Jeremias Gotthelf
Der Besenbinder von Rychiswyl
Jeremias Gotthelf

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Ja, unser Hansli war selbst unter andern Leuten als nur unter den Kindern eine Art Respektsperson. Er war so bestimmt, so zuverlässig, gescheute Worte gingen von ihm, man sah ihn niemals anders als ehrbar, er tat nicht groß, machte aber auch nicht den Bettler, daß gar manche vornehme Herrenfrau expreß in die Küche kam, wenn sie hörte, das Besenmannli sei da, um zu vernehmen, wie es auf dem Lande gehe, und wie dies und jenes gerate. Ja in manchem Hause in Bern vertraute man ihm das Liefern von Wintervorräten an, und das trug manchen schönen Batzen ein. In Thun war das wohl nicht der Fall, denn dort ist jede Frau Ratsherrin eine halbe Bäurin und pflanzet für Menschen und Vieh, daß es sie fast versprengt. Aber sie kamen doch in die Küche, hießen ihn gar in die Stube kommen und verklapperten mit ihm manch trautes Halbstündchen bei süßem Thunerwein. Denn wenn sie schon selbst pflanzten, so meinten sie deswegen nicht, daß sie nicht das Recht hätten zu klappern, mit wem sie wollten, so gut wie die andern Frauen Ratsherrinnen, welche nicht pflanzten. Ja sogar die Frau Schultheißin sprach mit ihm, es war sozusagen ihr zum dringenden Bedürfnis geworden, ihn alle Samstage zu sehen, und wenn sie mit ihm sprach, so war es sogar erlebt worden, daß der fragende Herr Schultheiß auf Antwort warten mußte. Von wegen es tut auch einer Frau Schultheißin wohl, einmal in der Woche ein vernünftig Wort zu hören und zu reden.

Da einmal geschah es, daß Samstag war in Thun, aber in Thun war kein Besenmannli zu sehen. Das gab großes Aufsehen und bedenkliche Gesichter. Manche Köchin stand unter der Türe mit eingestemmten Armen und ließ kaltblütig oben in der Küche Suppe und Pfanne ineinanderwachsen, daß man mit keinem Lieb sie mehr auseinanderbrachte. »Hast ihn nicht gesehen, nichts von ihm gehört?« frug eine die andere. Manche Frau schoß in die Küche und wollte die Köchin abputzen, daß sie ihr nicht gerufen, als das Besenmannli dagewesen. Aber da fand sie keine Köchin, fand nichts als was auf dem Feuer, das stank wie der Teufel, das war die Pfanne und die Suppe, die Hochzeit hielten. Selbst die Frau Schultheißin kam in Bewegung, nahm erst ihren Herrn, dann den Landjäger vor, und als beide nichts wußten, stieg sie nach dem Essen selbst ins Städtchen hinab, um nach ihrem Besenmannli zu fragen. Sie sei ganz aus mit Besen, habe in der folgenden Woche fegen wollen und jetzt keine Besen, man solle denken!

Aber das Besenmannli erschien nicht. Es war die ganze folgende Woche eine gewisse Leere fühlbar in der Stadt und am nächsten Samstag große Spannung. »Kommt er? Kommt er nicht?« war das Losungswort. Und er kam, er kam wirklich, aber ringer wäre er daheim geblieben. Wenn er auf alle Fragen hätte Antwort geben wollen, so hätte er acht Tage in Thun bleiben müssen. Er fertigte die Leute mit dem einfachen Bescheid ab, er hätte zLycht müssen.

