Marie von Ebner-Eschenbach
Oversberg
Marie von Ebner-Eschenbach

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Wenn sie das geglaubt hatte, als sie ihn sah, glaubte sie etwas anderes. Mit einer Wonne blickte er sie an und mit einer Bewunderung! Und hatte im selben Moment alles vergessen, außer daß sie da vor ihm stand, voll Jugend, Schönheit und Liebe, und daß er vierzehn Tage in ihrer Nähe zugebracht und ihren Anblick entbehrt hatte.«

Hier beging der Oberförster eine Taktlosigkeit. Er platzte heraus mit seiner plumpen Lacherei, zwirbelte seinen stichelhaarigen Knebelbart, seine Äuglein blinkten unter den herabhängenden Brauen und den immer halb geschlossenen Augendeckeln weinselig hervor, und er kicherte: »Belieben zu gestehen, Herr Inspektor, der Herr Inspektor werden selbst in das schöne Fräulein verguckt gewesen sein?«

Unser Gestrenger nahm die Dummheit übel. Sein harter Blick schoß dem Oberförster ein: Sie Lümmel! mitten ins Gesicht. »Wir wollen von etwas anderem sprechen«, sagte er, und seine Lippen drückten sich fest und klamm zu wie eine Kasse, die man absperrt.

Wir mußten lange bitten, bevor er sich wieder herbeiließ, das Wort zu nehmen: »Der Oberstleutnant fuhr seine Tochter an: Wer sie gerufen habe und wie sie sich unterstehen könne, und augenblicklich solle sie sich auf ihr Zimmer begeben. Aber das Fräulein verhielt sich nicht anders, als wenn er chinesisch zu ihr gesprochen hätte. Mein guter Oversberg hingegen, wie er die Unerbittlichkeit des alten Herrn auch seiner Lene gegenüber sieht, gibt die letzte Hoffnung auf, nimmt sich zusammen, soviel er kann, und spricht: ›Fräulein Lene, ich habe um Sie geworben, obwohl ich ja eigentlich zu alt für Sie bin – in der Überzeugung, daß ich Ihnen das Leben angenehm werde gestalten können. Das war ein Irrtum. Ich bin nicht nur zu alt, ich bin auch zu arm für Sie und gebe Ihnen denn Ihr Wort zurück.‹ -

Ei, wie sie diese Erklärung aufgenommen hat! – Wer das nicht gesehen hat – hat nichts gesehen. Das Erstaunen erst, das grenzenlose. Ihr Wort zurückgeben, er – ihr?... Steht die Welt auf dem Kopf? Gibt's keinen Verlaß, keine Treue mehr? – Und dann: ›Haben Sie nur ein Wort von mir, habe ich nicht auch eines von Ihnen?‹ interpellierte ihn das junge Ding mit dem Anstand eines Staatsanwalts. ›Fragen Sie doch, ob ich Ihnen das ihre zurückgebe.‹

Viele Jahre sind darüber hingegangen – ich kann natürlich nicht jede einzelne Rede wiedergeben, wie sie gelautet hat, im ganzen aber stimmt's. So vielerlei einem im Laufe des Lebens um die Ohren summt – es ist Unvergeßliches darunter. Der Kampf zum Beispiel, zu dem es damals kam zwischen Vater und Tochter.

Der liebe Oversberg wankte anfangs hin und her. Sprach sie, gab er ihm recht, und umgekehrt, wie sich's für einen so extra edlen Menschen gehört, der immer trachten muß, ein Exempel für alle andern zu sein. Einmal bat er: ›Fräulein Lene, fügen wir uns‹; ein anderes Mal: ›Vertrauen, Herr Oberstleutnant – etwas wert bin ich doch, ich werde mich emporringen.‹

