Marie von Ebner-Eschenbach
Das Schädliche
Marie von Ebner-Eschenbach

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Nun kamen Tage, deren ich mit Stolz und Wonne gedächte, wenn sie den Eingang bilden würden zu einem schönen Leben. Jetzt aber eile ich über die Erinnerung an das Glück hinweg, das wie ein Giftpilz rasch emporschoß und rasch verdorrte.

Ediths Eltern und meine Mutter sagten: «Ihr kennt euch kaum», und sie drangen darauf, daß unser Brautstand lange dauere. Mir konnte die Zeit des Hangens und Bangens nicht rasch genug verfliegen, ich wollte sie kurz haben und setzte meinen Willen durch. Wir heirateten, wir reisten, kehrten heim. Ein Kind, ein Mädchen, kam zur Welt und erhielt in der Taufe den Namen meiner Mutter, Eleonore.

An dem Verhältnis zwischen Edith und mir hatte ein Jahr der Ehe nichts verändert. Wonach Edith sich gesehnt, seitdem sie dachte: grenzenlose Liebe, einen Menschen, dessen Abgott sie war, der sie töricht verzog, sie besaß es nun. Mit aller Kraft ihres mächtigen Wesens hielt sie ihr Eigentum fest, wachte mit eifersüchtigem Geiz über jede Regung meines Herzens. Das Gesetz der Gesetze lautete bei ihr: Du sollst mich, deine Frau, lieben, mich allein. Freilich gab auch sie sich ganz, und sie war ein reiches Geschöpf. Ich bin nie wieder einem Weibe von so viel Geist und Verstand, von so unerschöpflicher Einbildungskraft begegnet. Dazu ihr großes Talent, das hingereicht hätte, zwanzig «ewig Strebenden» einen Lebensinhalt zu schaffen, und mit dem sie spielte, das sie verwüstete. Bat ich einmal: «Führe diese Skizze aus, sie gäbe ein hübsches Bild», da hieß es: «Willst du mich los sein? Soll ich tagelang an die Staffelei angenagelt bleiben?» Und wenn ich meinte: «Schade um dein Talent», war ihre Antwort: «Ich will kein Talent haben und ausbilden als das, dich anzubeten.»

Aus der Mappe verschwand die Skizze, die ich gelobt hatte, und ich fand an einem der nächsten Tage ein Stück von ihr neben meinem Papierkorb recht absichtlich hingelegt.

Noch vor meiner Verheiratung hatte sich meine Mutter auf ein kleines Gut, das ihr Eigentum war und unfern von Niedernbach lag, zurückziehen wollen. Ich gab es nicht zu. Sie mußte bei uns bleiben, das Schloß war groß genug, um zwei voneinander unabhängige Haushaltungen zu beherbergen. – «Wir werden uns vertragen», meinte ich und behielt recht. Wir vertrugen uns. Meiner Frau wurde kein Grund gegeben, das landläufige oder, mit einem andern Wort für dieselbe Sache, das ordinäre Vorurteil gegen die Schwiegermutter zu teilen. Die ihre hat auch nicht den Schatten eines Anspruchs an sie erhoben und die geringste, selbstverständliche Rücksicht immer dankbar und fast als Gnade empfunden. Seitdem sie sich in ihrer frommen Menschenunkenntnis einbildete, Edith kennengelernt zu haben, hatte sie nur Lob und Liebe für ihre «Tochter».

Die Liebe fand keine Gegenliebe; das Lob zu erwidern, nahm Frau von C. auf sich. Sie sprach es oft mit feierlicher Überzeugung aus, wenn sie zu uns herüber kam aus den Zimmern meiner Mutter. Dabei blickte sie Edith fest und streng in die Augen und pries sie glücklich, in der Nähe einer solchen Frau leben, sich erbauen zu dürfen an diesem Vorbild der heldenmütigen Geduld im Leiden, der Güte gegen die Menschen und der Ergebung in den Willen Gottes.

