Marie von Ebner-Eschenbach
Die Resel
Marie von Ebner-Eschenbach

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Die Resel war, wie wenn ihr die Sonne beim Untergang feuerrot ins Gesicht geschienen hätte, und dabei soll ein Frost sie geschüttelt haben. ›Mein Vater‹, sagt sie, ›meine Mutter, meine guten Eltern, meine viel zu guten!‹ Sie hat die besten Vorsätze gefaßt, ihnen alles zu vergelten und tausendfach zu büßen, was sie an ihnen verschuldet hat, und von nun an die dankbarste Tochter zu sein, die gehorsamste. – ›Mit Gottes Gnade‹, sagte der Herr Kaplan, ›und jetzt komm.‹ Noch nicht; sie nötigt ihn, ein Glas Ziegenmilch zu trinken, und gibt ihm dann über den halben Berg das Geleit, bis wo der Weg gut wird. Da bleibt sie stehen, nimmt seine Hand und küßt sie. ›Vergelt's Gott, Hochwürden, und auf baldiges Wiedersehen.‹ Er erschrickt: ›Was? gehst nicht gleich mit?‹ – Also nein! Um nichts auf der Welt kann sie kommen ohne den Toni; das wär ja, als ob er nichts mehr von ihr wissen wollt und sie nach Hause schicket. Sie haben beide gefehlt, sie müssen beide um Verzeihung bitten und um den Segen. Die Tage sind jetzt lang, meint sie – nämlich im Anfang Juni – es ist noch hellicht, und sie möchte so gern warten bis es dunkel wird. Vor Schlafengehen trifft sie sicher ein, bringt den Toni mit, und wenn der seine Begnadigung hat, soll er nur gleich fort, sie schwört, daß sie sich's dann nicht einmal verlangt, ihn eher wiederzusehen als am Altar bei der Trauung. Noch einmal küßt sie dem Pater die Hand, und eh er sich besinnt, ist sie auf und davon gesprungen. – Nach einer Weile hat die Luft von der Höhe herab dem geistlichen Herrn einen Jauchzer zugetragen, da war so ein Jubel drin, als ob eine arme Seel aus dem Fegfeuer gradaus in den Himmel aufflieget.«

»Nun hätte ja alles gut werden können, Förster.«

»Zu dienen, ja – können, das heißt, wenn nämlich der Toni ein ganzer Mann gewesen wäre und nicht ein halbeter, der sich einer übeln Angewohnheit aus seiner Bubenzeit noch nicht erwehren kann. Er ist, das hat er mir erzählt, wenn ich sage zwanzigmal, sage ich nicht genug, an dem Abend in seinem schlimmsten Humor gewesen, nämlich. Hat er einen Streit gehabt, hat er einen Waldfrevel entdeckt oder was – genug, wie ihm die Resel schon weitem zuruft, tut er schon, als ob er nichts höret und sehet. Sie kommt ihm entgegen und teilt ihm voller Freuden alles mit, vom Besuch des Pater Vitalis und von der Einwilligung der Alten. Der Toni spielt sich auf den Dummen, macht dergleichen, als ob er nichts versteht. Einwilligung – zu was? Er möcht gern wissen, zu was er Einwilligung brauchet. Geht ins Haus, fangt an, sein Gewehr zu putzen, und singt sich dazu recht frech und übermütig das alte Liedel:

Ich will dich lieben,
aber heiraten nicht.«

Die Gräfin hatte sich mit einem Ruck aufgerichtet: »Schlechter Kerl! Miserabler Mensch... Ach, daß sie doch nicht zu ihm gegangen wäre! – Also weiter, Herr Ruppert.«

»So gewohnt die Resel an seine ungleiche Laun auch war, in dem Augenblick ist sie ihr zuviel geworden, und sie hat ihm ein paar ernsthafte Worte gesagt. Gleich ist der Gifthahn beleidigt, der empfindliche Dalken, und das muß natürlich gestraft werden, je grausamer, je besser. –Werden das nicht wissen, weil es dergleichen kaum geben wird bei so hohe Herrschaften nämlich; aber unter uns kommt's vor, daß einer sein Liebstes, ob es jetzt ein Hund ist, ein Pferd oder ein Frauenzimmer, manchmal plagen muß bis aufs Blut...«

»Ach ja, ich kenne das«, seufzte die junge Frau, »solche Käuze findet man überall. Und sie gefallen einem noch.«

»Unbegreiflicherweise nämlich; denn in einem solchen Moment – ich hab das vom Toni – ist denen Sekkierern, wie wenn der Teufel ihr Herz in seine verfluchte Krallen nehmet und zusammendrucket, daß es hart wird wie Stahl... Aber Hochgräfliche Gnaden sind, mir scheint, schläfrig. Soll ich nicht aufhören?

