hereintrat, mich tausendmal segnete und mich versicherte, daß ich in der Zeit, die ich auswärts gewesen, unendlich gewonnen habe; er bat mich, daß ich vorwärtsgehen und ein so schönes Talent nicht vernachlässigen solle. Als ich nun wieder gesund war, kehrte ich zu meinem braven Marcone, dem Goldschmied, zurück, und mit dem, was er mir zu verdienen gab, unterstützte ich meinen Vater und mein Haus.


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