Marie von Ebner-Eschenbach
Oversberg
Marie von Ebner-Eschenbach

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Es entsteht ein seltsamer Streit zwischen ihnen. Sie begreift nicht, was ihn wegtreibt, sie begreift es nicht, sie begreift nur, wenn man jemanden liebhat und wird nicht mit Gewalt von ihm fortgerissen, bleibt man bei ihm. Und er begreift – sie weiß nicht, was sie ihm zumutet, weil sie ein Kind ist, leidenschaftlich und unschuldig. Herrn Robi muß sie heiraten, weil ihr Vater es will – daß sie ihren Albrecht darüber verlieren soll, sieht sie nicht ein. Warum – warum denn?... Wie sie jetzt miteinander existiert und ihren Krankendienst besorgt haben, wollen sie weiterexistieren, das ist in ihren Augen das Zusammenleben von Liebenden. – Oversberg ringt die Hände: ›Lene, Lene, wenn Sie nicht wären wie ein Kind – Sie könnten das von mir nicht verlangen!‹ – Und sie mit gewaltsam unterdrücktem Schluchzen – unheimlich, versicherte der Oberstleutnant, war das Geflüster, aus dem ihre schreiende Herzensangst heraustönte. Im Grunde, wie schon die Frauen sind, sagt sie immer dasselbe: ›Wenn Sie mich verlassen, haben Sie mich nicht lieb.‹ Da bricht er endlich aus: ›Nur zu lieb – ich muß fort, weil ich Sie zu lieb habe. Sie verstehen das noch nicht, aber Sie werden das verstehen. Gott, mein Gott – ein anderer wird es Sie lehren!‹ Damit wendet er sich und will davonstürzen.

Lene ist mit dem Rücken gegen das offene Fenster gestanden, ihre Gestalt – die war Ihnen schlank und biegsam wie eine Gerte und dabei kräftig – hat sich scharf abgehoben vom noch etwas beleuchteten Abendhimmel. Zufällig hatte sie die Arme just ausgebreitet und drückte die Handflächen an die Fensterflügel, und wie der Oberstleutnant verstohlen zu ihr hinübersah, ist sie ihm vorgekommen wie eine Gekreuzigte, und da hat er einen schweren Gewissensvorwurf verspürt und gedacht: Ich bin's, der sie jetzt ans Kreuz schlagen muß, weil ich ihr früher nichts versagen konnte.

In dem Moment sprach die Kleine auf einmal: ›Albrecht, Albrecht!‹ und er blieb stehen, ›Wissen Sie, wie mir jetzt ist? Ganz wie in Kindertagen. Wenn ich schlimm war, und ich war oft schlimm, und wenn meine liebe schwache Mutter nicht ein und aus wußte mit mir, griff sie zu ihrem letzten Mittel und sagte: Arme Lene, jetzt ist dein Schutzengel fort – ich hab ihn fliegen gesehen. – Da kam ein Gefühl über mich von trostloser Verlassenheit. Ich habe es lange nicht mehr gehabt – jetzt ist es wiedergekommen.‹

Er ist gerührt, spricht hin und her – ich weiß nicht was – allerlei, nur nicht das Richtige. Daß seine Mannesehre ihm befiehlt, sich zu verabschieden, scheint ihm nicht eingefallen zu sein.«

»Mannesehre, Herr Inspektor?« fiel ihm der Dechant mit großer Wucht in die Rede. »Hier muß ich eine Bemerkung machen. Mit dieser Mannesehre ist das so eine Sache. Im Evangelium habe ich nie etwas von ihr gelesen, und überhaupt nicht in der Vulgata und ebensowenig in der Thora.«

»Tut mir leid um diese Törin, oder wie sie auf lateinisch heißt«, warf der Inspektor ärgerlich hin. »Zur Sache! – Lene erging sich nun in den bittersten Vorwürfen: – ›Sie haben mich ins Unglück gestoßen, und jetzt verlassen Sie mich.‹ – Gut, gut, er möge gehen; sie wird sich schon zu helfen wissen, sie wird sterben.

