Miguel de Cervantes Saavedra
Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha - Zweites Buch
Miguel de Cervantes Saavedra

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1. Kapitel

Wie sich der Pfarrer und der Barbier mit Don Quijote über dessen geistige Krankheit besprachen

Es erzählt Sidi Hamét Benengelí im zweiten Teil dieser Geschichte, welcher die dritte Ausfahrt Don Quijotes enthält, daß der Pfarrer und der Barbier beinah einen Monat hingehen ließen, ohne ihn zu sehen, weil sie es vermeiden wollten, ihm die früheren Vorgänge aufzufrischen und ins Gedächtnis zurückzubringen. Allein sie unterließen darum nicht, seine Nichte und seine Haushälterin zu besuchen, und empfahlen diesen, auf seine sorgfältige Pflege wohl bedacht zu sein und ihm alles zu essen zu geben, was für Herz und Kopf stärkend und zuträglich sei, da aus diesen beiden, gründlicher Erwägung nach, sein ganzes Unglück gekommen. Sie versicherten, daß sie so täten und es auch fernerhin mit möglichster Bereitwilligkeit und Sorgfalt tun würden; denn sie sähen wohl, daß ihr Herr in einzelnen Augenblicken Beweise gebe, daß er bei vollem Verstande sei. Darob waren die beiden hocherfreut, da sie nunmehr sicher glaubten, das Richtige getroffen zu haben, als sie ihn verzaubert auf dem Ochsenkarren heimbrachten, wie dies im ersten Teile dieser ebenso großartigen wie höchst gründlichen Geschichte in dessen letztem Kapitel berichtet worden. So beschlossen sie denn, ihn zu besuchen und seine Besserung einer Probe zu unterwerfen, obschon sie dieselbe für beinahe unmöglich hielten; sie kamen überein, nicht das geringste von fahrender Ritterschaft verlauten zu lassen, damit seine Wunde, die kaum vernarbt war, nicht wieder aufgerissen würde.

Sie besuchten ihn also und fanden ihn im Bette sitzend, angetan mit einem Wämschen von grünem Flanell nebst einer roten Toledaner Mütze, so dürr und ausgetrocknet, daß er nicht anders aussah, als wenn er zur Mumie geworden wäre. Sie wurden von ihm sehr freundlich aufgenommen, erkundigten sich nach seiner Gesundheit, und er berichtete über diese und über sich mit klarem Verstand und in den gewähltesten Ausdrücken. Im Verlauf der Unterhaltung kamen sie auf jene Dinge zu sprechen, die man Politik und Regierungsformen nennt, wobei sie den einen Mißbrauch verbesserten und den andern gänzlich verurteilten, eine Sitte umgestalteten und eine andre aus dem Lande verbannten und jeder von den dreien einen neuen Gesetzgeber, einen zeitgemäßen Lykurg, einen neugebackenen Solon spielte. Und dergestalt schufen sie das Gemeinwesen um, daß es geradeso aussah, als hätten sie es in ein Schmiedefeuer gelegt und es in ganz anderm Zustand als vorher wieder herausgeholt. Don Quijote sprach so vernünftig über alle Gegenstände, die man berührte, daß die beiden Examinatoren es für zweifellos hielten, er sei gänzlich genesen und wieder im vollen Besitz seiner Vernunft.

Nichte und Haushälterin waren bei der Unterhaltung zugegen und wurden es nicht müde, Gott dafür zu danken, daß sie ihren Herrn wieder bei so gutem Verstande sahen. Allein der Pfarrer änderte jetzt seinen ersten Vorsatz, nämlich nicht das geringste von fahrender Ritterschaft vor ihm zu berühren, und wollte die Probe vollständig machen, ob Don Quijotes Genesung scheinbar oder echt sei; und so kam er, indem ein Wort das andre gab, allmählich auf verschiedene Neuigkeiten aus der Residenz zu sprechen und erzählte unter andrem, man halte für gewiß, daß der Türke mit einer gewaltigen Flotte gen Westen heranziehe; es wisse niemand, was seine Absichten seien noch wo ein so schweres Unwetter sich entladen werde; und angesichts dieser Besorgnis, mit welcher er uns schier jedes Jahr unter die Waffen rufe, halte die ganze Christenheit ihre Augen auf seine Flotte gerichtet und Seine Majestät habe die Küsten von Neapel und Sizilien und die Insel Malta in Verteidigungsstand setzen lassen.