Diese herausfordernde Bewunderung hat böse Früchte getragen. Sie hat mitgeholfen, das traurige Wunder zu vollbringen, daß eine Frau, der selbst die Fernstehenden, die Stumpfsten, Verehrung und Liebe zollten, nicht vermochte, dem Wesen, das ihr nach mir das teuerste war, die kleinste herzliche Regung abzugewinnen. Sie suchte sich und mich darüber zu täuschen, sie behauptete, Edith gehöre zu den jungen Geschöpfen, die sich schämen, eine warme Empfindung zu zeigen: «Und das sind die Besten, die Stärksten», sagte sie. «Wie sie ist, so ist sie mir recht. Eine Schwiegertochter, die mich mit Aufmerksamkeiten verfolgt, würde mir lästig! Ich bliebe ewig in ihrer Schuld, ich alte, an mein Ruhebett gefesselte Maschine, und käm aus den Gewissensqualen nicht heraus.»

Ich aber dachte bei mir: Warte nur, Mutter, deine Güte wird die Gleichgültigkeit Ediths besiegen, und dann wirst du sehen, wie wohl es tut, von einem Sohn und von einer Tochter geliebt zu werden.

In dieser Hoffnung wurde ich betrogen.

Ich kam eines Vormittags früher als gewöhnlich nach Hause. Wir hatten Ethel zu Tische. Als ich ins Speisezimmer trat, hörte ich unsern Gast im Salon nebenan lachen und zugleich schelten: «Pfui, Edith, das ist abscheulich!» Darauf unterdrücktes Gewimmer und wieder Lachen und Schelten. Ich öffnete die Tür und sah Edith auf dem Kanapee ausgestreckt liegen. Sie hatte ihr Spitzentaschentuch wie eine Haube auf den Kopf gestülpt, das Gesicht in Falten gezogen und äffte das Gebaren meiner Mutter nach in einer ihrer schweren Leidensstunden.

Meine Fäuste ballten sich: «Bravo, Komödiantin!» rief ich aus, stürzte auf sie zu und faßte sie hart an beiden Schultern. Die Todesangst, in die Ethel geriet, brachte mich zu mir. Sie war auf die Knie gestürzt und schrie: «Verzeih, verzeih ihr, es war nicht bös gemeint.»

Edith hatte nicht gezuckt unter meiner grausamen Berührung: «Ich hasse deine Mutter», sagte sie langsam und ließ auf jedem Wort die Stimme ruhen und biß die blanken Zähne zusammen. «Ich hasse sie, weil du sie mehr liebst als mich. Ich hab's immer gefürchtet, jetzt weiß ich's.»

 

Bis hierher bin ich neulich gekommen. Dann wollte ich überlesen, was ich aufgeschrieben habe. Aber das darf ich nicht, sonst lege ich die Feder weg. Sie ist in meiner Hand ein schwaches Werkzeug, und was sie schildert, bleibt gar zu weit hinter der Wirklichkeit zurück. Die Aufzeichnungen erwecken kaum einen schwachen Begriff von dem Wesen Ediths, von der Kraft ihrer Leidenschaft, von der Lieblichkeit ihrer Hingebung, von der Anmut, die ihr treu geblieben ist, durch Irrturn und Sünde bis in die Verworfenheit.

Arme Edith! Wer weiß, wenn meine Liebe zu ihr die Stärke der ihren zu mir gehabt hätte, ebenso ausschließend, rücksichtslos, unbedingt gewesen wäre, vielleicht würde ich sie doch gerettet haben, die arme Edith – und dann auch die andere...

Vielleicht – das ist ein Wort! Ich muß es streichen aus meinem Vokabularium. Ich darf nicht denken: vielleicht, sonst ist mir eins gewiß – der Wahnsinn.

Nach der Rückkehr von unserer Hochzeitsreise hatte ich meine landwirtschaftliche Tätigkeit wieder aufgenommen. Sechs Wochen nach der Geburt des Kindes war Edith schon an meiner Seite gewesen: «Nimm mich mit und kümmere dich nicht um mich, ich werde dir nie lästig werden.» Sie hielt Wort, sie wurde mir nie lästig, im Gegenteil, sie machte sich nützlich durch ihr Interesse an der Sache, ihren scharfen Blick, ihr richtiges Urteil über die Menschen. Wir ritten oder fuhren zusammen aus und kamen zusammen nach Hause. Ihr war kein Weg zu weit, keine Beschäftigung zu gering, wenn sie nur bei mir sein konnte.

Mit dem Kinde gab sie sich wenig ab. Ich machte ihr Vorwürfe darüber; es war am selben Tag, an dem sie meine Mutter verspottet hatte. «Wenn es dir ähnlich sähe, würde ich's lieben. Aber das bin ja ich, das ist noch einmal die unglückselige Edith», erwiderte sie. «Aus der Art geschlagen, sagten die Eltern. Unfähig, das Ehrwürdige zu verehren, sagst du!»

