Miguel de Cervantes Saavedra
Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha - Erstes Buch
Miguel de Cervantes Saavedra

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44. Kapitel

Worin von den unerhörten Ereignissen in der Schenke des weiteren berichtet wird

Nun begann Don Quijote so furchtbar zu brüllen, daß der Wirt eilig das Tor der Schenke auftat und in vollem Schrecken hinauslief, um zu sehen, wer ein solches Geschrei erhob, und die Fremden, die sich draußen befanden, taten desgleichen. Maritornes, die ebenfalls von dem Lärmen aufgewacht war, dachte sich gleich, was es sein möchte, lief auf den Heuboden und band unbemerkt das Halfter los, an dem der Ritter hing, und er fiel sofort zu Boden angesichts des Wirtes und der Reisenden, welche auf ihn zueilten und ihn fragten, was er habe, daß er solches Geschrei ausstoße.

Ohne ein Wort zu erwidern, riß er sich den Strick vom Handgelenk, stellte sich auf die Füße, stieg auf Rosinante, nahm seine Tartsche in den Arm, legte seinen Spieß ein, ließ den Gaul einen tüchtigen Anlauf nehmen, wandte sich in kurzem Galopp zurück und sprach: »Wer auch immer behaupten wollte, ich sei mit Fug und Recht verzaubert worden, den, soferne meine Gebieterin, die Prinzessin Míkomikona, es mir großzügig verstattet, den heiß ich einen Lügenbold, biete ihm Trotz und fordre ihn zum Zweikampf heraus.«

Die neuen Ankömmlinge gerieten in großes Staunen über Don Quijotes Äußerungen, aber der Wirt riß sie bald aus ihrer Verwunderung, indem er ihnen sagte, wer Don Quijote sei und wie man sich nicht um ihn zu kümmern brauche, da er nicht bei Verstand sei. Hierauf fragten sie den Wirt, ob vielleicht ein Jüngling von ungefähr fünfzehn Jahren in diese Schenke gekommen sei, gekleidet wie ein Bursche bei den Maultiertreibern, welcher die und die Merkmale an sich habe; und hierbei bezeichneten sie genau, woran Doña Claras Liebhaber zu erkennen war. Der Wirt antwortete, es seien so viele Leute in der Schenke, daß er den Jüngling, nach dem sie fragten, nicht besonders bemerkt habe. Indem aber sah einer von ihnen die Kutsche, in welcher der Oberrichter gekommen war, und rief: »Hier muß er sein, ganz gewiß; denn dies ist die Kutsche, der er immer nachziehen soll. Bleibe einer von uns am Tor, die andern sollen hinein, ihn zu suchen. Am besten macht einer von uns die Runde um die ganze Schenke, damit er nicht über die Hofmauer entspringt.«

»So soll's geschehen«, erwiderte einer von ihnen.

Zwei gingen hinein, einer blieb am Tor, der vierte ging um die Schenke herum. Der Wirt sah alledem zu und konnte nicht verstehen, zu welchem Zweck diese Vorkehrungen getroffen wurden, wiewohl er vermutete, sie suchten jenen Jüngling, den sie ihm beschrieben hatten.

Jetzt war es heller Tag geworden, und sowohl deshalb als auch infolge des Lärms, den Don Quijote verursacht hatte, waren alle wachgeworden und standen auf, zuerst Doña Clara und Dorotea; denn beide hatten diese Nacht sehr schlecht geschlafen, die eine vor Unruhe, ihren Geliebten so nahe zu wissen, die andre vor neugierigem Drang, ihn zu sehen. Don Quijote seinerseits, als er sah, daß keiner der vier Reisenden ihn beachtete oder ihm auf seine Herausforderung Antwort gab, war ganz außer sich und raste vor Ärger und Wut. Und hätte er in den Satzungen seines Rittertums gefunden, daß der fahrende Ritter erlaubtermaßen ein neues Abenteuer in die Hand nehmen und ausrichten dürfe, nachdem er sein Wort gegeben, sich auf keines einzulassen, bis er das früher bereits von ihm begonnene Unternehmen zu Ende geführt habe, so würde er sie alle angefallen und gezwungen haben, ihm wider ihren Willen Rede zu stehn. Aber da es ihm schien, daß es für ihn weder geziemend noch wohlgetan sei, ein neues Unternehmen zu beginnen, bevor er Míkomikona in ihr Reich eingesetzt, mußte er schweigen und in aller Ruhe abwarten, auf was die Vorkehrungen jener Reisenden abzielten.

