Marie von Ebner-Eschenbach
Oversberg
Marie von Ebner-Eschenbach

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O wie gern hätt er den Schwiegersohn geliebt und den Oversberg nicht gemocht! Es war jedoch – was er sich selbst und den anderen auch vorzuschwindeln suchte – das Umgekehrte der Fall. Und nun die Angst, daß Frau Lene ihm's nachmachen könnte! Eine begründete Angst... Herr Jesus, was mag die ausgestanden haben, die Frau!«

Der Inspektor sagte das ganz wehmütig, ohne die geringste Spur von Schärfe. Überhaupt, wenn er von Frau Lene sprach, geschah es immer mit verhaltenem Schmerz, und der derbe Mann fand Ausdrücke, um ihre Empfindungen zu schildern, die ich nicht imstande bin aus der Erinnerung wiederzugeben, über deren Zartheit ich aber staunte. Er muß sie sehr verehrt haben. Dafür hat er Herrn Robi kräftig gehaßt und beurteilte ihn vielleicht doch gar zu hart.

»Wissen Sie«, sprach er, »im Innersten zuwider war ihr der Herr Gemahl; ihr Gesicht veränderte sich, wenn er ins Zimmer trat, ihre Stimme hatte einen anderen Klang als sonst, wenn sie mit ihm sprach.

Einmal stand sie vor dem Schmetterlingskasten mit ihrem Vater, der ihr und mir eine Vorlesung hielt über den neuesten Fang, den er getan. Da schlich Herr Robi von rückwärts mit großen, leisen Schritten an sie heran und gab ihr plötzlich einen derben Kuß ins Genick.

Sie zuckte, sie wurde Ihnen wie die Wand, ein Gruseln durchlief sie vom Wirbel bis zur Sohle, und jetzt, denk ich – jetzt fällt sie hin und wird ohnmächtig. Doch nahm sie sich zusammen und sagte nur: ›Wie hast du mich erschreckt!‹ -

Es war aber nicht Schrecken, was sie gepackt hatte, es war Grausen – Ekel... Es war, was die Leute, die an Katzenscheu leiden, empfinden müssen, wenn ihnen eine Katz in die Näh kommt. Ich hab's ein paarmal mit angesehen.«

»Was das für Sachen sind! Mit solchen Sachen sollt die Meinige mir kommen«, brummte der Kontrollor, »die würd ich ihr austreiben. Hat denn der gnädige Herr von Siegshofen nichts gemerkt von diesen Sachen?«

»Doch! Momentan ist ihm's aufgegangen. Aber wie solche Leute sind: Wegschieben das Unangenehme – wegschieben! Wenn er sich's zugegeben hätte – was für Ungelegenheit konnte daraus erwachsen. Am Ende gar eine Scheidung. Gott behüt's! Da fand er's viel bequemer und auch schmeichelhafter zu denken: Mir ist sie recht, warum soll ich ihr nicht recht sein? – und den zärtlichen und geliebten Gatten spielen.

Und sie hatte eine Geduld mit ihm – eine himmlische!

Seine albernen Launen, sein fippriges Wesen, das läppische Getue, das er manchmal hatte, brachten sie nie außer sich. Sie muß seine Dummheiten schon gekannt haben und immer drauf gefaßt gewesen sein, und ein so erfinderischer Kopf war er trotz seiner Unstetheit nicht, daß er sie mit einer neuen hätte überraschen können.«

Hier machte der Generalinspektor eine Pause und fuhr erst nach längerer Zeit mit sichtlicher Selbstüberwindung fort: »Ganz anders freilich war sie gegen Oversberg. – Mit allen Menschen immer dieselbe, gegen ihn ungleich, sehr ungleich.

Beim ersten Wiedersehen – als ob sie vor ihm in den Boden sinken möchte aus Scham, bald darauf, als ob sie ihn gleich zur Rechenschaft ziehen werde wegen einer schweren Schuld.

Was einem alles einfällt, wenn man anfängt, sich zu erinnern an die alten Geschichten! Kleinigkeiten – nicht der Rede wert, meint man, und haben einen doch so tief hineinschauen lassen in diese Menschen!

Unter anderem zum Beispiel das. Es war nach einem Diner, zu dem auch Oversberg und ich geladen gewesen sind. Alle übrigen Gäste hatten schon ihren schwarzen Kaffee bekommen, nur er noch nicht. ›Kriegt der nichts?‹ fragte Herr Robi und zeigte mit dem Finger auf ihn. ›Was hat er denn angestellt, daß er nichts kriegt?‹

Sie wird Ihnen furchtbar rot, schenkt schnell ein in die leere Tasse, die noch vor ihr steht, nimmt sie, geht damit auf ihn zu und sagt überflüssig laut: ›Verzeihen Sie, Herr Oversberg, ich habe Sie ganz vergessen.‹

Vergessen! – Ich bin in einer Ecke gestanden und habe meine Beobachtungen gemacht und den Kampf gesehen, den sie geführt hat in der Stille... Vergessen! – die ganze Zeit nichts anderes gedacht als: Wie bring ich das: Herr Oversberg, Ihr Kaffee, in einem natürlichen Ton und just so heraus, wie ich gesagt habe: Herr Der und Herr jener, Ihr Kaffee. Wohl zehnmal die Lippen geöffnet und nach der Tasse die Hand ausgestreckt und sich nicht entschließen können und sie wieder zurückgezogen... Jetzt aber plötzlich aufgesprungen, die unglückliche Tasse ergriffen, gezittert, daß man das Löfferl klirren hörte, auf Oversberg zugegangen und ihm eine Lüge und eine Unart hingeworfen. Es ist aber kaum geschehen, so erschrickt sie, erschrickt zum Sterben.