Weinend, außer sich stürzte sie in meine Arme. «Lehr mich's, lehr mich gut sein, hab grenzenloses Erbarmen! Hab mehr Liebe zu mir als Abscheu vor meinen Fehlern!»

Der Winter kam; C.s reisten mit Ethel nach dem Süden und ließen Maud, die meiner Mutter eine wahrhaft kindliche Zuneigung entgegentrug, bei ihr zurück. Edith und ich sollten den Fasching in Wien zubringen, und täglich mahnte meine Mutter: «Geht, Kinder, geht! Eure kleine Lore bleibt in guter Hut. Ihr habt auch etwas Zerstreuung wohl verdient, genießt sie.» Maud stimmte bei, Edith verhielt sich passiv.

Ich weiß nun schon lange, meine Mutter wollte mich forthaben, ich sollte nicht Zeuge sein ihres letzten Martyriums, dem sie sich nahe fühlte, und gerade um diese Zeit schien sie mir auffallend wohler, und meine Zuversicht wurde durch die des Arztes erhöht.

Wir nahmen Abschied – wir. Ich ging nie mehr allein zu ihr hinüber, um nicht mit der Frage empfangen zu werden: «Wo ist Edith?» Sie gab sich Rechenschaft von der Eifersucht, die sie erregte, so sehr Edith auch bestrebt war, sie vor ihr zu verbergen. Meine Mutter sah alles in zu schönem Licht, und was sie in schönem Licht durchaus nicht sehen konnte, dafür fand sie eine Entschuldigung; aber – sie sah.

Sie hatte Toilette gemacht zu diesem unvergeßlichen Abschied. Man hätte sie für gesund halten können an dem Vormittag; auf ihren Wangen schimmerte ein Anflug von Farbe, ihre Augen glänzten. Wie ein lichter Engel stand Maud neben ihrem Ruhebett. Sie ist gut versorgt, dachte ich, und dennoch überfiel mich's: Du solltest nicht fort von ihr. Aber ich verscheuchte die weichmütige Empfindung, scherzte über die elegante Haube meiner Mutter und über das Spitzenkleid, in das sie sich geworfen hatte, und sie scherzte mit:

«Ich habe auch meine Eitelkeit, ich will euch in angenehmer Erinnerung bleiben.»

Sie küßte Edith und dann mich auf die Stirn; gar gerecht teilte sie die Zeichen ihrer Zärtlichkeit zwischen uns.

Edith wandte sich. Ich aber schloß meine geliebte Mutter noch einmal an mein Herz und preßte meine Lippen auf ihren viel zu früh weiß gewordenen Scheitel und fühlte das Beben ihrer armen wunden Brust an der meinen. «Du leidest, Mutter», sagte ich. Sie schüttelte den Kopf, sie lächelte.

«Sei ganz ruhig; ich verspreche dir, wenn es gegen allen Anschein Ernst werden sollte, rufe ich dich.»

 

Wir stürzten uns kopfüber in die Weltfreuden. Es ging, wie's immer geht beim Auftauchen einer neuen, die Aufmerksamkeit erregenden Erscheinung. Das Cliquenunwesen, das jetzt in der Wiener Gesellschaft herrscht, begann schon damals sich auszubilden. Viele kleine, streng abgeschlossene Kreise in dem großen Kreis mit den verschwimmenden Konturen. Es gibt keine bestimmbaren Grenzen zwischen denen, die zur Gesellschaft gehören, und denen, die sich zu ihr zählen und von Außerhalbstehenden zu ihr gezählt werden. Aus den kleinen Kreisen gucken sie hinüber, herüber, mißtrauen, lästern, ziehen sich zurück in ihren Bau, aber mit einer Beute, irgendeinem Klatsch, irgendeiner lächerlichen Empfindung. Sie rollt, vergrößert sich, wird durch die Leichtgläubigkeit erhärtet, eine steinerne Legende, an der sich kein Jota ändern läßt.

Von Edith wußte man schon nach den ersten Tagen, daß sie eine Kreolin, die einzige Tochter eines unermeßlich reichen Pflanzers auf Barbados war. Ihr grausamer Vater hatte sie gezwungen, zuzusehen, wenn er unbotmäßige Sklaven totpeitschen ließ. In ihrer Heimat nannte man sie die Perle der Antillen.