Einer dieser letzteren fand endlich den Jüngling, den sie suchten, wie er neben einem Maultiertreiber schlief, nicht im entferntesten besorgend, daß jemand ihn suchte, und noch weniger, daß man ihn fände. Der Mann ergriff ihn am Arm und sagte zu ihm: »Gewiß, Señor Don Luis, Eure Tracht ist der Würde Eures Standes sehr angemessen, und das Bett, in dem ich Euch finde, paßt ausgezeichnet zu der sorgsamen Pflege, mit der Euch Eure Mutter erzogen hat.«

Der Jüngling rieb sich die schlaftrunkenen Augen und sah den Mann, der ihn am Arme hielt, eine geraume Weile an; und als er in ihm einen Diener seines Vaters erkannte, erschrak er so heftig, daß er lange Zeit nicht die Kraft fand, ihm ein Wort zu erwidern.

Der Diener aber fuhr fort: »Hier ist nichts andres zu tun, Señor Don Luis, als Euch in Geduld zu fassen und nach Hause zurückzukehren, falls Ihr nicht etwa wollt, daß mein Herr, Euer Vater, den Weg in jene andere Welt wandre, denn andre Folgen kann der Gram nicht haben, den Eure Entfernung ihm verursacht hat.«

»Wie hat denn mein Vater erfahren«, sprach Don Luis, »daß ich diesen Weg eingeschlagen habe und in dieser Tracht?«

»Ein Student«, antwortete der Diener, »dem Ihr Euer Vorhaben anvertraut habt, hat es uns entdeckt, selber von Schmerz ergriffen bei dem Ausbruch des Schmerzes, der Euren Vater augenblicklich befiel, als er Euch vermißte; da schickte er vier seiner Diener aus auf die Suche nach Euch, und wir alle sind hier zu Euern Diensten, glücklicher, als sich nur erdenken läßt, ob der guten Erledigung unseres Auftrags, womit wir zurückkehren und Euch vor die Augen führen werden, die Euch so innig lieben.«

»Damit wird es gehen, wie ich will oder wie der Himmel gebeut«, entgegnete Don Luis.

»Was könnt Ihr wollen, oder was kann der Himmel anders gebieten, als daß Ihr mit Eurer Heimkehr einverstanden seid?« versetzte der Diener, »denn etwas andres ist nicht möglich.«

Dem ganzen Gespräch zwischen den beiden hörte der Maultiertreiber zu, neben welchem Don Luis sein Lager hatte; er stand auf, ging hinaus und erzählte die Vorgänge Don Fernando und Cardenio und den andern, die sich bereits angekleidet hatten. Er sagte ihnen, der fremde Mann rede diesen Jüngling mit Don an, habe lange mit ihm gesprochen und wolle ihn nach dem Hause seines Vaters zurückbringen, der junge Mann aber wolle nicht. Da sie dies hörten und zu gleicher Zeit sich erinnerten, welche schöne Stimme der Himmel ihm verliehen, wurde in ihnen allen der Wunsch rege, genauer zu erfahren, wer er sei, ja sogar ihm Beistand zu leihen, wenn man etwa mit Gewalt gegen ihn vorgehen wolle. Und so begaben sie sich alle zu der Stelle, wo sie ihn noch mit seinem Diener sprechen und streiten hörten.

Unterdessen kam Dorotea aus ihrem Gemach und hinter ihr Doña Clara in voller Bestürzung. Dorotea rief Cardenio beiseite und erzählte ihm in kurzen Worten die Geschichte des Sängers und Doña Claras; er dagegen berichtete ihr, was seitdem mit Don Luis vorgegangen, nämlich daß die Diener seines Vaters gekommen seien, ihn zu suchen. Er sprach aber nicht so leise; daß es Doña Claras Ohren entgangen wäre, und sie geriet darüber so außer sich, daß sie zu Boden gestürzt wäre, wenn Dorotea sie nicht rasch gehalten hätte. Cardenio ermahnte Dorotea, in das Gemach zurückzugehen; er würde sich bemühen, alles in Ordnung zu bringen. Sie taten also.