»Wem?« frug ihn die Frau Schultheißin, die er nicht so kurz abfertigen konnte. »Meiner Schwester«, antwortete das Besenmannli. »Wer war sie, und wo wurde sie begraben?« frug die Dame weiter. Das Besenmannli antwortete kurz, aber wahr; da rief die Frau Schultheißin plötzlich aus: »Aber mein Gott! Was? Seid Ihr der Bruder von der Köchin, die so großes Aufsehen machte, weil es nach dem Tode des Herrn sich herausgestellt, daß sie seine Frau gewesen und ihn also erbe, und die dann darauf plötzlich starb?« »Gerade der bin ich«, antwortete Hansli trocken. »Aber du meine Güte!« rief die Frau Schultheißin und schlug die Hände zusammen, »fünfzigtausend Taler geerbt zum wenigsten und jetzt noch mit Besen im Lande herumfahren!« »Warum nicht!« antwortete Hansli, »habe das Geld noch nicht, und wegen der Taube auf dem Dache lasse ich den Spatz in der Hand nicht fahren.« »Taube auf dem Dache!« rief unwillig die Frau Schultheißin. »Erst diesen Morgen habe ich und der Herr Schultheiß miteinander darüber geredet, und er sagte, dSach sei richtig, das Vermögen müsse dem Bruder zufallen.« »He nun, desto besser«, antwortete Hansli. »Aber, was ich fragen wollte, soll ich über acht Tage Besen bringen oder über vierzehn?« »Abah, Bese!« rief die Frau Schultheißin; »kommt herein, ich möchte sehen, was mein Herr für Augen macht.« »Ich wär pressiert«, antwortete Hansli, »ich habe weit heim, und die Tage sind kurz.«

»Kurz oder nicht kurz, kommt!« befahl die Herrin, und Hansli mußte gehorchen, versteht sich.

Sie führte ihn nicht in die Küche, sondern ins Eßzimmer, befahl der Gattung oder Fanchette, oder wie die Kammermagd hieß, dem Herrn zu sagen, das Besenmannli sei da, und eine Flasche Wein zu bringen, und hieß das Mannli sitzen, wie auch das Mannli protestierte, er habe nicht Zeit und müsse weiter. Der Herr war da im Augenblick, setzte sich, schenkte sich auch Wein ein, machte Gesundheit, wünschte Glück, und Hansli mußte erzählen, wie er dazu gekommen. Er machte es kurz. Er könne nicht viel sagen, erzählte er. Bald, als die Schwester vorm Herrn gewesen, sei sie fortgegangen um Arbeit aus. So sei sie von Platz zu Platz gekommen und stark gefördert worden mit Schein. Um sie daheim habe sie sich nie viel gekümmert, sei in der Zeit bloß zweimal heimgewesen und seit der Mutter Tode nie. Er habe sie wohl in Bern angetroffen, aber nie habe sie ihn heißen ins Haus kommen, wo sie gedient, nichts als den Gruß befohlen an Weib und Kinder und wohl gesagt, sie komme nächstens, aber es sei nie geschehen. Freilich sei sie nicht viel in Bern gewesen, sondern habe viel in Schlössern auf dem Lande herum gedient, sei auch im Welschland gewesen, wie er vernommen. Sie habe ein unruhig Blut gehabt und einen wunderlichen Kopf, und die blieben nie lange an einem Orte. Darneben war sie bsunderbar treu und fromm, man konnte ihr unbesorgt anvertrauen, was man wollte. Vor kurzem sei die Rede gegangen, seine Schwester habe eine alten, reichen Herrn geheiratet, der es den Verwandten zum Trotz getan, weil sie ihn schwer erzürnt, aber er habe der Sache nicht viel Glauben gegeben und ihr nicht nachgedacht. Da habe er plötzlich Bescheid bekommen, er solle alsbald zu seiner Schwester gehen, wenn er sie noch lebendig antreffen wolle, sie wohne im Murtenbiet; das habe er getan und sei noch früh genug gekommen, um sie sterben zu sehen, aber viel habe er mit ihr nicht mehr reden können. Als sie beerdigt gewesen, sei er wieder hergekommen, es habe ihm pressiert; seit er hause, habe er nie soviel Zeit versäumt.