Der Oberstleutnant sah entsetzlich aus, tauchte sein Sacktuch alle Augenblicke ins Lavoir und preßte sich's an die Stirn und kam zuletzt in seiner Verzweiflung mit allem heraus, was ihn schon lange gedrückt haben mochte. Er hatte darauf gerechnet, daß Oversberg, der Ehrenmann, seine Ansprüche auf die Hand des Fräuleins jetzt aufgeben werde, und sie dem jungen Siegshofen zugesagt. Ja, das hatte er getan – er konnte sich nicht anders helfen. Die Obervormundschaftsbehörde verlangte von ihm zum – ich weiß nicht wievielten – Mal, daß er Rechnung lege über das Vermögen, das seine Tochter von ihrer Mutter geerbt hat. Nun, er kann Rechnung legen, es ist nur eben kein Vergnügen und würde einem Schreibereien machen ohne Ende. Kurzum, er will einen Schwiegersohn, der ihn instand setzt, auf die Frage: Wo ist das Geld? antworten zu können: – Da liegt's!... Heute, wie die Sachen stehen, wüßte er nur zu sagen: Wo? – man solle doch Lene selbst fragen. Ja, er war ein schwacher Vater; was sie haben wollte, gab er ihr, und was wollte und brauchte sie nicht!... ›Bitte, sehen Sie doch selbst, wie sie herumgeht auf dem Lande. Spitzenkleid, Spitzenhut, seidene Strümpfe. Unsere Nachbarin, die Fürstin, geht in Loden – die bürgerliche Stabsoffizierstochter in Sammet... die Fürstin in Perkal – sie in Gaze und so weiter... wohl, wohl, immer wie eine Prinzessin, die auf ihren verwunschenen Prinzen wartet... Und bitte, gehen Sie doch in ihre Zimmer – überzeugen Sie sich, wie sie wohnt, und sagen Sie dann selbst, ob sie danach ist, einen Professor an einer landwirtschaftlichen Schule oder einen kleinen Pächter zu heiraten.‹

Lene erwiderte, ihr liege nichts an den Fetzen und an dem Tand, ihr liege nur an ihrem Albrecht. Sie flammte, der Oberstleutnant war in das Stadium des Weißglühens gelangt. Ganz heiser, stöhnte und keuchte er nur noch und deutete auf die Pistolen, die auf dem Schranke lagen: ›Die sind meine letzte Zuflucht, dahin treibst du deinen Vater... Entscheide – wähle: ihn oder mich.‹

Und sie macht ein Paar Augen, so recht wie ein wildes, feuriges Füllen, stampft mit dem Füßchen und ruft aus, ohne sich zu besinnen: ›Ihn, ihn! – wie kannst du nur zweifeln?‹«

»Sein eigenes Blut!« grollte der Kontrollor, der sieben schon erwachsene Kinder hat und sie in der Corda hält, daß sie nicht schnaufen können.

»Nun, ich kann Ihnen versichern«, versetzte der Herr Inspektor, »daß ich so etwas wie ein Ameisenhaufen über den Rücken verspürte bei der standhaften Erklärung des Fräuleins. – Stark, sehr stark von einer Tochter, dachte ich, was wird wohl unser Oversberg dazu sagen? und sah ihn darauf an und bemerkte, daß er die Stirn finster runzelte. – ›Onbsp;Fräulein Lene!‹ sprach er vorwurfsvoll. Zugleich vernahm ich ein Stöhnen und einen schweren Fall, der Oberstleutnant war umgesunken, hatte sich rasch aufrichten wollen, schlug ein zweites Mal hart auf mit dem Kopfe und lag da wie tot.

Großer Schrecken, kleine Überraschung – wie gesagt, ich hab es kommen sehen.«

»Und Sie haben dennoch das Fräulein, das Unglückskind, nicht aufmerksam gemacht?« fragte der Dechant. Es rollte und grollte in seinen Worten wie in einer Gewitterwolke, und seine hohe gewölbte Stirn wurde ganz rot, wie immer, wenn er mit aufsteigendem Zorn in seinem Innern kämpft.

»Nein, Hochwürden«, antwortete der Inspektor, »weil ich damals schon bleibenließ, was ich für unnötig hielt. Nun denn: wir rissen dem Ohnmächtigen die Krawatte herunter, legten ihn flach auf sein Bett, labten ihn, was wir laben konnten. Der Arzt kam, das denkbar mögliche geschah. Zwölf geschlagene Stunden blieb Ihnen der alte Mann bewußtlos, und als er endlich zu sich kam, war die Gefahr noch lange nicht vorbei. Wochenlang hing sein Leben an einem dünnen Faden. Er war nie krank gewesen, nun packte es ihn auf einmal und wollte ihn nicht mehr loslassen. Und doch wäre ich Ihnen lieber in seiner Haut gesteckt als in der des Fräuleins, so schön die war. Ihre kindliche Liebe hatte sich wieder gemeldet, zu ihrer Strafe und Qual. – Oversberg machte es ihr auch nicht leicht. ›Fräulein Lene‹, hörte ich ihn einmal zu ihr sagen, ›wenn er nicht gesund würde, wir hätten keine ruhige Stunde mehr.‹ – Merken Sie: Wir, die Hälfte der Schuld nahm er auf sich. – ›Er muß gesund werden, und was er will, muß geschehen. Nicht wahr, Fräulein Lene?‹ Sie nickte stumm: ja, sie war gebrochen, und er und sie pflegten den Alten Tag und Nacht, wie zwei Geschwister ihren Vater.