Schon waren die vier, welche Don Luis suchen sollten, alle zusammen in der Schenke und standen um ihn her und suchten ihn zu bereden, er möge sogleich, ohne einen Augenblick zu zögern, heimkehren und seinem Vater Trost bringen. Er antwortete, er könne dies unter keiner Bedingung tun, ehe er nicht eine Angelegenheit durchgeführt habe, bei der ihm Leben und Ehre und Seele auf dem Spiel stehe. Die Diener drangen nun stärker in ihn und versicherten ihm, sie würden auf keinen Fall ohne ihn zurückkehren, und ob er nun wolle oder nicht, sie würden ihn mitnehmen.

»Das werdet ihr nicht tun«, entgegnete Don Luis, »oder ihr müßtet mich tot fortschleppen; auf welche Weise immer ihr mich fortbringen möget, ihr werdet mich nur ohne Leben von hinnen schleppen.«

Inzwischen waren die übrigen in der Schenke Anwesenden zu dem heftigen Wortgefecht hinzugekommen, nämlich Cardenio, Don Fernando und seine Gefährten, der Oberrichter, der Pfarrer, der Barbier und Don Quijote, den es bedünkte, es sei nicht länger nötig, vor der Burg Wache zu halten. Cardenio, schon bekannt mit der Geschichte des Jünglings, fragte die Diener, was sie veranlasse, den jungen Mann gegen seinen Willen fortzuführen.

»Was uns dazu veranlaßt«, antwortete einer von den vieren, »ist, daß wir seinem Vater das Leben erhalten wollen, der durch die Flucht dieses jungen Edelmannes in die Gefahr geraten ist, es einzubüßen.«

Darauf versetzte Don Luis: »Ich sehe keinen Grund, hier über meine Angelegenheiten Auskunft zu geben. Ich bin ein freier Mann und werde zurückkehren, wann es mir behagt; und wenn nicht, so soll keiner von euch mich dazu zwingen.«

»Die Vernunft wird Euer Gnaden zwingen«, entgegnete der Diener, »und wenn sie über Euch nicht genug vermag, so wird sie über uns genug vermögen, damit wir ausführen, wozu wir gekommen und wozu wir verpflichtet sind.«

»Wir wollen doch einmal gründlich untersuchen, was dies bedeutet«, fiel hier der Oberrichter ein.

Der Diener jedoch, der ihn als Hausnachbarn erkannte, entgegnete: »Kennt Euer Gnaden, Herr Oberrichter, diesen Edelmann nicht? Es ist der Sohn Eures Nachbars und hat sich aus seines Vaters Haus in einer seinem Range so unangemessenen Tracht entfernt, wie Euer Gnaden sehen kann.«

Der Oberrichter betrachtete ihn aufmerksamer und erkannte ihn; er umarmte ihn und sprach: »Was sind das für Kindereien, Señor Don Luis? Oder welcher gewichtige Grund konnte Euch bewegen, auf solche Weise zu reisen und in solcher Tracht, die sich so wenig für Euren Stand schickt?«

Dem Jüngling traten die Tränen in die Augen, und er konnte dem Oberrichter kein Wort erwidern. Dieser sagte zu den vier Dienern, sie möchten sich beruhigen, alles werde gut gehen; und Don Luis an der Hand fassend, führte er ihn beiseite und fragte ihn, warum er hierhergekommen sei.

Während er diese Frage nebst mancher andern an ihn richtete, hörte man großes Geschrei am Tor der Schenke. Zwei Gäste, die hier übernachtet hatten und jetzt alle Welt nur mit Erkundigungen über das Vorhaben der vier Diener beschäftigt sahen, hatten nämlich den Versuch gemacht, von dannen zu gehen, ohne ihre Zeche zu bezahlen. Allein der Wirt, der auf seine eigenen Angelegenheiten besser als auf fremde achtgab, packte sie, als sie zum Tor hinauswollten, verlangte seine Zahlung und schalt sie ob ihres bösen Vorhabens mit so starken Ausdrücken, daß er sie reizte, ihm mit den Fäusten die Antwort zu geben. Und nun begannen sie ihn so mächtig zu dreschen, daß der arme Wirt mit lautem Geschrei um Hilfe rufen mußte. Die Wirtin und ihre Tochter sahen sich rings um und fanden keinen andern so unbeschäftigt wie Don Quijote, um dem Wirt beispringen zu können, und zu dem Ritter sprach die Wirtstochter: »Herr Ritter, um der Tapferkeit willen, die Gott Euch verliehen, steht meinem armen Vater bei, den zwei Bösewichter zu Brei schlagen.«