»Du mein Gott«, sagte die Frau Schultheiß, »versäumt, wenn man dabei fünfzigtausend Taler erbt! Und wollet Ihr denn bei einem solchen Vermögen fortfahren Besen machen und damit hausieren?« »He, das ist so, Frau Schultheißin«, sagte Hansli, »ich traue der Sache nicht recht, es dünkt mich, es hätte keine Gattig, daß ich soviel erben sollte. Daneben sagt man mir, es könne nicht fehlen, und wenn die Zeit um sei, werde ich es frei und frank in die Hände bekommen. Nun, sei das, wie es wolle, so fahre ich einstweilen im alten fort. Wenn es fehlen sollte, müßten die Leute nicht lachen: ›Der hat schon gemeint, er sei ein Herr, und kann schön wieder an seinem Karren ziehen!‹ Habe ich einmal das Geld, werde ich es mit den Besen wohl lassen, obgleich es mich reut und mir nicht erleidet ist. Aber die Leute würden doch reden und ein Gespött haben, wenn ich es täte, und das mag ich auch nicht. Bauer sein ist auch eine schöne Sache, und wenn man Geld hat, wird schon ein Hof zu kaufen sein. Ich habe gottlob ein Häuschen und Land fast für zwei Kühe, und bei meinem Fahren habe ich manchmal gedacht: Wäre ich nicht das Besenmannli, so möchte ich Bauer sein! und vielleicht brächte ich es zweg, so einen mindern Hof zu kaufen, wo für alle meine Kinder zu arbeiten und zu essen genug wäre; fest kann man dann sitzen.«

»Aber ist das Vermögen in saubern Händen? Können da keine Gefährde getrieben werden?« frug der Herr Schultheiß. »Ich glaube, es sei sicher«, sagte Hansli. »Ich habe die, welche am meisten dran machen können, probiert. Ich habe ihnen Geld angeboten, wenn sie machten, daß ich zum Erben komme. Da haben sie gescholten und gesagt, ghörs mir, werde ich es erhalten, ghörs mir nit, mache man da nichts mit Geld, für die Kosten werde man mir seinerzeit die Rechnung machen. Da sah ich, daß die Sache am rechten Orte ist, und mag jetzt wohl warten, bis die Zeit um ist.« »Nein aber«, sagte die Frau Schultheißin, »das ist mir unbegreiflich; das ist mir eine Kaltblütigkeit, die in Israel selten gefunden wird, die mich aus der Haut triebe, wenn ich Eure Frau wäre.« »Die tut es nicht«, sagte Hansli, »bis sie jemand brichtet, wie sie wieder hineinkönnte.«

Diese Kaltblütigkeit und das Fortfahren mit den Besen versöhnte viele Leute mit dem sonst so gerne beneideten sogenannten Glücklichen, während andere es als Beschränktheit und Dummheit verhöhnten. Einige meinten, Hansli sei dumm, und wer gescheut sei, könne da was zu fischen kriegen. Sie liefen ihn an, suchten ihm angst zu machen und hintendrein mit dem Anbieten ihrer Hülfe zu trösten. Andere wollten das Erbe ihm abkaufen, er kriege es doch nie, sagten sie. Es gebe da Prozesse, deren Ausgang er nicht erlebe; wo da Geld nehmen, um sie zu speisen? He, sagte Hansli, es sei alles ungewiß auf der Welt, einstweilen wolle er sich noch besinnen, es sei dann noch frühe genug zuzusehen, wenn die Sache sich stecken sollte.

Die Sache steckte sich aber nicht. Zur gesetzten Zeit erhielt er Bericht, er solle auf Bern kommen; dSach sei im reinen.

Als er als ein reicher Mann heimkam, weinte seine Frau gar mörderlich und himmelschreiend. Er mußte mehrmals fragen: »Was hats gegeben, ist ein Unglück geschehen?« »Jetzt«, sagte endlich die Frau, die, je seltener sie weinte, um so schwerer zu sich selber kam, »jetzt wirst mich verachten, da du so reich bist, und denken, hättest nur eine andere! Ich tat, was mir möglich war, aber jetzt bin ich nichts mehr, ein alter Kratten. Oh, wenn ich nur schon unter der Erde wäre!« Da setzte sich Hansli auf den Vorstuhl und sagte: »Hör, Frau, du weißt, fast dreißig Jahre haben wir gehaushaltet im Frieden; was das eine wollte, wollte das andere auch. Geprügelt habe ich dich nie, ja die bösen Worte, die wir uns gegeben, wären bald gezählt. Jetzt, Frau, fang mir nicht an, wüst zu tun und ein Neues anzufangen, es soll zwischen uns beim alten bleiben. Das Erb kommt nicht von mir, es kommt nicht von dir, es kommt von Gott für uns beide und für unsere Kinder. Das kann ich dir sagen, und das soll fest sein wie ein Wort aus der Bibel, daß, sobald du mir noch einmal davon anfängst mit Heulen und ohne Heulen, so prügle ich dich mit einem neuen Seil, daß man dich am Bodensee kann schreien hören. Dabei bleibts; jetzt mach, was du willst!«

Das lautete sehr bestimmt, bestimmter als der Briefwechsel zwischen Preußen und Österreich. Die Frau wußte, woran sie war, sie kannte Hansli, sie wärmte dieses Lied nicht mehr auf, es blieb unter ihnen beim alten. Sie zogen einträchtig am Karren, und der Karren blieb ganz leicht.