Darauf versetzte Don Quijote: »Seine Majestät hat als ein einsichtsvoller Kriegsherr gehandelt, indem er seine Staaten rechtzeitig in Verteidigungsstand gesetzt hat, damit der Feind ihn nicht unvorbereitet finde; aber wenn man mich um Rat anginge, so würde ich dem Könige anraten, sich einer Maßregel zu bedienen, an welche zu denken Seiner Majestät bis zur gegenwärtigen Stunde wohl sehr fern gelegen hat.«

Kaum hörte dies der Pfarrer, als er bei sich selber sagte: Gott halte seine Hand über dir, armer Don Quijote, denn ich fürchte, du stürzest vom hohen Gipfel deiner Narrheit bis in den tiefsten Abgrund deiner Einfalt herab.

Der Barbier indessen, der schon auf denselben Gedanken gekommen war wie der Pfarrer, fragte Don Quijote, welches denn die vorgeschlagene Maßregel sei, die er für so sachdienlich erkläre; vielleicht sei sie derart, daß man sie auf die Liste der zahlreichen zweckwidrigen Vorschläge setzen müsse, mit denen die Fürsten häufig behelligt würden.

»Mein Vorschlag, Herr Bartkratzer«, sprach Don Quijote, »wird nicht zweckwidrig sein, sondern ganz zweckmäßig.«

»Ich habe es nicht so gemeint«, entgegnete der Barbier, »sondern weil die Erfahrung gezeigt hat, daß die Ratschläge, die man Seiner Majestät erteilt, alle oder doch in ihrer großen Mehrzahl entweder unausführbar oder ungereimt sind oder dem König oder dem Königreich zum Nachteil gereichen würden.«

»Der meinige aber«, versetzte Don Quijote, »ist weder unausführbar noch ungereimt, sondern der am leichtesten ausführbare, der angemessenste, der bequemste und rascheste, der nur immer einem erfinderischen Kopf einfallen kann.«

»Dann, Señor Don Quijote, zögert Ihr schon zu lang, ihn mitzuteilen«, sprach der Pfarrer.

»Es würde meinem Wunsche nicht entsprechen«, erwiderte Don Quijote, »wenn ich ihn heut hier mitteilte und er morgen in der Frühe den Herren Geheimräten zu Ohren käme und ein anderer den Dank und Lohn für meine Arbeit davontrüge.«

»Was mich betrifft«, sprach der Barbier dagegen, »vor der Welt sowie vor Gottes Antlitz geb ich das Versprechen: Was zu sagen Euch gelüstet, sag ich keinem wieder, Herre, weder König, weder Bauer noch sonst einem Erdenmenschen; ein Eidschwur, den ich aus der ›Romanze vom Pfarrer‹ gelernt habe, welcher in der Einleitung des Gedichtes dem Könige den Dieb anzeigte, der ihm die hundert Dublonen und seinen Maulesel, den Schnelltraber, gestohlen hatte.«

»Ich kenne derlei Geschichten nicht«, versetzte Don Quijote, »aber ich weiß, daß dieser Eidschwur gilt, sintemal ich weiß, daß der Herr Barbier ein braver Mann ist.«

»Wenn er es auch nicht wäre«, sprach der Pfarrer, »so bürge ich für ihn und stehe dafür ein, daß er über diese Sache nicht mehr reden soll als ein Stummer unter Androhung einer Geldbuße gemäß Urteil und Erkenntnis.«

»Und wer wird für Euer Gnaden bürgen, Herr Pfarrer?« fragte Don Quijote.

»Mein geistliches Amt«, antwortete der Pfarrer, »mit dem die Schweigepflicht verbunden ist.«