Hierauf antwortete Don Quijote ganz gelassen und in größter Gemütsruhe: »Huldseliges Fräulein, Eure Bitte kann für itzo keine Erfüllung finden, sintemal mir verwehrt ist, mich in ein anderweitig Abenteuer einzulassen, bevor ich nicht ein solches zu Ende geführt, als an welches mein Wort mich gebunden hält. Aber was ich dennoch tun kann, um Euch dienstbar zu sein, das will ich Euch sofort sagen: Eilet hin und saget Eurem Vater, er möge sich in diesem Kampfe so gut halten und so lange, wie er es vermag, und sich in keinem Falle besiegen lassen, dieweil ich mir von der Prinzessin Míkomikona die Vergünstigung erbitte, ihm in seiner Bedrängnis beistehen zu dürfen; und so sie eine solche gewährt, dann haltet es für sicher, daß ich ihn aus selbiger Not erlösen werde.«

»Gott verzeih mir meine Sünden!« rief hierauf Maritornes, die dabeistand, »bevor Euer Gnaden die Vergünstigung einholt, von der Ihr redet, wird unser Herr sich in der andern Welt befinden.«

»Gestattet immerhin, Ihr Fräulein, daß ich die besagte Vergünstigung einhole«, entgegnete Don Quijote, »und hab ich sie einmal erlangt, dann liegt wenig daran, ob er sich bereits in der andern Welt befinde; denn selbst von dort werd ich ihn zurückholen, wie sehr selbige Welt sich dawidersetzen möge, oder mindestens werde ich Euch solche Rache an denen verschaffen, die ihn ins Jenseits befördert haben, daß Euch mehr als nur mittelmäßige Genugtuung werden soll.«

Ohne ein Wort weiter zu sprechen, wandte er sich zu Dorotea, kniete vor ihr nieder und bat mit rittermäßigen und bei fahrenden Kämpen bräuchlichen Worten, Ihre Hoheit möge ihm großgünstigst die Vergünstigung gewähren, dem Burgvogt dieser Burg beizuspringen und beizustehen, welcher sich von harter Unbill bedrängt finde. Die Prinzessin gewährte sie ihm mit willigem Mute, und er schritt, seine Tartsche in den Arm nehmend und Hand an sein Schwert legend, zum Tor der Schenke hin, wo die beiden Gäste noch mit dem Wirte balgten und ihm den Balg zerklopften. Aber sobald er näher kam, hielt er jählings inne und blieb stille stehen, obwohl Maritornes und die Wirtin ihm zuriefen, weshalb er stehenbleibe, er solle ihrem Herrn und Ehemann zu Hilfe kommen!

»Ich bleibe stehen«, sprach Don Quijote, »dieweil es mir nicht ziemt, gegen schildknappliches Gesindel das Schwert zu ziehen; rufet mir aber meinen Knappen Sancho her, ihm kommt es zu und gebührt es, sotane Verteidigung und Rache auf sich zu nehmen.«

Dies trug sich am Tor der Schenke zu, und an diesem Tor gingen die Faustschläge und Backpfeifen aufs allerbeste hin und wider, und das alles auf Kosten des Wirts und zum wütenden Ärger der Maritornes, der Wirtin und ihrer Tochter, die schier in Verzweiflung gerieten, daß sie mit ansehen mußten, wie Don Quijote feige dastand und ihr Gemahl, Vater und Dienstherr so mißhandelt wurde.