»Nur weiter, lieber Herr Oberförster.«

»Wie sie ihn so gar bös gesehen hat, ist ihr angst und bang geworden, und sie macht ihm nicht den geringsten Vorwurf, bittet nur demütig: ›Schau, nimm mich doch. Tu's aus Erbarmen mit meine braven Eltern.‹ Aber der stutzige Bock beutelt mit dem Kopf wie ein Sonnenkoller. Es fallet ihm nichts ein vom Heiraten, und er sei zu jung nämlich, und er will noch seine Freiheit genießen. Auf das hin wird die Resel still.«

»Und was tut sie?«

»Im vorigen Winter, wissen, ist der Toni von drei Kerlen mit berußten Gesichtern, wahrscheinlich abgestrafte Holzdiebe, im Schlaf überfallen, gebunden und geknebelt, aus dem Bett gerissen und in den Schnee geworfen worden. Einem puren Zufall, der mich zu ganz ungewohnter Zeit dort vorbeigeführt hat, hat er's zu verdanken, daß er nicht völlig erfroren ist; zu drei Viertel war er's schon. Seit damalen hat er immer eine geladene Pistole an der Wand beim Bett hängen gehabt. Auf diese geht die Resel zu, nimmt sie vom Nagel und spannt: ›Toni, ich muß heim, ich hab's dem geistlichen Herrn versprochen, ich kann aber nicht kommen ohne dir. Kommst mit, Toni – willst?‹

In ihm hat alles gezittert, weil sie einen so entschlossenen Ausdruck gehabt hat, aber er wird sich doch nicht imponieren lassen, er, mit seiner Kurasch. – ›Kommst mit?‹ – Das ist kein Bitten mehr, und jetzt droht sie: ›Willst?‹ – Er schreit, er weiß nicht was – er fürchtet, daß er: ›Nein‹, daß nämlich der Böse: ›Nein‹ aus ihm geschrien hat, und stürzt auf sie zu und will ihr die Pistolen aus der Hand reißen. Das hätt ihm freilich früher einfallen sollen. Die Resel stürzt zusammen, hat sich in die Brust geschossen, die Kugel sitzt in der Lungen... Jetzt ist dem Teufel seine Arbeit fertig, jetzt laßt er los. Dem Toni geht das Herz auf und gehen die Augen über. Er wirft sich neben ihr hin... Die Welt, wenn sie sein wäre, nämlich, den Himmel, wenn er ihn hätte, alles gebet er, um daß sie gesund werden möchte, seine Geliebte, er spürt es wohl: seine Vielgeliebte. Und holt Decken und einen Polster und legt sie so vorsichtig darauf, als ob sie ein bis zum Rand gefülltes Glas wäre, aus dem um Gottes willen kein Tropfen ausgeschüttet werden darf. Aber sie sagt mit einer großen Müh: ›Geh, du bist schlecht... Ach, Vater – ach, Mutter!... Ach, du Schlechter, laß mich wenigstens nicht sterben wie ein Tier – ruf mir den geistlichen Herrn‹... Und er fort. – Ein Felsstück, das von der steilen Wand abspringt, wäre nicht früher unten gewesen. Ohne anzuklopfen, stürzt er dem Herrn Kaplan ins Zimmer, findet ihn nicht allein, seine Behörde, der Herr Dechant von Marienhöhe, sitzt bei ihm. Natürlich bringt der Toni trotzdem seine Sache vor. Der Pater Vitalis wird leichenblaß und muß sich an ihn anhalten, daß er nicht umfallt, nämlich. Dennoch sagt er: ›Stütze mich – komm‹, und will in die Kirchen um das Allerheiligste; kann nur nicht, ist zu schwach. Der Herr Dechant führt ihn zu einem Sessel und erkundigt sich genau, was denn sei? Dann meint er: ›Wie? das Allerheiligste hinauftragen an die Stätte, wo alles Heilige mit Füßen getreten worden? Unmöglich. Bringt erst die Verwundete ins Elternhaus zurück, zu Buße und Entsühnung...‹ – ›Ja, bringt sie‹, sagt auch der Herr Kaplan... ›Aus dem Elternhaus hat sie als Braut zu mir kommen sollen, sich meinen Priestersegen abholen zu einem neuen Lebensweg; im Elternhaus will ich ihr die Reisezehrung reichen zu ihrem letzten Gang.‹

Von da an habe ich alles selber mitgemacht, nämlich, bin neben der Tragbahre hergegangen, auf der sie gelegen ist und hat nichts als gebetet. Manchmal habe ich mich zu ihr gebückt. ›Nun, wie fühlst dich?‹ – ›Ach, Herr Onkel, als eine große Sünderin.‹