»Nun, bei Christi Leichnam!« sprach Don Quijote jetzt, »was braucht es weiter, als daß Seine Majestät durch öffentlichen Aufruf verordne, es sollen auf einen bestimmten Tag alle fahrenden Ritter, die durch Spanien streifen, in der Residenz zusammenkommen? Denn wenn ihrer auch nur ein halb Dutzend kämen, so könnte einer unter ihnen sein, der allein schon genügen würde, die ganze Macht des Türken zu vernichten. Schenkt mir eure Aufmerksamkeit und folgt meiner Darlegung: ist es vielleicht etwas Neues, daß ein einziger fahrender Ritter ein Heer von zweimalhunderttausend Mann in Stücke haut, als ob alle zusammen nur einen einzigen Hals hätten oder aus Zuckerteig geformt wären? Oder sagt mir doch: wie viele Geschichten sind nicht voll solcher Wundertaten? Es sollte nur – wenn es auch mir zum argen Nachteil wäre, ob anderen, will ich unberührt lassen –, es sollte nur heutzutage der weitberufene Don Belianís leben oder einer aus dem zahllosen Geschlechte des Amadís von Gallien! Denn wenn einer von diesen am Leben wäre und sich dem Türken gegenüberstellte, dann möchte ich nicht in der Haut des Türken stecken. Aber Gott wird sich seines Volkes annehmen und wird ihm einen Mann bescheren, der, wenn nicht so gewaltig wie die früheren fahrenden Ritter, ihnen wenigstens an mutigem Sinne nicht nachsteht; und Gott weiß wohl, wie ich's meine, und mehr sag ich nicht.«

»O weh!« rief hier die Nichte, »ich will des Todes sein, wenn mein Herr nicht aufs neue ein fahrender Ritter werden will!«

Darauf sagte Don Quijote: »Als fahrender Ritter will ich leben und sterben, und ob der Türke nun herab- oder hinaufzieht, wann immer er es will und mit wie großer Macht er es kann, so sag ich noch einmal, Gott weiß, wie ich es meine.«

Hier aber sprach der Barbier: »Ich bitte Euch, meine Herren, daß mir gestattet werde, ein kurzes Geschichtchen zu erzählen, das sich in Sevilla zugetragen hat und das ich Lust habe mitzuteilen, weil es hierher paßt wie angegossen.«

Don Quijote gewährte die Erlaubnis, der Pfarrer und die andern hingen aufmerksam an seinen Lippen, und so begann er folgendermaßen:

Im Narrenhause zu Sevilla befand sich ein Mann, den seine Verwandten dahin gebracht hatten, weil er nicht bei Verstande war. Er war zu Osuna zum Grade eines Lizentiaten des Kirchenrechts befördert worden; aber wäre er es auch zu Salamanca geworden, so würde er nach der Meinung der Welt nichtsdestoweniger ein Narr geblieben sein. Dieser besagte Lizentiat kam nach einigen Jahren Einsperrung auf die Meinung, er sei wieder gesunden Geistes und bei vollem Verstande, und in dieser Überzeugung schrieb er an den Erzbischof und bat ihn dringend und mit durchaus verständigen Ausdrücken, er möchte ihn aus dem Elend, in dem er lebe, befreien, da er durch Gottes Erbarmen seinen vollen Verstand bereits wiedererlangt habe, während jedoch seine Verwandten, um auch fernerhin den Genuß seines Vermögens zu haben, ihn dort festhielten und der Wahrheit zum Trotz verlangten, daß er bis zu seinem Tod ein Narr bleibe. Der Erzbischof, durch zahlreiche wohlgesetzte und verständige Briefe endlich bewogen, befahl einem seiner Kapläne, sich bei dem Verwalter des Hauses zu erkundigen, ob auf Wahrheit beruhe, was jener Lizentiat ihm geschrieben, und er solle ebenfalls mit dem Narren sprechen, und wenn dieser nach seiner Ansicht bei Verstande sei, so solle er ihn entlassen und in Freiheit setzen. Der Kaplan tat also, und der Hausverwalter erklärte ihm, der Mann sei noch immer verrückt, denn wiewohl er sehr oft als ein Mensch von großem Verstande rede, so komme er am Ende plötzlich wieder mit Torheiten zum Vorschein, die ebenso groß und zahlreich wie vorher seine verständigen Äußerungen, wovon man sofort die Probe machen könne, wenn man sich mit ihm unterhalte.