Doch verlassen wir ihn – es wird ihm schon an einem Helfer nicht fehlen, oder wenn doch, so dulde und schweige, wer sich an mehr wagt, als seine Kräfte ihm verheißen – und wenden wir uns fünfzig Schritte zurück, um zu hören, was Don Luis dem Oberrichter antwortete, den wir verließen, als er den jungen Mann beiseite nahm und ihn befragte, weshalb er zu Fuße und in so unwürdiger Tracht hierhergekommen. Der Jüngling faßte des Oberrichters Hände mit aller Macht, wie um anzudeuten, daß ihm ein großer Schmerz das Herz zusammendrücke, und reichliche Tränen vergießend, sprach er: »Verehrter Herr, ich kann Euch nichts andres sagen als dies: von dem Augenblick an, wo der Himmel es fügte und unsere Nachbarschaft es vermittelte, daß ich das Fräulein Doña Clara, Eure Tochter und meine Gebieterin, erblickte, von jenem Augenblick an machte ich sie zur Herrin meines Willens; und wenn der Eure, Ihr, mein wahrer Vater und Herr, es nicht verwehrt, so soll sie noch heut am Tage meine Gattin werden. Um ihretwillen hab ich meines Vaters Haus verlassen, ihr zuliebe hab ich diese Tracht angelegt, um ihr überallhin zu folgen, wie der Pfeil sich nach dem Ziele wendet oder der Schiffer nach dem Polarstern. Sie weiß von meinen Wünschen nicht mehr, als was sie daraus erraten konnte, daß sie einigemal von weitem meine Augen Tränen vergießen sah. Ihr kennt ja, Señor, den Reichtum und Adel meiner Eltern und wißt, daß ich ihr einziger Erbe bin; falls Eurer Meinung nach diese glücklichen Umstände Euch genügende Gründe bieten, um es auf gut Glück zu wagen, mich vollkommen glücklich zu machen, so nehmt mich alsogleich zu Eurem Sohne an. Wenn aber mein Vater, von eignen Plänen andrer Art angetrieben, an dem hohen Glück, das ich selbst gefunden, keinen Gefallen hegen sollte, so hat doch die Zeit mehr Gewalt, die Dinge umzuwandeln und zu ändern, als der Wille des Menschen.«

Hierauf schwieg der verliebte Jüngling, und der Oberrichter stand verlegen da, in Ungewißheit über die eigentümliche und verständige Art, wie Don Luis ihm sein Denken und Fühlen offenbart hatte, und unschlüssig, welche Entscheidung in einem so unversehens und unerwartet eingetretenen Fall zu fassen sei. Und so gab er Don Luis nur die Antwort, er möge sich einstweilen beruhigen und seine Diener hinhalten, daß sie diesen Tag noch nicht zurückkehrten, damit man Zeit gewänne, zu überlegen, was für sie alle am ersprießlichsten sei.

Don Luis küßte ihm stürmisch die Hände, ja er badete sie in seinen Tränen, was ein steinern Herz hätte erweichen können, geschweige das des Oberrichters, der als ein verständiger Mann bereits eingesehen hatte, wie angemessen diese Ehe für seine Tochter sei; und sofern es möglich wäre, wollte er sie mit Zustimmung von Don Luis' Vater abschließen, von dem er wußte, daß er beabsichtigte, seinem Sohne einen kastilischen Adelstitel zu verschaffen.

In der Zwischenzeit hatten die Gäste mit dem Wirte Frieden geschlossen, denn durch Überredung und gütliches Zusprechen von Seiten Don Quijotes, mehr als infolge von dessen Drohungen, hatten sie dem Wirt seine Rechnung bezahlt.

Die Diener von Don Luis warteten auf das Ende der Unterredung mit dem Oberrichter und den Entschluß ihres Herrn. Da ließ der Teufel, der nimmer schläft, im nämlichen Augenblick jenen Barbier zur Schenke kommen, welchem Don Quijote den Helm Mambrins und Sancho Pansa das ganze Geschirr seines Esels weggenommen und mit dem des seinigen vertauscht hatte. Als besagter Barbier sein Tier in den Stall führte, erblickte er Sancho Pansa, der gerade an dem Sattel irgend etwas zurechtmachte; und als er diesen Sattel sah, erkannte er ihn gleich, ging unverweilt auf Sancho Pansa los und schrie dabei: »Aha, Herr Spitzbube, hab ich Euch hier! Her mit meiner Schüssel und meinem Sattel, mit meinem ganzen Geschirr, das Ihr mir gestohlen habt!«

Als Sancho sich so unversehens angegriffen sah und hörte, mit welchen Schimpfworten man ihn belegte, packte er mit der einen Hand den Eselssattel, und mit der andern versetzte er dem Barbier eine Maulschelle, daß ihm Lippen und Zähne in Blut schwammen. Allein der Barbier ließ darum den Sattel nicht los, vielmehr erhob er ein so mächtiges Geschrei, daß alle Leute aus der Schenke zu dem Lärm und Kampf herzuliefen. Und er rief: »Zu Hilfe im Namen des Königs und der Gerechtigkeit! Weil ich mein Eigentum wiederhaben will, da will mich dieser Dieb, dieser Straßenräuber umbringen!«

»Du lügst!« entgegnete Sancho, »ich bin kein Straßenräuber; in ehrlichem Krieg hat mein Herr Don Quijote diese Beute gewonnen.«

Bereits war Don Quijote herbeigekommen und sah mit großem Vergnügen, wie trefflich sein Schildknappe zu Schutz und Trutz zu kämpfen wußte, und von da an hielt er ihn für einen echten, rechten Mann und nahm sich in seinem Innern vor, ihn bei der ersten Gelegenheit, die sich böte, zum Ritter zu schlagen, weil es ihn bedünkte, bei Sancho würde der Orden der Ritterschaft gut angebracht sein.