Wir haben sie also heimgebracht und auf das Bett der Mutter gelegt, weil die es so verlangt hat. Kein Auge hat die Resel von ihr abgewendet, außer um den Vater anzuschauen; und hat die Händ von beide in ihre Händ gehalten und gesagt: ›Ihr... ‹ und immer wieder: ›Ihr...‹ Es war leicht zu verstehen, was das geheißen hat, nämlich: Ihr seid das Gute, das Beste. Niemand hat mich liebgehabt wie ihr: Ich bereue! ich bereue!... Ach, daß ich doch nicht fort müßte, daß ich doch bei euch bleiben könnte. – Mein Bruder hat laut geantwortet auf ihre stummen Reden: ›Es wird keine lange Trennung sein, wir kommen dir bald nach.‹ – Nun hat der Geistliche sich genähert und ihr zugesprochen mit herrlichen Worten. Dann ihre kurze Beichte gehört, und ist eben im Begriff gewesen, ihr die Absolution zu erteilen, als ein Krakeel vor der Tür entstanden ist. Es will nämlich einer herein, den andere abzuhalten suchen.«

»Der Toni«, sprach die Gräfin.

»Ja. Man hört ein paar Leute schreien und hinfallen, und die Tür geht auf. Keiner hat sich umgeschaut, nur ich. Da seh ich ihn, wie er kniet... Hochgräfliche Gnaden, ich habe viel gesehen in meinem langen Leben, so etwas nicht wieder. Der rechte Schächer, wenn man den vom Kreuz abgenommen hätte, bevor der göttliche Erlöser ihm Vergebung verheißen – dem sein Ebenbild war er. Wohl bin ich aufgesprungen, nimm ihn beim Kragen und will ihn hinauswerfen. – Aber er, den ich sonst mit einem Finger an die Wand gedruckt habe, erwehrt sich meiner und rutscht auf seine Knie bis mitten ins Zimmer. Seine Zähne haben ihm geklappert, dicke Schweißtropfen sind ihm über die Wangen gelaufen, seine Augen waren trocken wie Feuer. ›Resel!‹ sagt er, ›verzeih mir!‹ Sie horcht. – ›Verzeih mir!‹ wiederholt er, schleppt sich bis ganz in die Nähe von ihrem Bett und schlagt mit der Stirn auf den Boden. Der Herr Kaplan wendet sich ab, die beiden Eltern pressen die Gesichter in das Kissen, auf dem die Resel liegt. Sie faßt mit der einen Hand die Mutter um den Hals und mit der andern deutet sie auf den Schächer.

Alles Irdische war von ihr abgefallen, sie hat ihn mit so einem sanftmütigen Mitleid angeschaut... ›Vater – Mutter – Hochwürden... das ist ein armer Mensch...‹ Und nimmt ihre letzte Kraft zusammen: ›Vater – Mutter – Hochwürden, erbarmt euch seiner...‹

›Mein Kind, denke jetzt nur an den Ewigen, vor dem du bald stehen wirst‹, beschwört Vitalis – ›denk an das Heil deiner Seele.‹

Aber sie sagt: ›Mein Leben lang habe ich um Verzeihung gebeten, jetzt bittet einer mich, und ich soll sie ihm verweigern?‹

›Dein Heiland, mein Kind, begehrt einzuziehen in dein Herz – empfange deinen Heiland, mein Kind.‹

›Zuerst verzeihen‹, antwortet sie und richtet ihre halbgebrochenen Augen auf den armen Sünder: ›Ich verzeih dir, Toni, und wenn auch Gott mir nicht verzeiht – ich verzeih dir.‹

Damit ist sie hinüber.«

»Tot?«

»Tot, und hat über die Versöhnung mit einem Menschen die Versöhnung mit ihrem Schöpfer versäumt. – Wir stehen vor ihr, ich und die Eltern nämlich, und starren sie voller Entsetzen an, und doch wieder nicht, weil sie daliegt und lächelt, so friedlich wie ein unschuldiges Kind. Der Pater Vitalis ist am frühesten zur Besinnung gekommen, hat sich mit einer wunderbaren Kraft aufgerichtet, die Arme zum Himmel emporgehoben und laut und inbrünstig gebetet: ›Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.‹«

»Arme Resel!« hub die Gräfin nach einer langen Pause an... »und was ist aus ihrem unglückseligen Geliebten geworden, lebt er noch? Ich möchte ihn kennen, den Toni.«

»Kennen ihn ohnehin«, erwiderte der Förster. »Ist derselbe, der Hochgräfliche Gnaden heute geführt hat auf der Jagd.«

»Der war's – der?« – Jetzt besann sie sich. Der hartnäckige Schweiger mit dem finstern Blick, in dessen Nähe ihr fast unheimlich zumute gewesen, hatte eine flüchtige, rasch verjagte Erinnerung in ihr geweckt – die Erinnerung an einen, den zu vergessen ihre Pflicht war.


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