Der Kaplan wollte diese Probe anstellen; man brachte ihn zu dem Verrückten, er sprach mit ihm eine Stunde und länger, und während dieser ganzen Zeit sagte der Verrückte nicht ein einziges verkehrtes oder ungereimtes Wort; vielmehr redete er mit solcher Besonnenheit, daß der Kaplan sich zu glauben gezwungen sah, der Narr sei ein durchaus vernünftiger Mensch. Unter anderm äußerte der Verrückte, der Hausverwalter sei ihm übel gesinnt, weil er die Geschenke nicht einbüßen wolle, die seine Verwandten ihm dafür zukommen ließen, daß er angebe, er, der Eingesperrte, sei ein Verrückter mit lichten Augenblicken; und der größte Feind, den er in seinem Unglück habe, sei eben sein Reichtum; denn um diesen zu genießen, gebrauchten sie Hinterlist und Tücke und äußerten Zweifel an der Gnade, die ihm Gott dadurch erwiesen, daß er ihn aus einem vernunftlosen Tier wieder zu einem Menschen umgewandelt habe. Kurz, seine Äußerungen waren derartig, daß er den Hausverwalter als verdächtig, seine Verwandten als habgierig und erbarmungslos und sich als so verständig darzustellen wußte, daß der Kaplan beschloß, ihn mitzunehmen, damit der Erzbischof selbst ihn sähe und die Wahrheit in diesem Handel mit Händen griffe.

In diesem guten Glauben ersuchte der biedere Kaplan den Verwalter, dem Lizentiaten die Kleider wiedergeben zu lassen, die er bei seinem Eintritt in die Anstalt getragen. Der Verwalter bat den Kaplan zu bedenken, was er tue, da der Lizentiat ohne den geringsten Zweifel noch immer verrückt sei. Die Warnungen und Vorstellungen des Verwalters, er möge davon abstehen, den Mann mitzunehmen, blieben aber bei dem Kaplan erfolglos; der Verwalter gehorchte, da er sah, daß es der Befehl des Erzbischofs sei. Man legte ihm seine Kleider an, die neu und anständig waren, und als er den Narren ausgezogen und den vernünftigen Menschen wieder angezogen hatte, bat er den Kaplan, ihm aus christlicher Liebe zu erlauben, von seinen bisherigen Genossen, den Narren, Abschied zu nehmen. Der Kaplan erwiderte, er selbst wolle ihn begleiten und sich die Narren ansehen, die sich im Hause befänden. Sie gingen denn wirklich hinauf und mit ihnen verschiedene Leute, die eben anwesend waren, und als der Lizentiat zu einer Zelle kam, in der sich ein Rasender befand, der aber jetzt still und ruhig war, sprach er zu diesem: »Lieber Freund, überlegt Euch, ob Ihr mir etwas aufzutragen habt, denn ich gehe nach Hause, weil Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit die Gnade gehabt hat, mir Unwürdigem meinen Verstand wiederzuschenken. Ich bin nun genesen und bei voller Vernunft, denn bei Gottes Allmacht ist kein Ding unmöglich. Setzet auch Ihr alles Hoffen und Vertrauen auf Gott, denn da er mich wieder in meinen früheren Zustand gebracht hat, so wird er auch Euch wieder dazu bringen, wenn Ihr ihm vertraut. Ich werde darauf bedacht sein, Euch etliches Gute zu essen zu schicken, und auf alle Fälle eßt es, denn ich tu Euch zu wissen, ich glaube als einer, der es an sich selbst erlebt hat, alle unsere Torheiten kommen davon her, daß man den Magen leer und das Gehirn voller Wind hat. Fasset Mut, fasset Mut, denn Niedergeschlagenheit im Unglück mindert die Gesundheit und führt den Tod herbei.«

All diesen Äußerungen des Lizentiaten hatte ein andrer Narr zugehört, der sich in einer anderen Zelle dem Rasenden gegenüber befand; er erhob sich von der zerschlissenen Schilfmatte, auf der er splitternackt lag, und fragte mit lautem Schreien, wer denn der Mann sei, der da genesen und bei Verstand von dannen gehe.