Diesen Unsinn, der mich ärgerte, fand Edith ergötzlich. «Jetzt brauch ich mich nicht erst interessant zu machen, ich bin's», meinte sie. Die scharfen, eindringenden Pfeile ihres Spottes schwirrten, die Witzworte, die sie sagte, bekamen Flügel, die Karikaturen, die sie zeichnete, hatten einen ganz außerordentlichen Erfolg. Man buhlte um die Ehre, in der Sammlung Edith zu figurieren. Was die Stellung einer jeden andern untergraben hätte, befestigte die ihre. Das alles schmeichelte mir und verdroß mich zugleich. «Dir ist nichts heilig», sprach ich einmal zu ihr, und sie zuckte die Achseln. «Weil ich nichts Heiliges finden kann auf dieser unheiligen Erde.» Empört fuhr ich auf: «Edith!» Da schmiegte sie sich schon an mich, demütig und flehend, die Vielgefeierte. «Verzeih deinem armen, albernen Kinde, glaub ihm nicht. Unsere Liebe ist mir heilig.»

Die Gesellschaftsmenschen nannte sie dumme Awaren, die sich hinter ihre Ringwälle verkriechen und von dort aus die Welt beurteilen. Aber einen Ringwall nach dem andern zu erobern, im Triumph in jeden einzuziehen, das unternahm sie, und das gelang ihr. Es konnte nicht anders sein. Nie hat jemand, den zu gewinnen sie sich bemühte, ihr widerstanden. Sie bezauberte die Männer und gewann die Frauen. Ich habe die Zähesten, die Unüberwindlichsten, die Vorurteilsvollsten klein beigeben gesehen, wenn sie sich herbeiließ zum Kampf mit ihnen. Ihr Verstand besaß im höchsten Grad, was man beim Auge das Akkommodationsvermögen nennt. Sie stellte jeden in die rechte Sehweite und sich neben ihn in seinen Gesichtskreis und war gescheit mit den Klugen, ernst mit den Ernsten, frivol mit den Oberflächlichen.

Bald gab es kein Fest ohne sie, und sie gehörte zu den gefeiertsten Frauen in der «großen Welt». Wenn wir vom Schauplatz eines ihrer Siege nach Hause fuhren, legte sie die Arme um meinen Hals und den Kopf auf meine Schulter und fragte: «Hast du mich wieder recht lieb, weil ich den andern so gut gefalle?» Jede Huldigung, die ihr dargebracht wurde, heimste sie ein mit Entzücken, um sich ihrer vor mir rühmen zu können.

Den letzten Ball im Fasching wollten wir noch mitmachen vor unserer Rückkehr nach Niedernbach, und auf dieses glänzende Abschiedsfest hatte Edith sich besonders gefreut und genoß es mit vollkommener Unbefangenheit.

Am nächsten Morgen, sehr früh, weckte sie mich, stand in Reisekleidern vor meinem Bette. «Wir müssen nach Niedernbach, Lieber, mit dem ersten Zug. Es ist ein Telegramm von Maud gekommen, deine Mutter ist etwas weniger wohl.»

Ich sprang auf, verlangte das Telegramm. Es war verlegt worden; vielleicht war es in den kleinen Koffer geraten, den Edith und die Kammerfrau in aller Eile gepackt hatten. Niemand nahm sich Zeit, es zu suchen, nur rasch in die Kleider; das Frühstück wartete, der Wagen war bestellt. Meine Frau hatte schon für alles gesorgt.

Eine furchtbare Reise, trotz aller Mühe, die Edith sich gab, mich zu beruhigen. Eine entsetzliche Ankunft. Vor dem Tor trat Maud uns entgegen. Auf ihrem Gesicht las ich: Du kommst zu spät.

Edith sprang aus dem Wagen auf ihre Schwester zu und flüsterte ihr hastig etwas ins Ohr. Maud horchte, ihre Augen wurden starr, sie wich vor Edith zurück, unwillkürlich, mit Abscheu. Sie konnte nicht lügen, sie konnte nicht, die Fähigkeit fehlte ihr. Ich erfuhr alles auf einmal. Meine Mutter war vor einer Stunde gestorben, sie hatte sich in ihren letzten Augenblicken vergeblich nach mir gesehnt. Ich war zu spät gekommen, weil Edith, um den Ball nicht zu versäumen, das Telegramm, das mich nach Hause berief, unterschlagen hatte.


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