›O Lene, sterben ist nicht so leicht!‹ gab er ganz durchdrungen zur Antwort und meinte natürlich – sonst wäre ich tot. Doch sie mißverstand ihn und versetzte: ›Lieblos sind Sie, lieblos... Sie wollen nur fort... wie mir das tut, kümmert Sie nicht... Ich bin eine Närrin, daß ich da bitte und bettle... So gehen Sie denn – gehen Sie, wenn Sie das Herz dazu haben. Ich aber, ich sage ihnen, ich werde daran sterben, weil ich will, und ich kann, was ich will.‹

Eine Weile ist es ganz still geblieben, und endlich fragte Oversberg sehr leise und sehr zögernd: ›Wenn ich bliebe, Lene, würden Sie dann nicht mehr sterben wollen?‹

Und sie gab mit dem vollen Ton der Freude zur Antwort: ›O nein, nicht mehr, alles würde ich dann ertragen, alles und leicht... ich würde leben und – gern.‹

- Und gern... armes Ding! Dieses Versprechen hat sie nicht gehalten. Wieder ist eine lange Pause gewesen; endlich sagte er: ›Ach, Lene, Sie sind stark, und ich bin schwach. – Ich bleibe, Lene!‹

Ist Ihnen denn richtig auch geblieben.«

 

»Herr Inspektor«, rief ich aus – ich weiß nicht, wo ich die Kühnheit dazu hernahm -, »ich wäre auch geblieben.«

Die Herren lachten und witzelten, und zwar keineswegs fein; und der Inspektor beschämte mich recht grausam , indem er wegwerfend zu mir sagte: »Schön von Ihnen. Freilich, eine Dummheit findet immer Gesellschaft, die Klugheit steht allein. Hören Sie weiter. Den Oberstleutnant hatten alle mit dem Abschied von seiner Tochter verbundenen Aufregungen sehr zurückgeworfen. Er seufzte in einem fort nach seiner ›Krankenwärterin‹, wie er den guten, guten Oversberg nannte, und der ließ sich halt wieder als solche bei ihm anstellen. Nebenbei besorgte er seinen Umzug in einen Bauernhof, den er, teuer genug – natürlich, wozu wären Leute von seinem Schlage auf der Welt, wenn nicht um übers Ohr gehauen zu werden? -, erstanden hatte. Das Haus machte ihm wenig Sorge, nur gerade daß es nicht hereinregnete und daß es ihm nicht über dem Kopf zusammenfiel, mehr verlangte er nicht. Er war nie drin, immer draußen. Der Boden muß ihm kurios gebrannt haben unter den Füßen, schon gar in der ersten Zeit nach der Rückkehr der jungen Eheleute. – Was er sich Ihnen da herumgetrieben hat in Wind und Wetter! Von uns aus ins Gebirg – ›s ist eine schöne Distanz. Tag für Tag war er dort – auf der Jagd, hat's geheißen, immer auf der Jagd...‹«

»Nun ja, ein solcher Jäger«, meinte der Oberförster, »wahrscheinlich nichts treffen wollen, aber vielleicht was fangen – Grillen vielleicht.«

Der Kontrollor, der Herrn Oversberg schon deshalb haßte, weil eine Tochter um seinetwillen ihrem Vater den Gehorsam gekündigt, bemerkte bissig: »Die weiten Spaziergänge dürften seinem schönen Teint (er sprach Tent) geschadet haben.«

»Angeraucht hat er sich nach und nach schon«, versetzte der Herr Inspektor. »Seine rosenfarbigen Wangen sind so dunkel geworden, daß man's nicht mehr merkte, wie ihm das Blut hineinschoß, wenn die Rede auf Frau Lene kam. Anfangs hatte man immer gehört, daß Herr von Siegshofen und Gemahlin um Weihnachten wieder dasein sollten. Der Oberstleutnant zählte einem, wenn man ihn besuchte, die Tage und Stunden vor, die ihn noch vom Wiedersehen mit seiner Lene trennten. Auf einmal wurden deren aber so viel, daß er das Zählen bleibenließ. Herr Robi hatte geschrieben, er habe einen Husten, müsse etwas für sich tun und werde auf ärztlichen Rat den ganzen Winter im Süden zubringen. Im Mai kamen seine Eltern nach Siebenschloß, ihn da zu erwarten. Dem Vater machte der Husten bang, von dem er in jedem Brief ausführlich berichtete, die Mutter legte der Sache keine Bedeutung bei und behielt recht, denn als der vielgeliebte Sohn heimkehrte, sah er so gut aus, als er überhaupt aussehen konnte.