Der Lizentiat antwortete: »Ich bin's, lieber Freund, der weggeht; denn ich habe es nicht mehr nötig hierzubleiben, wofür ich dem Himmel unendlich danke, der mir eine so große Gnade erwiesen hat.«

»Bedenket wohl, was Ihr sagt, Lizentiat, laßt Euch vom Teufel nicht verblenden«, entgegnete der Verrückte; »gebietet Eurem Fuße Halt, und bleibt mir hübsch ruhig an Eurer Wohnstätte, dann erspart Ihr Euch das Wiederkommen.«

»Ich weiß, daß ich gesund bin«, versetzte der Lizentiat; »es wird nicht nötig sein, diesen Leidensweg noch einmal zu gehen.«

»Ihr gesund?« sagte der Verrückte; »nun gut, es wird sich zeigen, geht mit Gott; aber ich schwöre Euch bei Jupiter, dessen Majestät ich auf Erden vertrete, um dieser alleinigen Sünde willen, die Sevilla heute dadurch begeht, daß es Euch aus diesem Hause freiläßt und Euch für vernünftig hält, werde ich über die Stadt eine solche Strafe verhängen, daß deren Angedenken währen soll bis in die spätesten Zeiten der spätesten Zeiten, Amen. Weißt du nicht, armseliges Ding von einem Lizentiaten, daß ich das zu tun vermag, da ich, wie ich gesagt, der Donnerer Jupiter bin und in meinen Händen die zündenden Blitze halte, mit denen ich die Welt zu bedräuen und zu zerstören imstande und gewohnt bin? Jedoch ich will diese unverständige Stadt nur mit einer Züchtigung heimsuchen, nämlich ich werde es in ihr und in ihrem ganzen Bezirk und Umkreis nicht regnen lassen, drei ganze Jahre hindurch, welche von dem Tag und Augenblick an, wo ich diese Drohung ausspreche, zu berechnen sind. Du frei, du gesund, du bei Verstand? Und ich ein Narr, und ich geisteskrank, und ich in Banden? Ich will inskünftig nicht mehr regnen lassen, so gewiß als ich mich nicht hängen will.«

Das Geschrei und die Äußerungen des Verrückten erregten allgemeine Aufmerksamkeit bei den Umstehenden; aber unser Lizentiat wendete sich zu unserm Kaplan, ergriff ihn bei den Händen und sprach zu ihm: »Seid darüber ohne Sorgen, werter Herr, und achtet nicht auf das, was dieser Narr gesagt hat, denn wenn er auch Jupiter ist und es nicht regnen lassen will, ich, ich bin Neptun, der Vater und Gott der Gewässer, und ich werde so oft regnen lassen, als es mich gelüstet und notwendig ist.«

Darauf entgegnete der Kaplan: »Trotz alledem wäre es nicht recht, den Herrn Jupiter zu erzürnen. Bleibt an Eurer Wohnstätte; ein andermal, wenn sich bequemere Gelegenheit und mehr Zeit findet, werden wir kommen, Euer Gnaden abzuholen.«

Der Verwalter lachte wie alle Anwesenden, und darüber ward der Kaplan etwas ärgerlich und beschämt; man zog dem Lizentiaten seine schönen Kleider vom Leibe; er blieb im Narrenhaus, und die Geschichte ist aus.