Unter anderem hörte man während des Kampfes den Barbier auch sagen: »Ihr Herren, dieser Eselssattel ist so sicher mein, wie mir der Tod sicher ist, den ich Gott dem Herrn schulde. Ich kenne den Sattel so gut, als hätte ich ihn geboren, und dort steht mein Esel im Stall, der wird nicht leiden, daß ich lüge; oder leugnet mir's einer, so probiert ihn meinem Esel an, und wenn er ihm nicht wie angegossen sitzt, so will ich zeitlebens ein Schuft sein. Ja noch mehr, am nämlichen Tag, wo man mir ihn weggenommen hat, da hat man mir auch eine messingene Barbierschüssel gestohlen, ganz neu, sie war einen Goldtaler wert.«

Hier konnte sich Don Quijote nicht enthalten, ihm Antwort zu geben. Er stellte sich zwischen die beiden, trieb sie auseinander, legte den Sattel auf den Boden nieder, damit er ihn vor Augen habe, bis die Wahrheit ans Licht gebracht werde, und sprach: »Auf daß Euer Gnaden alle klar und offenbar ersehen, in welchem Irrtum dieser wackere Knappe befangen ist: er nennt eine Schüssel, was der Helm des Mambrin ist, war und sein wird, den ich ihm im ehrlichen Krieg abgenommen und dessen Herr mit redlichem und rechtmäßigem Besitz ich geworden bin. Was den Sattel betrifft, da mische ich mich nicht hinein; ich kann darüber nichts sagen, als daß mein Schildknappe Sancho mich um die Erlaubnis gebeten hat, dem Roß dieses besiegten Feiglings Sattel und Zaumzeug abzunehmen und das seinige damit auszurüsten, und er nahm es. Daß sich das Pferdegeschirr in einen Eselssattel verwandelt hat, dafür kann ich keinen andern Grund angeben als den gewöhnlichen, daß nämlich derlei Verwandlungen bei den Begebnissen im Rittertume des öftern vorkommen. Um nun das, was ich vorher gesprochen, zu bekräftigen, lauf, Sancho, mein Sohn, und hole den Helm her, welchen dieser gute Mensch für eine Bartschüssel erklärt.«

»Meiner Six, Señor«, sprach Sancho, »wenn wir für unsre Behauptung keinen andern Beweis haben, als den Euer Gnaden vorbringt, dann ist der Helm des Mambrin ebensogut eine Barbierschüssel wie das Pferdegeschirr dieses guten Kerls ein Eselssattel.«

»Tu, was ich dir gebiete«, entgegnete Don Quijote, »es wird in dieser Burg doch nicht alles mit Zauberei zugehen.«

Sancho ging nach der Schüssel und holte sie herbei, und sobald Don Quijote sie erblickte, nahm er sie in die Hand und sprach: »Möge doch Euer Gnaden zusehen, mit welcher Stirn dieser Knappe sagen kann, es sei dies eine Bartschüssel und nicht der Helm, von dem ich gesprochen habe! Und ich schwöre bei dem Ritterorden, der mein erkorener Beruf ist, dieser Helm ist derselbe, den ich ihm abgenommen, ohne daß am selbigen das geringste hinzu- oder hinweggetan worden.«

»Das unterliegt keinem Zweifel«, sprach hier Sancho, »denn seit dem Tage, wo mein Herr ihn erobert hat, bis zum heutigen Tage hat er mit selbigem nicht mehr als einen einzigen Kampf bestanden, als er jene Unglücklichen aus ihren Ketten befreite, und hätte ihm dieser Schüsselhelm nicht geholfen, so wäre es ihm damals nicht sehr gut ergangen, denn es gab genugsam Steinwürfe bei jenem argen Strauß.«


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