Alle sind aufmerksam geworden und stutzig über ihr verstörtes Wesen. Der Oberstleutnant hat am Schnurrbart gekaut und einen Moment nicht viel weniger wild dreingestarrt als an dem gewissen Tage, an dem er uns wie tot hingeschlagen ist... Herr Robi lacht, der Esel, über die Verlegenheit, in die er seine Frau gesetzt hat. Einen Schabernack tut er ihr ja immer gern an, muß doch eine kleine ordinäre Rache nehmen für die Gedanken, die er sich ihretwegen in seinen lichten Stunden macht.

Der einzige, der unbefangen geblieben ist, war Oversberg. Zugleich mit Frau Lene ist er aufgesprungen und ihr entgegengeeilt. ›Aber Robi‹, sagt er, ›ich bitte dich.‹ Und zu ihr: ›Aber ich bitte Sie, gnädige Frau‹, und die Tasse nimmt er ihr so ruhig aus den Händen, wie wenn rein gar nichts wäre; höchstens, daß er es vermieden hat, sie anzusehen.

Dieser scheinbaren oder vielleicht wirklichen Ruhe verdankte er die Herrschaft, die er über die anderen gewann. Ich habe nie einen schwachen Menschen gesehen, an den so viele sich angelehnt hätten. Der Oberstleutnant und Herr Robi eingestandenermaßen, Frau Lene unwissentlich und widerstrebend, und das Kind, sobald es jappen konnte, jappte es: ›Herr Oversberg!‹ – Lief hinter ihm her wie ein Hündlein. Beim Erwachen: ›Ich will zu Herrn Oversberg!‹ Zu Mittag, wenn man's zum Essen zwang, denn von selbst wollt es nicht – unter Tränen: ›Aber dann zu Herrn Oversberg!‹ – Und der Kleine – zwischen dem dritten und vierten Jahre hat er sich etwas herausgemaust, wir meinten schon, wer weiß, vielleicht bringen sie ihn doch auf -, der Kleine wurde nach und nach sein Leben. – ›Wie Sie ihn verwöhnen!‹ sprach Frau Lene von Zeit zu Zeit und war eifersüchtig auf ihr eigenes Kind, schmerzlich eifersüchtig, und Eifersucht ist eine große Qual... ›Wie Sie ihn verwöhnen!‹ – Dazu hatte sie sich seine Art zu lächeln angewöhnt. So ein armes Lächeln war Ihnen das und bedeutete: Nur zu! Was ich mir wünsche, darf ich ja doch nicht haben.

›Ich bewundere Ihre Tugend‹, sagte ich einmal zu Oversberg – weiß nicht mehr, bei welcher Gelegenheit.

Er machte ein ordentlich strenges Gesicht: ›Tugend, Herr Verwalter? Wenn ich nur ein wenig anders handeln würde, als ich's tue, wäre ich ein Schuft. Merken Sie wohl: Nicht, wenn ich das Gegenteil von dem täte, was ich tue, nein, schon dann, wenn ich nur ein wenig anders handeln würde. Das ist ein großer Unterschied. Merken Sie wohl!‹ wiederholte er, ›und kein Schuft sein ist noch lange nicht Tugend, wie Sie sagen. Ich mag das Wort nicht.‹

›Nicht?‹ Ich gönnte mir's, ihn steigen zu lassen, und stellte mich ganz erstaunt: ›Sie sind also einer, der seinen eigenen Namen nicht hören will.‹«

Der Inspektor hielt wieder inne, noch länger als früher, bevor er von neuem begann: »Ein paar Jahre, mich hat's gewundert genug, ist nichts geredet worden über Frau Lene und Oversberg. Indessen, Sie können sich denken, der Tratsch am Land! – Die Leut haben halt doch zu munkeln angefangen.

Im Schloß war eine Kammerjungfer, nicht übel, nur daß sie immer schief lachte, mit dem halben, nie mit dem ganzen Munde. Arbeitsam, famos in ihrem Fach, anständig, ehrlich, aber – eine Viper. Die beehrte mich mit ihrem Vertrauen. Frau Verwalterin werden hätte ihr gepaßt. Immer wußte sie etwas Neues, und so giftig kam Ihnen bei ihr alles heraus!