»Das ist also die Geschichte, Herr Barbier«, sprach Don Quijote, »die Ihr nicht umhinkonntet zu erzählen, weil sie mir paßt wie angegossen? O Herr Bartkratzer, Herr Bartkratzer, wie blind müßte der sein, der nicht durch ein Sieb sehen könnte! Und ist es möglich, daß Euer Gnaden nicht weiß, wie gehässig und verpönt Vergleichungen zwischen Naturanlagen und Naturanlagen, zwischen Tapferkeit und Tapferkeit, zwischen Schönheit und Schönheit, zwischen Familie und Familie sind? Ich, Herr Barbier, bin nicht Neptun, der Gott der Gewässer, und bewerbe mich nicht darum, daß irgendwer mich für verständig halte, wo ich es nicht bin, nur darum mühe ich mich, daß die Welt einsehen lerne, in welchem Irrtum sie sich befindet, daß sie nicht versteht, in ihrer Mitte jene Blütezeit zu erneuern, wo der Orden der fahrenden Ritterschaft das Feld behauptete. Aber unser verderbtes Jahrhundert ist nicht würdig eines so hohen Glückes, wie es die Zeiten genossen, da die fahrenden Ritter sich der Pflicht unterzogen und die Bürde auf ihre Schultern nahmen, die Königreiche zu verteidigen, die Jungfrauen zu beschützen, den Waisen und Minderjährigen beizustehen, die Hochmütigen zu züchtigen und die Demütigen zu belohnen. An den meisten der Ritter, wie man sie heute sieht, hört man eher Damast, Goldstoff und andre reiche Gewebe rauschen, in die sie sich kleiden, als die Panzerringe, mit denen sie sich rüsten. Jetzo gibt es keinen Ritter mehr, der da schliefe auf freiem Felde, dem Ungemach des Wetters ausgesetzt, bewehrt mit all seiner Wehr vom Kopf bis zu den Füßen; jetzo gibt es keinen mehr, der, ohne die Füße aus den Bügeln zu ziehen, auf seine Lanze gelehnt, dem Schlafe nur ein weniges vergönnen will, wie die fahrenden Ritter zu tun pflegten; keinen mehr, der, aus dem Walde hier hervorstürmend, in das Gebirge dort eindringen würde und von da aus ein unfruchtbares, wüstes Gestade beschreiten am Rande der See, der fast immer stürmischen und wildbewegten, und der sich am Meeresstrande unverzagten Herzens in einen kleinen Kahn ohne Ruder, Segel, Mast und Tauwerk, den er dort gefunden, hineinwerfen würde und sich preisgäbe den unerbittlichen Wogen des tiefen Meeres, die ihn bald zum Himmel emporschleudern, bald in den Abgrund hinabreißen. Und er, die Brust dem unwiderstehlichen Sturmestoben bietend, plötzlich, im Augenblick, wo er sich dessen am wenigsten versieht, findet sich über dreitausend und mehr Meilen entfernt von dem Orte, wo er zu Schiff gegangen; und wie er nun ans Land springt, ein entlegenes und unbekanntes Land, da begegnet ihm gar vieles, das würdig ist, nicht auf Pergament, sondern auf Erz niedergeschrieben zu werden. Aber heutzutage triumphiert die Trägheit über die Unverdrossenheit, der Müßiggang über die Arbeit, das Laster über die Tugend, die Anmaßung über die Tüchtigkeit, die Theorie über die Praxis des Waffenwerks, das nur im Goldnen Zeitalter unter den fahrenden Rittern gelebt und geglänzt hat.

Oder sagt mir doch: wer war je biederer und mannhafter als Amadís von Gallien? Wer verständiger als Palmerín von England? Wer war gerechter in allen Sätteln und umgänglicher als Tirante der Weiße? Wer ein Mann von besserer Lebensart als Lisuarte von Griechenland? Wer empfing und teilte mehr Schwerthiebe aus als Don Belianís? Wer war unverzagter als Perión von Gallien? oder wer stürzte sich häufiger in Gefahren als Felixmarte von Hyrkanien? oder war aufrichtigeren Gemütes als Esplandián? wer ungestümer als Don Cirongilio von Thrakien? wer schrecklicher im Kampf als Rodornont? wer umsichtiger als der König Sobrino? wer verwegener als Rinald? wer unbesieglicher als Roldán? und wer tapferer und edler von Gebaren als Rüdiger, von dem die heutigen Herzoge von Ferrara abstammen, wie Turpin in seiner Weltbeschreibung sagt? All diese Männer und viele andere, die ich aufführen könnte, Herr Pfarrer, waren fahrende Ritter, waren des Rittertums Glanz und Glorie. Aus ihnen erlesen oder Männer wie sie, so wünschte ich, sollten diejenigen sein, die ich mit meinem Vorschlag meine, und wenn sie es wären, dann würden Seiner Majestät treffliche Dienste geleistet und große Kosten erspart werden, und der Türke könnte sich den Bart ausraufen. Und hiermit sei's gesagt, ich gedenke nicht an meiner Wohnstätte zu verbleiben, da mich doch der Kaplan nicht aus ihr fortnehmen will. Und wenn Jupiter, wie der Barbier gesagt hat, es nicht regnen lassen will, so bin ich da und lasse es regnen, wann es mich gelüstet; ich sage das, damit der Herr Bartschüssel wisse, daß ich ihn verstehe.«

»In der Tat, Señor Don Quijote«, entgegnete der Barbier, »so habe ich es nicht gemeint – und so wahr mir Gott helfe, meine Absicht war gut, und Euer Gnaden hat keinen Grund, empfindlich zu sein.«

»Ob ich empfindlich sein soll oder nicht«, erwiderte Don Quijote, »das weiß ich schon selbst.«