Die Lene hingegen – eine solche Veränderung wie an der habe ich – in doch verhältnismäßig kurzer Zeit – an einem zweiten Menschen nie erlebt. Als ein herrliches, stolzes, blühendes Kind war sie gegangen, als eine blasse, stille, scheue Frau kam sie zurück... So scheu und fremd und wie hinausgeschoben aus der Welt... und nirgends weniger zu Hause als in ihrem eigenen Haus, und das ist ihr geblieben bis zu ihrem, zum Glück für sie, frühen Tod.

›Was ist ihr – was ist meiner Lene?‹ fragte der Oberstleutnant, und der Schwiegersohn schmunzelte: Was soll ihr sein? Er hat nichts bemerkt; sie klagt nicht. Daß sie eben nicht besonders hübsch aussieht, hat natürliche Ursachen. Diese waren allerdings vorhanden. Im Spätsommer genas sie eines Knaben. Gott im Himmel, das war Ihnen ein Stammhalter! – Faustgroß. Kein Jahr wird er alt, meinte die weise Frau, und der Doktor machte das bedenklichste Gesicht. Davon durfte man jedoch nichts hören und nichts sehen, sondern mußte tun, als ob man den armseligen kleinen Krietsch für ein kräftiges Kind halten würde. Und als Frau Lene vom Wochenbett aufstand, mußte man finden, sie sei wieder völlig aufgeblüht in Frische und Gesundheit. Förmlich erpreßt wurde einem das durch den Oberstleutnant und die Herren von Siegshofen. Nur die Schwiegermutter, die meistenteils mit niedergeschlagenen Augen umherging, sah nicht, was sie zu sehen wünschte, sondern was war. Worte hat sie allerdings darüber nicht verloren, es ließ sich nur aus ihrem liebevollen Benehmen gegen die Schwiegertochter erkennen. Sie machte sich auch in bezug auf ihren Robi nichts weis, tadelte ihn sogar in Gegenwart anderer Leute. Das nahm er denn immer auf wie ein Unrecht, das ihm geschah, und schrieb's einem Mangel an mütterlicher Liebe zu. Im Zaum hielt es ihn aber doch ein wenig. Freilich dauerte das nicht lange. Der alten Dame war der Kampf peinlich, und sie machte sich aus dem Staube. Sobald Frau Lene die Führung des Hauses wieder übernehmen konnte, trieb die Mutter Siegshofen zur Heimkehr nach Wien, und nun stand es Herrn Robi frei, zu tun und zu lassen, was ihm einfiel, ohne daß jemand auch nur ›Pah‹ dazu gesagt hätte.

Erst hatte es ihm beliebt, herumzukommandieren und den Herrn zu spielen in Siebenschloß. Wem Gott die Besitzung gibt, gibt er auch den Verstand, sie zu administrieren, wird er wohl gedacht haben. Aber der Verstand, den er gebraucht hätte, wollte ihm nicht wachsen. – Allerhöchste Zeit, der miserablen Wirtschaft, die sogar einen Fremden jammerte, ein Ende zu machen, der nervus rerum war vorhanden, aber – wie packt man die Geschichte an? Herr Robi wußte es nicht, und seine Verlegenheit den Beamten einzugestehen genierte er sich. Kein Wunder am Ende, daß er den Weg zu demjenigen fand, vor dem sich niemand geniert hat, zu – Oversberg.«

»Und der hat da gleich angebissen!« rief der Oberförster.

»Das heißt, wie er schon war – nach seiner Manier. Wir haben sein Vorgehen immer das stille Regiment genannt. Befehlen konnte er nicht« – der Inspektor sagte es lächelnd -, »er machte nur Vorschläge.«

Wir waren alle ergötzt, und der Verwalter, der eben wieder einen Kampf mit seiner Weste bestanden hatte, sprach: »Vorschläge? – Gar nicht übel. Ich will mir das auch angewöhnen: Ochsenknechte, wie wär's wenn ihr euer hungriges Vieh füttern und euch dann erst euren Abendrausch antrinken würdet? – Arbeitsleute, meine Lieben, spielend leicht könntet ihr fertigwerden mit dem Binden – ein Landregen droht, und morgen ist Sonntag. Überlegen wir, ob's nicht besser wäre zuzugreifen, statt zu faulenzen – und – und...«

»Herr Verwalter«, unterbrach ihn der Dechant in der Fortsetzung seiner Und -, »wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.«