Nun, einmal, ich denk's wie heut, begegn' ich ihr, es war an einem recht kühlen Vormittag im März, in der Nähe des fürstlichen Tiergartens. Sie hat einen Besuch bei der Försterin abgestattet. Wir bleiben beide stehen, und sie macht gleich ihre Schlangenaugen und erzählt von dem Schrecken und der Gemütsbewegung, die sie vor ein paar Stunden gehabt hat. Sie war im Schlafzimmer der gnädigen Frau beschäftigt (mit Horchen natürlich); nebenan im Salon saß der Oberstleutnant bei seiner Tochter und sprach laut und zornig. Seine ›Wohl, wohl‹ nahmen schrecklich überhand. Hatten einen Vortrab bekommen, eine Menge, ›Wo‹. Wenn er sich ärgerte, wurde ein förmliches Bellen daraus: ›Wo, wo, wo, wohl!‹ Die Zofe behauptete, just die Ohren hätte sie sich verstopfen müssen, um nicht jedes Wort zu verstehen, als er Frau Lene unter gehöriger Wo-wohl-Begleitung andonnerte: ›Ein Unrecht... das allerkleinste... und, du weißt... meine Pistolen liegen noch immer da.‹

Sie lachte krampfhaft und sagte – gewiß nicht laut, aber die Viper hat eben gehorcht: ›Ich weiß, und weiß auch, daß du mich langweilst mit deinen Pistolen. Meinetwegen können sie ruhig liegenbleiben. Eh du dich meiner schämen brauchst, Vater, stehst du an meinem Grab und weinst um mich.‹

Darauf wollte die Kammerkatz mehrere ›Wo-wohl‹ gehört haben und dann ein Stöhnen und Wimmern wie von etwas Angeschossenem und das Stürzen eines schweren Körpers. Sie sogleich, und gestand es auch ganz ungeniert – das Auge am Schlüsselloch.

Was sieht sie? – Der Oberstleutnant liegt auf den Knien vor seiner Tochter, die beim Fenster sitzt, mit dem Rücken gegen die Türe. Der Alte ringt die Hände, Bäche von Tränen laufen ihm über das Gesicht... Wie sie ihm auch zuredet und ihn bittet aufzustehen, er tut's nicht, er will nicht, er kommt nur immer tiefer hinein in seine Angst und Verzweiflung, schluchzt und beschwört: ›Glücklich sein! Leben, mir zulieb glücklich sein... Nicht sterben, meine Lene, nicht sterben!...‹«

Der Inspektor unterbrach sich plötzlich, und es war, wie wenn die Spannung, die aus den vielen auf ihn gerichteten Augen sprach, ihm ein gewisses Unbehagen verursache; er richtete die seinen auf ein Bild unserer großen Kaiserin Maria Theresia, das ihm gegenüberhing, und sagte gepreßt und nachdenklich: »Sechzehn Wochen später, auf den Tag, starb Frau Lene. Dreiundzwanzig Jahre alt, im sechsten ihrer Ehe.«

»Sie hat sich gewiß zu Tode gekränkt«, sagte ich, und der Oberförster sprudelte heftig heraus: »Ja, just! Das ist auch etwas Neues, daß sich die Leute zu Tode kränken. Zu meiner Zeit haben wir gelitten wie die Hunde und sind dabei gesund geblieben wie die Fische.«

»Und was soll ihr denn gefehlt haben?« erkundigte sich der Kontrollor, so böse und so bissig, als ob er ihr nicht einmal das Recht auf eine Krankheit, an der sie sterben durfte, zugestanden hätte.

Der Inspektor zuckte die Achseln: »Röserln auf den Wangen gehabt, gefiebert. – Der Doktor, so einer wie die Landärzte gewesen sind vor vierzig Jahren. Wenig Kunst, viel Erfahrung, voll Devotion vor allem, was in Schlössern wohnt; der Doktor also sprach sich nicht aus. Er war auf das Schweig- und Vertuschungssystem des Herrn Robi eingeschustert. Erst einen Monat vor ihrem Tode hat man angefangen, sie als eine Kranke zu behandeln... Und sie, sich's nicht gefallen lassen wollen, selbst da noch nicht; sich geschleppt, auf die Gesunde gespielt, viel heiterer gewesen als je zuvor, und viel zärtlicher mit ihrem Kinde.«

»Und vielleicht auch mit...« begann der Kontrollor und wollte dazu eine Prise nehmen. Aber seine flammend rote Nase hatte sich umsonst auf den bevorstehenden Genuß gefreut, und seine Rede blieb unvollendet.

Ein: »Herr Kontrollor!« in dem wenigstens einige Dutzend R bedrohlich knatterten wie Kleingewehrfeuer, schnitt ihm dieselbe ab.

Der Herr Dechant hatte gesprochen.

Fast unmerklich dankte ihm der Inspektor mit einem raschen Blick und sprach: »Oversberg war in dem Jahre wenig in Siebenschloß; blieb fern, hielt's nicht mehr aus in der Nähe Frau Lenes. Die Arme mit ihrem Schutzengel! Der Schutzengel war immer auf der Flucht vor ihr.«

»Der die Versuchung flieht, der ist der Held«, flocht der geistliche Herr ein.


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