Darauf sagte der Pfarrer: »Bis zu diesem Augenblick habe ich noch kaum ein Wort gesprochen; ich möchte aber nicht gern in einem Bedenken befangen bleiben, das mich am Gewissen nagt und peinigt und das gerade aus den jetzigen Äußerungen des Señor Don Quijote in mir entstanden ist.«

»Noch ganz andre Dinge sind dem Herrn Pfarrer verstattet«, antwortete Don Quijote, »und so mögt Ihr denn Euer Bedenken aussprechen; es ist nicht gar angenehm, mit einem Bedenken auf dem Gewissen herumzugehen.«

»Mit dieser Genehmigung also«, entgegnete der Pfarrer, »sage ich: mein Gewissensbedenken ist, daß ich mir auf keinerlei Weise einreden kann, der ganze Haufen fahrender Ritter, die Euer Gnaden, Herr Don Quijote, aufgezählt hat, seien wahr und wirklich hienieden Menschen von Fleisch und Bein gewesen; vielmehr meine ich, alles sei nur Erdichtung, Fabel, Lug und Trug, Träume, von Leuten erzählt, die eben aus dem Schlafe erwacht, oder richtiger gesagt, noch halb im Schlafe sind.«

»Das ist abermals ein Irrtum«, versetzte Don Quijote, »ein Irrtum, in den gar viele verfallen sind, die da nicht glauben, es habe derartige Ritter auf Erden gegeben. Ich aber habe mich oft und bei den verschiedensten Leuten und Gelegenheiten bestrebt, diesen so ziemlich allgemeinen Irrtum mit dem Lichte der Wahrheit zu beleuchten; manches Mal indessen habe ich meinen Zweck nicht erreicht, hingegen andre Male ist es mir gelungen, indem ich ihn auf die Schultern der Wahrheit stützte. Diese Wahrheit ist so gewiß, daß ich beinahe sagen könnte, ich hätte Amadís von Gallien mit meinen eignen Augen gesehen: er war ein Mann von hoher Leibesgestalt, hell von Gesichtsfarbe, den Bart wohlgepflegt, wenn auch schwarz, im Blick eine Mischung von Sanftmut und Strenge, karg mit Worten, langsam zum Zorne und rasch zu versöhnen. Und so wie ich den Amadís gezeichnet habe, könnte ich meines Bedünkens die fahrenden Ritter, die auf dem ganzen Weltkreis in den Geschichten leben, samt und sonders malen und beschreiben; denn da ich mir vorstelle, daß sie so waren, wie ihre Geschichten uns erzählen, so kann aus ihren Taten und Eigenheiten mittels richtiger Schlußfolgerung entnommen werden, welches ihre Züge, Gesichtfarbe und Gestalt gewesen.«

»Wie groß denn, meint Euer Gnaden Señor Don Quijote, mag der Riese Morgante gewesen sein?« So fragte der Barbier.

»In betreff der Riesen«, antwortete Don Quijote, »sind die Meinungen verschieden, ob es solche auf der Welt gegeben habe oder nicht; allein die Heilige Schrift, die nicht um ein Jota von der Wahrheit abweichen kann, zeigt uns, daß es solche gegeben hat, da sie uns die Geschichte von jenem ungeheuren Philister Goliath erzählt, der achthalb Ellen hoch war, was eine übermäßige Größe ist. Auch hat man auf der Insel Sizilien mächtige Armknochen und Schulterblätter gefunden, deren Größe beweist, daß sie Riesen, und zwar turmhohen Riesen, angehört haben; die Meßkunst stellt diese Tatsache außer Zweifel. Aber trotzdem kann ich nicht mit Gewißheit sagen, wie groß Morgante war, wiewohl ich meine, er kann nicht allzu groß gewesen sein. Was mich zu dieser Ansicht veranlaßt, ist der Umstand, daß ich in der Geschichte, wo seiner Taten ausführliche Erwähnung geschieht, finde, wie er oftmalen unter Dach geschlafen hat; und wenn er Häuser fand, darin er Platz hatte, so ist seine Größe offenbar nicht übermäßig gewesen.«

»Das ist richtig«, sagte der Pfarrer; und da er Vergnügen daran fand, ihn so ungereimtes Zeug vorbringen zu hören, so fragte er ihn um seine Meinung über die Gesichtszüge des Rinald von Montalbán, des Don Roldán und der übrigen zwölf Pairs von Frankreich, da sie doch sämtlich fahrende Ritter gewesen seien.