Hansli kaufte alsbald einen großen Hof, damit er für seine Kinder zu arbeiten und zu essen hätte. Aber ehe er als Besenmannli abtrat, machte er noch ein schön Stücklein: allen seinen Kunden brachte er noch ein Dutzend Besen als Geschenk ins Haus. Er sagte nachher oft und gewöhnlich mit Wasser in den Augen, das sei der Tag, den er am wenigsten vergessen könne; er hätte nie geglaubt, daß er den Leuten so lieb sei. Er behielt als Bauer den gleichen Fleiß und die gleiche Einfachheit, betete und arbeitete wie vorher, und doch wußte er zwischen Bauer und Besenbinder den Unterschied zu machen, daß der erste zu geben, der andere zu nehmen hatte, tat beides gleich unbeschwert. Er hatte längst gewußt, was einem Bauernhause wohl anstehe, das vergaß er nicht und führte es jetzt in seinem Hause aus. Was er gerne gehabt für sich, das tat er auch an andern.

Das gleiche Maß hielt er mit den Kindern, das war wohl der schwerste Punkt. Er wußte wohl, daß er sie jetzt etwas besser kleiden mußte als des Besenbinders Kinder, aber den ebenrechten Grad darin zu treffen, war nicht ganz leicht; nicht leicht war es, die Kinder zu befriedigen und es dem Publikum zu treffen, daß es nicht schrie über das Zuwenig oder das Zuviel. Hansli traf es nicht übel, und seine Frau stimmte ihm bei. Sie kleideten ihre Kinder dauerhaft und stattlich, meist in selbstgemachtes Zeug, aber er duldete nichts Auffallendes, in die Augen Schreiendes an ihnen. Er sagte ihnen oft: »Kinder, tut nicht groß, machet nie den Narrn, sei es, mit was es wolle. Sobald eins von euch die Leute ärgert, sei es mit diesem oder mit jenem, so zählt darauf, ihr müßt von allen Seiten hören: ›Das mag wohl, es ist ja des Besenbinders Kind; der zöge noch am Karren, wenn er nicht geerbt. Es wäre noch mancher reich, wenn er es erben könnte, das ist keine Kunst.‹ Ich schäme mich mein Lebtag dessen nicht, es kann mir Besenbinder sagen, wer will, aber ich bin auch nicht hochmütig; werdet ihr es aber, so werdet ihr euch des Vaters und der Mutter schämen, und die Leute werden euch den Besenbinder vorhalten euer Leben lang. Darauf zählt!«

Die Kinder glaubten daran und taten darnach. Indessen wollen wir nicht sagen, daß Eltern und Kinder alle Färbung ihrer frühern Lebensweise hätten abstreifen können und immer ganz fest und sicher auf dem neuen Boden umhergeschritten wären, das ist wohl unmöglich, und es braucht Generationen, um in einen neuen Stand hineinzuleben, und je ängstlicher man es will, je verlegner man tut, was jedoch bei unserm Besenbinder nicht der Fall war, desto weniger gelingt es.

Der liebe Gott ließ sie lange leben, er gab ihnen noch die Freude zu sehen, wie brave Tochtermänner mit ihren Weibern wohlzufrieden waren und brave Söhnisweiber die Eltern um ihrer braven Männer willen liebten und ehrten, und wenn sie noch jetzt auf Erden wären, so würden sie sehen, wie die Familie Wurzel geschlagen, blüht und Früchte trägt unter den Ehrbaren des Landes, denn sie bewahrt noch jetzt die wahren Lebenskeime der Familie: Fleiß und Frömmigkeit, ein währschaft, kernhaft Wesen, das nicht alle Tage ein anderes wird, je nachdem der Wind geht und die Umstände wechseln.


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