Während der Krankheit des Oberstleutnants wurde der Verkauf von Siebenschloß perfekt gemacht. Ich, damals noch ein Neuling, vertrat die Interessen Oversbergs gegen einen mit allen Salben geschmierten Kerl von einem Wirtschaftsrat, der im Namen des Herrn von Siegshofen abschließen sollte. Manchen Vorteil ließ ich mir abgewinnen, mich oft in die Enge treiben. Hatte ich einmal das Feld behauptet, und stritt der andere nur noch zum Scheine weiter, da richtig! war auch schon der liebe Albrecht da und verdarb mir alles mit seinem ewigen: ›Geben Sie nach, schließen Sie ab. Ich habe vorher gelebt, ich werde nachher leben. Der Oberstleutnant kommt zu keiner Gemütsruhe, ehe man ihm nicht den Kaufkontrakt auf die Bettdecke legt.‹

Jeder Mensch hat wohl im Leben etwas, das er sich nie verzeiht – ich habe diesen Verkauf. Die Rechnung Oversbergs war richtig. Zwanzigtausend Gulden mußten ihm bleiben, wenn der Geschäftsmann des Herrn von Siegshofen nicht zu denen gehört hätte, die dem Stier die Hörner vom Kopf herunterhandeln. Unter den obwaltenden, für den Verkäufer höchst ungünstigen Umständen blieben ihm kaum fünfzehn.

Am Tage, nach dem wir dieses traurige Resultat erreicht hatten und die Übergabe stattfinden sollte, erschienen Vater und Sohn Siegshofen in Siebenschloß. Der Vater, ein kleiner, schlauer schlagfertiger Mann, mit einem Gesichte wie ein Wiesel, der Sohn fünfundzwanzig Jahre alt, hochaufgeschossen, engbrüstig, blutarm, lauter Nerven, kein Nerv. Er schien sehr verliebt in Fräulein Lene. – Sie ist wahrscheinlich das erste gewesen, nach dessen Besitz er eine Weile schmachten mußte.« -

»Und sie? wie benahm sie sich gegen ihn?« erlaubte ich mir den Herrn Inspektor zu unterbrechen, und er erwiderte: »Nach ihrer gewöhnlichen Manier jedem gegenüber, der sich erkühnte, sie merken zu lassen, daß sie ihm gefiel, und nicht ihr Albrecht war. Da warf sie den Kopf zurück, zog die Augenbrauen zusammen, sah einen fest an mit einem Blick, der, ich sage Ihnen, der sprach nicht, der rief: Schau nur, schau, wie ich dich nicht mag!...

Das aber genierte Herrn Robi nicht. Robi wurde er nämlich genannt, Robert hieß er. Er war in Fräulein Lene verliebt und bekam sie zur Frau, alles übrige galt ihm als nebensächlich. Um ihre Gefühle kümmerte er sich wenig. Was nicht ist, wird werden, dachte er wohl, und wenn's nicht wird, traurig für sie. Auf Oversberg, den armen Teufel, der bescheidentlich aus dem Wege ging, eifersüchtig zu sein, dazu ließ er sich nicht herab.