»Von Rinald«, antwortete Don Quijote, »wage ich zu sagen, daß er ein breites und stark gerötetes Gesicht hatte, die Augen stets beweglich und etwas hervorstehend, reizbar und zornsüchtig über die Maßen, ein großer Freund von Räubern und schlechtem Gesindel. Über Roldán oder Hruotland oder Roland – denn mit all diesen Namen bezeichnet ihn die Geschichte – bin ich der Meinung, ja ich bin überzeugt, daß er von mittelhoher Gestalt war, breitschultrig, etwas krummbeinig, braun von Gesicht und mit struppigem Bart, dichtbehaart am Körper, dräuenden Blickes, karg mit Worten, doch im übrigen sehr höflich und wohlgesittet.«

»Wenn Roldán nicht zierlicher aussah, als Euer Gnaden gesagt«, entgegnete der Pfarrer, »so war's kein Wunder, daß Fräulein Angelika die Schöne ihn verschmähte und ihn im Stiche ließ um der Anmut, Seelenglut und Liebenswürdigkeit willen, die der flaumbärtige Mohrenjunge ohne Zweifel besaß, dem sie sich hingab; und sie handelte verständig, daß sie lieber für die Weichheit Medoros entbrannte als für die Rauheit Roldáns.«

»Diese Angelika«, versetzte Don Quijote, »Herr Pfarrer, war ein ausschweifendes, in der Welt herumlaufendes und ziemlich launenhaftes Ding und erfüllte die Welt ebensosehr mit ihren unbesonnenen Streichen als mit dem Ruf ihrer Schönheit. Sie verschmähte tausend vornehme Herren, tausend Helden und tausend Männer von hohem Geiste und begnügte sich mit einem rotwangigen Edelknaben ohne Vermögen, ohne Ruf und Namen als höchstens den eines dankbaren Menschen – ein Name, den ihm die Treue zu seinem Freunde einbrachte. Der große Sänger ihrer Schönheit, der ruhmreiche Ariost, der sich nicht getraute oder nicht Lust hatte, zu besingen, was dieser Dame nach ihrer unwürdigen Hingebung an den Knaben weiter begegnete – was nicht allzu tugendsame Geschichten sein mochten –, ließ die Sache mit den Worten auf sich beruhen:

Und wie sie, um zur Heimat zu gelangen,
Ein gutes Schiff und bestes Wetter fand
Und endlich gab Medoren Indiens Krone,
Das singt ein andrer wohl, in besserm Tone.

Und ohne Zweifel war dies eine Art Prophezeiung, denn die Dichter nennen sich auch Priester Apollos, das heißt Propheten. Und wie wahr dies ist, kann man deutlich ersehen, denn späterhin hat ein berühmter andalusischer Dichter ihre ›Tränen‹ geweint und gesungen, und ein andrer berühmter, ja einziger kastilischer Dichter hat ihre ›Schönheit‹ besungen.«

»Sagt mir, Señor Don Quijote«, sprach hier der Barbier, »hat es nicht etwa einen Dichter gegeben, der neben den vielen, die dies Fräulein Angelika gepriesen, eine Satire auf sie geschrieben hat?«

»Wohl glaube ich«, antwortete Don Quijote, »wenn Sakripant oder Roldán Dichter gewesen wären, so würden sie dem Mägdlein gehörig den Kopf gewaschen haben; denn es ist die Eigenheit und Natur der Poeten, daß sie, wenn verschmäht und nicht erhört von ihren erdichteten oder nicht erdichteten Geliebten, sich an den Damen, die sie zu Herrinnen ihrer Gedanken erkoren haben, in allem Ernste mit Satiren und Schmähschriften rächen, eine Rache, die gewiß edelsinniger Gemüter unwürdig ist. Allein bis jetzt ist kein ehrenrühriger Vers gegen das Fräulein Angelika zu meiner Kenntnis gelangt, das doch die ganze Welt in Aufruhr gebracht hat.«

»Ein Wunder!« rief der Pfarrer.

Indem hörten sie die Haushälterin und die Nichte, die sich vorher schon von der Unterhaltung zurückgezogen hatten, im innern Hofe gewaltig schreien, und sie alle eilten dem Lärmen nach.


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