»Brauchen sich seiner nicht annehmen«, versicherte der Inspektor, »es will niemand sein Verdienst schmälern. Er hat manches ausgerichtet, wie schon gesagt – auf seine Art. Wo er mitgeholfen hat, da ist – merkwürdig! – den andern allerlei Gutes eingefallen, bei dessen Ausführung er Ihnen immer gleich mit Hand anlegte. Leid war ihm nicht um sich selbst, zu gering hat er eine Arbeit nie gefunden. Nach und nach developpierte er sich als recht leidlicher Ökonom, hatte übrigens viel Glück, verließ sich drauf, und durfte sich drauf verlassen. – ›Ihnen trägt ja der Windhafer Weizenähren‹, habe ich mehr als einmal zu ihm gesagt... Und dann – brave Leute! ja, die hatte er, und das war eigentlich sein Hauptglück.«

»Wird es nicht vielleicht auch sein Verdienst gewesen sein, daß er sie zu finden wußte?« fragte der Dechant, und der Inspektor erwiderte: »Ja, gewiß. – Herr Robi stützte sich endlich ganz auf ihn. Es kam soweit, daß er nicht mehr dahin zu bringen war, eine Unterschrift zu geben, eine Rechnung zu bezahlen, ohne bei Oversberg angefragt zu haben: ›Soll ich?‹ Dabei – man möcht's nicht glauben – fühlte er sich als dessen Wohltäter. ›Denn‹, sagte er – ›ich geb ihm eine Stellung.‹ Und dann machte er einen wichtigen Buckel, wiegte den Kopf und setzte hinzu, so von oben herunter: ›Ich tue gern etwas für ihn. – Sie wissen ja – der Arme – - er war halb und halb verlobt mit meiner Frau. – Aber – - sie hat mich vorgezogen.‹ – Das war wieder seine Manier; wer ihn ansah, stand in seiner Schuld. Er hatte sich nie bei jemandem zu bedanken... Und ein solches Weichtier! Hielt nichts aus und hielt nichts fest. Alle paar Wochen eine andere Liebhaberei, und immer großartig betrieben, Rudersport, Bienenzucht, Astronomie, die Jagd... Auch aufs Künstlerische hat er sich geworfen. Entdeckt Ihnen, daß ein großes Talent zum Bildhauer in ihm schläft und daß er bisher nur nichts gemerkt hat von dem Gottessegen. Sofort werden einige Zimmer als Atelier eingerichtet, und ein Lehrer kommt aus Wien. Sie, der hat's verstanden! Hat in Siebenschloß ein paar Sachen gemacht – eine Büste von Herrn Robi und eine vom Oberstleutnant und eine vom Stammhalter – schon prächtig! Auch Frau Lene hätt er machen sollen – das ist ihm aber nicht zusammengegangen, denn der junge Mann – ein schöner, großer Bursch war er – verliebt sich zum Wahnsinnigwerden in sie. Nicht imstande, es zu verbergen. Bei Tisch sitzt er, bringt keinen Bissen hinunter, verschlingt immer nur Frau Lene mit den Augen... Dem Herrn Robi hat's außerordentlich Spaß gemacht, daß seine Frau einem Künstler eine solche Leidenschaft einflößt. Der sanfte Oversberg hingegen ist damals aufgestanden aus seiner Gelassenheit. Zu allen Tageszeiten auf dem Schloß gewesen, sich eingefunden bei den Sitzungen, die Frau Lene im Atelier hatte. – Ja, sich hinreißen lassen, Herrn Robi vor mir zu sagen: ›Wenn du‹ – sie waren ›du‹ geworden, vermutlich wegen der Stellung – ›Ihm nicht die Tür weisest, tu ich's.‹ Und er tat's. Wie haben wir nie erfahren. Auf einmal war der Künstler abgereist mit Hinterlassung eines Abschiedsbriefes an den Hausherrn, eines Briefes, den zwar der Bildhauer geschrieben, in dem ich aber, als sie ihn mir zu lesen gaben, den höflichen Stil meines guten Oversberg erkannte. – Der trat nun wieder schön zurück in seiner Bescheidenheit, ließ sich nur zur offiziellen Besuchsstunde blicken; das war am Nachmittag, den der Oberstleutnant regelmäßig bei seiner Tochter zubrachte. Schleppte auch sein Kreuz, der Alte.


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