Der Hochzeitstag wurde festgesetzt, und der ihn mit der größten Ungeduld herbeiwünschte, war Ihnen vielleicht doch – der Oberstleutnant. Er hatte in seinem noch halb wirren Kopf den einen hellen Gedanken: Im Augenblick, in dem seine Lene mit Herrn Robi an den Altar tritt, ist alles gut. Ihm die verhaßte Schreiberei und Rechnungslegerei erspart, von ihr die Gefahr abgewendet, arm zu sein, darben zu müssen... Arm sein! darben! – davor hatte er Ihnen einen Graus! – Es schüttelte ihn, wenn er die Worte aussprach. Ein Unglück ist ein Unglück. Man übertaucht's oder man übertaucht's nicht – aber Not leiden, das ist ein Unglück von jeder Stunde, ein immerwährendes Unglück, da gibt's kein Übertauchen, da heißt's untertauchen, das reißt einen hinab. ›Ich kenn's‹, sagte er, ›ich hab's ausgekostet meine ganze, elende Jugend hindurch. Nein, nein, nicht Not leiden, nicht darben soll meine Lene!‹

Ich will ein wenig vorgreifen in meiner Erzählung und gleich jetzt sagen, daß ihm sein Wille getan und die Trauung in der Schloßkapelle abgehalten wurde, ganz still und ohne ihn.

Anwesend waren nur vier Trauzeugen und die Eltern Robis. Dessen Mutter hatte sich nämlich auch eingefunden; eine anspruchslose Dame, der man ihren Reichtum nicht ansah, sehr einfach und wortkarg. Sie ließ die Braut nicht aus den Augen, und wenn diese arme Seele nicht so benommen gewesen wäre, wie sie war, hätte sie den mitleidigen und kummervollen Blick bemerken müssen, der unverweilt auf ihr ruhte.

Aber sie bemerkte nichts. Sie wurde rot und blaß und wieder rot und schien einmal ganz Ergebung, und unmittelbar darauf meinte man, die Flammen der Empörung müßten gleich beim Dach herausschlagen. Und als sie ihr Ja zu sagen hatte, sagte sie hastig: ›Ja, ja‹, und es fehlte nur, daß sie noch hinzugesetzt hätte: In Gottes Namen, weil ihr mich zwingt.

Gleich nach der Ankunft der neuen Eigentümer von Siebenschloß hatte Oversberg seinen Koffer gepackt und sprach zu mir, da ich ihn aufsuchte im Amtshaus, in das er sich zurückgezogen, um Platz zu machen: ›Nun will ich fort.‹ Worauf ich natürlich nichts erwidern konnte als: ›Ein großer Verlust für uns.‹

Stellen Sie sich vor, wie verwundert ich Ihnen war, als nicht später denn am nächsten Morgen der Oberstleutnant mich rufen läßt und ganz eigen geheimnisvoll und gerührt anfängt: ›Ich muß Ihnen eine Mitteilung machen.‹ – ›Erfreulich?‹ – ›Kommt drauf an – ich weiß noch nicht – was meinen Sie?‹ Und er weist mir einen Platz an, und ich setze mich an sein Bett. Er stand immer noch spät auf, war mager geworden, sah aber eigentlich gesünder aus als früher, hatte bereits Toilette gemacht, sich frisiert und rasiert, las auch schon wieder in seinen Schmetterlingsbüchern.

›Wissen Sie was?‹ sagte er also, ›unser Albrecht bleibt.‹

›Nein‹, sag ich, ›das kann nicht sein, das wäre zu – gutmütig, sogar für ihn.‹

›Es ist, wohl, wohl, es ist.‹ – Und nun erzählte er mir im Vertrauen: Am vorigen Abend (wir waren im September, die Tage begannen kurz zu werden), es dunkelte bereits, der Oberstleutnant war im Lehnstuhl eingenickt, und seine Tochter saß neben ihm – da kam Oversberg. – Der Alte sah ihn, er war erwacht, als die Tür ging, tat aber nichts dergleichen. Fräulein Lene machte dem Eintretenden ein Zeichen, und er fragte leise: ›Wie geht's?‹ – ›Gut, der Doktor war zufrieden.‹ – ›Heil uns, Fräulein Lene, welch ein Glück. Nun kann ich ruhig scheiden.‹ – ›Scheiden?‹ In ihrem Tone spricht sich, obgleich sie nur flüstert, alles aus: Überraschung, Bestürzung und ein großmächtiger, unüberwindlicher Unglauben. – Eine Pause, dann fragt sie mit dem liebevollsten und zärtlichsten Vorwurf: ›Albrecht, warum quälen Sie mich?‹ – Und er: ›Mein Gott, Fräulein, was soll ich denn?‹ -


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